„Der Dnipro stöhnt und brüllt“: Kriminelle Machenschaften
Der Dnipro gilt als Naturwunder, als Seele und Arterie der Ukraine. Durch illegale Industrieabfälle und Müllentsorgung wird er jedoch verschmutzt, durch falsche Bewirtschaftung droht seine Verflachung. Wie leben die Menschen mit den ökologischen Problemen?
Im zweiten Teil trifft unser Autor Christoph Brumme auf Dnipro’s Zivilgesellschaft in Form der NGO Save Dnipro.
TEIL 1: Das ‚Attentat‘ auf den Bürgermeister von Dnipro
TEIL 2: Kriminelle Machenschaften
TEIL 3: Die stinkende Stadt
Nach dem Mittagessen sind wir vor dem Kaufhaus „Europa“ mit dem Umwelt-Aktivisten Ilja Rybakow von der NGO „Save Dnipro“ verabredet. Ilja wurde 1980 in Dnipro geboren, hier hat er die Schule besucht und Chemietechnik an der Universität studiert, mit der Spezialisierung Raketentechnik.
Er hat keine gute Meinung vom Bürgermeister Borys Filatow. Trotz großer Versprechen habe es in dessen Amtszeit nur kosmetische Veränderungen in der Stadt gegeben.
Die uns vom Bürgermeister empfohlene Korolenka-Straße sei ein Denkmal der Korruption.
Dort habe man die Bäume gefällt, die Schatten entfernt, damit die Menschen in die Restaurants und Cafés gehen und konsumieren. Und man habe dort die Kanalisation „vergessen“, also Gelder veruntreut. Er zeigt ein Video von der bei Regen überfluteten Straße. Borys Filatow hat auf den Vorwurf bereits öffentlich geantwortet und den in Dnipro beheimateten berühmt-berüchtigten Oligarchen Ihor Kolomojskyj beschuldigt, für die schlechten Reparaturen und fehlende Abwasserkanäle in der Straße verantwortlich zu sein. Er fürchte weder die Aktivisten noch den Oligarchen, hatte der Bürgermeister erklärt.
Am letzten Wochenende, am Tag der Verfassung [28. Juni], demonstrierten etliche empörte Bürger gegen ihn. Die Slogans wären wohl in vielen ukrainischen Städten berechtigt, auch wenn sie das Problem verharmlosen. „Die Bewohner von Dnipro sind Bürger, keine Sklaven! Die Verfassung über alles! Bürgermeister Filatow ist der Kopf der Korruption in Dnipro! Dnipro ist gegen Korruption! Dnipro ohne Filatow! Zum Tag der Verfassung, Einwohner von Dnipro!“
300 Autos beziehungsweise deren Insassen nehmen an dem Protest teil. Dnipro hat mittlerweile etwa 1,3 Millionen Einwohner. In den letzten Jahren sind viele Geflüchtete aus den nur 200 Kilometer entfernten, quasi von Russland besetzten Gebieten im Donbas hierher übergesiedelt. Ilja Rybakow schätzt die Zahl politisch aktiver Bürger in der Stadt auf 1000. In seiner NGO Save Dnipro sind etwa 15 Menschen aktiv, es soll die aktivste Umweltschutzorganisation sein.
„Wir denken darüber nach, was wir essen und trinken, aber interessieren uns nicht dafür, welche Luft wir einatmen“, erklärt Ilja die Motivation für sein Engagement. „Dass 70 Prozent der Todesfälle von schlechter Luft kommen, darüber kümmerte sich niemand, außer Spezialisten und Medizinern.“
Die Schuldigen sind allgemein bekannt
Ilja Rybakow zeigt über den Fluss. „Hier haben wir eine Reihe von Maschinenbauproduktionen, metallurgischen Anlagen und Koksproduktionen, eine ganze Reihe von Unternehmen, die den Fluss Dnipro verschmutzen. Im letzten Jahr haben wir untersucht, warum es ein sehr spezifisches Schema für die Abfallbewirtschaftung gibt. Die Eigentümer müssen für die Entsorgung ihrer eigenen Abfälle bezahlen. Wir begannen zu verstehen – warum so ein spezifisches Schema?
Wir haben zwar den ursprünglichen Autor gefunden, sondern den aktuellen Betreiber dieser Behandlungseinrichtungen. Und wie sich herausstellte, ist das Unternehmen de jure mit dem Hauptumweltinspektor der Region Dnipropetrowsk, Dmitry Shibko, verbunden. Jetzt soll er entfernt werden, und es laufen Gerichtsverfahren gegen ihn. Dmitry Shibko ist ein Vertreter eines ziemlich großen Clans der kriminellen Gesellschaft. Seine Gönner haben keine Angst davor, auf legale und illegale Methoden zurückzugreifen um Einfluss auszuüben, und er hielt mehr als 11 Jahre in seiner Position durch. Unter Janukowytsch kam er an die Macht, er überstand dessen Flucht, kontrollierte auch unter Poroschenko. Erst mit Selenskyjs Ankunft versuchen sie, ihn zu entfernen, und es ist nicht sicher, dass sie ihn vollständig loswerden können, weil die derzeit handelnde Person seine rechte Hand ist – das heißt, er hat de jure die Kontrolle verloren, behält aber de facto immer noch seinen Einfluss auf die Umwelt im Gebiet der Region, trotz eines klaren Interessenkonflikts.“
Wir kennen uns kaum fünf Minuten, aber Ilja nennt schon „Ross und Reiter“. Ist das nicht gefährlich? Was riskiert man in Dnipro, wenn man gegen die Mächtigen kämpft?
„Wir verstehen objektiv das Niveau der Bedrohungen. Wir haben Angst. Aber ich möchte in meinem Land leben, und mein Kind soll hier leben. Erst seit 2014 habe ich von Auswanderung geträumt. Ich wollte ein Vermächtnis hinterlassen – nützliche Arbeit, mehr als nur Geschäft.“
Er ist Mitglied der Personalkommission bei der Hauptabteilung der Nationalen Polizei der Dnipro-Region und kommuniziere viel mit Vertretern der Polizei. „Wir haben auch Ermittlungen in Bezug auf Shibko gemacht und sogar den Obersten Gerichtshof erreicht und die Ermittlungen gewonnen, dass alle Fakten stimmen.“
Auch die Angler auf der Uferpromenade haben keine Lust, sich für sauberes Wasser oder bessere Luft zu engagieren. Die Fische beißen noch, wenn auch seltener als früher, sagt ein Rentner. Vor allem Wels, Zander und Brasse werden gefangen. Welse mitten in der Stadt? Womöglich Anglerlatein?
Die Menschen seien müde vom Arbeiten und hätten keine Zeit sich für die Umwelt zu engagieren, meint der Mann, der einen Köder auf einen Angelhaken zieht.
Zum Baden sei das Wasser hier nicht geeignet, lieber an einem anderen Platz, erzählt er.
Ob denn in Deutschland die Flüsse sauber seien, will sein Nachbar wissen. Meines Wissens werden sie von Jahr zu Jahr sauberer, antworte ich, aber vor 30 Jahren hätten wir ähnliche Probleme gehabt, vor allem in Ostdeutschland.
Ilja Rybakow erzählt ebenfalls, dass es nicht ratsam sei im Dnipro zu baden. Und trinken solle man das Wasser schon gar nicht, ohne Reinigung wäre das gefährlich. Wir sitzen in dem über dem Dnipro „schwebenden“ Restaurant „Der Schwimmer“ und haben einen großartigen Ausblick auf den Fluss. Ein Gewitter zieht auf, der Regen peitscht den Fluss.
„Er stöhnt und brüllt, der breite Dnipro / Ein zorniger Wind heult“, wie es im bekanntesten Lied über den Dnipro heißt, geschrieben vom Nationaldichter und ‑helden Taras Schewtschenko.
Ilja erzählt von den Schwierigkeiten, die Umweltprobleme zu bekämpfen und von der ausufernden Bürokratie. „Alle Genehmigungsdokumente für große Schadstoffe haben wir, „Save Dnipro“, in ein System integriert, weil wir verschiedene Fälle haben: Luftverschmutzung ist einer, Wasserverschmutzung ist der andere, Lagerung fester Abfälle ist der dritte, der vierte die Wasserproduktion, Mineralien sind das fünfte Beispiel. All dies ist verstreut, und es gibt große Umweltverschmutzer, die eine Reihe von Dokumenten beim Ministerium erhalten, und kleine Umweltverschmutzer, die in Bezug auf die Umweltauswirkungen normalerweise noch schlechter sind – sie erhalten die Genehmigungen auf lokaler Ebene.“
Also sind nicht nur die Großen die Bösen, nicht nur „Kyjiw“ ist schuld, wie der Bürgermeister gemeint hatte.
Wichtige Erfolge
Ilja hat gleich nach der Revolution der Würde selbst als Abgeordneter kandidiert, für eine Partei, die heute schon vergessen ist. Es sei ihm natürlich bewusst gewesen, was er damit riskierte, denn kaum eine Tätigkeit genießt in der Ukraine so schlechtes Ansehen wie die des Politikers. „Alle sind Diebe und Betrüger“, zitiert er den Volksmund. Dabei bringt er beste Voraussetzungen für die Politik mit, dank seiner Ausbildung und seiner beruflichen Erfahrungen, unter anderem im Betriebsmanagement. Wie lange er noch als ehrenamtlicher Umweltaktivist arbeiten kann, das ist ungewiss. Er muss die Familie ernähren, was jetzt knapp möglich ist, aber er wünscht sich mit seiner Frau noch ein Kind.
Andererseits befriedigt ihn die Arbeit für den Umweltschutz.
Auf die Frage nach den wichtigsten Erfolgen der NGO berichtet er vor allem vom neuen System der Luftmessung und der Veröffentlichung der daraus gewonnenen Information für die Bevölkerung.
Erst mit diesen Informationen können die Behörden aufgefordert werden, die Luftverschmutzer auch steuerlich zu belangen. Oft zahlen diese nur geringe Steuern oder sie versuchen sich mit Alibimaßnahmen „reinzuwaschen“, etwa, indem sie Bäume pflanzen lassen. Wasserverschmutzende Fabriken setzen auch gerne Fische im Dnipro aus, damit die Angler sich nicht beschweren.
Eine weitere Tragödie
Meine Frau lernt unterdessen auf der Toilette die Schwester einer Freundin des Bürgermeisters Filatow kennen. Irgendein Irrtum bringt beide zum Lachen. Der Spaß verbindet, im nächsten Augenblick sind sie schon befreundet, und Valentyna lädt uns nach Saporischschja ein, wo wir am nächsten Tag sowieso hinfahren wollten. Valentyna ist Geschäftsführerin eines Metallbetriebs in Saporischschja. Auch sie hat sich einmal wie Ilja als Aktivistin engagiert, aber inzwischen resigniert aufgegeben. Und das hat auch mit dem Tod ihres Neffen zu tun. Der wurde an der Front erschossen, aber sein Tod wurde von den Behörden als Selbstmord eingestuft.
Fortsetzung folgt im dritten Teil in Saporischschja.
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