Illegale Abholzung in der Ukraine. Jeder weiß davon, na und?
Ein wirtschaftlicher Schaden von rund 100 Millionen Euro entsteht der Ukraine jedes Jahr durch illegale Abholzung, schätzt die Umweltorganisation WWF. Insbesondere in den Karpaten sind die Aktivitäten der illegalen Holzfäller weit verbreitet, doch profitieren viele davon und es war bisher niemand wirklich Willens, der illegalen Abholzung etwas entgegenzusetzen. Eine Analyse von Sébastien Gobert.
Am 3. November gingen rund 4000 Menschen in Bukarest auf die Straße, um gegen illegale Abholzung in Rumänien zu protestieren. Der rapide Kahlschlag wird von organisierten, mafiösen Gruppierungen durchgeführt, die die Naturschätze des Landes – und außerdem kritische Ressourcen im Kampf gegen den Klimawandel – zu ihrem eigenen Vorteil nutzen. Sie handeln dabei immer skrupelloser. Nach Angaben des Gewerkschaftsverbandes Silva wurden in den letzten Jahren sechs Holzfäller getötet und weitere 650 Holzarbeiter angegriffen, nachdem sie illegale Holzfäller in flagranti erwischt hatten. Illegale Abholzung ist ein andauerndes Problem, das alle Länder entlang der Karpaten betrifft. Nirgendwo jedoch ist es so brutal wie in Rumänien. In der Ukraine gab es aber noch nie eine Massendemonstration gegen diese Abholzung, obwohl das Phänomen auch dort dramatische Ausmaße annimmt. Deshalb muss man sich fragen, ob es erst Tote geben muss, bevor die Zivilgesellschaft und die Politik die Probleme ernst nehmen?
„Laut unseren Schätzungen werden jedes Jahr eine Million Kubikmeter Holz illegal geschlagen“, sagt Dmytro Karabtschuk, Experte des WWF. „Das entspricht rund 100 Millionen US-Dollar, die auf dem Schwarzmarkt verschwinden.“
Die Holzfäller handeln in vollständiger Straffreiheit, obwohl ihre Aktivitäten bekannt sind. Im Dorf Lopuchiw hoch oben in den Karpaten fahren die Lastwagen der Holzarbeiter am hellem Tag hin und her. „Hier lebt jeder von der illegalen Holzfällerei, ich habe mich zum schwarzen Schaf des Dorfes gemacht, als ich mich dagegen wehrte“, erinnert sich Sägewerksbesitzer Waleri Pawluk. Er erzählt von Beleidigungen und Bedrohungen.
Die illegale Abholzung ist seit Jahren ein Problem in der Ukraine
Egal, ob auf lokaler oder nationaler Ebene – Waleri Pawluk bekommt nur wenig Unterstützung. Am 21. September fand in Kyjiw ein Marsch für mehr Klimaschutz statt, bei dem etwa 3000 Menschen auf die Straße gingen. Die Ukraine ist unter den Ländern, die an der „Million Tree Initiative“ teilnehmen, nicht gelistet. Das ist eine ziemlich dramatische Tatsache für ein Land, das nur zu 15 Prozent von Wald bedeckt ist – erheblich weniger als in anderen europäischen Ländern vergleichbarer Größe wie Deutschland (32 Prozent der Fläche sind bewaldet) und Frankreich (31 Prozent). Am erstaunlichsten ist allerdings, dass die illegale Abholzung schon seit Jahren praktiziert wird, obwohl der Staat wiederholt deren Beendigung fordert und verspricht.
Die reichen und dichten Wälder der Karpaten sind tatsächlich ein leicht zugängliches Ausbeutungsobjekt.
Man muss daran denken, dass die größten Abholzungen der Sowjetunion gleich nach der Annexion der Karpatenregion am Ende des Zweiten Weltkrieges durchgeführt wurden. Das Holz wurde für den Wiederaufbau benötigt. Die Wälder erholten sich dann aber von diesen massiven Verlusten im Zeitraum zwischen den 1960er Jahren und dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Der gesetzlose Kapitalismus und die herrschende Korruption, die darauf folgten, schädigen die Ökosysteme der Berge nun seit über 20 Jahren. Transkarpatien wurde zur Grenzregion mit vier EU-Mitgliedern, die Zugang auf den europäischen Binnenmarkt haben. Jegliche Art von Schmuggel florierte entlang der Grenze, auch der mit Holz.
Holz aus illegaler Abholzung wird teilweise sogar mit dem FSC-Siegel zertifiziert
Trotz zahlreicher politischer Stellungnahmen und Maßnahmen der Exekutivbehörden konnte das Problem bisher nicht gelöst werden. EarthSight, eine NGO mit Sitz in London, veröffentlichte eine fundierte Studie zu dem Thema. Sie attestierte einen „grundlegenden Interessenskonflikt innerhalb der Forstbetriebe,“ stellt Tara Ganesh, Mitarbeiterin bei EarthSight fest. „Wir sind zu dem deprimierenden Schluss gekommen, dass Dokumente über Holzernte und Holzexporte nicht glaubhaft sind. Diejenigen, die für die Aufdeckung von Gesetzesverletzungen zuständig sind, profitieren auch vom Holzverkauf. Das nennen wir illegale Abholzung mit Papieren“, fährt sie fort. Am meisten staunte das EarthSight-Team, dass alle staatlichen Forstbetriebe durch das Forest Stewardship Council (FSC) zertifiziert sind. Der FSC ist ein internationales Gremium, das Nutzern des Waldes Nachhaltigkeitszertifikate ausstellt. Das illegale Holz aus der Ukraine erhält durch dieses Zertifizierungsgremium Gütesiegele.
Tara Ganesh verweist auf eine Serie positiver Signale von der Regierung Selenskyj. Der Präsident und sein Premierminister Oleksyj Hontscharuk setzen sich dafür ein, den illegalen Abholzungen ein Ende zu setzen und Vorschriften für normales wirtschaftliches Handeln einzuführen. Ähnlich betrachten sie auch die Legalisierung von Casinos und den Abbau von Bernstein, zwei der sichtbarsten Branchen der Schattenwirtschaft in der Ukraine.
Wolodymyr Selenskyj hat sogar einen Telegram-Kanal gegründet, um Licht in das illegale Abholzgeschäft zu bringen: Der Name „Selenyj Lys“ (Grüner Wald) ist ein Wortspiel mit seinem eigenen Familiennamen.
Es wurden einige Schritte unternommen, wie die Entlassung des notorisch korrupten Leiters der Forstbehörden und eine Veröffentlichung zur Nutzung der ukrainischen Wälder auf der Website des Nationalkatasters.
Der politische Kampf gegen die illegale Abholzung wurde bisher nur halbherzig geführt
Dennoch reicht das natürlich nicht. Tara Ganesh fordert eine „Gewaltentrennung innerhalb der staatlichen Forstbehörde als beste Möglichkeit, das Korruptionsrisiko zu senken.“ Eine derartige Reform steht offenbar noch nicht auf der Agenda der Regierung. Der Telegram-Kanal „Selenyj Lys“ schweigt seit dem 13. Oktober, was für einen Präsidenten, der in den sozialen Netzwerken überaktiv ist, auch ein Statement bedeutet. Letzten Endes „passiert das illegale Abholzen hoch oben in den Bergen“, berichtet der lokale Aktivist Oreste Del Sol. Holz wird vor dem Winter illegal geschlagen, um die Nachfrage der Verbraucher – also der Firmen in der EU – zu decken.
Im Bericht von EarthSight werden einige der außer-ukrainischen Sägewerke identifiziert, die „risikoreiches ukrainisches Holz kaufen“. Doch das hatte bisher keine Folgen. Laut Statistiken einer EU-Delegation ist der Import von ukrainischem Holz in die EU von 1.919 Millionen Tonnen im Jahr 2006 auf 4.387 Millionen Tonnen im Jahr 2016 gestiegen. 6% der Gesamtimporte von Holz in die EU stammen aus der Ukraine. In schriftlichen Kommentaren verspricht die EU-Delegation die bevorstehende Einführung eines „Mechanismus“, der Unternehmen in der EU veranlassen soll, die Herkunft des Holzes, das sie ankaufen, zu überprüfen. Strafzahlungen oder strafrechtliche Verfolgung sind nicht geplant. Das scheint zu wenig und zu spät zu sein.
Auch die neu verabschiedeten Gesetze versprechen wenig Aussicht auf Besserung
Kritik dieser Art wird nur noch befeuert, indem Präsident Selenskyj eine Reihe von Gesetzesänderungen zum Thema Abholzungen am 19. November in Kraft gesetzt hat. Diese Änderungen sollen illegales Abholzen verhindern und Strafzahlungen gegen die Holzfäller durchsetzen. Laut Dmytro Karabtschuk vom WWF und der NGO „Ekologia. Pravo. Liudina“ ermöglichen diese Änderungen tatsächlich aber eine vermehrte Abholzung, dank einiger Gesetzeslücken. Insbesondere das Verbot der Nutzung einiger Waldkategorien wurde aufgehoben. Das Gesetz legt einen besonderen Typus von Ausrüstung fest, mit der kein Kahlschlag mehr durchgeführt werden soll. Außerdem verlangt das Gesetz von den Forstbetrieben nicht die Wiederaufforstung kahlgeschlagener Gebiete, womit Nachhaltigkeit erreicht werden könnte. Ob diese Kritik nun gerechtfertigt ist oder nicht, die Gesetzgeber scheinen nicht alle Vorschläge der Zivilgesellschaft gehört zu haben.
Tatsächlich sind es die grundlegenden Mechanismen der Wirtschaft, die das Ausmaß der illegalen Abholzung zu diktieren scheinen.
„Immer weniger Holzfäller sind in letzter Zeit besonders erpicht darauf, oben in den Bergen zu arbeiten, weil der Euro-Kurs gefallen ist. Der Gewinn ist also ebenfalls gesunken,“ analysiert ein Unternehmer im Dorf Tschorna Tysa. „Wenn der Euro wieder steigt, werden das Abholzen von Bäumen und ihr Verkauf im Ausland wieder attraktiver.“ Der Aktivist Oreste Del Sol identifiziert ebenfalls einen weiteren Grund, warum illegale Abholzung weitergehen könnte: „In den Swydiwez-Bergen ist es insbesondere der Wunsch, ein großes Skigebiet zu errichten“, fürchtet er. „Das ist dieselbe Mafia, die die Waldressourcen ausnutzt und gleichzeitig dieses einzigartige, geschützte Naturgebiet für seinen eigenen Profit zerstört.“
Schafft die neue Regierung es, den Menschen in den Karparten andere wirtschaftliche Chancen einzuräumen?
Das Swydiwez-Projekt ist in der Tat gewaltig. Es ist geplant, eine Stadt für 30.000 Bewohner aus dem Boden zu stampfen. 230 Kilometer Skipisten, 120 Restaurants, 60 Hotels und 400 Privathäuser würden den nahegelegenen Urlaubsort Bukowel ergänzen. Unterstützer des Projekts versprechen eine positive wirtschaftliche Entwicklung für die Region und Arbeitsplätze für ihre Bewohner. Dennoch sind Fragen der Trinkwasserversorgung, der Abfallwirtschaft und der Transportinfrastruktur noch nicht gelöst. Ein Grund, das Swydiwez-Projekt zu erwähnen, ist auch der Strippenzieher hinter der Erschließungsgesellschaft.
Forscher des Schweizer Bruno Manser Fonds haben schlüssige Beweise dafür gefunden, dass es sich um Ihor Kolomojskyj handelt, einen Oligarchen, der möglicherweise Einfluss auf die Regierung Selenskyjs haben soll.
Deshalb erfordern sowohl das illegale Abholzen als auch die Relevanz des Swydiwez-Projekts klare Entscheidungen und Handlungen von Wolodomyr Selenskyj und seinem Team. Wird er der Präsident sein, der schließlich dem illegalen Abholzen der Wälder der Karpaten ein Ende setzt und der einheimischen Bevölkerung wirtschaftliche Chancen einräumt? Kann das Swydiwez-Projekt nur auf Kosten der Umwelt starten? Oder werden sowohl das illegale Abholzen als auch die chaotische Ausnutzung des Potenzials der Wälder als „normal“ weiterlaufen? In Zeiten einer weltweiten Mobilmachung gegen den Klimawandel liegt es jetzt an der ukrainischen Zivilgesellschaft, den Diskurs zu diesen kritischen Themen weiter fortzuführen.
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