Der Kampf um Strom

Ausgebrannt - dieser Transformator lässt sich nach den Angriffen nicht mehr retten.
Foto: Nick Reimer

Kraft­werke, Umspann­sta­tio­nen, Was­ser­dämme: Derzeit fliegt Russ­land unzäh­lige Angriffe gegen die ukrai­ni­sche Ener­gie­infra­struk­tur. Massive Bunker, mehr Wind- und Solar­kraft­werke sowie eine bessere Flug­ab­wehr sollen die Situa­tion sta­bi­li­sie­ren. Und mehr Strom, der aus der EU impor­tiert wird.

Es klingt ein biss­chen wie das Knis­tern eines Lager­feu­ers, dazu peitscht es manch­mal und es brummt aus dem con­tai­ner­gro­ßen Kasten: In diesem Umspann­werk wird Strom mit hoher Kon­zen­tra­tion in solchen umge­wan­delt, den die Men­schen aus der Steck­dose ver­brau­chen können. „Zwei Trans­for­ma­to­ren arbei­ten hier aktuell“, sagt Marija Zatu­rian, Unter­neh­mens­spre­che­rin von Ukr­energo, der Firma, die in der Ukraine das Strom­netz betreibt. Zwei sind aber nicht leis­tungs­fä­hig genug, ein dritter Trans­for­ma­tor steht vor einem Bunker und wird von den Mecha­ni­kern gerade angeschlossen.

Dieses Umspann­werk arbei­tet gut eine Auto­stunde vom Zentrum der ukrai­ni­schen Haupt­stadt Kyjiw ent­fernt. Das Knis­tern ist die Elek­tri­zi­tät, die gegen die Iso­la­to­ren prallt, an denen die Lei­tun­gen auf­ge­han­gen sind. „Die Exper­ten benut­zen das Bild einer Auto­bahn“, sagt Marija Zatu­rian. „Aus den Kraft­wer­ken kommt Strom mit Tempo 120 und hoher Span­nung an, wir sind die Ein­rich­tung, die den schnel­len Über­land­trans­port in den por­tio­nier­ten Stadt­ver­kehr umlei­tet.“ Oder anders for­mu­liert: Ohne Trans­for­ma­tor lässt sich weder ein Radio betrei­ben noch ein Handy auf­la­den oder eine Lampe anschal­ten. Das können eine Million Men­schen im Groß­raum Kyjiw nur dank dieses Umspannwerks.

Trans­for­ma­tor noch aus Sowjet­zei­ten, er arbei­tet heute zuver­läs­sig. Foto: Nick Reimer

Atta­cken gegen Kraft­werke intensiviert

„Das wissen natür­lich auch die Russen“, sagt die Unter­neh­mens­spre­che­rin. Obwohl der Angriff ziviler Ener­gie­infra­struk­tur ein Kriegs­ver­bre­chen sei, hätten sie ihre Atta­cken gegen Kraft­werke, Umspann­sta­tio­nen, Über­land­lei­tun­gen, ja sogar gegen Was­ser­dämme inten­si­viert. „Es gibt in der gesam­ten Ukraine mehr als ein­hun­dert solcher Umspann­werke, aber kein ein­zi­ges, das nicht schon min­des­tens einmal zer­stört worden ist“, sagt Zatu­rian. Dieses hier im Speck­gür­tel von Kyjiw sehr mehr­fach von Raketen und Drohnen getrof­fen worden, ein Mit­ar­bei­ter habe sei Leben ver­lo­ren. „Womit die Russen aber nicht gerech­net haben, das ist unsere Schnel­lig­keit, die Zer­stö­run­gen wieder zu reparieren.“

Rechts neben dem arbei­ten­den steht ein aus­ge­brann­ter Trans­for­ma­tor, 250 Tonnen schwer und völlig ver­kohlt. „Weil der Umwand­lungs­pro­zess des Stromes sehr viel Wärme erzeugt, müssen die Anlagen mit Öl gekühlt werden.“ Einmal getrof­fen, gebe es deshalb keine Chance, irgend­et­was zu retten, und diesen hier habe es im Herbst 2022 erwischt, er brannte völlig aus. „Trans­for­ma­to­ren kann man nicht mal eben so kaufen. Die müssen bestellt und extra her­ge­stellt werden.“ Zehn Monate, sagt Mariia Zatu­rian, würden schon mal ins Land gehen, bis die neue Anlage gelie­fert werden kann. „Und wie gesagt: Ohne Trans­for­ma­tor kein Strom in der Stadt“.

„Was wir geflickt haben, das zer­schie­ßen die Russen bald wieder.“

„Bis zum jet­zi­gen Zeit­punkt haben die Russen 13.971 Gebäude in unserer Region zer­stört“, sagt Wjat­sches­law Tschaus, seit 2021 Gou­ver­neur der Region Tscher­ni­hiw. Im Februar 2022 waren die Aggres­so­ren von Norden durch die Region Tscher­ni­hiw Rich­tung Kyjiw vor­ge­rückt, die Ukrai­ner konnten sie nach sechs Wochen Kampf zurück­drän­gen. „Fast die Hälfte aller Wohn­häu­ser ist mitt­ler­weile wieder auf­ge­baut“, sagt Gou­ver­neur Tschaus, der wie Prä­si­dent Wolo­dymyr Selen­skyj Pull­over und Hose in Tarn­farbe trägt. „Ganz wichtig für den Wie­der­auf­bau ist eine funk­tio­nie­rende Strom­ver­sor­gung“. Für ihn seien deshalb jene Inge­nieure und Tech­ni­ker Helden, die das zer­schos­sene Strom­netz immer wieder flicken, „nicht selten unter Beschuss.“

Für den Gou­ver­neur der Region ist die Taktik der Russen klar: „Sie wollen unsere Wirt­schaft schwä­chen“. Längst nämlich würden Betriebe in der Region wieder pro­du­zie­ren, was aber nur mit einer gesi­cher­ten Strom­ver­sor­gung funk­tio­niere. „Je näher man der Front kommt, umso pre­kä­rer ist die Situa­tion“, gibt der Gou­ver­neur zu, 1.300 Haus­halte seien dort ohne Strom. Die Region Tscher­ni­hiw grenzt 225 Kilo­me­ter an Russ­land und entlang dieser Linie toben täglich Kämpfe. „Was wir geflickt haben, das zer­schie­ßen die Russen bald wieder.“ Etwa genau noch einmal so lang und nicht weniger gefähr­lich sei die Grenze zu Belarus, das Moskau mili­tä­risch unterstützt.

Internationale Journalisten beischtigen das Umspannwerk.
Inter­na­tio­nale Jour­na­lis­ten besich­ti­gen das Umspann­werk. Foto: Nick Reimer

Mit Stahl­trä­gern und Beton gegen Raketen

Bei Ukr­energo, dem staat­li­chen Netz­be­trei­ber, ver­su­chen sie jetzt mit gigan­ti­schen Stahl­trä­gern und mas­si­ven Beton­mau­ern einen Schutz gegen die rus­si­schen Raketen zu errich­ten: Der Staats­kon­zern baut Hoch­bun­ker. Spre­che­rin Marija Zatu­rian nennt das „unsere Art, sich an die Rea­li­tät anzu­pas­sen: Niemand sonst auf der Welt würde der­ar­tige Anlagen für seine Umspann­werke bauen, nicht einmal die Israe­lis.“ Zehn Monate Bauzeit und einige Mil­lio­nen Euro seien not­wen­dig, bis ein Bunker fertig sei – um dann einen 10 Mil­lio­nen teuren Trans­for­ma­tor zu schützen.

Im ganzen Land werden in den Umspann­wer­ken jetzt solche Bunker errich­tet. „Wir wissen nicht, wie lange es dauern wird, bis wir die Russen besiegt haben. Was wir aber wissen: Sie werden wieder und wieder unsere Ener­gie­infra­struk­tur angrei­fen. Deshalb müssen wir uns vor­be­rei­ten!“ Zum Bei­spiel mit den Bunkern: Wenn nämlich wenigs­ten einer der drei Trans­for­ma­to­ren eines Umspann­wer­kes den Angriff über­steht, kann nach der Repa­ra­tur der Lei­tun­gen weiter Strom über­tra­gen werden.

Plötz­lich fallen Schüsse

Plötz­lich fallen Schüsse, die Unter­neh­mens­spre­che­rin von Ukr­energo zuckt zusam­men. Aus dem Ein­zel­feuer werden Maschi­nen­ge­wehr­sal­ven, die in nicht sehr großer Ent­fer­nung knat­ternd abge­feu­ert werden. „Das sind unsere“, sagt ihr Assis­tent. Marijas ver­stei­ner­tes Gesicht ent­krampft sich langsam, „ich wusste nicht, dass es hier in der Nähe des Umspann­wer­kes einen Schieß­stand gibt!“

Nicht nur die Strom­über­tra­gung steht massiv unter rus­si­schem Beschuss, auch die Strom­pro­duk­tion. „Es gibt kein ein­zi­ges Kohle- oder Gas­kraft­werk mehr in der Ukraine, das von den Russen noch nicht bom­bar­diert worden ist“, sagt Dmytro Sacha­ruk, Geschäfts­füh­rer des Ener­gie­kon­zerns DTEK. Vor dem Krieg pro­du­zierte DTEK fast 30 Prozent des ukrai­ni­schen Stromes, mit 55.000 Mit­ar­bei­tern ist der Konzern noch immer einer der größten des Landes. Gleich vier DTEK-Heiz­kraft­werke wurden in der letzten April­wo­che zer­stört, also solche, die mit Kohle oder Erdgas betrie­ben werden. „Manche Anlage wurde so schwer getrof­fen, dass sie sich nicht wieder auf­bauen lässt“, sagt Dmytro Sacha­ruk. Aktuell verfüge DTEK noch über 8.000 Mega­watt Kraft­werks­leis­tung, „vor dem Krieg war es doppelt so viel“.

Transformator vor einem der Hochbunker.
Trans­for­ma­tor vor dem neuen Hoch­bun­ker. Foto: Nick Reimer

Wind­rä­der sind schwie­ri­ger zu treffen

Dmytro Sacha­ruk sitzt in Kyjiw in einem licht­durch­flu­te­ten Co-Working-Space hinter dem Stadion des Fuß­ball­klubs Dynamo, von Ener­gie­knapp­heit ist in diesen Tagen in der ukrai­ni­schen Haupt­stadt nichts zu spüren. Es ist Früh­ling, die Flüsse sind voller Schmelz­was­ser, und die Ukraine verfügt über sehr viel Was­ser­kraft. Aller­dings werden auch diese Kraft­werke von Russ­land atta­ckiert: Sieben Raketen schlu­gen bei­spiels­weise im März im Was­ser­kraft­werk Dnipro ein. Vor dem Angriff war es mit fast 1.580 Mega­watt Leis­tung das größte seiner Art in Europa, die Repa­ra­tu­ren werden auf wenigs­tens zwei Jahre taxiert.

Der Ener­gie­ma­na­ger Sacha­ruk glaubt, dass die alte Ener­gie­infra­struk­tur aus sowje­ti­schen Zeiten den rus­si­schen Aggres­so­ren in die Hände spielt: „Strom wird in großen Kraft­wer­ken zentral an wenigen Orten pro­du­ziert und von dort aus ver­teilt.“ Ein Damm an einem Fluss, ein Koh­le­kraft­werk mit weithin sicht­ba­rem Kühl­turm oder auch Gas­kraft­werke seien leicht anvi­sier­bare Ziele. „Deshalb setzen wir auf erneu­er­bare Ener­gien, die dezen­tral erzeugt werden“, sagt Sacha­ruk. Gut 2.000 Mega­watt Leis­tung habe DTEK bereits am Netz oder kurz vor Anschluss. „Natür­lich können auch Wind­rä­der zer­stört werden. Aber Fos­sil­kraft­werke sind kleine Ein­hei­ten mit großer Leis­tung“, so Sacha­ruk. In Wind­parks hin­ge­gen würden kleine Ein­hei­ten auf großer Fläche arbei­ten, das sei viel auf­wen­di­ger zu zerstören.

Not­wen­dig­keit einer bes­se­ren Luftabwehr

Aller­dings bleibt ein Dilemma: „Inves­tie­ren können wir nur, wenn wir Strom auch ver­kau­fen“, so Sacha­ruk. Also wenn Geld in die Kassen kommt. Solange die Russen die Umspann­werke und Über­land­lei­tun­gen atta­ckier­ten, so lange komme bei den Men­schen aber kaum Strom an. Der Ener­gie­ma­na­ger wünscht sich deshalb mehr Mög­lich­kei­ten für die Luft­ab­wehr – auch um in den Umbau der eigenen Ener­gie­ver­sor­gung inves­tie­ren zu können: „Mehr Pho­to­vol­taik, mehr Wind­kraft: Bei uns steht nicht der Kli­ma­schutz im Vor­der­grund, sondern die Versorgungssicherheit.“

Es scheint, als habe der Krieg viele Blick­win­kel ver­än­dert. „Vor dem Krieg spiel­ten große Ferns­ter eine Rolle, weil sie viel Licht zum Bei­spiel ins Klas­sen­zim­mer lassen“, sagt Tscher­ni­hiws Gou­ver­neur Wjat­sches­law Tschaus. Logi­scher­weise gehe es heute darum, gute Schutz­räume zu bauen, in die gar kein Son­nen­strahl mehr ein­drin­gen kann, „denn die Russen greifen uns ja nach wie vor an.“ Mitte April gab es zuletzt 17 Tote in der größten Stadt der Nord­ukraine, als Raketen ein Hotel in der Stadt Tscher­ni­hiw trafen und dem Erd­bo­den gleich machten. Die Druck­welle war so gewal­tig, dass auch das Haupt­ge­bäude der Uni­ver­si­tät und mehrere Hoch­häu­ser zer­stört wurden, wie auch das Kreis­kran­ken­haus, das nach vor­he­ri­gem Beschuss gerade erst wieder auf­ge­baut worden war. Mit einer tiefen, über­zeug­ten Stimme sagt Gou­ver­neur Tschaus: „Das zeigt, wie richtig unsere stra­te­gi­schen Ziele sind: Gewähr­leis­tung von Ener­gie­un­ab­hän­gig­keit, Infor­ma­ti­ons- und Cybersicherheit.“

Mit diesen Barrieren schützt Ukrenergo seine Umspannwerke vor Querschlägern.
Mit diesen Bar­rie­ren schützt Ukr­energo seine Umspann­werke vor Quer­schlä­gern. Foto: Nick Reimer

Prekäre Ver­sor­gungs­si­tua­tion

Von der Ener­gie­un­ab­hän­gig­keit ist die Ukraine nach den vielen Angrif­fen aller­dings ent­fern­ter denn je, viele Exper­ten bezeich­nen die Situa­tion als schwie­ri­ger als vor dem letzten Winter. „Viele unserer Atom­re­ak­to­ren gehen im Sommer in die peri­odi­sche Sicher­heits­über­prü­fung“, sagt DTEK-Manager Dmytro Sacha­ruk, sie werden also zur Wartung abge­schal­tet. Im Sommer gebe es weniger Wasser und wegen der per­ma­nen­ten Rake­ten­an­griffe der Russen „noch mehr Zer­stö­rung von Kapa­zi­tä­ten.“ Dann könnte Strom tat­säch­lich zu einem knappen Gut werden.

Wich­ti­ger Import von Strom aus der EU

Immer­hin läuft der Test­be­trieb mit dem Strom­netz der EU ein­wand­frei, wie Ukr­energo-Spre­che­rin Marija Zatu­rian berich­tet: „Um Schwan­kun­gen aus­zu­glei­chen werden Strom­netze nie natio­nal betrie­ben, das ukrai­ni­sche war mit dem rus­si­schen ver­bun­den.“ Doch dann kam der rus­si­sche Angriff und mit diesem wurden auch alle Strom­lei­tun­gen gekappt. „Seit 16. März 2022 ist die Ukraine mit dem Strom­netz der EU ver­bun­den“, zwar noch im Test­be­trieb, aber die Per­spek­tive sei klar: „Wenn wir genug Strom pro­du­zie­ren, können wir stünd­lich 100 Mega­watt in die EU exportieren.“

In diesem Sommer wird aber erst einmal die Lie­fe­rung in die andere Rich­tung – in die Ukraine – wichtig: Impor­tier­ter Strom aus der EU kann der Ukraine helfen, sich gegen den rus­si­schen Aggres­sor zu ver­tei­di­gen – wenn die Umspann­werke dank der Bunker zwar immer noch funk­tio­nie­ren, aber die ukrai­ni­schen Kraft­werke nicht genug Strom pro­du­zie­ren können.

Portrait von Denis Trubetskoy

Nick Reimer ist ein deut­scher Jour­na­list und Buch­au­tor. Als freier Jour­na­list schreibt er für Freitag, taz und andere Medien.

 

 

 

 

 

 

 

 

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