Argu­men­ta­ti­ons­grund­lage zu Ukraine-Themen. Teil 3

Ener­gie­sek­tor, Reha­bi­li­ta­tion und Minenräumen

Das Trans­at­lan­tic Dia­lo­gue Center, gemein­sam mit dem Zentrum Libe­rale Moderne und Open Plat­form, hat zen­trale Argu­mente zur Unter­stüt­zung der Ukraine zusam­men­ge­fasst. Das Papier ist in drei The­men­be­rei­che geglie­dert und behan­delt ver­schie­dene Themen: von der mili­tä­ri­schen Hilfe für die Ukraine, über stren­gere Sank­tio­nen gegen Russ­land, die Rück­füh­rung depor­tier­ter Kinder, bis hin zur Unter­stüt­zung für den Ener­gie­sek­tor, Reha­bi­li­ta­ti­ons­maß­nah­men und Minenräumung.

Teil 1: Mili­tä­ri­sche Unter­stüt­zung und Sicher­heits­ga­ran­tien für die Ukraine
Teil 2: Beschlag­nah­mung rus­si­schen Staats­ver­mö­gens, Ver­schär­fung der Sank­tio­nen und Rück­füh­rung der zwangs­de­por­tier­ten ukrai­ni­schen Kinder
Alle Teile

1. Unter­stüt­zung für den Ener­gie­sek­tor der Ukraine

  • Seit Beginn des Krieges (2014) hat sich Russ­land darauf kon­zen­triert, kri­ti­sche Infra­struk­tur anzu­grei­fen, um die Ukraine unbe­wohn­bar zu machen. Das Ziel dieser Stra­te­gie ist es, das Land zu ent­völ­kern, die Wirt­schaft zu rui­nie­ren und Ver­sor­gungs­ket­ten nach­hal­tig zu zer­stö­ren.
  • Vor der Inva­sion betrug die elek­tri­sche Kapa­zi­tät der Ukraine 36 GW.[1] Auf­grund inten­si­ver Rake­ten­an­griffe und der Beset­zung des Kern­kraft­werks Sapo­rischschja pro­du­ziert das Land jetzt nur noch 9 GW – gerade genug, um von Herbst auf Winter zu wech­seln, aber bei weitem nicht aus­rei­chend für extreme Sommer- und Winterwetterbedingungen.
  • 80 Prozent der Wär­me­kraft­werke sowie über 30 Prozent der Was­ser­kraft­werke sind zer­stört;[2]
  • Obwohl die Ukraine Strom aus Europa impor­tie­ren kann, ist diese Kapa­zi­tät auf 2,1 GW begrenzt, mit einer poten­zi­el­len Erhö­hung auf 2,3 GW. 
  • Erneu­er­bare Ener­gien und dezen­trale Ener­gie­er­zeu­gung spielen eine sehr wich­tige Rolle bei der Stär­kung der Wider­stands­fä­hig­keit der ukrai­ni­schen Ener­gie­infra­struk­tur, bieten jedoch auch keine unmit­tel­bare Lösung. Der Wie­der­auf­bau oder die Repa­ra­tur großer Anlagen wie Koh­le­kraft­werke (TPPs), Was­ser­kraft­werke (HPPs) oder Block­heiz­kraft­werke (CHPs) erfor­dert Jahre und Mil­li­ar­den von Dollar an Inves­ti­tio­nen, da diese durch Luft­ab­wehr geschützt werden müssen.
  • Die Aus­gleichs­ka­pa­zi­tä­ten der Ukraine gehören zu den Haupt­zie­len Russ­lands bei Angrif­fen auf das Ener­gie­sys­tem. Während die Ukraine ihre Aus­gleichs­ka­pa­zi­tä­ten, ein­schließ­lich der Gas­pro­duk­tion und Bat­te­rie­spei­cher­sys­teme (BESS), erwei­tern muss, sind auf­grund der hohen kriegs­be­ding­ten Risiken keine groß ange­leg­ten Inves­ti­tio­nen zu erwarten.
  • Die Zer­stö­rung der Abflug­orte rus­si­scher Kampf­jets wäre der bil­ligste Weg, die Bevöl­ke­rung und die Infra­struk­tur in der Ukraine zu schüt­zen. Andern­falls wird die Zer­stö­rung des ukrai­ni­schen Ener­gie­sys­tems wei­ter­ge­hen. [3]
  • Die Bereit­stel­lung ange­mes­se­ner Luft­ver­tei­di­gung (ein­schließ­lich aus­rei­chen­der Muni­tion) zum Schutz der Städte und der kri­ti­schen Infra­struk­tur wäre jetzt eben­falls güns­ti­ger, als mit einem erneu­ten Anstieg von Flücht­lings­be­we­gun­gen kon­fron­tiert zu werden. Durch die Zer­stö­rung der Ener­gie­infra­struk­tur werden ukrai­ni­sche Städte ohne Strom und Wärme, vor allem in den kalten Win­ter­mo­na­ten aber auch im heißen Sommer, unbe­wohn­bar. Das Kieler Insti­tut schätzt, dass die euro­päi­schen Regie­run­gen seit Beginn der groß ange­leg­ten Inva­sion bereits über 43 Mil­li­ar­den Euro für die Unter­brin­gung von Geflüch­te­ten aus der Ukraine aus­ge­ge­ben haben.
  • Trotz des Krieges gibt es einige Koope­ra­ti­ons­be­rei­che im Ener­gie­sek­tor, die zur grünen Trans­for­ma­tion Europas bei­tra­gen und drin­gend benö­tigte Ein­nah­men für die ukrai­ni­sche Wirt­schaft bringen können. Ein Bei­spiel könnte der Import von ukrai­ni­schem Bio­me­than sein, das durch ein von der EU aner­kann­tes frei­wil­li­ges System zer­ti­fi­ziert ist. Ein wei­te­res Bei­spiel ist die Aner­ken­nung der ukrai­ni­schen Her­kunfts­nach­weise für erneu­er­bare Energien.
  • Die Unter­stüt­zung der Ukraine steht im Ein­klang mit Europas Über­gang weg von der Abhän­gig­keit von rus­si­scher fos­si­ler Energie. Eine stabile Ukraine könnte auch eine wich­tige Rolle in der Ener­gie­wende der EU spielen und einen Beitrag zur Diver­si­fi­zie­rung der Ener­gie­ver­sor­gung leisten. 

2. Unter­stüt­zung bei der Reha­bi­li­ta­tion ukrai­ni­scher Kriegs­ve­te­ra­nen und betrof­fe­ner Zivilisten

  • Im Sep­tem­ber 2024 hat Deutsch­land zusätz­li­che 50 Mil­lio­nen Euro für die Auf­nahme und Behand­lung ver­wun­de­ter ukrai­ni­scher Sol­da­ten bereit­ge­stellt. Laut dem Bun­des­mi­nis­te­rium für Gesund­heit wurden bereits 173 schwer ver­letzte und trau­ma­ti­sierte ukrai­ni­sche Sol­da­ten und Zivi­lis­ten in deut­schen Kli­ni­ken behan­delt. [4] Diese Zahl ist im Ver­gleich zur tat­säch­li­chen Anzahl der Ver­wun­de­ten, die lang­fris­tige Pflege und Reha­bi­li­ta­tion benö­ti­gen, relativ gering.
  • Vete­ra­nen stehen oft vor Her­aus­for­de­run­gen bei der Anpas­sung und erfah­ren unzu­rei­chende Auf­merk­sam­keit für ihre psy­chi­sche Gesund­heit nach ihrer Ent­las­sung, was zu sozia­ler Iso­la­tion und einem Rück­gang ihres Wohl­be­fin­dens führt. Trotz der aktiven Unter­stüt­zung durch ukrai­ni­sche Frei­wil­lige, die psy­cho­lo­gi­sche und soziale Akti­vi­tä­ten orga­ni­sie­ren, benö­ti­gen Vete­ra­nen einen sys­te­ma­ti­schen Ansatz und Unter­stüt­zung durch die Regie­rung und Orga­ni­sa­tio­nen für eine effek­tive Inte­gra­tion in die Gesell­schaft. [5]
  • Für eine effek­tive Unter­stüt­zung von Vete­ra­nen ist es wichtig, psy­cho­lo­gi­sche Reha­bi­li­ta­ti­ons­pro­gramme zu ent­wi­ckeln, die indi­vi­du­elle Bera­tung, Grup­pen­the­ra­pie und Schu­lun­gen beinhal­ten, sowie soziale Pro­jekte zu finan­zie­ren, die ihnen bei der Anpas­sung helfen. Die Ein­be­zie­hung qua­li­fi­zier­ter Psy­cho­lo­gen und Sozi­al­ar­bei­ter, die Aus­bil­dung von Frei­wil­li­gen und die Orga­ni­sa­tion sozia­ler Akti­vi­tä­ten werden dazu bei­tra­gen, die Qua­li­tät der Unter­stüt­zung zu ver­bes­sern und die Inte­gra­tion von Vete­ra­nen in die Gemein­schaft zu fördern.
  • In der Ukraine kehrt ein hoher Pro­zent­satz der Sol­da­ten nach der Inan­spruch­nahme von qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­gen Reha­bi­li­ta­ti­ons­diens­ten wieder in den Dienst zurück. Das Projekt zur Errich­tung von fünf Reha­bi­li­ta­ti­ons­zen­tren mit 2.000 Betten berück­sich­tigt Partner und Inklu­sion, ein­schließ­lich Rampen und Auf­zü­gen. Mili­tär­an­ge­hö­rige, die von diesen Zentren wissen, bevor­zu­gen es, dort behan­delt zu werden, weil sie Unter­stüt­zung zu Hause und in der Nähe ihrer Fami­lien erhal­ten können. Die Erhö­hung der Finan­zie­rung für solche Pro­jekte wird nicht nur eine qua­li­ta­tiv hoch­wer­tige Unter­stüt­zung für Vete­ra­nen im Hei­mat­land sicher­stel­len, sondern auch den Bedarf an ihrer Behand­lung im Ausland ver­rin­gern. [6]

3. Unter­stüt­zung beim Minenräumen

  • Stand Anfang April 2024 sind in der Ukraine immer noch 156.000 Qua­drat­ki­lo­meter Land vermint, was 26 % der Gesamt­flä­che des Landes ent­spricht. [7] Zum Ver­gleich: Dies ent­spricht der halben Fläche Deutsch­lands oder viermal der Fläche der Schweiz.
  • Land­wirt­schaft­li­che Flächen: 8,0 Mil­lio­nen Hektar Acker­land sind nach dem Stand von Oktober 2023 wei­ter­hin vermint. Wälder: Von den 500.000 Hektar, die zur Inspek­tion zur Ver­fü­gung standen, waren bis Januar 2024 etwa 73.000 Hektar unter­sucht und gerei­nigt. Aus den ver­blei­ben­den 427.000 Hektar wurden 185.000 Hektar als prio­ri­täre Flächen für Inspek­tion und Räumung iden­ti­fi­ziert und zur Geneh­mi­gung an die Regie­rung wei­ter­ge­ge­ben. Gewäs­ser: Schät­zun­gen gehen davon aus, dass rund 13.500 Qua­drat­ki­lo­me­ter ins­ge­samt betrof­fen sind, von denen etwa 7.300 Qua­drat­ki­lo­me­ter in rück­erober­ten Gebie­ten liegen. Dazu gehören Gewäs­ser in Stau­seen, Flüssen, Seen, Teichen sowie im Schwar­zen und Asow­schen Meer.[8]
  • Laut Sta­tis­ti­ken kann ein Minen­räu­mer 15–25 m² pro Tag räumen, was zu der Schluss­fol­ge­rung führt, dass bei der Betei­li­gung von 500 Minen­räum­grup­pen das Minen­räu­men in der Ukraine hun­derte Jahre dauern würde. Exper­ten schät­zen, dass die Durch­füh­rung dieser Mission bis zu 757 Jahre in Anspruch nehmen kann. Moderne tech­no­lo­gi­sche Lösun­gen und die Unter­stüt­zung von Part­nern können jedoch den Minen­räu­mungs­pro­zess erheb­lich beschleu­ni­gen.[9]
  • Gemein­sam mit Deutsch­land könnte ein spe­zi­el­les Boden­ana­ly­se­la­bor ein­ge­rich­tet werden, das ein trag­ba­res Mas­sen­spek­tro­me­ter ver­wen­det, um schwer­wie­gende Schwer­me­talle und Erd­öl­pro­dukte nach­zu­wei­sen. Darüber hinaus müssen finan­zi­elle, per­so­nelle und mate­ri­elle Inves­ti­tio­nen erhöht werden, um die Minen­räum­ka­pa­zi­tä­ten der Ukraine aus­zu­bauen und die Aus­bil­dung von Minen­räu­mern sowohl in der Ukraine als auch in inter­na­tio­na­len Trai­nings­pro­gram­men zu fördern.[10]

Impres­sum

Dieses Doku­ment wurde vom Trans­at­lan­tic Dia­lo­gue Center in Zusam­men­ar­beit mit dem Zentrum Libe­rale Moderne und Open Plat­form erstellt.

Trans­at­lan­tic Dia­lo­gue Center

Das Trans­at­lan­tic Dia­lo­gue Center ist ein ukrai­ni­scher nicht­staat­li­cher Think Tank, der sich auf poli­ti­sche Ana­ly­sen, Pro­jekte und Bera­tung im Bereich Außen­po­li­tik und Kom­mu­ni­ka­tion spezialisiert.

Zentrum Libe­rale Moderne

Das Zentrum Libe­rale Moderne ist ein poli­ti­scher Think Tank und eine Debat­ten­platt­form. LibMod steht für die Ver­tei­di­gung und Erneue­rung der libe­ra­len Demo­kra­tie, für den Auf­bruch in die öko­lo­gi­sche Moderne und für eine fun­dierte Osteuropa-Expertise.

Open Plat­form 

Die Orga­ni­sa­tion Open Plat­form e. V. stärkt von Berlin aus die deutsch-ukrai­ni­sche Zusam­men­ar­beit und fördert den gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Aus­tausch sowie die aktive Teil­habe an einer offenen Gesell­schaft. Open Plat­form ist asso­zi­ier­tes Mit­glied der Allianz Ukrai­ni­scher Organisationen.

Autor:innen

Stepan Rusyn, Diana Mas­li­an­chuk, Kateryna Khimich, Nata­liya Pry­hor­nytska, Daria Malling

 

 

 

 

Der Text ist unter der Crea­tive Commons-Lizenz „Namens­nen­nung-Nicht kom­mer­zi­ell 4.0 Inter­na­tio­nal“ (CC BY-NC 4.0) lizenziert.

 

[1] https://www.euractiv.com/section/global-europe/opinion/russias-strategy-bombing-ukraine-into-full-blackout/

[2] Vgl.: https://www.bmz.de/de/aktuelles/aktuelle-meldungen/waerme-fuer-den-winter-in-der-ukraine-226122 (21.01.2025).

[3] https://libmod.de/das-zielr-russischer-angriffe-die-zerstoerung-der-gesamten-energieversorgung-die-ukrainische-energieinfrastruktur-braucht-schutz/

[4] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/weitere-medizinische-hilfe-fuer-die-ukraine

[5] https://podcasters.spotify.com/pod/show/trembeatsfm/episodes/UA-Veterans-e2p5erv/a‑abie1h4

[6] https://www.ukrinform.ua/rubric-ato/3914906-anatolij-kazmircuk-komanduvac-medicnih-sil-zsu.html

[7] https://www.facebook.com/MNS.GOV.UA/posts/pfbid0uoFv52ft1i11uu9KW7QxFs62UahDm2z1qMBpgg5sVbcKJm6JrEEYBYuetabsEAGcl

[8] https://www.globsec.org/sites/default/files/2024–01/Cleaning%20the%20Augean%20Stables%20Demining%20Ukraine.pdf

[9] https://deminingua.com/rozminuvannya-ukrayini

[10] https://www.globsec.org/sites/default/files/2024–01/Cleaning%20the%20Augean%20Stables%20Demining%20Ukraine.pdf

Ver­wandte Themen

News­let­ter bestellen

Tragen Sie sich in unseren News­let­ter ein und bleiben Sie auf dem Laufenden.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mun­gen erklä­ren Sie sich einverstanden.