Die zwei Gesichter des Wolodymyr Selenskyj
Gerade als sich Wolodymyr Selenskyj mit einem neuen Gesetz als Kämpfer gegen die Oligarchen positioniert hat, enthüllen die „Pandora Papers“, dass der Präsident Offshore-Firmen hält, die wohl auf Umwegen vom Oligarchen Ihor Kolomojskyj bezahlt wurden. Das ist wohl kein bedeutender Rechtsverstoß, der Imageschaden aber bleibt. Zudem ist das Anti-Oligarchengesetz höchst problematisch.
In den so genannten Pandora Papers werden gleich 38 ukrainische Politiker genannt, die Einnahmen in Offshore-Häfen geparkt haben – mehr als aus irgendeinem anderen Land weltweit. Angeführt wird die ukrainische Liste ausgerechnet von Präsident Selenskyj, der gerade ein fragwürdiges Anti-Oligarchen-Gesetz durchs Parlament peitschen ließ.
Die ukrainische Version der Recherche des internationalen Journalisten-Konsortiums ICIJ, die von dem unabhängigen Portal Slidstvo.info durchgeführt wurde, hat binnen drei Tagen 1,1 Millionen Zugriffe bei Youtube erzielt. Obwohl einiges daraus schon bekannt war, fügt es vor allem international dem Image des Ex-Komikers und Fernsehunternehmers Selenskyj Schaden zu.
Seit 2012 produziert Selenskyjs Produktionsfirma Kwartal 95 Inhalte für die vom Oligarchen Ihor Kolomojskyj kontrollierte Medienholding 1+1. Dazu zählt neben mehreren Serien die Satire-Show Wetschirnij Kwartal (Abendquartal), die zu den beliebtesten Sendungen des Landes gehört. Ausgerechnet zu dieser Zeit entstanden laut Slidstvo.info in mehreren Offshore-Territorien wie den Britischen Jungferninseln mehr als zehn Firmen, die mit dem Kwartal-Management in Verbindung gebracht werden konnten. An dem Hauptunternehmen Maltex Multicapital Corp., besaßen Selenskyj und seine Frau Olena mit Stand 2017 gemeinsam 25 Prozent der Anteile. Weitere Anteile waren im Besitz von anderen führenden Kwartal-Köpfen wie Serhij Schefir, der heute als erster Berater des Präsidenten tätig ist.
Kurz vor seinem Amtsantritt 2019 sollen Selenskyj und seine Frau Olena ihre Anteile an Schefir übergegeben haben. Dabei hatte der ukrainische Präsident bereits für 2018 keine Maltex-Anteile deklariert, obwohl er offenbar welche besaß. Das Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) berichtet jedoch auch, dass Maltex offenbar prinzipiell Dividendenzahlungen an eine Firma zusagte, die mittlerweile Olena Selenska gehört. Ob es bereits tatsächlich Zahlungen gegeben hat, bleibt unklar.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Kolomojskyjs Holding die Arbeit der verschiedenen Produktionsfirmen über Offshore-Kanäle bezahlte. Der umstrittene Oligarch bekannte in einer Talkshow des bekannten Moderators Sawik Schuster, dass er dessen Firma über einen „Offshore-Vertrag” bezahlt. Wegen des lückenhaften Urheberrechts ist es gängige Praxis bei ukrainischen Produktionsfirmen, auch bei Kwartal 95, sich in einer ausländischen Gerichtsbarkeit wie Zypern zusätzlich abzusichern.
Bereits 2019 gab es Gerüchte, dass Selenskyjs Offshore-Firmen über Zypern zwischen 2012 und 2016 mehr als 40 Millionen US-Dollar von der Privatbank, der größten Bank der Ukraine, die früher Kolomojskyj gehörte und Ende 2016 verstaatlicht wurde, überwiesen bekamen. Damals wurden diese Informationen von einem Verbündeten des Ex-Präsidenten und politischen Rivalen Selenskyjs, Petro Poroschenko, verbreitetet. Die Pandora Papers bestätigen den Zusammenhang hinter den erwähnten Firmen und Selenskyj, laut OCCRP gibt es aber keine Beweise, dass die Millionen wirklich überwiesen wurde.
Slidstvo.info berichtet dagegen mit Verweis auf eigene Quellen, dass die Überweisung doch erfolgte – und zwar als Kapitalerhöhung, so dass keine Einkommenssteuer anfiel. Die Firmen, die Geld direkt an Unternehmen aus Selenskyjs Umgebung zahlten, werden demnach verdächtigt, Privatbank-Gelder gewaschen zu haben. Kolomojskyj wird unter anderem vom US-Justizministerium vorgeworfen, als Besitzer der Bank vor deren Verstaatlichung große Summen gewaschen zu haben.
Vom Wirtschaftsmedium Liga.net befragte Experten sehen aber in den ursprünglichen Berichten keine Beweise für Geldwäsche und vor allem für eine Schuld der Kwartal-Firmen. Gut möglich ist, dass die Offshore-Firmen der Kolomojskyj-Medienholding schlicht mit Privatbank-Krediten operierten, was kaum bedeuten kann, dass Kwartal an Geldwäsche rund um die größte Bank der Ukraine teilnahm. Erwiesene Gesetzverstoße seien dem Präsidenten auch nicht vorzuwerfen, urteilt der Liga-Bericht.
Dennoch steht Selenskyj nun nicht nur aufgrund seiner Kampagne zur De-Oligarchisierung, sondern auch wegen seiner harten Kritik an den Offshore-Tätigkeiten seines Vorgängers Poroschenko, die bereits 2016 in den „Panama Papers“ behandelt wurden, in schlechtem Licht.
Zweifelhaftes Eiltempo in der Rada
Doch auch der Kampf gegen die Oligarchen läuft nicht rund. Im Juni 2021 reichte Selenskyj das Projekt für ein „Oligarchengesetz“, das grundsätzlich den politischen Einfluss großer Unternehmer beschneiden soll, im Parlament, der Rada, ein. Obwohl der Entwurf noch roh war, wurde er in der ersten Lesung verabschiedet. Zur zweiten Lesung Ende September registrierten die Abgeordneten mehr als 1.000 Änderungsvorschläge, weshalb die Abstimmung eigentlich mindestens mehrere Tage dauern sollte. Dann wurde aber mit den Stimmen der Präsidentenfraktion und kleinerer Abgeordnetengruppen beschlossen, nur über die elf Vorschläge abzustimmen, so dass das Gesetz quasi im Eiltempo verabschiedet wurde. Rechtlich ist dieses Vorgehen zumindest fraglich.
Bereits am Tag nach der Abstimmung wurde außerdem klar, dass die Prozedur insgesamt nach hinten losging, denn die angenommenen Änderungsvorschläge widersprechen sich in mehreren Teilen deutlich. Der mit Selenskyj im Streit liegende Parlamentsvorsitzende Rasumkow will das Gesetz unterschreiben, hat das aber noch nicht gemacht. Überhaupt ist unklar, wie lange Rasumkow sich im Amt halten kann. Ebenfalls nicht klar ist, wie Selenskyj und seine Fraktion das entstandene Problem konkret lösen wollen.
Dennoch ist davon auszugehen, dass die Saga mit dem Oligarchengesetz nun fast durch ist – abgesehen davon, dass die Menschenrechtsbeauftragte Ljudmyla Denissowa noch vor der zweiten Lesung eine Verfassungsklage ankündigte, weil das Gesetz den Präsidenten und den von ihm geleiteten Sicherheitsrat mit in der Verfassung nicht vorgesehenen Befugnissen ausstattet. Bis Mitte September soll auch die für Verfassungsrecht zuständige Venedig-Kommission des Europarats ihre Erkentnisse zu dem Gesetz präsentieren.
In dem Regelwerk wird zunächst der Begriff Oligarch gesetzlich definiert. Dabei sollen vier Kriterien gelten: Ein Unternehmer muss am politischen Leben des Landes teilnehmen, eine Monopolstellung in einem Wirtschaftssektor, bedeutenden Einfluss auf die Medien und ein bestätigtes Vermögen von umgerechnet rund 83 Millionen US-Dollar besitzen. Wer nur drei dieser Kriterien erfüllt, wird als Oligarch geführt. Darüber soll aber kein Gericht, sondern der Nationale Sicherheitsrat entscheiden. Potentielle Kandidaten müssen vorher informiert werden und dürfen an der entsprechenden Sitzung teilnehmen.
In einem halben Jahr, wenn das Gesetz planmäßig in Kraft treten soll, sollen Oligarchen keine politischen Parteien oder Demonstrationen finanzieren dürfen und von großen Privatisierungsprojekten ausgeschlossen sein. Zusätzlich müssen sie dann jährlich eine umfassende Eigentum-Erklärung im Internet veröffentlichen. Einschränkungen gibt es auch für Staatsbeamte, die sich mit so gelisteten Oligarchen treffen. Abgesehen von öffentlichen Veranstaltungen müssen die Treffen beim Sicherheitsrat deklariert werden, sonst droht den Beamten die Entlassung.
Ist das Oligarchen-Gesetz in Wirklichkeit ein Lex Poroschenko?
Zur großen Hürde für die großen Oligarchen wie Rinat Achmetow, Wiktor Pintschuk und eben Ihor Kolomojskyj dürfte das Gesetz nicht werden, zumal die Parteienfinanzierung in der Ukraine äußerst selten auf dem direkten Wege erfolgt. Dies erklärt auch, warum einige, von Oligarchen kontrollierten kleineren Abgeordnetengruppen für das Gesetz stimmten.
Darüber hinaus ist die größte Kritik an dem Vorhaben tatsächlich, dass der Sicherheitsrat, der zuletzt mit Verhängung von zahlreichen Sanktionen ohnehin eine ungewöhnlich wichtige Rolle im ukrainischen Staatssystem spielt, noch mehr Befugnisse bekommt. Laut Verfassung ist er lediglich ein Beratungsorgan und dürfte nicht darüber entscheiden, ob ein Unternehmer als Oligarch eingestuft werden soll.
Als Vorsitzender des Sicherheitsrates bekommt Selenskyj nun auch noch mehr Möglichkeiten, Druck auf politische Konkurrenten auszuüben: Die besten Karten, auf die Liste gesetzt zu werden hat ausgerechnet Ex-Präsident Poroschenko, der mit Kanal 5 und Prjamyj („Direkt“) zwei Fernsehsender besitzt. Weil der durchschnittliche Ukrainer von den Oligarchen kaum begeistert ist, bekommt Selenskyj auch im Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2024 ein neues Instrument für die mögliche Wiederwahl. Dass der Präsident selbst aber in der Vergangenheit von einem Oligarchen bezahlte Offshore-Verbindungen hatte, dürfte im Wahlvolk nicht unregistriert bleiben. Und so werden die „Pandora Papers“ einen langen Schatten auf Selenskyjs De-Olichargisierung-Initiativen werfen.
Hier geht es zur Original-Recherche der „Pandora Papers“:
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