Präsident und Oligarch – aus Freunden werden Feinde?
Der ukrainische Oligarch Ihor Kolomojskyj wurde mit US-Sanktionen belegt. Jetzt muss Präsident Wolodymyr Selenskyj entscheiden, ob er gegen ihn vorgehen will.
Am 5. März hat der neue US-Außenminister Antony J. Blinken Sanktionen gegen den ukrainischen Oligarchen Ihor Kolomojskyj und seine Angehörigen angekündigt wegen der „Beteiligung an bedeutenden Korruptionshandlungen”. Diese Sanktionen haben die Rolle der USA als Reformtreiber in der Ukraine wiederhergestellt und machen deutlich, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mehr tun muss um die Korruption in seinem Land zu bekämpfen. Der neue Präsident Joe Biden hat früher schon häufiger die Rolle des Reformtreibers gespielt, während mehrerer Besuche in Kyjiw als Vizepräsident in der Obama-Administration. Sein Aufruf, die Korruption zu bekämpfen, hat sowohl damals als auch jetzt große Resonanz in der Ukraine gefunden.
Diese Entwicklungen bringen Selenskyj in eine schwierige Position und stellen einen wichtigen Test für seine Präsidentschaft dar. Offen gegen Oligarchen aufzutreten ist, das ist in der Ukraine immer noch politisch gefährlich. Und Kolomojskyj ist für Selenskyj kein normaler Oligarch. Denn Selenskyj verdankte seine Präsidentschaft in entscheidendem Maße Kolomojskyjs Medienimperium. Aus diesem Grund behaupteten seine Kritiker, dass er nur eine Marionette des Oligarchen sei. In letzter Zeit hat Selenskyj aber versprochen, neue Maßnahmen gegen Oligarchen zu ergreifen. Jedoch haben das vor ihm viele ukrainische Präsidenten schon gemacht, immer ohne durchschlagenden Erfolg.
Die neuen US-Sanktionen sind eher symbolisch als funktional. Kolomojskyj darf nun mit seiner Familie nicht mehr in die USA einreisen. Begründet werden die Maßnahmen mit der „Beteiligung an Korruptionshandlungen“ während Kolomojskyjis Amtszeit in den Jahren 2014 und 2015 als Gouverneur im Oblast Dnipropetrowsk, sowie mit der Veruntreuung von Geldern für den Erwerb von Immobilien in den USA.
Eigentlich ist der Oligarch besser bekannt für einen anderen Machtmissbrauch. Zuvor konzentrierte sich die Kritik an ihm auf die Geschäftspraxis der Privatbank, die Kolomojskyj 1992 mitgegründet hat. Die Bank war der größte Kreditgeber der Ukraine und wurde 2016 verstaatlicht, nachdem die Aufsichtsbehörden ein „Loch“ in Höhe von 5,5 Mrd. USD in ihrer Bilanz gefunden hatten. In Gerichtsverfahren, die mit den Sanktionen nicht direkt verbunden sind, untersucht die US-Bundespolizei FBI auch US-Firmen, die Kolomojskyj dabei geholfen haben sollen, Gewerbe- und Industrieimmobilien in Texas, Kentucky und Ohio zu erwerben. Diese Verfahren sind viel gefährlicher für Kolomojskyj als die jetzigen Sanktionen.
Unterschiede zwischen russischen und ukrainischen Oligarchen
Kolomojskyj ist nicht der erste Oligarch, gegen den die US-Behörden vorgehen, aber die Motivationen für Sanktionen können unterschiedlich sein. Russische Oligarchen werden beispielsweise sanktioniert für das, was sie für den Staat tun, aber ukrainische Oligarchen für das, was sie dem Staat antun. Kolomojsky ist eine Art wilder und freier Oligarch, wie es ihn in Russland gar nicht mehr gibt. Sowohl die russischen als auch die ukrainischen Oligarchen haben ihre Geschäftsimperien in den 1990er Jahren mit der Privatisierung staatlicher Vermögenswerte aufgebaut. Doch in Russland hat Präsident Wladimir Putin die Oligarchen gezwungen, für den russischen Staat zu arbeiten. Oligarchen, die das nicht machen wollten, wurden aus dem Land vertrieben wie Boris Beresowski und Michail Chodorkowski.
Kolomojskyj arbeitet mit dem Staat nur zusammen, wenn es seinen Interessen entspricht, und gegen den Staat, wenn dies nicht der Fall ist. Diese Einstellung führte 2015 zu einem Zusammenstoß mit einem anderen ukrainischen Oligarchen, dem ehemaligen Präsidenten Petro Poroschenko, als Kolomojskyj noch der Gouverneur der Oblast Dnipropetrowsk war. Poroschenko hat ihn entlassen, und danach herrschte quasi Krieg zwischen den beiden und Kolomojskyj ist ins freigewählte Exil gegangen (neben der ukrainischen besitzt er auch die israelische und zypriotische Staatsbürgerschaft).
Alte Seilschaften
Dieser Konflikt mit Poroschenko führte dazu, dass Kolomojskyj sehr früh die politische Kampagne von Selenskyj unterstützt hat. Die Partnerschaft zwischen Kolomojskyj und Selenskyj hat im Medienbereich angefangen. Selenskyjs Produktionsunternehmen zeigten ihre Programme auf den Kanälen Kolomojskyjs, einschließlich der überaus populären Serie “Diener des Volkes”, in dem Selenskyj einen Lehrer spielte, der plötzlich Präsident wird und gegen das von Oligarchen dominierte System kämpft. Selenskyj hat seine Wahlkampagne auf diesen Charakter aufgebaut. Als Selenskyj seine Präsidentschaftskampagne offiziell angekündigte, tat er dies am Silvesterabend auch auf einem Kanal Kolomojskyjs. Der Kanal zeigte Selenskyjs Ankündigung anstelle der üblichen Neujahrsansprache von Poroschenko. Selenskyj war auch der Synchronsprecher für die Stimme von Ronald Reagan in einem Dokumentarfilm über dessen Präsidentschaft, der ebenfalls von einem Kolomojskyj-Kanal ausgestrahlt wurde.
Während der Kampagne hatten Journalisten von den Kanälen Kolomojskyjs Zugang zu Selenskyj, den andere Journalisten nicht hatten, und dabei haben sie ständig positiv über ihn berichtet. Dies war ein Gegengewicht zu den Kanälen von Poroschenko, die das gleiche für Poroschenko gemacht haben.
Nachdem Selenskyj die Wahl gewonnen hatte, war die genaue Beziehung zwischen den beiden Männern nicht ganz klar. Das Präsidialamt hat Fotos von Kolomojskyjs ersten Besuch veröffentlicht, was in den ukrainischen Medien ausführlich kommentiert wurde. Der erste Leiter der Präsidialverwaltung Selenskyjs war Andrij Bohdan, der früher persönlicher Anwalt Kolomojskyjs war. Aber Bohdan wurde im Februar 2020 entlassen und durch einen engen Verbündeten Selenskyjs ersetzt. Am Anfang glaubten viele Beobachter, dass Selenskyj die Privatbank an Kolomojskyj zurückgeben wird oder Entschädigungen an ihn zahlt, aber das ist nicht passiert.
Mit Joe Bidens Hilfe könnte Selenskyj endlich ernsthaft gegen die Oligarchisierung kämpfen
In den letzten Wochen hat Selenskyj eine stärkere Bereitschaft gezeigt, gegen Oligarchen vorzugehen. Am 2. Februar hat er drei pro-russische Fernsehsender blockieren lassen, die dem Oligarchen Wiktor Medwedtschuk gehören. Schon vor der Bekanntgabe der Sanktionen gegen Kolomojskyj hat Selenskyjs Pressesprecherin Iuliia Mendel einen Artikel auf der Webseite des US-amerikanischen Thinktank The Atlantic Council veröffentlicht mit der Überschrift, “Selenskyj will die Oligarchen-Ära der Ukraine beenden”. In einem Interview sagte sie, dass die US-amerikanischen Sanktionen gegen Kolomojskyj kein Ende sind, sondern ein Anfang.
US-Sanktionen wurden bereits einmal genutzt, um einen Kolomojskyj-Anhänger loszuwerden. Dies war der Fall bei Olexander Dubinskyj, der früher als Fernsehmoderator bei einem Fernsehkanal Kolomojskyjs arbeitete. 2019 war er Abgeordneter von Selenskyjs Partei „Diener des Volkes“ im ukrainischen Parlament geworden. Im Januar wurde er wegen möglicher Wahlbeeinflussung in den USA auf die US-Sanktionsliste gesetzt. Er war verbunden mit den Bemühungen der Unterstützer des damaligen Präsidenten Donald Trump, Joe Biden und dessen Sohn Hunter zu beschmutzen. In März 2020 wurde er aus der Selenskyj-Partei ausgeschlossen, mit ausdrücklicher Zustimmung Selenskyjs.
Die Biden-Administration hat ihren Wunsch gezeigt, die USA auf der Weltbühne wieder zu etablieren. Weitere Sanktionen gegen Kolomojskyj werden wahrscheinlich folgen. Diese Sanktionen bieten Selenskyj politische Rückendeckung gegen Kolomojskyj und andere ukrainische Oligarchen. Doch das Medienimperium, von dem er zuvor profitiert hatte, wird sich dann aller Wahrscheinlichkeit nach gegen ihn wenden. Die Abgeordneten der Fraktion „Dieners des Volkes“, die Kolomojskyj gegenüber loyal sind, werden noch mehr als bisher gegen Selenskyj arbeiten und die Partei weiter spalten. Aber Selenskyj könnte zeigen, dass er sein eigener Herr ist und die Durchführung von Reformen ernst nimmt.
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