Ruslan Kozaba auf „Kulturzeit“ – ein Realitätscheck
Am 10. Mai veröffentlichte der öffentlich-rechtliche Fernsehsender 3sat im Rahmen der Sendereihe Kulturzeit einen Bericht über den ukrainischen Blogger Ruslan Kozaba, der zwei Tage vorher zunächst als Empfänger des Aachener Friedenspreises 2019 vorgestellt worden war. Diese Entscheidung hatte aufgrund früherer antisemitischer Äußerungen des Preisträgers zu öffentlicher Kritik geführt. Am 10. Mai gab der Vorstand des Aaachener Friedenspreises bekannt, den Preis doch nicht an Kozaba verleihen zu wollen. Der Fernsehbericht enthält einige Punkte, die einer Richtigstellung bzw. eines Kommentars bedürfen. Von Martin Dietze
Ruslan Kozaba gilt […] als einer der wenigen, die sich trauen, die Meinung der alles-bestimmenden Regierung in Frage zu stellen.
Die Bewertung „alles-bestimmend“ ist nicht nachzuvollziehen. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: die zwei Regierungen, die zur Amtszeit des inzwischen abgewählten Präsidenten Poroschenko im Amt waren, das Kabinett Jatsenjuk und das Kabinett Hrojsman (ersterer lediglich ein Koalitionspartner von Poroschenkos Partei) waren jeweils nur einer von zahlreichen anderen Akteuren, darunter verfeindete Oligarchen wie Tymoschenko, Kolomojskyj und Akhmetov sowie mächtige Regionalfürsten wie Trukhanov und Kernes, die der Partei des geflüchteten Präsidenten Janukowytschs angehörten, und mit denen man sich notdürftig arrangieren musste, um den Zusammenhalt des Landes zu bewahren. Nicht zum Lager Poroschenkos gehörte weiterhin der umstrittene und mit rechten Gruppen verbandelte Innenminister Arsen Awakov.
Anders als in Russland, wo oft von der „Vertikale der Macht“ die Rede ist, konkurrieren also in der Ukraine verschiedene Lager um die Macht, weswegen auch heute oft noch in diesem Zusammenhang Begriffe wie „Loyalität“ oder „Clanzugehörigkeit“ allgegenwärtig sind. Entsprechend hat auch keine ukrainische Regierung je eine „alles-bestimmende“ Position erreichen können, was man schön an der oft beißenden Kritik in der ukrainischen Presse sehen kann. Im Fernsehbericht entsteht der Eindruck, dass die Redaktion ohne nähere Prüfung die Bewertung Dritter übernommen hat. Natürlich erschwert die immer noch vorhandene Sprachbarriere den Zugriff auf lokale Quellen – das kann aber gerade für einen ausdrücklich auch zur Förderung der Völkerverständigung finanzierten Sender keine Rechtfertigung dafür sein, ungeprüft Pauschalurteile und Klischees über andere Länder zu verbreiten.
Kozaba ist mutig und unbequem, vermittelt aber auch zwischen den Fronten.
Es ist seit 5 Jahren kein Beispiel bekannt, wo Kozaba etwas „vermittelt“ hätte. Richtiger wäre wohl gewesen: Kozaba nutzt gern Provokation als Teil einer Selbststilisierung, wie sie von vielen politischen Akteuren, großen und kleinen, in der Ukraine und in Russland gepflegt wird, und die man als Beobachter nicht einfach ungeprüft übernehmen sollte.
Der Blogger wird im Bericht als eine Ausnahmepersönlichkeit dargestellt, die im Gegensatz zu anderen den „Mut“ besaß, von beiden Seiten der Front zu berichten. Unerwähnt bleibt, dass die Paramilitärs auf der Ostukraine seit 2014 gezielt Jagd auf ukrainische Journalisten machen – mehrere wurden gefoltert, verhaftet (z.B. Yehor Vorobyov, Dmytro Potekhin, Serhiy Sakadynsky, Nastya Stanko, Maria Varfolomeyeva), zwei kritische Journalisten sitzen immer noch in Haft (Stanislav Aseyev und Oleh Zalaziuk) – Fälle wie diese werden seit Jahren von der Kharkiver Menschenrechtsgruppe akribisch dokumentiert.
Einen Friedenspreis erhalten diese jedoch nicht, ihre Existenz wird von Kozaba selber, den Laudatoren und 3sat nicht einmal erwähnt. Im Gegenteil, in einem Interview begründete Kozaba die Abwesenheit ukrainischer Journalisten in der Ostukraine damit, dass diese noch Nachholbedarf in „journalistischen Standards“ hätten. Dies erscheint zynisch, denn dies zeigt, dass seine Arbeit zumindest mit stillschweigender Zustimmung der Paramilitärs erfolgte – ein Umstand, der kritisch reflektiert werden sollte, statt sein mit einer pauschalen Abwertung anderer Aktivisten verbundenes Narrativ unhinterfragt weiterzugeben.
Die (fehlende) Personalie Andrej Hunko
Gezeigt wird ein kurzes Interview mit Darius Dunker, Wahlkreismitarbeiter von Andrej Hunko, welcher federführend für die Nominierung Kozabas ist. Nun ist Hunko aber kein unbeschriebenes Blatt, wenn es um die Ukraine geht. Er ist ein offener Unterstützer der russischen „Volksrepubliken“ im Osten der Ukraine, betrachtet die annektierte Krim als „russisch“ und agitiert neben anderen linken Politikern wie Wolfgang Gehrcke und Alexej Danckwardt sowie Journalisten wie dem in Moskau lebenden Ulrich Heyden, dem Ex-SPD-Abgeordneten Wolfgang Tauss u.a. seit 2014 intensiv für die „russische Sicht“ der Ereignisse in der Ukraine.
Hunkos Aktivismus in der Ukraine ist umstritten. Bereits 2015 verhängte die Ukraine gegen Hunko ein Einreiseverbot. Insbesondere seine Unterstützung für die nationalstalinistische Organisation Borot‘ba in der Ukraine und ihren Anführer Sergej Kiritschuk gilt ob offen (russisch) nationalistischer und auch antisemitischer Äußerungen aus deren Lager als problematisch und hat zu einem internen „Unvereinbarkeitsbeschluss“ bei der Linkspartei sowie einigen abgesagten Veranstaltungen mit Kiritschuk geführt. All das macht deutlich, dass Hunkos Engagement für die Ukraine bereits in der Vergangenheit zu Irritationen und Kopfschütteln sorgte – selbst in seiner eigenen Partei.
Kozabas „Distanzierung“ von seinen Äußerungen
Kozaba ließ erst nach dem Bekanntwerden der antisemitischen Ausfälle eine Distanzierung von seinen damaligen Aussagen veröffentlichen. Der 3sat-Bericht stellt dabei nicht die eigentlich naheliegende Frage, warum sowohl der Preisträger als auch das nominierende Mitglied die angeblich bekannte und überwundene nationalistische Vergangenheit des Preisträgers verschwieg und somit die Mitglieder des Friedenspreises darüber im Dunklen ließ, für wen sie eigentlich stimmen.
Tatsächlich hatte Kozaba aktiv versucht, die Öffentlichkeit über dieses Material im Dunkeln zu halten: die besagte Passage wurde aus seinem YouTube-Video irgendwann nach November 2017 entfernt, und das später von Dritten wieder hochgeladene ungekürzte Originalvideo wurde gleich mehrmals unter Verweis auf Kozabas Urheberrecht von YouTube gelöscht (jeweils weniger als 24 Stunden, nachdem im Blog von Ulrich Heyden auf „der Feitag“ darauf verwiesen worden war – siehe z.B. die Diskussion unter diesem Artikel).
Zuvor hatte Kozaba behauptet, die Passage sei „aus dem Kontext gerissen und manipuliert“ worden, wohinter er den ukrainischen Geheimdienst vermute, was pikanterweise von der Sprecherin des Vereins Aachener Friedenspreis auf Anfrage der DW so weitergegeben worden war. Da das ungekürzte Video nach wie vor im Netz verfügbar ist, kann der angeblich fehlende Kontext freilich problemlos hergestellt werden – der Geheimdienst hätte, wenn all das stimmen sollte, schon vor langer Zeit das Original-Video manipulieren müssen. Plausibel wirkt das nicht.
Das Video ist nicht das einzige Beispiel für öffentliche antisemitische Äußerungen von Kozaba. Als ein weiteres Beispiel sei hier folgendes noch zitiert:
Was Anuschkewytschus betrifft, so spielt die Genetik hier keine Rolle. Ich habe ein normales Verhältnis zu Halbjuden und meine, dass „Halbblute“ wie Grigjan-Kapitelman [gemeint ist hier offenbar Julia Timoschenko], die Brüder Surkis und unser komischer Anuschkewytschus, keine Einschränkungen wegen ihrer nicht ukrainischen Herkunft erfahren sollten…
Kurzum: Kozabas Distanzierung war nicht schon „vor Jahren“ erfolgt, wie der Bericht suggerierte, sondern vielmehr, nachdem das Kind bereits ins Wasser gefallen war und man nicht mehr leugnen konnte, was nicht zu leugnen war. Der 3sat-Bericht zitiert ihn hier lediglich, ohne auch nur auf die Verschwörungstheorie über eine mögliche Einflussnahme des „ukrainischen Geheimdiensts“ einzugehen, die er noch kurz davor zu seiner Entschuldigung verbreitet hatte.
Der Interviewausschnitt mit Andreas Umland
Im Film wird auch ein kurzer Ausschnitt eines Videointerviews mit Andreas Umland gezeigt, in dem er erklärt, dass Kozaba eine „komische Vorstellung“ von historischen Ereignissen habe und man derartiges oft vorfinde. Die gezeigte Aussage ist sicher nicht falsch, aber hier fehlt tatsächlich ein wenig der Kontext, da der Eindruck entsteht, dass antisemitische Aussagen wie die von Kozaba etwas völlig übliches und speziell ein ukrainisches Problem seien. Die Wahrheit ist, dass Geschichtspolitik, verzerrte Geschichtsbilder und derlei im ganzen postsowjetischen Raum anzutreffen sind, aber derartiger Antisemitismus für die Ukraine alles andere als typisch ist.
Andreas Umland äußerte sich nach Ansicht des 3sat-Berichts dazu so:
Dieser 3sat-Beitrag ist irreführend, teils schlicht verfälschend. Hätte ich von der apologetischen Stoßrichtung dieser selektiven Darstellung der Causa Kozaba durch 3sat Kulturzeit gewusst, hätte ich kein Interview beigesteuert.
Kozaba: Eine „für die Westukraine typische Sicht“
Der Behauptung aus der Erklärung Kozabas, seine damaligen antisemitischen Äußerungen seien „eine für die Westukraine typische Sicht“, ist entschieden zu widersprechen – zwar hat Andreas Umland recht, wenn er sagt, dass unreflektierte Klischees über Juden verbreitet sind – die Motivation, wilde Thesen über die Juden als Drahtzieher des Holocaust in sozialen Medien zu verbreiten, dürften jedoch nur rechtsradikale Ukrainer besitzen – davon abgesehen, scheint es fragwürdig, eigene Hassreden gegen Bevölkerungsgruppen relativieren zu wollen, indem man die eigene Verantwortung pauschal und ohne Nachweis anderen Bevölkerungsgruppen unterschiebt. Auch dieser Widerspruch im Verhalten Kozabas wurde von 3sat nicht aufgegriffen oder hinterfragt.
Gerade die Westukraine hat durch ihre spezielle Geschichte (Zugehörigkeit zum Polnisch-Litauischen und später Habsburgischen Reich, dadurch starke Verbindung zu Zentraleuropa) eine im ostslawischen Raum so wohl nicht ein zweites Mal vorkommende Tradition eines friedlichen Zusammenlebens zwischen jüdischer und nichtjüdischer Bevölkerung, woran auch die Ereignisse des Sommers 1941 in Ostgalizien nichts ändern. Siehe hierzu etwa Prof. Frank Golczewski, der wohl kaum im Verdacht stehen dürfte, übertriebene Sympathie für ukrainische Nationalisten zu haben:
Relations between Jews and Ukrainians were much more peaceful on the Austrian side of the post-1795 border than they were in the territories east of the Zbruch river controlled by Russia. The multiple pogroms that occured in Russian-ruled Ukraine in the 19th century did not spread across the border into Galicia, where Jews and Ukrainian were enagaged in political cooperation. Whatever anti-Jewish political agitation existed in Galicia, it was limited to Polish political parties operating in areas where not many Ukrainians lived. Quelle: ”The Shoah in Ukraine: history, testimony, memorialization.“ (Seite 118, 2008)
In einem kürzlich in der FAZ zum Thema erschienenen Artikel, wo es um das gegenwärtige Verhältnis jüdischer und nichtjüdischer Ukrainer geht, heißt es:
Im April verfasste ein Redakteur der israelischen Zeitung „Haaretz“ aber einen Essay mit dem Titel „Es ist Zeit, unsere ukrainische Identität anzunehmen“. Der Autor weist zwar einerseits darauf hin, dass die mentale „Verwestlichung“ der Ukraine ebenso wie ihre „plötzliche Judäophilie“ nicht nur uneigennützig seien. Aber zugleich sei die Gesellschaft dabei, „den ukrainischen Nationalismus von seiner antisemitischen Erbschaft zu entgiften“. Die Wahl Selenskyjs [neuer ukrainischer Präsident und praktizierender Jude, Anm. d. Autors] zeige, dass die Ukraine, gerade im Vergleich mit Polen und Ungarn, eine „ermutigende Ausnahme“ sei.
In der Westukraine ist – abseits rechtsradikaler Kreise, zu denen Kozaba offenbar zählte – eine explizit projüdische Haltung tatsächlich geradezu Mainstream. Das war auch 2011 nicht anders. Herr Kozaba versucht hier, sich herauszureden und dabei gleichzeitig antiukrainische Ressentiments zu bedienen.
Fazit
Unterschiedliche Meinungen sind, solange sie von Argumenten getragen werden, etwas bereicherndes, und letztlich war die Diskussion auf der Facebook-Seite des Aachener Friedenspreises das auch, selbst wenn sie von den Seitenbetreibern zunächst als eine Art Troll-Attacke wahrgenommen und zum Anlass genommen wurde, eine ganze Reihe sachdienlicher Kommentare zu löschen.
Allerdings stehen hier gerade öffentlich-rechtliche Sender in der Pflicht, bei einem so kontroversen Thema wie dem des Kriegs in der Ukraine besondere Sorgfalt walten zu lassen. Ein Außenstehender würde nach Ansicht des Beitrags wohl den Eindruck gewinnen, dass Kozaba ein aufrechter Pazifist sei, der den Friedenspreis eigentlich doch verdiente. Die Ambivalenz, die ihn schon seit langem umgibt, reduziert sich in dem Bericht allein auf die Textpassage, wird aber anschließend fast umgehend relativiert. Das ist in der Form unausgewogen.
Brisanter wird diese Tatsache noch dadurch, dass sowohl Kozaba selbst als auch die Gruppe seiner Unterstützer, die seine Nominierung vorangetrieben haben, keineswegs eine neutrale Position vertreten. Behauptet wird indes genau das Gegenteil. Halya Coynash von der Kharkiver Menschenrechtsgruppe kommentierte dazu:
Das ist das übliche Narrativ, das Hunko und andere Politiker aus verschiedenen europäischen rechtsextremen oder linken Parteien bei Besuchen in den so genannten Donbass-Republiken oder der von Russland besetzten Krim vertreten. Solche Besuche werden von ihren offiziellen Gastgebern und von Russland stets für Propaganda benutzt. Dies verwundert auch nicht, da sie sich darauf verlassen können, dass ihre Gäste nur die ukrainischen Streitkräfte und Kiew kritisieren.
Obwohl Kozabas Position komplexer ist als dies, wäre es sehr schwierig, seine Darstellung der Ereignisse im Donbass, in Odessa, auf der Krim oder in der Ukraine im Allgemeinen als objektiv zu bezeichnen.
Es bleibt als bedauerliche Tatsache festzuhalten, dass der angesprochene Kurzbericht auf 3sat keinen Einzelfall darstellt – die unkritische Übernahme des u.a. von Andrej Hunko verbreiteten Narrativs war als Reaktion auf den Skandal um Kozaba leider nur eines aus einer ganzen Reihe von Beispielen, wo es ganz offensichtlich versäumt worden war, sich ausreichend mit Umständen und Protagonisten angemessen auseinanderzusetzen.
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