Düstere Aus­sich­ten auch für Kol­la­bo­ra­teure. Die Lage im annek­tier­ten Donbas

Foto: Imago

Zwei Jahre nach Beginn der umfas­sen­den rus­si­schen Inva­sion ist die Lage in den „Volks­re­pu­bli­ken“ ver­zwei­fel­ter denn je. Solange der Donbas rus­sisch besetzt bleibt, ist jede poli­ti­sche und wirt­schaft­li­che Nor­ma­li­sie­rung unmöglich.

Russ­lands Groß­in­va­sion der Ukraine vom 24. Februar 2022 und die Anne­xion der besetz­ten Gebiete im dar­auf­fol­gen­den Sep­tem­ber hat auch für den seit 2014 rus­sisch kon­trol­lier­ten Donbas tief­grei­fende Ver­än­de­run­gen gebracht. Anders als in den neu­be­setz­ten Gebie­ten der Regio­nen Cherson und Sapo­rischschja bedeu­tete die Anne­xion für die soge­nann­ten Volks­re­pu­bli­ken Donezk („DNR“) und Luhansk („LNR“) das Ende der selbst­er­klär­ten „Unab­hän­gig­keit“. Dabei wurden nicht nur Symbole dieser Unab­hän­gig­keit, etwa „Außen­mi­nis­te­rien“, besei­tigt, sondern auch zahl­rei­che ein­hei­mi­sche Kol­la­bo­ra­teure aus­ge­tauscht – sie ver­lo­ren ihre Jobs an Per­so­nen aus Russland.

Öko­no­misch hat die neue Phase des Krieges die bereits schwie­rige Lage in den „Volks­re­pu­bli­ken“ weiter ver­schlech­tert. Die brutale Zwangs­mo­bil­ma­chung der männ­li­chen Bevöl­ke­rung hat den Arbeits­kräf­te­man­gel in den von Über­al­te­rung gepräg­ten „Volks­re­pu­bli­ken“ dra­ma­tisch ver­schärft. Ange­sichts der mas­si­ven Bevöl­ke­rungs­ver­luste in den fast völlig zer­stör­ten Städten Mariu­pol und Sje­wjer­odo­nezk wäre für eine wirt­schaft­li­che Erho­lung wohl eine massive Umsied­lungs­po­li­tik nötig.

Mobil­ma­chung vor Beginn der Großinvasion

Das Putin-Regime hatte die rus­si­sche Groß­in­va­sion mit der Lage im Donbas gerecht­fer­tigt und behaup­tete, dass die Ukraine Angriffe auf die „Volks­re­pu­bli­ken“ ver­schärft habe. Am 21. Februar 2022 ließ Putin die beiden Mario­net­ten­re­pu­bli­ken als „unab­hän­gige“ Staaten aner­ken­nen, was die Auf­kün­di­gung des Minsker Abkom­mens bedeu­tete. Einen Tag später unter­zeich­ne­ten deren Anfüh­rer (offi­zi­ell „Ober­häup­ter“) Denis Puschi­lin (Donezk) und Leonid Pas­set­sch­nik (Luhansk) Hil­fe­er­su­chen nach Moskau. Damit waren für den Kreml die for­ma­len Vor­aus­set­zun­gen für die Inva­sion vom 24. Februar erfüllt.

Die „Volks­re­pu­bli­ken“ waren aber in Wirk­lich­keit Opfer der rus­si­schen Aggres­sion: Anders als in Russ­land wurden in Donezk und Luhansk am 19. Februar all­ge­meine Mobil­ma­chun­gen ver­hängt. Offi­zi­el­len Zahlen zufolge wurden allein in der „DNR“ bis Ende 2022 ins­ge­samt 4.133 Sol­da­ten getötet (und weitere 17.379 ver­wun­det). Bei einer geschätz­ten Ein­woh­ner­zahl von einer Million heißt das, dass binnen zehn Monaten aktiver Kampf­hand­lun­gen vier Pro­mille der Bevöl­ke­rung ums Leben gekom­men sind. Zum Ver­gleich: Die von der BBC geschätzte Zahl von 50.000 getö­te­ten rus­si­schen Sol­da­ten bis April 2024 ent­spricht 0,35 Pro­mille der rund 144 Mil­lio­nen zäh­len­den rus­si­schen Bevöl­ke­rung – in einem Zeit­raum von mehr als zwei Jahren.

Kano­nen­fut­ter und poli­ti­sche Säuberungen

Der hohe Blut­zoll unter den Sol­da­ten der „DNR-Volks­mi­liz“ belegt, dass Moskau die Bewoh­ner des rus­sisch kon­trol­lier­ten Donbas als Kano­nen­fut­ter nutzte, um eine Mobil­ma­chung in Russ­land mög­lichst lange herauszuzögern.

Nach dem Schei­tern des Vor­sto­ßes auf Kyjiw Ende März 2022 begann der Kreml mit der Fes­ti­gung seiner poli­ti­schen Macht im Donbas. Dazu ernannte Putin Sergej Kiri­jenko, den ersten stell­ver­tre­ten­der Leiter der Prä­si­di­al­ver­wal­tung, zum neuen „Kurator“ – eine Funk­tion, die einst der später in Ungnade gefal­lene Wla­dis­law Surkow inne­hatte. Kiri­jenko, ein anpas­sungs­fä­hi­ger Tech­no­krat, der bereits 1998 kurz Pre­mier­mi­nis­ter unter Boris Jelzin war, begann, ukrai­ni­sche Kol­la­bo­ra­teure in Schlüs­sel­po­si­tio­nen sys­te­ma­tisch durch Kader aus Russ­land zu ersetzen.

Die ersten fünf Kader kamen im Juni: Witalij Cho­zenko, ein Abtei­lungs­lei­ter im rus­si­schen Indus­trie­mi­nis­te­rium, wurde zum neuen „DNR“-Regierungschef ernannt. Cho­zen­kos Stell­ver­tre­ter wurde Jew­ge­nij Solnzew, ein Funk­tio­när im rus­si­schen Bau­mi­nis­te­rium, der lange beim staat­li­chen Eisen­bahn­kon­zern gear­bei­tet hatte. Als Cho­zenko im März 2023 zum Gou­ver­neur von Omsk ernannt wurde, rückte Solnzew zum „DNR“-Regierungschef auf. In der „LNR“ wurde der ein­hei­mi­sche Regie­rungs­chef Sergej Koslow im Juni 2024 durch Jegor Kowalt­schuk, einen ehe­ma­li­gen stell­ver­tre­ten­den Gou­ver­neur von Tschel­ja­b­insk, ersetzt.

Mitte 2024 stamm­ten bereits min­des­tens 14 von 26 „DNR“-Kabinettsmitgliedern aus Russ­land, in der „LNR“ waren es 9 von 21. Hinzu kommen zahl­rei­che Stell­ver­tre­ter und Stell­ver­tre­te­rin­nen aus Russ­land, die tra­di­tio­nell großen Ein­fluss ausüben, ohne im Vor­der­grund zu stehen.

Bildung und Bau gehen an rus­si­sche Kader

Kiri­jen­kos Per­so­nal­po­li­tik verrät auch deut­lich die Prio­ri­tä­ten des Kremls: Die Res­sorts Bau und Wohnen sowie Erzie­hung und Bildung werden aus­schließ­lich von Per­so­nen aus Russ­land geführt. Hier geht es Moskau offen­bar um Ver­trauen ange­sichts der erwar­te­ten Geld­ströme für den Wie­der­auf­bau, sowie um Erfah­rung mit ideo­lo­gi­scher Indoktrination.

Neben Ideo­lo­gie spielen aber auch per­sön­li­che Bezie­hun­gen eine große Rolle. Die Leitung des Ener­gie­mi­nis­te­ri­ums von Luhansk wurde 2022 von drei Russen über­nom­men, die alle zuvor beim staat­li­chen Kraft­werks­kon­struk­teur Atom­s­troy­ex­port arbei­te­ten – eine klare Ver­bin­dung zu Kiri­jenko, der jah­re­lang die Mut­ter­firma Rosatom gelei­tet hatte.

Zu natür­li­chen Opfern der Anne­xion wurden die „Außen­mi­nis­te­rien“. Inter­es­san­ter­weise wurde für „DNR“-Außenministerin Natalja Niko­no­rowa eine attrak­tive Stelle als Sena­to­rin im rus­si­schen Ober­haus gefun­den, während ihr „LNR“-Kollege Wla­dis­law Dejnego mit einem wesent­lich beschei­de­ne­ren Posten – Ver­tre­ter des rus­si­schen Außen­mi­nis­te­ri­ums in Luhansk – abge­speist wurde. Abge­schafft wurde auch das nomi­nell eigen­stän­dige Militär der „Volks­re­pu­bli­ken“: Die soge­nann­ten Volks­mi­li­zen – die stets unter rus­si­schem Kom­mando standen – wurden nach Angaben des Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­ri­ums in Moskau zum 31. Dezem­ber 2022 in die rus­si­schen Streit­kräfte ein­ge­glie­dert.

Mäch­tige Sicher­heits­chefs abgesetzt

Zudem wurden die Leiter von Geheim­dienst und Polizei aus­ge­tauscht. Die berüch­tig­ten Staats­si­cher­heits­mi­nis­te­rien, die jah­re­lang sys­te­ma­tisch Regime­geg­ner ver­folgt hatten, wurden in regio­nale Nie­der­las­sun­gen des Inlands­ge­heim­diens­tes FSB umge­wan­delt, an deren Spitze wurden Kar­rie­re­of­fi­ziere aus Russ­land ein­ge­setzt. Die abge­setz­ten „Minis­ter“ waren Medi­en­be­rich­ten zufolge aller­dings selbst unter Deck­na­men han­delnde rus­si­sche FSB-Offi­ziere.

Besorg­nis­er­re­gend bleibt die Lage zahl­rei­cher poli­ti­scher Gefan­ge­ner, zu denen nach dem erzwun­ge­nen Abzug inter­na­tio­na­ler Mis­sio­nen wie der OSZE kaum mehr Kontakt besteht. Dar­un­ter sind so unter­schied­li­che Per­so­nen wie Jurij Schapo­walow, ein Mit­ar­bei­ter des Bota­ni­schen Gartens Donezk, der seit 2018 wegen proukrai­ni­schen Twitter-Posts in Haft ist, sowie der pro­rus­si­sche Publi­zist Roman Manekin, der im Dezem­ber 2020 nach Kritik an Puschi­lin fest­ge­nom­men wurde. Auch drei Mit­ar­bei­ter der OSZE-Beob­ach­ter­mis­sion – alle ukrai­ni­sche Staats­bür­ger – sind seit April 2022 in Gefan­gen­schaft, nachdem die lokalen Macht­ha­ber sie der Spio­nage bezichtigten.

Anfüh­rer bleiben mit neuem Par­tei­buch im Amt

Bemer­kens­wert ist, dass die „Ober­häup­ter der Volks­re­pu­bli­ken“ Denis Puschi­lin und Leonid Pas­set­sch­nik – beide sind Ein­hei­mi­sche – im Amt gelas­sen wurden. Allem Anschein nach möchte der Kreml nach außen Sta­bi­li­tät vor­täu­schen, während er in den Regio­nal­re­gie­run­gen mit eiser­nem Besen kehrt. Den beiden als unbe­liebt gel­ten­den Anfüh­rern wurde sogar per Ver­fas­sungs­än­de­run­gen eine neu­er­li­che Direkt­wahl erspart, so dass sie am 23. Sep­tem­ber 2023 von den gerade neu „gewähl­ten“ Par­la­men­ten – also indi­rekt – ein­stim­mig für weitere fünf Jahre im Amt bestä­tigt wurden. Die Abstim­mun­gen wurden von Kreml-Funk­tio­när Kiri­jenko per­sön­lich über­wacht.

Das bis­he­rige potem­kin­sche Zwei­par­tei­en­sys­tem der „Volks­re­pu­bli­ken“ wurde durch das rus­si­sche ersetzt. Puschi­lin und Pas­set­sch­nik traten Ende 2021 der Putin-Partei Einiges Russ­land bei. Bei den „Wahlen“ am 10. Sep­tem­ber 2023 waren nur die in der rus­si­schen Duma ver­tre­te­nen fünf Par­teien zuge­las­sen – die sich aber kaum Mühe machten, vor Ort Wahl­kampf zu machen. Ent­spre­chend dubios waren die Ergeb­nisse – neben klaren Siegen für Einiges Russ­land (78 Prozent in der „DNR“, 74,6 Prozent in der „LNR“) erhiel­ten jeweils drei weitere Par­teien zwi­schen fünf und zehn Prozent. Zwei Par­teien schei­ter­ten an der Fünf­pro­zent­hürde: in Luhansk die pseu­do­li­be­rale Partei Neue Men­schen (1,46 Prozent), in Donezk die Partei Gerech­tes Russ­land (3,27 Prozent).

Deindus­tria­li­sie­rung und Abwan­de­rung prägen die Wirtschaft

Die mitt­ler­weile zehn Jahre rus­si­scher Kon­trolle bzw. Besat­zung waren wirt­schaft­lich von Deindus­tria­li­sie­rung und Abwan­de­rung geprägt. Die noch 2014 domi­nie­rende Kohle- und Stahl­in­dus­trie ist massiv geschrumpft – beglei­tet von rosigen, aber wenig über­zeu­gen­den Ver­spre­chun­gen der Machthaber.

Viele Betriebe wurden schon 2017 schwer getrof­fen, als ihre de-facto-Ent­eig­nung durch die lokalen Macht­ha­ber dazu führte, dass die ukrai­ni­schen Eigen­tü­mer das kom­plette Füh­rungs­per­so­nal abzogen. Die Aus­set­zung von Lohn­zah­lun­gen wegen des Nach­fra­ge­rück­gangs während der Corona-Pan­de­mie führte zu mas­si­ven Pro­tes­ten der Beleg­schaf­ten, in deren Folge unren­ta­ble Betriebe geschlos­sen wurden. Der rus­si­sche Groß­an­griff ver­ur­sachte eine neue Krise, weil die Zwangs­mo­bi­li­sie­rung großer Teile der männ­li­chen Bevöl­ke­rung den gras­sie­ren­den Arbeits­kräf­te­man­gel nochmal deut­lich verschärfte.

Die aus Moskau gelei­tete Wirt­schafts­po­li­tik der „Volks­re­pu­bli­ken“ lässt sich in vier Phasen glie­dern: In Phase eins (2014 bis 2017) durften die großen ukrai­ni­schen Pri­vat­be­triebe wei­ter­ar­bei­ten und zahlten sogar Steuern an Kyjiw. Nach einer von ukrai­ni­scher Seite initi­ier­ten Han­dels­blo­ckade Anfang 2017 wurden diese Betriebe unter Zwangs­ver­wal­tung gestellt und in eine obskure Indus­trie-Holding über­führt. Diese „Wnesch­torgs­er­wis“ genannte Holding wurde über­ein­stim­men­den Berich­ten zufolge von Serhij Kur­tschenko kon­trol­liert – einem nach Russ­land geflo­he­nen ukrai­ni­schen Geschäfts­mann und engen Ver­trau­ten des 2014 gestürz­ten ukrai­ni­schen Prä­si­den­ten Wiktor Janukowytsch.

Während der bis 2021 dau­ern­den zweiten Phase ent­wi­ckelte sich Wnesch­torgs­er­wis zu einem poli­ti­schen Macht­fak­tor und stellte mit Alex­andr Anant­schenko und Wla­di­mir Pasch­kow sogar den „DNR“-Regierungschef und dessen Stell­ver­tre­ter. Kur­tschenko wurde angeb­lich ein Monopol im Kohle- und Metall­han­del zwi­schen den „Volks­re­pu­bli­ken“ und (von ihm kon­trol­lier­ten) Betrie­ben in Russ­land zuge­stan­den.

Pan­de­mie­be­ding­ter Wechsel zu rus­si­schem „Inves­tor“

Phase drei begann, als Kur­tschenko im Zuge der von der Pan­de­mie aus­ge­lös­ten Wirt­schafts­krise in finan­zi­elle Nöte geriet. Nach Monaten aus­blei­ben­der Lohn­zah­lun­gen und offener Pro­teste der Beleg­schaf­ten wurde im Juni 2021 auf einmal Jew­ge­nij Jurtschenko als neuer „Inves­tor“ und Groß­ak­tio­när prä­sen­tiert – ein bis dahin wenig bekann­ter rus­si­scher Geschäfts­mann aus der Telekommunikationsbranche.

Jurtschenko, der als Stroh­mann des Kremls galt, weil er kaum selbst über das nötige Kapital ver­fügte, behaup­tete im Novem­ber 2022, dass er die von Wnesch­torgs­er­wis ange­häuf­ten Schul­den bezahlt und mehr als 40 Mil­li­ar­den Rubel (etwa 400 Mil­lio­nen Euro) in die mitt­ler­weile in „Süd­li­cher Berg­werks- und Metall-Komplex“ (rus­si­sches Akronym JuGMK) umbe­nannte Holding inves­tiert habe.

Seitdem ist Jurtschenko aber von der Bild­flä­che ver­schwun­den und die JuGMK-Website ist seit März 2023 nicht mehr aktua­li­siert worden. Jurtschen­kos Name wurde auch nicht erwähnt, als „DNR“-Regierungschef Solnzew nach einer Sitzung der JuGMK-Geschäfts­füh­rung im Februar 2024 ankün­digte, dass man Dank „kolos­sa­ler“ Inves­ti­tio­nen die Pro­duk­tion ver­dop­peln wolle.

Im März sickerte schließ­lich durch, dass JuGMK in eine neue Holding namens Sojus­me­tall­ser­vis über­führt wurde, deren Direk­tor Valerij Scherin ver­sprach, nochmal 24 Mil­li­ar­den Rubel (250 Mil­lio­nen Euro) zu inves­tie­ren und die jähr­li­che Metall­pro­duk­tion binnen fünf Jahren von 2,5 Mil­lio­nen Tonnen auf 5 Mil­lio­nen zu stei­gern. Wie er das ange­sichts der andau­ern­den Kampf­hand­lun­gen und der Sank­tio­nen bewerk­stel­li­gen wolle, sagte er nicht.

Die somit ein­ge­lei­tete Phase vier ist vor allem durch noch mehr direkte Kon­trolle aus Moskau gekenn­zeich­net: Im Novem­ber 2023 wurde der ein­hei­mi­sche „DNR“-Vize-Regierungschef und Indus­trie­mi­nis­ter Wla­di­mir Ruscht­schak gefeu­ert. Sein Posten als Vize-Premier ging an Wla­dis­law Was­sil­jew, Abtei­lungs­lei­ter im rus­si­schen Indus­trie­mi­nis­te­rium. Im Mai 2024 wurde schließ­lich Jew­ge­nij Pono­ma­renko, ehe­ma­li­ges Regie­rungs­mit­glied der rus­si­schen Repu­blik Komi, zum „DNR“-Industrieminister ernannt.

Schlechte Aus­sich­ten für die Kohleindustrie

Für die Koh­le­indus­trie sind die Aus­sich­ten offen­bar beson­ders schlecht. Im März 2024 sagte der rus­si­sche Indus­trie­mi­nis­ter Denis Man­turow, dass die wirt­schaft­li­che Inte­gra­tion der „neuen Regio­nen“ (sprich: besetz­ten Gebiete) durch Koope­ra­tio­nen im Bereich Maschi­nen­bau, Metall- und Che­mie­in­dus­trie geleis­tet werden müsse. Den Koh­le­sek­tor erwähnte Man­turow aus­drück­lich nicht. Dabei hatte „LNR-Ober­haupt“ Pas­set­sch­nik noch im Dezem­ber 2022 bei seinem ersten Treffen mit Putin nach der Anne­xion um neue Koh­le­sub­ven­tio­nen gebeten.

Die Zukunft sehen die rus­si­schen Emis­säre vor Ort jetzt eher im IT-Sektor und beim Bau von Drohnen, wie Was­sil­jew Ende 2023 erklärte. „DNR-Ober­haupt“ Denis Puschi­lin schwärmte im August 2023 im kriegs­zer­stör­ten Mariu­pol von einem IT-Park – was das offi­zi­elle Portal DAN News zu einem „Silicon Valley“ sti­li­sierte.

Für den Wie­der­auf­bau fehlen Arbeits­kräfte und Geld

Der Wie­der­auf­bau von kriegs­zer­stör­ter Infra­struk­tur ist fast immer ein Kon­junk­tur­mo­tor. Aller­dings braucht es dafür Geld sowie Arbeits­kräfte – zwei Dinge, die im rus­sisch besetz­ten Donbas knapp sind bzw. fehlen.

Allein für den Wie­der­auf­bau in der „DNR“ müssen laut Ex-Regie­rungs­chef Cho­zenko in den Jahren 2023 und 2024 mehr als zwei Tril­lio­nen Rubel (knapp 20 Mil­li­ar­den Euro) auf­ge­wen­det werden. Für die „LNR“ seien es 1,5 Tril­lio­nen Rubel (15 Mil­li­ar­den Euro), sagte Cho­zenko im Sommer 2022. Statt diesen zusam­men­ge­rech­net 1,75 Tril­lio­nen Rubel pro Jahr sieht der rus­si­sche Haus­halt für 2024 aber ledig­lich rund 233 Mil­li­ar­den Rubel (2,31 Mil­li­ar­den Euro) für den Wie­der­auf­bau vor – und zwar in allen vier besetz­ten Gebie­ten zusam­men. Und die von Moskau ein­ge­rich­tete Son­der­wirt­schafts­zone, die private Inves­to­ren locken soll, wird höchs­tens einen kleinen Teil der Inves­ti­tio­nen aufbringen.

Zudem deutet vieles darauf hin, dass die Gelder, die fließen, in fal­schen Taschen landen. So ließ der FSB im Dezem­ber 2023 den Donez­ker Eisen­bahn­chef fest­neh­men, weil er Staats­ei­gen­tum an Unbe­fugte wei­ter­ge­ge­ben haben soll. Und der im April fest­ge­nom­mene stell­ver­tre­tende Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter Timur Iwanow soll sich Medi­en­be­rich­ten zufolge beim Wie­der­auf­bau von Mariu­pol berei­chert haben.

Die Dezi­mie­rung der Bevöl­ke­rung durch den rus­si­schen Angriffs­krieg ver­schlim­mert den 2014 begon­ne­nen Ein­woh­ner­rück­gang. So betrug die Gebur­ten­zahl in der „DNR“ 2023 gerade mal 7.175 – deut­lich weniger als 2021, als noch 7.982 Kinder geboren wurden – obwohl das Ter­ri­to­rium der „Repu­blik“ damals – noch ohne Mariu­pol – deut­lich kleiner war. Zum Ver­gleich: 2017 hatte die „DNR“ noch 11.895 Gebur­ten gemeldet.

Für den wirt­schaft­li­chen Wie­der­auf­bau werden aber drin­gend Men­schen im arbeits­fä­hi­gen Alter benö­tigt. Ob Russ­land dieses Defizit aus­glei­chen kann, ist zwei­fel­haft. Das Land leidet selbst unter Arbeits­kräf­te­man­gel und regio­na­len Bevölkerungsrückgängen.

Fazit

Zwei Jahre nach Beginn der rus­si­schen Voll­in­va­sion in die Ukraine ist die Lage in den „Volks­re­pu­bli­ken“ ver­zwei­fel­ter denn je seit 2014. Für die Inte­gra­tion in das rus­si­sche Staats­we­sen hat Moskau die lokalen Eliten aus­ge­tauscht – zum zweiten Mal nach den von Putsch und Atten­tat erzwun­ge­nen Macht­wech­seln in der „LNR“ 2017 und „DNR“ 2018.

Solange der Donbas rus­sisch besetzt bleibt, ist jede poli­ti­sche und wirt­schaft­li­che Nor­ma­li­sie­rung unmög­lich. Aber auch nach einer (mili­tä­ri­schen) Befrei­ung wäre eine Wie­der­ein­glie­de­rung in die Ukraine eine Mam­mut­auf­gabe. Unter rus­si­scher Herr­schaft wurden die ukrai­ni­schen poli­ti­schen und zivil­ge­sell­schaft­li­chen Struk­tu­ren zer­schla­gen und durch poli­zei­staat­li­che ersetzt. Viele der geblie­be­nen Eliten haben sich mit den Besat­zern arran­giert und müssten in der Ukraine straf­recht­li­che Kon­se­quen­zen fürch­ten. Die von Bergbau und Schwer­indus­trie geprägte Wirt­schaft liegt am Boden. So bleiben die Aus­sich­ten auf abseh­bare Zeit düster.

Wie schon zwi­schen 2014 und 2022 geht es dem Kreml nicht um den Donbas (geschweige denn um die „rus­sisch­spra­chi­gen“ Men­schen dort, die man angeb­lich schüt­zen wollte), sondern um die Herr­schaft mög­lichst über die ganze Ukraine: Dafür zahlt diese Region einen hor­ren­den Preis.

 

Dies ist eine aktua­li­sierte und gekürzte Fassung eines Bei­trags für die Ausgabe 297 der Ukraine-Ana­ly­sen. Wir danken der Redak­tion und dem Autor für die Erlaub­nis zur Zweitveröffentlichung.

Portrait von Nikolaus von ­Twickel

Niko­laus von ­Twickel ist Redak­teur der Web­seite „Russ­land ver­ste­hen“ im Zentrum Libe­rale Moderne. 2015/​16 war er Medi­en­ver­bin­dungs­of­fi­zier für die OSZE-Beob­ach­tungs­mis­sion in Donezk.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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