Die Ren­ten­re­form in der Ukraine: Auf dem Weg zu einer trag­fä­hi­ge­ren Altersvorsorge?

Rent­ne­rin in Lemberg stockt ihren Lebens­un­ter­halt mit Blu­men­ver­käu­fen auf (© shutterstock)

Die Durch­schnitts­rente in der Ukraine ist eine der nied­rigs­ten in Europa, die Ren­ten­ver­pflich­tun­gen sind im Ver­gleich zum Brut­to­in­lands­pro­dukt hoch und die Defi­zite der Ren­ten­kasse werden aus dem Staats­haus­halt aus­ge­gli­chen. Eine umfas­sende Ren­ten­re­form soll nun Bes­se­rung bringen.

Die Ukraine ist seit Langem von einer ungüns­ti­gen demo­gra­fi­schen Ent­wick­lung mit einer schrump­fen­den und altern­den Bevöl­ke­rung betrof­fen. Diese Situa­tion wird sich wahr­schein­lich in naher Zukunft nicht ver­än­dern. Außer­dem hat die Ukraine kein trag­fä­hi­ges Ren­ten­sys­tem. Die für 2017 geplante Ren­ten­re­form stand daher unter beträcht­li­chem Erfolgs­druck. Im Ver­gleich zum Brut­to­in­lands­pro­dukt (BIP) der Ukraine sind die Ren­ten­ver­pflich­tun­gen hoch, wobei jedoch die Durch­schnitts­rente eine der nied­rigs­ten in Europa ist. Seit vielen Jahren werden die hohen Defi­zite der Ren­ten­kasse aus dem Staats­haus­halt aus­ge­gli­chen, was zu einer Ein­schrän­kung des finanz­po­li­ti­schen Spiel­raums des Landes führt. Daher war es nicht über­ra­schend, dass eine Ren­ten­re­form zu den Ver­ein­ba­run­gen mit dem Inter­na­tio­na­len Wäh­rungs­fonds (IWF), gestützt von der Erwei­ter­ten Fonds­fa­zi­li­tät (EFF), gehörte. Sowohl dieser Umstand als auch die Unge­rech­tig­keit des Ren­ten­sys­tems beweg­ten die Regie­rung 2017 dazu, eine Ren­ten­re­form zu verabschieden.

Aus­gangs­lage: Das Ren­ten­sys­tem in der Krise

Der letzte größere Versuch, eine umfas­sende Ren­ten­re­form mit dem Ziel der finan­zi­el­len Kon­so­li­die­rung des Ren­ten­sys­tems umzu­set­zen, wurde 2003 unter­nom­men. Die »Säule der Soli­da­ri­tät« (obli­ga­to­ri­sche umla­ge­fi­nan­zierte Ren­ten­ver­si­che­rung) sollte refor­miert und durch eine zweite kapi­tal­ge­deckte Säule (»Säule der Akku­mu­la­tion«, eben­falls obli­ga­to­risch) und durch eine dritte Säule (frei­wil­lige private Ren­ten­ver­si­che­rung) ergänzt werden. Doch Schwä­chen des Ren­ten­sys­tems blieben bestehen, dar­un­ter eine schmale Bei­trags­ba­sis, Vor­ru­he­stands­re­ge­lun­gen und Ren­ten­pri­vi­le­gien für bestimmte Berufs­grup­pen. Diese Schwä­chen des Ren­ten­sys­tems sowie eine schnelle Erhö­hung der Min­dest­rente, die wirt­schaft­lich nicht zu recht­fer­ti­gen war, haben die Ren­ten­re­form schei­tern lassen. Die Erhö­hung der Min­dest­rente, die nicht der wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung ent­sprach, führte zu einem ganz und gar nicht trag­fä­hi­gen Ren­ten­sys­tem. Die Ren­ten­kasse schreibt seit 2004 rote Zahlen.

Im Jahr 2011 unter­nahm die Regie­rung einen wei­te­ren Versuch, die Trag­fä­hig­keit des Ren­ten­sys­tems zu erhöhen. Nach langen Debat­ten stimmte sie schließ­lich der Anhe­bung des Ren­ten­ein­tritts­al­ters von Frauen zu. Deren Ren­ten­ein­tritts­al­ter sollte über einen Zeit­raum von zehn Jahren (ab Sep­tem­ber 2011) stu­fen­weise von 55 auf 60 Jahre ange­ho­ben werden. Dies hatte kurz­fris­tig keine bedeu­ten­den Aus­wir­kun­gen auf die Defi­zite der Ren­ten­kasse; mittel- und lang­fris­tig jedoch dürfte dieser Schritt zu einem lang­sa­me­ren Anwach­sen der Ren­ten­ver­pflich­tun­gen führen.

Krise von 2014 traf das Ren­ten­sys­tem schwer

Die wirt­schaft­li­che Lage ver­schlech­terte sich im Jahr 2014, als sich die Ukraine mit der Wirt­schafts­krise und dem mili­tä­ri­schen Kon­flikt im Osten kon­fron­tiert sah, und Russ­land die Krim annek­tierte. Die Regie­rung musste Maß­nah­men zur Haus­halts­kon­so­li­die­rung ergrei­fen, was unter anderem dazu führte, dass die Min­dest­rente 2014 nicht erhöht wurde. Gleich­zei­tig führten das lang­same Wachs­tum der Min­dest­ren­ten und die feh­lende Inde­xie­rung der Renten an die Infla­tion zwi­schen 2014 und 2017 zum Rück­gang der realen Durchschnittsrenten.

Die Trag­fä­hig­keit des Ren­ten­sys­tems ist auch deshalb in Gefahr, weil auf einen Rentner ein Bei­trags­zah­ler kommt. Dies ist teil­weise auf eine ver­gleichs­weise hohe Zahl infor­mel­ler Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nisse zurück­zu­füh­ren. Darüber hinaus kommt es vor, dass selbst regulär Beschäf­tigte offi­zi­ell einen Lohn etwa in Höhe des Min­dest­lohns erhal­ten und der Rest dann inof­fi­zi­ell aus­ge­zahlt wird, was die Bei­trags­ba­sis der Ren­ten­ver­si­che­rung unter­gräbt. Das Ren­ten­ni­veau betrug im Jahr 2017 laut Sozi­al­mi­nis­te­rium 34 Prozent – das ist im inter­na­tio­na­len Ver­gleich ein nied­ri­ger Wert, was eben­falls zu gerin­gen Anrei­zen führt, sich am System zu beteiligen.

Ange­sichts all dieser Her­aus­for­de­run­gen erar­bei­tete die Regie­rung eine Ren­ten­re­form, die Ver­än­de­run­gen am Umla­ge­sys­tem vornahm. Mit der Reform wird das Ziel ver­folgt, die Trag­fä­hig­keit des Ren­ten­sys­tems durch ein höheres Ren­ten­ein­tritts­al­ter, das Gewäh­ren stär­ke­rer Anreize für die erwerbs­tä­tige Bevöl­ke­rung, Bei­träge zu zahlen, und durch eine Begren­zung von Ren­ten­pri­vi­le­gien zu erhöhen. Eine umfas­sende Ren­ten­re­form gehörte auch zu den Ver­ein­ba­run­gen mit dem IWF über Refor­men, die von der Erwei­ter­ten Fonds­fa­zi­li­tät gestützt wurden.

Die Ren­ten­re­form von 2017

Am 3. Oktober 2017 stimmte das Par­la­ment der Novelle zum Ren­ten­ge­setz zu. Der ver­ab­schie­dete Gesetz­ent­wurf stellte einen Kom­pro­miss zwi­schen der Geset­zes­vor­lage der Regie­rung und Hun­der­ten Ände­run­gen der Abge­ord­ne­ten dar. Zu den am Ende ange­nom­me­nen Punkten gehör­ten sowohl Ren­ten­er­hö­hun­gen für der­zei­tige Rentner als auch etwas gerin­gere Renten für zukünf­tige Rentner. Beson­ders die Renten der der­zei­ti­gen Rentner wurden ab Oktober 2017 ange­passt, und zwar durch die Anhe­bung des bei der Berech­nung der Ren­ten­höhe ange­setz­ten Durch­schnitts­lohns. Rentner, die vor län­ge­rer Zeit in den Ruhe­stand getre­ten waren, erhiel­ten Anspruch auf eine stär­kere Ren­ten­er­hö­hung. Gleich­zei­tig wurde einigen Rentner keine oder eine sehr geringe Ren­ten­er­hö­hung gewährt: Das traf auf die­je­ni­gen zu, die vor kurzem in Rente gegan­gen waren, oder auf Men­schen, bei denen die neu­be­rech­nete Rente gerin­ger als der gesetz­lich defi­nierte Min­dest­wert war oder diesem Min­dest­wert in etwa entsprach.

Ab 2018 wurde die Min­dest­ver­si­che­rungs­zeit für einen Anspruch auf Alters­rente von 15 auf 25 Jahre erhöht. Die Min­dest­ver­si­che­rungs­zeit ist dann bis zum Jahr 2028 stu­fen­weise von 25 auf 35 Jahre zu erhöhen. Das regu­läre Ren­ten­ein­tritts­al­ter für Per­so­nen mit kom­plet­ter Ver­si­che­rungs­zeit wird bei 60 Jahren bleiben. Gleich­zei­tig wird es Per­so­nen mit einer unvoll­stän­di­gen Ver­si­che­rungs­zeit, die aber länger ist als 15 Jahre, möglich sein, mit 63 Jahren in Rente zu gehen. Wer nicht 15 Jahre lang ver­si­chert war, wird mit 65 Jahren in Rente gehen können und eine Sozi­al­rente in Höhe des Exis­tenz­mi­ni­mums erhal­ten, die auch für Men­schen die ihre Erwerbs­fä­hig­keit ver­lo­ren haben, gedacht ist. Die Min­dest­al­ters­rente wird 40 Prozent des Min­dest­lohns betra­gen. Wer nicht über die erfor­der­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rungs­zei­ten verfügt, kann einen Pau­schal­ver­si­che­rungs­bei­trag ent­rich­ten, um Anspruch zu erlangen.

Gerin­gere Renten für neue Renter und Abschaf­fung von Son­der­ren­ten soll Defizit der Ren­ten­kasse beheben

Die Ren­ten­re­form legte wei­ter­hin fest, dass für das Ren­ten­konto nur die Zeiten berück­sich­tigt werden, in denen Ren­ten­ver­si­che­rungs­bei­träge (zumin­dest in Min­dest­höhe) gezahlt wurden. Gleich­zei­tig werden neue Rentner, wenn sie in den Ruhe­stand treten, gerin­gere Renten erhal­ten – ver­gleicht man diese Renten mit den alten Rege­lun­gen. Jedes Ver­si­che­rungs­jahr bringt nun eine Rente in Höhe von 1 Prozent des Jah­res­lohns ein (inde­xiert durch den wach­sen­den Durch­schnitts­lohn), im Gegen­satz zu vorher 1,35 Prozent. Die Regie­rung führte aber eine auto­ma­ti­sche Inde­xie­rung der Renten an den Mit­tel­wert von Ver­brau­cher­in­fla­tion und Lohn­wachs­tum ein, was Rentner vor einem starken Rück­gang der Kauf­kraft in Zeiten makro­öko­no­mi­scher Insta­bi­li­tät schüt­zen wird.

Die Regie­rung schaffte außer­dem die Son­der­ren­ten für Beamte, Wis­sen­schaft­ler, Abge­ord­nete und so weiter ab. Nach Schät­zun­gen der Regie­rung wird die im Jahr 2017 ver­ab­schie­dete Ren­ten­re­form das Defizit der Ren­ten­kasse bis 2028 beheben. Das erscheint zu opti­mis­tisch, beson­ders da die offi­zi­elle Schät­zung vor­ge­nom­men wurde, bevor die Eini­gung im Par­la­ment erzielt wurde, die neben wei­te­ren Ände­run­gen eine höhere als ursprüng­lich geplante Min­dest­rente zur Folge hatte.

Ein­füh­rung der zweiten Säule des Ren­ten­sys­tems – Pla­nun­gen für 2019

Die 2017 ver­ab­schie­dete und ein­ge­führte Ren­ten­re­form stellt eine Reform der umla­ge­fi­nan­zier­ten Alters­si­che­rung dar. Sie wird die Trag­fä­hig­keit des Ren­ten­sys­tems der Ukraine wahr­schein­lich erhöhen, was in Zukunft stabile Ren­ten­zah­lun­gen an Men­schen im Ruhe­stand gewähr­leis­ten wird. Dennoch wird das Ren­ten­ni­veau nach offi­zi­el­len Schät­zun­gen weiter niedrig bleiben (bei 35 Prozent im Jahr 2028). Um höhere Renten für zukünf­tige Rentner gewähr­leis­ten zu können, hat die Regie­rung daher ange­kün­digt, die zweite Säule des Ren­ten­sys­tems (Säule der Akku­mu­la­tion) ein­zu­füh­ren. Erste Schritte zur Umset­zung sollen bereits 2019 unter­nom­men werden.

In den Dis­kus­sio­nen über die Ein­füh­rung der zweiten Säule des Ren­ten­sys­tems geht es zurzeit um ver­schie­dene Fragen, unter anderem um den Zeit­punkt der Ein­füh­rung und um die Aus­ge­stal­tung des Systems. Einer der Haupt­kri­tik­punkte, was die Ein­füh­rung der zweiten kapi­tal­ge­deck­ten Säule im Jahr 2019 betrifft, ist vor allem der Mangel an Anla­ge­instru­men­ten auf dem Markt auf­grund der unter­ent­wi­ckel­ten Börse. Die Wei­ter­ent­wick­lung der Börse erfor­dert neben wei­te­ren Maß­nah­men den Schutz der Eigen­tums­rechte. Diese Maß­nah­men sollten vor der Ein­füh­rung der zweiten Säule des Ren­ten­sys­tems ergrif­fen werden. Was die Aus­ge­stal­tung des Systems angeht, gibt es unter­schied­li­che Vor­stel­lun­gen darüber, wer diese Kom­po­nente der Ren­ten­ver­si­che­rung anbie­ten soll: eine staats­ei­gene – Kapital ansam­melnde – Ren­ten­kasse oder ver­schie­dene Akteure der pri­va­ten Rentenversicherungen.

Fazit

Daher ist der Start­schuss für die Ren­ten­re­form in der Ukraine gerade erst gefal­len, sie ist nun auf ihrem Weg. Noch ist nicht bekannt, wohin die Reise genau geht. Es ist jedoch klar, dass die Ren­ten­kasse für die Ent­wick­lung von Trag­fä­hig­keit Wirt­schafts­wachs­tum benö­tigt. Die Ukraine sollte weiter in ver­schie­de­nen Berei­chen Refor­men durch­set­zen. Das schließt auch die Jus­tiz­re­form mit ein, die zu einem guten Schutz der Eigen­tums­rechte bei­tra­gen wird. Die Regie­rung sollte in den Haus­halts­plan einen mit­tel­fris­ti­gen Aus­ga­ben­rah­men ein­füh­ren und für län­ger­fris­ti­gen Erfolg damit begin­nen, die Haus­halts­aus­ga­ben mit Blick auf die alternde Gesell­schaft zu planen. Die Finanz­markt­re­form sollte wei­ter­ver­folgt werden. Davon abge­se­hen sollte die Regie­rung die Dere­gu­lie­rung fort­set­zen, was zu bes­se­ren Rah­men­be­din­gun­gen für die Wirt­schaft bei­tra­gen wird. Die zu erle­di­gen­den Haus­auf­ga­ben sind umfang­reich. Aber sie sind machbar.


Eine aus­führ­li­che Version des Arti­kels erschien in Ausgabe 200 der Ukrai­ne­Ana­ly­sen. Wir danken der Ukrai­ne­Ana­ly­sen-Redak­tion und der Autorin für die Erlaub­nis zum Nachdruck.

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