Droht ein neue Kirchenspaltung in Kyjiw?
Keine besonders christliche Einstellung: Die neuerliche Machtgier des Patriarchen Filaret gefährdet die Einheit der neuen unabhängigen Ukrainisch-Orthodoxen Kirche. Von Sébastien Gobert
Der Streit läuft nicht wie erwartet. Die Spannungen zwischen der neu geschaffenen Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (UOK) und der Russisch-Orthodoxen Kirche (ehemals die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats) sind seit der Verleihung des Tomos der Autokephalie durch das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel am 5. Januar 2019 sichtbar geworden. Nun ist es Filaret, ehemaliges Oberhaupt des Patriarchats von Kyjiw, der die Kontroverse befeuert. Der 90-jährige ist vom Ruhestand weit entfernt. Obwohl er für viele UkrainerInnen aufgrund seines Kampfes für die religiöse und nationale Unabhängigkeit insgesamt eine verehrte Persönlichkeit ist, erscheint seine letzte Aktion wie der Griff eines einsamen Wolfes nach der Macht. Diese Aktion könnte ihn seine historische Glaubwürdigkeit kosten.
Offiziell hat der Ehrenpatriarch seinen Unmut über die Autorität des Patriarchen Epifanij der UOK ausgedrückt und am 20. Juni eine Synode an der Wladimir-Kathedrale im Zentrum von Kyjiw einberufen. Er wurde zum Patriarchen auf Lebenszeit für „sein“ Kyjiwer Patriarchat berufen, das seiner Meinung nach immer noch besteht, obwohl es offiziell in die UOK eingegliedert ist. Filaret war am Aufbau des Patriarchats im Jahr 1992 beteiligt, womit eine Abspaltung von der Moskauer Orthodoxie vollzogen wurde. Im Jahr 1995 übernahm er das Patriarchat. Während der Synode verurteilte er die Position des Vereinigungskonzils, das am 15. Dezember 2018 abgehalten wurde. Filaret beanspruchte das Eigentum des Kyjiwer Patriarchats für sich und bat das Innenministerium um Schutz vor möglichen „Überfällen“.
Für den Sprecher der UOK, Erzbischof Jewstratiy, war das nichts Ernstes. Es wäre eher eine „lokale Versammlung“ als eine Synode, kommentierte er. Es stimmt, dass nur zwei Bischöfe und rund einhundert Gläubige anwesend waren. Sehr wenige Teilnehmer angesichts der rund neun Millionen Gläubigen der neuen Kirche. Dennoch musste Epifanij reagieren. Am 24. Juni wurden den beiden Bischöfen bei einem Treffen der Leitung der UOK ihre Titel entzogen; damit verlor Filaret das Recht, Kirchen und Klöster zu verwalten und zu steuern. Jewstratiy bestätigte, dass sich das Kyjiwer Patriarchat im Dezember 2018 auflöste, als es Teil der neuen Kirche wurde. Alle Stellungnahmen Filarets in dessen Namen haben „weder eine kanonische noch eine rechtliche Grundlage“.
Filarets Feindschaft wird tatsächlich nicht ernst genommen, da der Mann seine inneren Gründe am 15. Mai klar dargestellt hat. Bei einer Pressekonferenz gab er Details einer unausgesprochenen Übereinkunft bekannt, die er mit Epifanij getroffen habe: ersterer sollte die interne Entwicklung der neuen Kirche verwalten, während letzterer die Kirche nach außen, auch international, präsentieren sollte. „Wenn ich nur gewusst hätte, was passiert (d.h. dass er ausgegrenzt werden würde), hätte ich ihn nicht als Kandidaten nominiert.“ Diese Vorwürfe werfen einen Schatten auf die Ethik des Wiedervereinigungskonzils, sowie auf den ehemaligen Präsidenten Petro Poroschenko für die Rolle, die er beim Aufbau der Kirche gespielt hatte. Dennoch ist der Grund für Filarets Missstimmung offensichtlich: es ist keine kanonische oder rechtliche Kritik an der UOK, sondern einfach nur persönlicher Groll.
Dmytro Gorewoy, Direktor des Zentrums für religiöse Sicherheit, erinnert daran, dass Filaret „Macht ausüben möchte. Er hat sich länger als ein halbes Jahrhundert an die Droge der Macht gewöhnt.“ Das weiß man sehr gut aus Filarets Vergangenheit. Unter der formal atheistischen Sowjetmacht arbeitete er eng mit dem KGB zusammen, was seinen bemerkenswert schnellen Aufstieg erklärt. Er erwies sich als zunehmend aggressiv gegenüber Juden und griechischen Katholiken. Erst nachdem er nicht zum Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche ernannt worden war, nahm er eine pro-ukrainische Haltung ein und half dabei, das Kyjiwer Patriarchat aufzubauen. Seither versuchte er, sich selbst als der mächtigste pro-ukrainische kirchliche Würdenträger zu erweisen, insbesondere gegenüber dem Vorsitzenden der Ukrainischen Autokephalen Kirche, Makarij.
Filaret wird für seine aktive Rolle in der Revolution der Würde von 2014 sowie im Krieg im Donbass verehrt. Dennoch bestätigt die aktuelle Fehde, dass die Aktionen, die er im Laufe seines Lebens unternahm, zunächst und vorrangig durch seine eigene Machtgier gerechtfertigt wurden. Das ist eine potenzielle Gefahr für den Anspruch der UOK auf Unabhängigkeit. Filaret hat Recht, wenn er behauptet, dass durch die Einrichtung des Kyjiwer Patriarchats 1992 ein fundamentaler Schritt unternommen wurde, der es 17 Jahre später ermöglichte, den Tomos der Autokephalie x zu verleihen. Dennoch bezweifelt niemand die Legitimität der ersten Abspaltung von Moskau im Jahr 1992. Wenn das auf den alleinigen Ambitionen von Filaret basierte, wie der derzeitige Streit, dann würde das den Anspruch der russisch-orthodoxen Kirche stärken, die rechtliche Autorität über das kanonische Land der Ukraine auszuüben. Jewstratij, Erzbischof der UOK, ist sich dieser Bedrohung bewusst, da er Filaret als „alten Mann, der unter dem Einfluss der russischen Propaganda steht“, ablehnt.
Es geht um die Anerkennung der UOK auf internationaler Ebene. Keine der 13 autokephalen Kirchen ist bisher eine Gemeinschaft mit der UOK eingegangen, was der offiziellen Anerkennung entspräche. „Die Persönlichkeit von Filaret ist für viele ausländische orthodoxe Kirchen toxisch“, sagt der Religionswissenschaftler Oleksandr Sagan zur Erklärung der wenigen Reaktionen aus dem Ausland. Wenn Filarets Fehde Fahrt aufnähme, würde dies sicherlich die Anerkennung der UOK auf internationaler Ebene weiterhin erschweren, auch die Beziehung der UOK mit Konstantinopel belasten. Die Feindseligkeiten zwischen Filaret und dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios sind hinlänglich bekannt. Filaret begründet seinen Unmut mit der Behauptung, dass die UOK „im Dienst der Griechen stehe“. Sollte er weitere Anhänger gewinnen, könnte dies auch dazu führen, dass ein bedeutender Anteil der Gläubigen misstrauisch gegenüber dem Einfluss Konstantinopels auf die UOK wird. Manche Beobachter behaupten bereits, dass Bartholomaios den Tomos der Autokephalie widerrufen könnte, wenn die Situation zu instabil wird. Epifanij versichert, dass dies nicht möglich sei. Dennoch ist es kaum zu bestreiten, dass seine Position durch Filarets Handlungen gefährdet wird.
Dabei ist zu beachten, dass nicht jede Opposition zu Filaret notwendigerweise Unterstützung für Epifanij bedeutet. Der Primas muss sich noch die Unterstützung seiner eigenen Ukrainisch-Orthodoxen Kirche sichern, da seine Ernennung im Dezember nicht unumstritten war. Er musste sich in einem harten Kampf gegen Michaylo, den Metropoliten von Luzk, durchsetzen; auch bewegt sich die interne Kritik weiterhin auf hohem Niveau. Doch die UOK benötigt eine starke und einige Führung, um ihre Institutionen zu konsolidieren und ihr vorrangiges Ziel zu erreichen: mehr Gläubige zum Beitritt zu motivieren. Aktuell sind rund 500 Gemeinden von der Russisch-Orthodoxen Kirche zur UOK übergetreten.
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