Russische Militarisierung und „Ethnisches Engineering“ – wie ist die aktuelle Situation auf der besetzten Krim?
Zum Hintergrundgespräch lud LibMod am 6. Oktober ein. Mit den ukrainischen Gästen Tamila Tasheva und Maria Tomak sprachen wir über die russisch besetzte Krim.
Am 6. Oktober hat das Zentrum Liberale Moderne zum Hintergrundgespräch mit Tamila Tasheva, Vertreterin des Präsidenten der Ukraine in der Autonomen Republik Krim, und Maria Tomak, Leiterin der Abteilung für die Krim-Plattform bei der Vertretung des Präsidenten der Ukraine in der Autonomen Republik Krim, über die aktuelle Situation auf der seit 2014 russisch besetzten Halbinsel eingeladen. An dem Treffen nahmen Vertreterinnen und Vertreter aus der deutschen Politik sowie der Think Tank- und NGO-Szene teil.
Die Teilnehmenden diskutierten die russische Militarisierung der Krim seit 2014, die aktuelle Lage auf der Halbinsel nach der von Wladimir Putin erklärten Teilmobilmachung, das Schicksal der ukrainischen und krimtatarischen politischen Gefangenen des Kremls und die Krim-Politik der ukrainischen und ausländischen Regierungen.
Mit der Besetzung und Annexion der Krim durch die Russische Föderation begann ein neuer Leidensweg der Krimtataren. Kaum jemand im Westen weiß, dass die Krimtataren auf Stalins Befehl 1944 von der Krim wegen vermeintlicher Kollaboration mit der Wehrmacht deportiert wurden. Viele Krimtataren verloren bei dieser Deportation ihr Leben. Die Rückkehr wurde erst Ende der 1980er-Jahre wieder möglich. Es entstand krimtatarisches Leben auf der Krim, politisch und kulturell.
Tamila Tasheva wies darauf hin, dass der Mobilisierungsbefehl Putins die Krimtataren hart trifft. Sie stehen vor der Alternative, gegen die ukrainische Armee zu kämpfen und damit gegen ein Militär, das sie als ihr eigenes begreifen. Die Möglichkeiten, sich der Einberufung zu entziehen, sind begrenzt. Oft fehlen die Papiere, um die Krim verlassen und in anderen Ländern Zuflucht suchen zu können. So bleibt manchmal nur die dramatische Entscheidung zwischen dem Gang in die Haft und das Lager oder der Eingliederung in die russische Armee.
Es ist davon auszugehen, dass bisher etwa 2000 Bewohner der Krim eingezogen wurden und auch in der Region Cherson kämpfen müssen.
Diese Zwangsrekrutierungen verletzten die Genfer Konvention und damit Völkerrecht. Es ist also nicht übertrieben, diese perfide Form der russischen Mobilisierung als einen weiteren Schritt des „ethnischen Engineering“ der Russischen Föderation zu bezeichnen – denn das krimtatarische Volk, ein indigenes Volk der Krim, das seit 2014 Widerstand gegen die russische Besatzungsmacht leistet, wird unterdrückt und soll seine Identität verlieren.
Somit ist auch politisches Engagement auf der Halbinsel mit großen Risiken behaftet: so wurde beispielsweise Nariman Dzheljal, der stellvertretende Vorsitzende der Medjlis, der Exekutivkörperschaft der Krimtataren, unlängst zu 17 Jahren Lagerhaft in der Russischen Föderation verurteilt, nachdem er im Jahr 2021 an dem Treffen der Krim-Plattform in Kyjiw teilgenommen hatte. Laut Tasheva befinden sich derzeit 150 Krimbewohner als politische Gefangene des Kremls in Haft, darunter 111 Krimtataren.
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