Dmytro Lubinez: erfolgreicher Verhandlungsführer im Hintergrund
Der Menschenrechtsbeauftragte Dmytro Lubinez ist einer der wenigen ukrainischen Beamten, die direkten Kontakt zu russischen Regierungsvertretern pflegen. Es ist nicht zuletzt sein Verdienst, dass bereits mehr als 3.000 Soldaten und über 500 von Russland verschleppte Kinder zurück in die Ukraine gebracht werden konnten.
Zahlreiche Personen und Institutionen setzen sich während des russischen Angriffskrieges dafür ein, dass Gefangene ausgetauscht und nach Russland verschleppte ukrainische Kinder zurückgeholt werden können. In diesem komplizierten Verhandlungsprozess spielt auf ukrainischer Seite der von Kyrylo Budanow geleitete Militärgeheimdienst HUR eine Schlüsselrolle. Aber auch Dmytro Lubinez, seit Juli 2022 Menschenrechtsbeauftragter des ukrainischen Parlaments, setzt sich für den Gefangenenaustausch und die Rückholung ukrainischer Kinder ein. Anders als Budanow, den inzwischen so gut wie jeder in der Ukraine kennt, steht Lubinez bisher jedoch eher im Schatten der Aufmerksamkeit.
Der 43-jährige Lubinez, der aus der heute von Russland besetzten Stadt Wolnowacha in der Region Donezk stammt und vor seiner Tätigkeit als Menschenrechtsbeauftragter als Freiwilliger nahe der Front im Einsatz war, trat 2022 eine anspruchsvolle Position an. Seine Vorgängerin Ljudmyla Denissowa war in die Kritik geraten: Zum einen wurde ihr vorgeworfen, sich dem Thema Gefangenenaustausch zu wenig anzunehmen. Zum anderen gab es Kritik an ihrer Art der Berichterstattung über Sexualverbrechen von russischen Soldaten.
Keine ideale Besetzung für das Amt?
Lubinez wurde in ukrainischen Menschenrechtskreisen zunächst nicht als ideale Besetzung für das Amt wahrgenommen. Denn der gelernte Jurist und Politologe war als Politiker und Parlamentsabgeordneter nicht unumstritten, obwohl er seit 2019 als Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses der Werchowna Rada fungierte und insofern durchaus Einblick in diesen Bereich hatte. Einige Menschenrechter hätten lieber keinen Politiker in dieser verantwortungsvollen Position gesehen. Ebenfalls schien gegen Lubinez zu sprechen, dass dieser 2015 zu einer Gruppe von Abgeordneten gehörte, die dafür plädierten, die Pflicht zur Offenlegung von Beamteneinkünften auszusetzen, was heftige Debatten zur Folge hatte.
Doch die Sorgen seiner Kritiker scheinen sich nicht bewahrheitet zu haben: Lubinez hat als Menschenrechtsbeauftragter der Ukraine bislang fast ausschließlich positive Schlagzeilen geschrieben. Wenn diese doch einmal negativ ausfielen, hatte die Kritik keine sachlichen Beweggründe. So war es zwar nicht verwunderlich, dass sich die ukrainische Öffentlichkeit über das im Internet kursierende Foto eines Handschlags zwischen Lubinez und seiner russischen Amtskollegin Tatjana Moskalkowa im Herbst 2022 wenig begeistert zeigte. Dass der Menschenrechtsbeauftrage jedoch zu den wenigen ukrainischen Beamten zählt, die den direkten Kontakt zur russischen Seite nicht abreißen lassen, ist die Voraussetzung dafür, dass Menschenleben gerettet werden und ukrainische Kriegsgefangene zu ihren Familien zurückkehren können.
„Jetzt ist es unmöglich, sich mit Ergebnissen zu rühmen“
Dass sich dieser Kontakt als außerordentlich schwierig gestaltet, ist bekannt: Während Lubinez die Gespräche mit Moskalkowa anfangs positiv bewertete, gab er später an, sie seien seltener geworden. „Wir informieren wöchentlich über die Verletzung der Rechte von Kriegsgefangenen, Zivilisten, die faktisch Geiseln sind, und politischen Gefangenen“, erzählte Lubinez dem Auslandsdienst des öffentlichen Hörfunks Frankreichs RFI. „Anfangs gab es Interesse und Aktivität seitens Moskalkowas, aber jetzt ist es unmöglich, sich mit Ergebnissen zu rühmen, es gibt nur wenige Ergebnisse.“
„Ich stelle sehr oft fest, dass wir, selbst wenn wir im direkten Dialog stehen und über eine Sache diskutieren, in der Öffentlichkeit etwas ganz anderes gezeigt wird“, betonte der ukrainische Menschenrechtsbeauftragte kürzlich am Rande der Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz. Vor dem Gipfel hatte sich Lubinez mit Moskalkowa getroffen – was zu einigen Ergebnissen geführt hatte: Eine Zivilistin konnte in die Ukraine zurückkehren und ihre Familie wiedersehen; Briefe von Kriegsgefangenen wurden ausgetauscht und auch humanitäre Fragen besprochen. „Am Abend erhielt ich dann aber die Information, dass Moskalkowa eine neue Liste ukrainischer Kriegsgefangener vorgelegt hatte, die zurückzuholen wir angeblich abgelehnt hätten. Das war aber überhaupt nicht diskutiert worden.“
500 verschleppte Kinder konnten zurückgeholt werden
Trotz aller Differenzen konnten bisher mehr als 3.000 ukrainische Kriegsgefangene aus Russland zurück in die Ukraine gebracht werden. Außerdem wurden bis Anfang 2024 laut Lubinez insgesamt gut 500 seit Beginn der umfassenden Invasion deportierten Kinder zurück in die Ukraine gebracht – während die Zahl der insgesamt nach Russland deportierten Kinder bei rund 19.000 liegt. Am 20. Juni 2024 vermeldete der Menschenrechtsbeauftragte zudem, dass zehn weitere verschleppte Kinder in die Ukraine zurückgeholt werden konnten.
Die Rückholung der ukrainischen Kinder ist ein schwieriges Unterfangen: Hinter der abstrakten Zahl 19.000 verbergen sich schwere Einzelschicksale – sowohl von Kindern, die aus den Gebieten stammen, die sich erst seit 2022 unter Besatzung befinden, als auch aus jenen Regionen, die schon seit 2014 faktisch nicht mehr von der ukrainischen Regierung kontrolliert werden. Es gibt Fälle, in denen Elternteile auf unterschiedlichen Seiten der Kriegsparteien stehen und gegensätzliche Auffassungen über die Zukunft ihrer Kinder haben. Außerdem haben bei Weitem nicht alle Kinder ihre Dokumente bei sich. Dass sie für die Rückholung oft direkt durch die Frontlinie gefahren werden müssen, ist ein zusätzliches Hindernis, für das viele Absprachen nötig sind. Bei diesen spielt Lubinez dann eine zentrale Rolle.
75 ukrainische Soldaten betraten heimischen Boden
Nachdem im März und April 2024 kein Austausch ukrainischer und russischer Kriegsgefangener stattfinden konnte, betraten im Mai 75 ukrainische Soldaten heimischen Boden. Was die auf der Austauschliste geführten russischen Soldaten angeht, ist nicht sicher, ob sie überhaupt ausgetauscht werden wollten. Denn inzwischen droht in Russland jeder Person, die sich freiwillig einer gegnerischen Armee ergeben hat, eine Haftstrafe zwischen drei und zehn Jahren. Was genau das im Einzelfall bedeutet, ist ungewiss. Generell entstehe der Eindruck, so Lubinez, dass die russische Seite kein Interesse an den russischen Soldaten habe, die sich auf ukrainischem Territorium in Gefangenschaft befinden.
Dass es überhaupt zum Austausch von Gefangenen der beiden Kriegsparteien kommt, ist allerdings zu einem bedeutenden Teil Lubinez‘ Verdienst: ein Verdienst des Menschenrechtsbeauftragten, der selbst von den russischen Akteuren als Unterhändler akzeptiert wird.
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