Ver­brannte Erde

Foto: Valery Zufarov TASS /​ Imago Images

Heute vor 36 Jahren ereig­nete sich in Tscher­no­byl die schlimmste Atom­ka­ta­stro­phe der Mensch­heit. Die Grünen-Poli­ti­ke­rin Rebecca Harms war seit Ende der Acht­zi­ger-Jahre mehr­mals vor Ort. Als die rus­si­sche Armee im Februar dieses Jahres nach Tscher­no­byl vor­drang, begriff sie die Dimen­sion des Kriegs. Von Rebecca Harms

Der Krieg gegen die Ukraine, in den Wla­di­mir Putin die rus­si­sche Armee geschickt hat, quält viele. Mich auch. Und mich schmerzt dazu, dass viele Men­schen um mich herum nicht wirk­lich bereit sind, die ganze Dimen­sion dieses Kriegs zu sehen, weil die Kon­se­quen­zen gefürch­tet werden, mit denen auf das Grauen dieses Krieges reagiert werden müsste. Die Ukraine ist für die meisten ein unbe­kann­tes Land geblie­ben. Dabei hat die Atom­ka­ta­stro­phe von Tscher­no­byl einmal Deutsch­land und seine Ener­gie­po­li­tik verändert.

Als jetzt, 36 Jahre nach der Explo­sion von Block 4, die rus­si­sche Armee gezielt den ato­ma­ren Komplex von Tscher­no­byl ange­grif­fen und beschos­sen hat, begriff ich die Dimen­sion des Krieges noch einmal neu. Während um mich herum zuerst die Frage dis­ku­tiert wurde, ob ein Unfall heute in Tscher­no­byl Aus­wir­kun­gen auf uns haben könne. Einige Poli­ti­ker und Exper­ten in Berlin befürch­te­ten, die ukrai­ni­sche Regie­rung würde diesen Angriff auf­bau­schen, um den Westen in den Krieg zu ver­wi­ckeln. Mich hat gerade dieser Angriff in einen Alp­traum gestürzt. Der handelt von der tota­li­tä­ren Dimen­sion des rus­si­schen Krieges gegen die Ukraine.

Und er handelt von meinem Land, in dem sich die Men­schen erst dann bedroht fühlen, wenn Strah­len­werte auch in Deutsch­land steigen.

Das Leben vor und nach Tschernobyl

Mein Weg in die Ukraine begann 1988. Auf Ein­la­dung des sowje­ti­schen Pen Club ging ich auf eine Reise in die Zone von Tscher­no­byl. Mit dabei waren ukrai­ni­sche Mit­glie­der des Pen und zwei andere Deut­sche. Als deut­sche Akti­vis­ten und Atom­kraft­geg­ner wurden wir an den Ort des größten Atom­un­falls geschickt, über dessen Schre­cken und Folgen trotz Glas­nost und Pere­stroika in der Sowjet­union von Gor­bat­schow nicht öffent­lich dis­ku­tiert wurde. Mit der dama­li­gen Ein­la­dung war der Wunsch ver­bun­den, diese öffent­li­che Dis­kus­sion mit uns zu beginnen.

Am 24. Februar dieses Jahres, als die Meldung kam, dass die rus­si­sche Armee den Atom­kom­plex von Tscher­no­byl angreife, wurde ich wie in einer Zeit­schleife in das Jahr 1988 zurückgeworfen.

Bevor wir damals von Kyjiw in die Zone auf­bra­chen, wurde ich immer wieder mit einem Gedan­ken kon­fron­tiert. Es waren eher die Älteren, die ich in Moskau und Kyjiw traf, die ver­such­ten mir zu erklä­ren, dass Tscher­no­byl die Zeit neu unter­teilt hatte.

Bis Tscher­no­byl, bis zur Kata­stro­phe am 26. April 1986, hätte es das Leben vor dem großen Vater­län­di­schen Krieg und das Leben danach gegeben. Seit diesem Tag im April teilte sich das Leben in die Zeit vor Tscher­no­byl und die Zeit danach. 

Erst als wir im Gebiet von Tscher­no­byl ankamen, ver­stand ich diese Worte wirk­lich. Je näher wir der Zone kamen, desto mehr ver­wan­del­ten sich die Straße und die Land­schaft. Unsere Route begann in einer länd­li­chen Idylle und endete in mili­tä­ri­schem Gebiet. Endlose Armee­ko­lon­nen trans­por­tier­ten Sol­da­ten, zivile Helfer, Gerät­schaf­ten und Mate­rial. Schon vor der Pas­sier­stelle am Eingang ins Sperr­ge­biet tauch­ten links und rechts der Straße Bara­cken- und Zelt­la­ger auf. Im Sand und Staub lebten hier Sol­da­ten, die ver­pflich­tet wurden, gegen die Folgen der Explo­sion von Block 4 des Atom­kraft­werks Tscher­no­byl zu kämpfen.

Der unsicht­bare Feind

Gor­bat­schows Rote Armee und andere Bürger der Sowjet­union wurden und werden im Westen damals und heute gern gelobt für den hel­den­haf­ten Einsatz nach dem Super Gau, mit dem die tap­fe­ren Sowjet­bür­ger seit dem 26. April 1986 die Welt vor Schlim­me­rem bewahrt hätten. Als ich das erste Mal in die Zone kam, im Oktober 1988, arbei­te­ten nach offi­zi­el­len Angaben 8000 Zivi­lis­ten im Atom­kom­bi­nat Tscher­no­byl und 8000 Sol­da­ten waren für sechs­mo­na­tige Ein­sätze mit Arbei­ten zur Dekon­ta­mi­nie­rung beauf­tragt. In einem Strah­len­re­gis­ter waren bis dahin 600.000 Per­so­nen registriert.

Eva­ku­ierte, zivile Beschäf­tigte und Armee­an­ge­hö­rige wurden zusam­men erfasst. Sol­da­ten und Frei­wil­lige, deren Bara­cken und Zelte wir schon kannten, beob­ach­te­ten wir in der inneren Zone, die in einem Zehn-Kilo­me­ter-weiten Radius um das AKW Tscher­no­byl gezogen worden war. Wegen der Strah­lung war diese Zone damals mit einer angeb­lich unüber­wind­ba­ren Grenze gesi­chert. Es gab dort viele Plätze mit Halden oder Kuhlen voll mit Beton­trüm­mern, Maschi­nen und Abraum. Überall im Gelände arbei­te­ten große und kleine Gruppen von Sol­da­ten, oft mit Hacken, Schau­feln und Schubkarren.

Sie trugen kon­ta­mi­nier­ten Boden ab, ver­lu­den ihn auf Last­wa­gen und brach­ten ihn auf Depo­nien. Die aller­meis­ten von ihnen trugen weder Maske noch Kopf­be­de­ckun­gen. Es war ein heißer, stau­bi­ger Tag. Die asphal­tier­ten Straßen, auf denen die Last­wa­gen fuhren, wurden immer wieder von Was­ser­wa­gen abge­spült. Das Wasser ver­si­ckerte im Sand.

Während in dem nicht hava­rier­ten Block des AKW Nor­mal­be­trieb herrschte, sahen wir wie im Gelände im wahrs­ten Sinne des Wortes eine ganze Armee damit beschäf­tigt war, gegen einen unsicht­ba­ren Feind zu kämpfen.

Unab­hän­gig­keit und Abrüstung

Tscher­no­byl und die Ukraine ließen mich nicht los. In den 34 Jahren seit meinem ersten Besuch bin ich mehr­fach in die Zone zurück­ge­kehrt. Zuerst in den späten Neun­zi­ger-Jahren und später als Euro­pa­ab­ge­ord­nete alle fünf Jahre zu den Jah­res­ta­gen. In diesen Jahren pas­sierte viel. Die Ukraine erlangte wie andere ehe­ma­lige Sowjet­re­pu­bli­ken ihre Unab­hän­gig­keit. Freunde aus zentral- und ost­eu­ro­päi­schen Staaten haben mir unab­hän­gig von­ein­an­der immer wieder erklärt, dass der Zerfall der Sowjet­union nicht nur durch die Kata­stro­phe von Tscher­no­byl for­ciert worden sei. Die Art, wie Gor­ba­chev die Armee und viele Zivi­lis­ten ohne Infor­ma­tion und ohne Schutz in den „Kampf gegen das atomare Feuer” geschickt hatte, habe die Stim­mung gegen Moskau gedreht. Die Ukraine über­nahm mit der Unab­hän­gig­keit auch die Ewig­keits­las­ten von Tscher­no­byl. Seither wurde ein großer Teil des staat­li­chen Haus­halts auf­ge­wen­det für Tau­sende, die bis heute mit Still­le­gungs- und Auf­räum­ar­bei­ten beschäf­tigt sind, für die Behand­lung von Gesund­heits­fol­gen und die Renten der Liquidatoren.

Die Erfah­rung mit dem Kampf gegen die atomare Kata­stro­phe trug nach meiner Beob­ach­tung wesent­lich dazu bei, dass der erste Prä­si­dent der unab­hän­gi­gen Ukraine, Leonid Krawtschuk, gleich nach der Unab­hän­gig­keit die atomare Abrüs­tung seines Landes ver­wirk­lichte. Er tat das in dem Glauben, damit eine welt­weite Abrüs­tung der Atom­waf­fen in Gang zu setzen.

Anläss­lich des 30. Jah­res­tags von Tscher­no­byl, zwei Jahre nachdem Russ­land die Krim besetzt und den Krieg gegen die Ukraine begon­nen hatte, erklärte Krawtschuk öffent­lich, dass er es bereue, dass die Atom­spreng­köpfe abge­ge­ben wurden. Das Buda­pes­ter Memo­ran­dum, mit dem der Ukraine für die ein­sei­tige Abrüs­tung Schutz zuge­sagt worden sei, sei von der Schutz­macht Russ­land gebro­chen worden. 

Am Tag nach der Rede von Krawtschuk besich­tigte ich mit einer Gruppe von OECD-Bot­schaf­tern den neuen „großen Bogen”, der den Sar­ko­phag über dem hava­rier­ten Block 4 ein­schließt. Allein in diesem Bau, den einige der Besu­cher als Kathe­drale der Zukunft sahen, waren Mil­li­ar­den geflos­sen, weil so die Beherrsch­bar­keit des ato­ma­ren Feuers gezeigt werden könne. In einer zere­mo­ni­el­len Sitzung im großen Saal des Ver­wal­tungs­ge­bäu­des von Tscher­no­byl mit dem dama­li­gen Prä­si­den­ten der Ukraine, Petro Poro­schenko, sagten die inter­na­tio­na­len Geld­ge­ber dreißig Jahre nach dem Super­gau dann noch einmal frische Mil­li­ar­den zu.

Sturm ins Sperrgebiet

Sechs Jahre später, gut zwei Monate vor dem 36. Jah­res­tag von Tscher­no­byl, erklärte Wla­di­mir Putin der Ukraine offi­zi­ell den Krieg. Der Angriff erfolgte mit großer Wucht auf viele Städte der Ukraine gleich­zei­tig. Da der größte Teil der Welt vor­ge­zo­gen hatte, Putins Dro­hun­gen und seinen Trup­pen­auf­marsch entlang der ukrai­ni­schen Grenzen nicht ernst zu nehmen, waren die aller­meis­ten über­rascht. Ich hatte seit Tagen nicht geschla­fen und mir für die Nacht des Angriffs den Wecker auf 5 Uhr morgens gestellt. Ich war also nicht über­rascht. Nach vielen Besu­chen an der Front im Donbas seit 2014 hatte ich eine Vor­stel­lung vom Krieg. Aber auch meine Vor­stel­lungs­kraft reichte nicht aus, um mich auf das Tota­li­täre des neuen Angriffs vorzubereiten.

Ich fing an, es zu begrei­fen, als am Nach­mit­tag des 24. Februar die Nach­richt vom Angriff auf Tscher­no­byl kam. Das Sperr­ge­biet wurde beschos­sen, Flug­zeuge und Kampf­hub­schrau­ber beglei­te­ten die Kämpfe, mit denen die rus­si­sche Armee nach Tscher­no­byl vor­rückte. Allen Ver­ein­ba­run­gen zur Genfer Kon­ven­tion und dem Völ­ker­recht zum Trotz ver­suchte die rus­si­sche Armee, das Sperr­ge­biet als siche­ren Ort des rus­si­schen Auf­mar­sches und Basis für den Angriff auf Kyjiw zu nutzen. Die Erobe­rung einer Atom­an­lage hatte es bis dahin in keinem Krieg gegeben.

Wie einige Tage später am größten Atom­kraft­werk Europas bei Sapo­rischschja setzte die rus­si­sche Führung darauf, dass man sich in der Zone von Tscher­no­byl sicher ver­schan­zen könnte vor der ukrai­ni­schen Abwehr. Rus­si­sche Sol­da­ten sperr­ten die gefan­ge­nen ukrai­ni­schen Mann­schaf­ten der Natio­nal­garde, die das Sperr­ge­biet bewach­ten, für die Zeit der Besat­zung im Keller unter dem Saal ein, in dem 2016 die OECD-Zere­mo­nie zur Vor­stel­lung des Sar­ko­phags statt­ge­fun­den hatte. Ein Teil der Betriebs­mann­schaft wurde eben­falls fest­ge­setzt und gezwun­gen, im Schicht­be­trieb die tech­ni­schen Systeme der Zwi­schen­la­ger und Abkling­be­cken in Gang zu halten. Diesen ukrai­ni­schen Arbei­tern, die unter größter Anspan­nung und Angst arbei­ten mussten, ist zu ver­dan­ken, dass die Atom­an­la­gen in den vier Wochen rus­si­scher Besat­zung und trotz eines kom­plet­ten Strom­aus­falls nicht außer Kon­trolle gerieten.

Einer ihrer Chefs, ein eth­ni­scher Russe, berich­tete inzwi­schen, dass die rus­si­schen Sol­da­ten völlig ahnungs­los in die Zone ein­mar­schiert seien. Sie hätten sogar ver­sucht, die Sol­da­ten zu warnen, beson­ders weil diese wochen­lang in kon­ta­mi­nier­ter Erde geschanzt und ohne Schutz gegen radio­ak­ti­ven Staub Ver­tei­di­gungs­grä­ben zur Befes­ti­gung ihrer Posi­tion in der Zone aus­ge­ho­ben hätten. Ein Zeuge schil­derte, dass die rus­si­schen Sol­da­ten quasi in der Erde gelebt hätten, in der sie wohl ihre eigenen Gräber geschau­felt hatten. Als die Schlacht um Kyjiw auf­ge­ge­ben wurde und die rus­si­schen Sol­da­ten nach 35 Tagen Besat­zung nach Belarus abzogen, wurde aus Belarus gemel­det, es seien mehrere Busse voll mit strah­len­kran­ken Russen im Kran­ken­haus in Gomel eingetroffen.

Es wurde auch berich­tet, dass es wegen der Sym­ptome der Strah­len­krank­heit vor dem Abzug Meu­te­reien gegeben habe. Das hat die rus­si­schen Sol­da­ten aber nicht davon abge­hal­ten, alles zu plün­dern, was in Tscher­no­byl nicht niet- und nagel­fest war. Zum Plün­der­gut gehör­ten wohl auch radio­ak­tive Sub­stan­zen und Proben, mit denen dieses Gift in die Welt getra­gen wurde.

Helden und Opfer

36 Jahre sind seit der größten Atom­ka­ta­stro­phe ver­gan­gen. Es waren Jahr­zehnte, in denen zuerst ganze Heer­scha­ren von Sol­da­ten der Roten Armee aus der ganzen Sowjet­union in die Schlacht gegen den unsicht­ba­ren Feind in der Zone gewor­fen und zu den Helden dieser Schlacht gemacht worden waren, ohne dass sie die Risiken ihres Ein­sat­zes ver­stan­den. Als es die Rote Armee nicht mehr gab, über­nah­men Ukrai­ner die Auf­ga­ben. Viele Mil­li­ar­den Dollar wurden auf­ge­wen­det, um die radio­ak­tive Ver­seu­chung zumin­dest halb­wegs unter Kon­trolle zu bekom­men. Tau­sende haben dabei ihre Gesund­heit geop­fert, Tau­sende sind gestor­ben. Ein Regis­ter über die Opfer von Tscher­no­byl aus der Roten Armee gab es nicht. Denk­mä­ler für die hel­den­haf­ten Sol­da­ten, Feu­er­wehr­leute und zivilen Liqui­da­to­ren, die in Tscher­no­byl auf­räum­ten, gibt es an vielen Orten – auch vor dem Gebäude, dass nun von rus­si­schen Sol­da­ten besetzt wurde.

Wie wenig für den Kreml immer noch ein Men­schen- oder Sol­da­ten­le­ben zählt, wurde in Tscher­no­byl nun zum zweiten Mal gezeigt: Nichts. 

Und mit dem Angriff auf Tscher­no­byl wurde der Welt auf beson­dere Art gezeigt, dass die Bereit­schaft, die Ukraine zu ver­wüs­ten, in diesem Krieg gren­zen­los ist. Das Böse scheint total gewor­den, hatte die Schrift­stel­le­rin Swet­lana Ale­xi­je­witsch mir einmal im Gespräch gesagt. In Tscher­no­byl und an anderen Orten, wird mit kon­ven­tio­nel­len Waffen gekämpft, aber mit Folgen, die sonst durch Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen aus­ge­löst werden.

Die ver­brannte Erde hatte die Sowjet­union mit Tscher­no­byl der Ukraine hin­ter­las­sen. Über Vieles war im wahrs­ten Sinne des Wortes Gras gewach­sen. In der Ukraine hatten die Alten auf­ge­hört, darüber zu reden. Die Jungen hatten andere Sorgen. Erst die Fern­seh­se­rie „Tscher­no­byl” machte 2019 die größte Atom­ka­ta­stro­phe der Welt wieder zu einem Thema. Die Ver­fil­mung eines Teils ihres gleich­na­mi­gen Buchs, das Swet­lana Ale­xi­je­witsch als „Chronik der Zukunft” beti­telte, brachte neue und not­wen­dige Auf­merk­sam­keit. Eine toxi­sche Mischung aus Plan­wirt­schaft, Ehrgeiz, Über­wa­chung, Inkom­pe­tenz, Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit, Angst und mensch­li­chem Ver­sa­gen hatte zum Super­gau geführt – die­selbe Mischung zum Kollaps der Sowjetunion.

Gegen die Wie­der­ho­lung der Geschichte

Junge Leute in der Ukraine haben durch die Fern­seh­se­rie vieles neu ver­stan­den. Die neue Bedro­hung für ihr Land kennen sie seit Wla­di­mir Putin offen für die Wie­der­erschaf­fung der Sowjet­union in ihren alten Grenzen ein­tritt. Seit die Krim besetzt und der Donbas in den Krieg gezogen wurde, wissen sie, was ihnen droht, wenn die Ukraine zurück­ge­holt wird in ein rus­si­sches Reich, das heute eine Mischung aus Sowjet­dik­ta­tur und Mafia-Staat wäre. Deshalb stemmen sie sich mit allen ihren Mitteln gegen Putins Inva­sion, setzen zu Tau­sen­den als Sol­da­ten und Frei­wil­lige ihr Leben ein gegen die rus­si­sche Armee, die noch vor einigen Wochen als unbe­zwing­bar galt.

„Wenn die Russen auf­hö­ren zu kämpfen, ist der Krieg vorbei. Wenn wir die Waffen nie­der­le­gen, dann werden wir Ukrai­ner das nicht über­le­ben“, schrieb mir meine Freun­din, die Kriegs­be­richt­erstat­te­rin Nata­liya Gumenyuk. 

Sie und andere fragen mich heute, warum die Deut­schen, die die Rote Armee und Gor­bat­schow ohne Wenn und Aber für den Tscher­no­byl-Einsatz glo­ri­fi­zie­ren, sich heute so schwer damit tun, sich ein­deu­tig auf die Seite der­je­ni­gen zu stellen, die in Europa für ihre Frei­heit und gegen Faschis­mus in rus­si­schem Gewand kämpfen.

Ich schre­cke vor den Ant­wor­ten noch zurück. Sie haben mit der deut­schen Angst zu tun. Sie haben aber auch damit zu tun, dass die Deut­schen weiter nicht los­kom­men von ihrer beson­de­ren Bindung zu Moskau und dessen impe­ria­len Blick auf die Ukraine.

Da liegt noch viel vor meinem Land. Und Faschis­mus ist min­des­tens so schwer zu bekämp­fen wie die Folgen einer ato­ma­ren Kata­stro­phe. Beson­ders dann, wenn er nicht erkannt wird.

Textende

Portrait Harms 2021

Rebecca Harms ist Grünen-Poli­ti­ke­rin und war von 2004 bis 2019 Mit­glied des Euro­päi­schen Parlaments.

 

 

 

 

 

 

 

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