Denys Schmyhal: Rekordhalter und akribischer Technokrat
Der ukrainische Premierminister Denys Schmyhal ist bereits vier Jahre im Amt, länger als all seine Vorgänger. Präsident Wolodymyr Selenskyj tauscht den effektiven und akribischen Technokraten vermutlich auch deshalb nicht aus, weil er in ihm keinen politischen Konkurrenten sieht.
Als Denys Schmyhal zu Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 im Parlament zum neuen Premierminister gewählt wurde, hätte niemand gedacht, dass er in seiner neuen Funktion Rekorde brechen und Geschichte schreiben würde. Obwohl alle zwei, drei Monate über seine mögliche Entlassung spekuliert wird, ist der 46-Jährige, der gebürtig aus Lwiw stammt, nunmehr seit mehr als vier Jahren im Amt.
Niemand in der ukrainischen Geschichte hatte den Posten des Premierministers länger inne als Schmyhal – auch nicht Mykola Asarow, der längst nach Russland geflohene moskautreue Politiker, der unter Wiktor Janukowytsch fast vier Jahre lang Premier war.
Im semipräsidentiellen Regierungssystem der Ukraine spielt der Premierminister eine wichtige Rolle – so waren etwa die Regierungschefs in der Amtszeit von Selenskyjs Vorgänger Poroschenko durchaus eigenständige politische Figuren. Das gilt zum Beispiel für den einstigen Spitzenpolitiker Arsenij Jazenjuk oder für den damaligen Poroschenko-Verbündeten Wolodymyr Hrojsman.
Ausnahmeerscheinung Schmyhal: Kontinuität statt Wechsel
Über Schmyhal aber ist in der Ukraine nicht viel zu hören – abgesehen von beliebten Scherzen darüber, dass er und der Präsident des Europäischen Rates Charles Michel einander zum Verwechseln ähnlich sehen.
Dabei kann Schmyhal nicht nur die längste Amtszeit eines ukrainischen Premierministers überhaupt vorweisen, sondern ist er auch eines der wenigen Regierungsmitglieder, die sich seit 2020 in der Regierung halten konnten. Das dürfte sich zunächst nicht ändern: Von der für Mai geplanten Kabinettsumbildung wird Schmyhal mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht betroffen sein.
„Achmetows Mann” oder unabhängig?
Wie ist es dazu gekommen – gerade, wenn man bedenkt, dass Schmyhal niemals zum engen persönlichen Umfeld von Selenskyj zählte? Vor seiner Ernennung zum Gouverneur der westukrainischen Region Iwano-Frankiwsk im Sommer 2019 war Schmyhal Direktor des Wärmekraftwerks Burschtyn (DTEK), das dem reichsten Mann der Ukraine Rinat Achmetow gehört.
„Ich kenne Rinat Leonidowytsch [Achmetow] nicht persönlich”, betonte Schmyhal 2020 in einem Interview, als die ukrainische Gesellschaft darüber diskutierte, ob er nicht so etwas wie „Achmetows Mann” sei. „Wie alle anderen kenne ich ihn nur aus dem Fernsehen.”
Präsident Selenskyj pflegt zu Achmetow ein kompliziertes Verhältnis: Nachdem die zu Achmetows Holdinggesellschaft gehörenden Medien kurz nach Selenskyjs Wahlsieg eher positiv über den neuen Präsidenten berichtet hatten, führten sie in den Monaten vor der umfassenden russischen Invasion eine große Medienkampagne gegen das ukrainische Staatsoberhaupt durch.
Vom Leiter des Wärmekraftwerks zum Premierminister
Der 46-jährige Denys Schmyhal ist gelernter Ingenieurökonom und hat an der Nationalen Polytechnischen Universität Lwiw studiert, die zu den besten technischen Hochschulen des Landes gehört. Über die Jahre war er für mehrere große Unternehmen überwiegend in der Westukraine tätig, hat aber zwischenzeitlich auch als Abteilungsleiter für Wirtschaft in der Regionalen Staatsverwaltung der Region Lwiw gearbeitet.
Abgesehen von der erfolgreichen Leitung des Wärmekraftwerks Burschtyn war es Schmyhals Zeit als Gouverneur von Iwano-Frankiwsk, die Selenskyj davon überzeugte, ihn nach Kyjiw zu holen. So lobte Selenskyj Schmyhal beim Besuch in Iwano-Frankiwsk öffentlich für seinen Bericht zur sozioökonomischen Entwicklung der Region. „Großartig, leider haben nicht alle Leiter von regionalen Behörden auf einem so hohen Niveau berichtet”, zitiert das regionale Nachrichtenmedium aus Iwano-Frankiwsk Kurs den ukrainischen Präsidenten.
Schließlich wurde Schmyhal am 4. Februar 2020 mit dem Posten des Stellvertretenden Premierministers in der Regierung von Oleksij Hontscharuk und gleichzeitig des Ministers für die Entwicklung von Gemeinden und Territorien betraut sowie genau einen Monat später, am 4. März, zum neuen Regierungschef ernannt. Nach dem misslungenen Experiment mit Oleksij Hontscharuk – dem jüngsten Ministerpräsidenten in der Geschichte der Ukraine, der zwar als Visionär auftrat, doch während seiner sechs Monate im Amt wenig überzeugen konnte, – setzte Selenskyj auf einen Technokraten ohne besondere politische Ambitionen.
Verfechter der systematischen Arbeit
Doch wie hält sich Schmyhal – auch vier Jahre nach seiner Ernennung – im Amt? Abgesehen davon, dass er sich nicht in politische Intrigen einmischt, werden dafür vor allem seine Arbeitsweise und bürokratische Effektivität verantwortlich gemacht.
„Diejenigen, die Schmyhal bei der Arbeit erlebt haben, betonen, dass er fast die ganze Zeit im Regierungsgebäude verbringt. Das Wochenende ist dabei keine Ausnahme“, schreibt etwa das Online-Medium glavcom.ua. „Mit der aktiven Arbeit beginnt er um sieben Uhr. […] Das Bild von Schmyhal als einem akribischen Bürokraten ist nicht künstlich. Er ist ein Verfechter der systematischen Arbeit und weiß, wie der bürokratische Apparat funktioniert. Ehemalige Regierungsbeamte erinnern sich, dass er sich bei seiner Arbeit auf die Grundsätze des Projektmanagements stützt, visuelle Dokumente wie Dashboards oder Gantt-Diagramme bevorzugt und so den aktuellen Status von Aufgaben und Projekten überwacht.“
Wie lange Denys Schmyhal noch Premierminister bleiben wird, steht in den Sternen. Doch eins ist klar: Selbst, wenn er irgendwann seinen aktuellen Posten räumen muss, wird Selenskyjs Team mit Sicherheit eine neue wichtige Funktion für ihn finden.
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