Frie­dens­no­bel­preis­trä­ge­rin Mat­wijt­schuk: Men­schen­recht­le­rin aus Überzeugung

Oleksandra Matwijtschuk
Foto: IMAGO /​ Ukr­in­form

Die 40-jährige Olek­san­dra Mat­wijt­schuk ist heute welt­be­kannt. Bei der inter­na­tio­na­len Ukraine Reco­very Con­fe­rence in Berlin sprach die Vor­sit­zende des Center for Civil Liber­ties am 12. Juni 2024 über die Rolle ukrai­ni­scher Frauen während des Krieges. Ihre Orga­ni­sa­tion kämpft aber bereits seit 2007 für Menschenrechte.

Das Center for Civil Liber­ties um Frie­dens­no­bel­preis­trä­ge­rin Olek­san­dra Mat­wijt­schuk spielte schon während des Euro­maidans 2013/​2014 eine wich­tige Rolle: Als der dama­lige Prä­si­dent Wiktor Janu­ko­wytsch die Sicher­heits­or­gane kon­trol­lierte und massive Repres­sio­nen anord­nete, leis­tete die NGO den Demons­trie­ren­den recht­li­che Unter­stüt­zung. Die Orga­ni­sa­tion stellte ein Team von Anwäl­ten zusam­men, das den Pro­tes­tie­ren­den bei Bedarf über eine Hotline Hilfe leistete. 

Als sich die Lage dann zuspitzte, bot das Zentrum nicht mehr aus­schließ­lich recht­li­che Bera­tung an, sondern auch kon­krete Hilfe vor Ort – die Mit­ar­bei­ter brach­ten etwa ver­wun­dete Demons­tran­ten ins Kran­ken­haus. Die Ereig­nisse der Maidan-Revo­lu­tion haben das Welt­bild der heute 40-jäh­ri­gen Mat­wijt­schuk stark geprägt, obwohl sie nicht zu jenen gehört, die sich gerne an Maidan-Zeiten zurück­er­in­nern. „Es gibt Men­schen, die posi­tive Erin­ne­run­gen an den Maidan haben: die Hymne, Gesang, nächt­li­che Gesprä­che an [bren­nen­den] Fässern… Mein Team gehört nicht dazu, denn wir hatten mit dem Schmerz der Men­schen zu tun“, so Mat­wijt­schuk im Inter­view mit der Zeit­schrift The Ukrai­ni­ans. Einige Jahre lang habe sie sogar die Ins­ty­tutska-Straße im Zentrum Kyjiws gemie­den, wo die meisten Demons­tran­ten ums Leben kamen.

Ukrai­ni­sche Revo­lu­tio­nen als prä­gende Erfah­rung  

Während der Orangen Revo­lu­tion war Mat­wijt­schuk, die aus Bojarka, einem Vorort von Kyjiw, stammt, Jura­stu­den­tin an der Kyjiwer Natio­na­len Schewtschenko-Uni­ver­si­tät – und ent­schied sich dann, als Wahl­be­ob­ach­te­rin für den Stab des dama­li­gen Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­ten Wiktor Juscht­schenko tätig zu werden. Die gefälschte und daher später wie­der­holte Stich­wahl 2004 gehörte zu den größten Ent­täu­schun­gen ihrer Jugend – und so war es für sie auch zehn Jahre später selbst­ver­ständ­lich, sich für die Zukunft ihres Landes zu enga­gie­ren und am Euro­mai­dan teil­zu­neh­men.  

Spä­tes­tens zu diesem Zeit­punkt war klar, dass Mat­wijt­schuks Ent­schei­dung, sich von ihrem ursprüng­li­chen Traum, Thea­ter­re­gis­seu­rin zu werden, zu ver­ab­schie­den und Jura zu stu­die­ren, richtig gewesen war. Das Men­schen­rechts­thema hatte sie schon lange beschäf­tigt. Bereits während der Schul­zeit hatten Begeg­nun­gen mit ukrai­ni­schen Dis­si­den­ten, die in der Sowjet­zeit lange Haft­stra­fen wegen ihrer poli­ti­schen Über­zeu­gun­gen absit­zen mussten, einen tiefen Ein­druck bei ihr hin­ter­las­sen. Diese Treffen waren für ihre finale Berufs­aus­wahl aus­schlag­ge­bend. 

Center for Civil Liber­ties: Einsatz für die bedrohte Demokratie

Noch während des Stu­di­ums begann Mat­wijt­schuk, Men­schen­rechts­schu­lun­gen der Human Rights Foun­da­tion zu leiten. Als sich 2007 Men­schen­recht­le­rin­nen und Men­schen­recht­ler aus neun post­so­wje­ti­schen Ländern zusam­men­schlos­sen, um mit dem Center for Civil Liber­ties in Kyjiw eine län­der­über­grei­fende Insti­tu­tion zu gründen, fiel die Wahl einer geeig­ne­ten Leitung schnell auf Mat­wijt­schuk – aus guten Gründen: Trotz ihres noch jungen Alters hatte sie bereits eine beacht­li­che Erfah­rung, war bestens aus­ge­bil­det und sehr enga­giert. 

Rechts­be­ra­tung und Moni­to­ring von poli­ti­scher Ver­fol­gung  

In den ersten Jahren standen vor allem Schu­lun­gen und Semi­nare im Zentrum der Tätig­keit des Center for Civil Liber­ties. Doch als der russ­land­freund­li­che Wiktor Janu­ko­wytsch 2010 die Prä­si­dent­schafts­wahl gewann und sich die Situa­tion für die ukrai­ni­sche Demo­kra­tie bedeu­tend ver­schlech­terte, rückte das Moni­to­ring von poli­ti­scher Ver­fol­gung in der Ukraine und in anderen Ländern der Region in den Mittelpunkt.

„Wir waren die ein­zi­gen inter­na­tio­na­len Beob­ach­ter nach Auf­lö­sung der Pro­teste in Belarus und koope­rier­ten mit Kol­le­gen aus anderen Ländern im Rahmen des Inter­na­tio­na­len Men­schen­rechts­ko­mi­tees. Wir arbei­te­ten bei den Bolot­naja-Pro­tes­ten in Moskau und beob­ach­te­ten die Gerichts­pro­zesse gegen Demons­tran­ten nach deren Ende“, wird Mat­wijt­schuk von The New Voice of Ukraine (NV) zitiert. Diese Erfah­run­gen hätten dem Zentrum auch in Bezug auf die Ukraine gehol­fen: „Wir haben eine klares Vor­stel­lung davon bekom­men, mit welchen Metho­den auto­ri­täre Regie­run­gen Pro­teste unterdrücken.“

Euro­mai­dan SOS – eine Initia­tive des Zen­trums, die zu Beginn der Kyjiwer Demons­tra­tio­nen Ende Novem­ber 2013 ent­stand und den Teil­neh­men­den die bereits erwähnte Rechts­be­ra­tung bereit­stellte – erwies sich als großer Erfolg: Dem Projekt schlos­sen sich schnell mehr als 2.000 Frei­wil­lige an, dar­un­ter auch 400 Anwälte aus allen Regio­nen der Ukraine.   

Der „Alb­traum“ des Donbas-Krieges und der umfas­sen­den Inva­sion 

Die Ent­wick­lun­gen der Fol­ge­jahre aber – die Anne­xion der Krim, der Donbas-Krieg und ins­be­son­dere die umfas­sende rus­si­sche Inva­sion – waren für Mat­wijt­schuk und ihr Team vom Center for Civil Liber­ties eine unvor­her­ge­se­hene böse Über­ra­schung: „In keinem Alb­traum hätte ich mir vor­stel­len können, was vor uns lag.“

Ab 2014 ent­sandte Mat­wijt­schuks Zentrum drei Jahre lang kon­ti­nu­ier­lich Beob­ach­ter­mis­sio­nen auf die Krim und in den Donbas, um Kriegs­ver­bre­chen zu doku­men­tie­ren – und OSZE, UN sowie inter­na­tio­nale Gerichte über die Erkennt­nisse zu infor­mie­ren. Aber: „Es pas­sierte einfach nichts. Keine Hin­weise auf Folter oder außer­ge­richt­li­che Hin­rich­tun­gen führten je zu Gerichts­ver­fah­ren oder Bestra­fun­gen. Wir haben begrif­fen, dass die inter­na­tio­na­len Rechts­me­cha­nis­men nicht funk­tio­nie­ren“, sagt sie im Inter­view mit The Ukrai­ni­ans.  

Öffent­lich­keits­wirk­sa­mer Einsatz für poli­ti­sche Gefan­gene 

Das Zentrum änderte dar­auf­hin seine Stra­te­gie und ver­suchte, durch Kam­pa­gnen und öffent­li­che Zusam­men­ar­beit mit anderen Men­schen­recht­lern eine größt­mög­li­che Auf­merk­sam­keit etwa für poli­ti­sche Gefan­gene zu gene­rie­ren. Ein Bei­spiel dafür ist die Kam­pa­gne zur Frei­las­sung des ukrai­ni­schen Regis­seurs Oleh Senzow, der nach der völ­ker­rechts­wid­ri­gen Anne­xion der Krim von Russ­land mit faden­schei­ni­ger Begrün­dung auf der Halb­in­sel fest­ge­nom­men wurde. „Wir haben uns […] mit kon­kre­ten For­de­run­gen an die natio­na­len Regie­run­gen der ver­schie­de­nen Länder gewandt. [] Letzt­lich führte das im Jahre 2019 zur Frei­las­sung von 35 Men­schen aus rus­si­schen Gefäng­nis­sen – dar­un­ter Oleh Senzow“, betont Mat­wijt­schuk. 

Frie­dens­no­bel­preis als große Verantwortung 

Seit dem 24. Februar 2022 arbei­ten die Men­schen­recht­le­rin­nen und Men­schen­recht­ler um Mat­wijt­schuk vor allem im inter­na­tio­na­len Kontext und setzen weiter auf die direkte Kom­mu­ni­ka­tion mit inter­na­tio­na­len Regie­run­gen und Orga­ni­sa­tio­nen, um bei Themen wie bei­spiels­weise der Rück­ho­lung von nach Russ­land ver­schlepp­ten Kindern ähn­li­che Erfolge wie einst bei Senzow zu erzie­len.  

Die Ver­lei­hung des Frie­dens­no­bel­prei­ses an das Center for Civil Liber­ties im Jahr 2022 empfand Mat­wijt­schuk – die erste ukrai­ni­sche Nobel­preis­trä­ge­rin – zwar als Ehre, vor allem aber als große Ver­ant­wor­tung: „Ich dachte sofort, dass wir alles her­aus­ho­len müssen, was der Frie­dens­no­bel­preis uns geben kann. Es ist wichtig, die Auf­merk­sam­keit auf die Wer­te­di­men­sion dieses Krieges zu lenken.“

Portrait von Denis Trubetskoy

Denis Tru­bets­koy ist in Sewas­to­pol auf der Krim geboren und berich­tet als freier Jour­na­list aus Kyjiw.

 

 

 

 

 

 

 

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