Veteraninnen und Veteranen reintegrieren und sozialen Frieden fördern
Die Reintegration von Veteraninnen und Veteranen stellt die Ukraine vor große Herausforderungen. Julia Friedrich beschreibt anhand der Studie „The Long Shadow of Donbas“, wie auch Deutschland dabei helfen kann.
Über 400.000 ex-Kombattantinnen und Kombattanten, die seit 2014 auf ukrainischer Seite im Donbas gekämpft haben, sind seitdem in Städte und Gemeinden in der ganzen Ukraine zurückgekehrt. Für die Mehrheit der Ukrainer sind sie eine der wenigen Erinnerungen daran, dass der Krieg im Osten des Landes weitergeht und immer wieder zu eskalieren droht. Formelle Maßnahmen zur Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration von Veteraninnen werden in der Regel erst nach einem Friedensschluss begonnen – doch fast eine halbe Millionen ehemalige Soldaten, deren Anzahl weiterhin steigt, können nicht auf eine Lösung des Konfliktes warten.
Damit das seit 2014 große deutsche Engagement in der Ukraine sinnvoll ist, sollte auch die Bundesregierung zur besseren Konfliktbearbeitung über das Kriegsgebiet im Donbas hinaus schauen und sich für die Überwindung der durch den Krieg entstandenen und vertieften sozialen Gräben im Land einsetzen. Eine gelungene Reintegration von Veteraninnen ist dabei zentral, denn es gibt klare Risiken der Marginalisierung und, in Folge, der Radikalisierung, wenn die Reintegration von Veteranen in den nächsten Jahren nicht gelingt. Die Bundesregierung sollte sie deshalb als eigenständige Herausforderung angehen.
Unzureichende Unterstützung und gesellschaftliche Entfremdung erschweren Reintegration
Das momentane System der staatlichen Leistungen für Veteraninnen wird sowohl von Seiten der Betroffenen, als auch von der Regierung und der Zivilgesellschaft als unzureichend empfunden. Nach ihrer Rückkehr haben ehemalige Soldaten Anspruch auf eine Vielzahl von staatlich geförderten Sozialleistungen. Doch diese Leistungen sind nicht nur zum Teil veraltet – wie beispielsweise das Recht auf einen Festnetzanschluss – oder schwer zugänglich. Sie sind obendrein inadäquat, wenn sie nicht mit einer breiteren und tiefgreifenden Palette von Maßnahmen gepaart werden, die die Herausforderungen der Reintegration angehen. Insbesondere was die Versorgung der physischen und mentalen Gesundheit angeht, reicht die momentane Unterstützung nicht aus.
Diese Lücken in der staatlichen Versorgung hat bisher eine starke zivilgesellschaftliche Bewegung für Veteraninnen und Veteranen geschlossen. Hunderte von Organisationen haben sich gegründet, häufig von den Freiwilligen betrieben, die sich auf dem Maidan oder zu Anfang des Krieges für die Mobilisierung engagiert haben. Initiativen reichen von Unterstützung bei der Jobsuche über eine erst vor Kurzem eingerichtete Hotline für Suizidgefährdete bis hin zu juristischer Beratung, durchgeführt durch „Legal100“, eine Organisation, die dem ukrainischen Parlament immer wieder Vorschläge für Aktualisierungen der Gesetzgebung zu Veteranen gemacht hat.
Neben einer unmittelbaren Notwendigkeit besserer Leistungen hat die Wiedereingliederung von Veteraninnen aber auch wichtige soziale und politische Dimensionen, die für die Zukunft der gesamten Ukraine entscheidend sind. Internationale Akteure sollten daher neben der Unterstützung eines besseren Leistungsangebotes auch ganzheitliche Reintegrationsmaßnahmen unterstützen, welche grundlegende Herausforderungen angehen: die Unfähigkeit und Unbeholfenheit von Veteranen und Zivilisten miteinander umzugehen, das administrative Chaos, sowie die wahrgenommene Dominanz rechtsradikaler Stimmen unter Veteraninnen.
Dialogprojekte in Kommunen fördern, um gesellschaftliche Spaltung zu verhindern
Der andauernde kriegerische Konflikt im Donbas erzeugt und verstärkt immer wieder soziale Spaltungen in der ukrainischen Gesellschaft. Für viele Veteranen wird die Einstellung der Menschen zum diesen Konflikt zur entscheidenden Frage: ob jemand „eine unabhängige Ukraine“ und damit „Veteraninnen und Veteranen des Donbas-Konflikts“ unterstützt wird zum Kriterium, anhand dessen sie die Gesellschaft in „gut“ und „schlecht“ einteilen. Hinzu kommt, dass Veteraninnen zunehmend desillusioniert sind von einer Gesellschaft, die sich nach fast sieben Jahren immer weniger für den Krieg interessiert, während die ungelöste Situation viele ex-Kombattanten davon abhält, sich voll und ganz auf ein ziviles Leben einzulassen.
Diese gesellschaftliche Entfremdung zwischen Veteranen und Zivilisten wird durch zunehmende Stereotype angeblich aggressiver und drogensüchtiger Veteraninnen verstärkt, befeuert durch massive russische Propaganda. Diese Vorurteile haben einen wahren Kern – viele Veteranen kämpfen mit Drogenmissbrauch, Aggression und Suizidalität – allerdings hat dies vor allem mit dem unzureichenden System staatlicher psychosozialer Unterstützung zu tun. All dies führt dazu, dass Zivilisten und Veteraninnen häufig nicht wissen, wie sie miteinander umgehen sollen. Während Zivilisten häufig ungeschickt oder unsicher im Gespräch mit Veteranen sind, ziehen sich letztere in Freundeskreise mit ihren ehemaligen Kameraden zurück. Auf diese Weise entstehen und verfestigen sich soziale Enklaven, die soziale Spaltungen begünstigen.
Die Bundesregierung kann die Ukraine dadurch unterstützen, dass sie gezielt Dialogprogramme auf kommunaler Ebene fördert, in denen Zivilisten, Ex- Kombattanten und Binnengeflüchtete miteinander interagieren. Dazu führen sowohl das UN Development Program, sowie auch die International Organization for Migration, gefördert durch die EU, erste Dialogprojekte auf kommunaler Ebene durch, die ausgeweitet werden könnten.
Zudem sollten spezielle Programme für Veteraninnen unterstützt werden. Diese machen einen nicht zu unterschätzenden Anteil aus und haben sich durch Initiativen wie das Ukrainian Women Veterans Movement oder die Aufklärungskampagne „Invisible Battalion“ organisiert. Insbesondere Veteraninnen stehen aufgrund geschlechterbedingter Diskriminierung vor großen Herausforderungen. Inklusive Programme sollten daher ganz praktisch sicherstellen, dass Treffpunkte auch auf Frauen ausgerichtet sind – vom Zugang zu einer Frauentoilette bis hin zu Angeboten für Kinderbetreuung. Thematische Schwerpunkte wie die Traumabewältigung sexueller Gewalt oder geschlechterspezifischer Diskriminierung können darüber hinaus hilfreich sein.
Administrative Koordinationsprobleme durch bessere Abstimmung unterhalb internationaler Partner erleichtern
Ein Grund für das unzureichende Leistungssystem für Veteranen ist die unzureichende administrative Koordination. Eigentlich sollte das Ende 2018 eigens gegründete Veteranenministerium dafür zuständig sein, Reintegration zu koordinieren, allerdings kann es dieser Aufgabe nicht nachkommen, da es zu wenig Personal, Finanzierung und politischen Rückhalt in der Regierung hat. Weder kann es also die mächtigen Innen- und Verteidigungsministerien dazu bringen, zusammenzuarbeiten, noch kann es den nötigen Druck auf die Regionen ausüben um einheitliche Versorgungsstandards durchzusetzen.
Internationale Akteure können hier einen Beitrag leisten, indem sie sich untereinander besser abstimmen. Da die Ukraine eine Fülle von Fördergeldern erhält, müssen Geldgeberinnen wie die Bundesregierung sicherstellen, keine Programme zu duplizieren. Gleichzeitig können internationale Akteure auch Anreize für eine bessere administrative Koordinierung setzen, beispielsweise indem sie das Veteranenministerium in Projekte zur Reintegration mit einbezieht, selbst wenn diese mit dem Verteidigungsministerium durchgeführt werden. Die NATO führt beispielsweise seit vielen Jahren gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium ein Projekt zu Karrieremöglichkeiten nach dem Militärdienst durch, in das mittlerweile auch das Veteranenministerium eingebunden wird.
Insgesamt ist das internationale Engagement für Veteranen zum Teil noch recht zögerlich. Deutschland sollte insbesondere berücksichtigen, dass die Wiedereingliederung dieser Menschen in die Gesellschaft eigenes politisches und finanzielles Kapital benötigt, und der Konfliktfokus auf Reintegration ausgeweitet werden muss. Die meisten Veteraninnen leben nicht in der Konfliktzone, dies sollte bei der Projektförderung ebenfalls bedacht werden. Vielversprechende Fördermöglichkeiten zur Verbesserung des Leistungsangebots sind sogenannte „Hubs“ für Veteraninnen und Veteranen: Organisationen, die mehrere zivilgesellschaftliche Initiativen verbinden, und den Betroffenen so in gleich mehreren Feldern Unterstützung anbieten.
Ganzheitlichen Dialog über die Zukunft des Donbas fördern um radikalen Akteuren vorzubeugen
In internationalen Medien sorgen rechtsradikale Milizen immer wieder für Schlagzeilen. Da einige von ihnen mit Freiwilligenverbänden assoziiert sind, die zwischen 2014–2015 in der Ostukraine gekämpft haben, werden Veteraninnen ebenfalls mit ihnen in Verbindung gebracht. Tatsächlich sind rechte Akteure eine Interessensgruppe innerhalb Veteranencommunity und bieten zum Teil Strukturen, (il-)legale Arbeit und ein sinnstiftendes Narrativ des Krieges. Sie waren es außerdem, die Proteste gegen eine „Kapitulation“ während der letzten Friedensverhandlungen lautstark anführten.
Doch die Realität ist komplex und das Bild in (internationalen) Medien und der ukrainischen Gesellschaft häufig verzerrt: Rechtsradikale Bewegungen sind in keiner Weise repräsentativ für alle Veteraninnen und Veteranen. Die Mehrheit dieser Menschen ist nicht rechtsradikal, sondern eher neutral oder passiv. Wenn manche Veteraninnen Hilfestellungen und Gelegenheitsjobs von rechten Akteuren akzeptieren, geschieht das häufig vor allem aus pragmatischen Gründen.
Die Tatsache, dass russische Propaganda das Narrativ der Veteranen als „ukrainische Faschisten“ seit Beginn des Konflikts massiv vorangetrieben hat, erschwert eine realistische Einschätzung der Bedrohung sowohl durch den ukrainischen Staat als auch durch internationale Akteure. So werden rechtsradikale Gruppen zu einem weiteren Faktor, der Zivilisten und Veteraneninnen voneinander entfernt und Reintegration erschwert.
Internationale Akteure sollten die Gefahr rechter Gruppen weder unter- noch überschätzen. Um sicherzugehen, dass keine rechtsradikalen Akteure gefördert werden, sollte die Bundesregierung gemeinsam mit ukrainischen und internationalen Partnern ein umfassendes Mapping zivilgesellschaftlicher Akteure vornehmen. Dies könnte helfen, einige Zurückhaltung bei der Projektförderung im Bereich der Veteraninnen- und Veteranenreintegration zu überwinden.
Internationale Akteure können außerdem einen gesellschaftlichen Austausch über die Zukunft des Donbas, der alle Teile der Gesellschaft einschließt, fördern – auch wenn das am Ende ein ukrainischer Dialog sein muss. Veteranen, die gleichzeitig auch Binnenvertriebene sind, können in diesem Dialog eine wichtige Rolle spielen, insbesondere wenn es um die Zukunft der nicht-regierungskontrollierten Gebiete in der Ukraine geht. Ein solcher Austausch ist eine sehr große, nur langfristig zu bewältigende Aufgabe, und ist gleichzeitig zentral um eine weitere Vertiefung von Spaltung zu verhindern und Frieden zu fördern.
Dieser Beitrag beruht auf den Forschungsergebnissen der Studie „The Long Shadow of Donbas: Reintegrating Veterans and Fostering Social Cohesion in Ukraine“, die durch die finanzielle Unterstützung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kyjiw ermöglicht wurde.
Gefördert durch:
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Tragen Sie sich in unseren Newsletter ein und bleiben Sie auf dem Laufenden.