Argumentationsgrundlage zu Ukraine-Themen. Teil 1

Militärische Unterstützung und Sicherheitsgarantien für die Ukraine
Das Transatlantic Dialogue Center, gemeinsam mit dem Zentrum Liberale Moderne und Open Platform, hat zentrale Argumente zur Unterstützung der Ukraine zusammengefasst. Das Papier ist in drei Themenbereiche gegliedert und behandelt verschiedene Themen: von der militärischen Hilfe für die Ukraine, über strengere Sanktionen gegen Russland, die Rückführung deportierter Kinder, bis hin zur Unterstützung für den Energiesektor, Rehabilitationsmaßnahmen und Minenräumung.
Teil 2: Beschlagnahmung russischen Staatsvermögens, Verschärfung der Sanktionen und Rückführung der zwangsdeportierten ukrainischen Kinder
Teil 3: Energiesektor, Rehabilitation und Minenräumen
Alle Teile
1. Der Schutz der Ukraine liegt im Interesse Deutschlands und der EU
- Die Bereitstellung notwendiger militärischer Hilfe für die Ukraine wird die Dauer des Krieges verkürzen und die langfristigen Kosten für europäische Länder senken. Während sich der Krieg hinzieht, steigt der Bedarf der Ukraine an humanitärer und wirtschaftlicher Unterstützung und sowohl direkte als auch indirekte Schäden nehmen zu.[1]
- Durch den Wahlsieg Donald Trumps in den USA sieht sich Europa gezwungen, sein Sicherheitssystem grundlegend zu überdenken und mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit zu übernehmen. Jahrelang profitierte Europa von externen Sicherheitsgarantien, ohne ausreichend in eigene Sicherheitsstrukturen zu investieren und seine Verteidigungsfähigkeit auszubauen. Eine geschwächte Ukraine – oder schlimmer noch: eine Ukraine unter russischer Besatzung oder russischem Einfluss – würde die europäische Sicherheit erheblich gefährden und die Verteidigungsausgaben weiter in die Höhe treiben. Eine starke Ukraine hingegen, die eine Schlüsselrolle in der neuen europäischen Sicherheitsarchitektur einnimmt, würde die Stabilität und Stärke Europas nachhaltig fördern.
- Während Russland Unterstützung aus dem Iran, Nordkorea und China erhält – was sich durch den Einsatz von Tausenden iranischen Drohnen und die Lieferung von acht Millionen Granaten aus Nordkorea zeigt[2] – müssen die westlichen Verbündeten sicherstellen, dass die Ukraine nicht unterlegen ist. Seit 2022 hat Deutschland dem Ukraine Support Tracker des IfW Kiel zufolge insgesamt rund 10,6 Milliarden Euro an militärischer Hilfe bereitgestellt, was etwa vier Milliarden Euro pro Jahr entspricht, also 0,1 Prozent des BIP. Das entspricht 130 Euro pro Kopf in Deutschland. Zum Vergleich: Während des Zweiten Golfkriegs zwischen Irak und Kuwait stellte Deutschland 1991 sechsmal so viel Hilfe bereit, nämlich 0,6 Prozent des BIP, was etwa vier Prozent des gesamten Bundeshaushalts ausmachte – heute wären das rund 25,5 Milliarden Euro.[3] Selbst, wenn man die bilaterale humanitäre und finanzielle Hilfe an die Ukraine mit einbezieht, bleiben die kumulierten Beiträge Deutschlands im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung mit 0,14 Prozent des BIP seit 2022 bescheiden und liegen damit auf Platz 15 der Partner der Ukraine.[4] [5]
- Putins Ziel ist es, die europäische Sicherheitsordnung zu zerstören, um Russlands Einfluss im mittleren und östlichen Europa auszuweiten. Dabei spielen die Ukraine und andere osteuropäische und baltische Staaten eine zentrale Rolle. Sollte Putin weiterhin militärische Erfolge in der Ukraine erzielen, kann er das nutzen, um weitere europäische Länder, die aus seiner Sicht zum „russischen Imperium“ gehören (z. B. Estland, Lettland, Georgien), anzugreifen. Nach Einstellung der Kampfhandlungen in der Ukraine könnten auch bisherige Beschränkungen Chinas fallen, komplette Rüstungsgüter (Panzer, Artilleriesysteme etc.) an Russland zu liefern. Allein aus Gebrauchtbeständen des chinesischen Militärs wäre die russische Armee schneller wieder aufzurüsten als die demokratischen Systeme Europas eine Nachrüstung ihrer Streitkräfte innenpolitisch durchsetzen und budgetieren könnten.
- Ein Versagen des Westens bei der Wahrung der internationalen Sicherheitsordnung würde Autokraten weltweit ermutigen, selbst territoriale Forderungen zu erheben und diese mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Die russische Argumentationslinie, „historische Gebiete“ zu beanspruchen und „historisches Unrecht“ wiedergutzumachen, wird weltweit immer beliebter. Gleichzeitig würde der Welt vor Augen geführt werden, dass nukleare Bewaffnung mit Strafminderung einhergeht. Der Anreiz, sich ebenfalls nuklear zu bewaffnen, würde damit nicht nur unter jenen Staaten steigen, die die gegenwärtige internationale Ordnung anfechten (Nordkorea, Iran), sondern auch unter denen, die mögliche Opfer revisionistischer Bestrebungen anderer sind und sich durch internationales Recht allein nicht ausreichend geschützt sehen.
- Eine nachhaltige Stabilisierung der Sicherheit der Ukraine würde künftige Fluchtbewegungen in die EU verhindern. Stand Mitte 2024 machte direkte militärische Hilfe weniger als ein Drittel der Unterstützungsleistungen der deutschen Regierung für die Ukraine aus, während rund 60 Prozent dieser Mittel unmittelbar für die Unterstützung ukrainischer Geflüchteter in Deutschland verwendet wurden.[6] Die Aussicht auf einen dauerhaften und gerechten Frieden in der Ukraine würde den vor dem Krieg geflüchteten Menschen eine Rückkehr in ihre Heimat ermöglichen. Militärische Erfolge Russlands, die Okkupation weiterer ukrainischer Gebiete, das Fehlen belastbarer Sicherheitsgarantien und eine instabile Situation in der Region infolge unzureichender Unterstützung hingegen könnten dazu führen, dass weiterhin zahlreiche Menschen aus der Ukraine fliehen müssen – vor allem in andere europäische Länder, insbesondere nach Deutschland.
- Die Ukraine zu unterstützen bedeutet, grundlegende Werte zu schützen, die der regelbasierten Weltordnung zugrunde liegen. Deutschland sollte seine Unterstützung für die Ukraine nicht nur aus geopolitischen oder strategischen Sicherheitsgründen fortsetzen, sondern auch aus der Verpflichtung heraus, internationale Menschenrechtsstandards und Demokratie zu verteidigen.
- In der „Vereinbarung über Sicherheitszusammenarbeit und langfristige Unterstützung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Ukraine“[7] vom Februar 2024 bekräftigte Deutschland entschlossen, die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Unversehrtheit der Ukraine innerhalb ihrer seit 1991 international anerkannten Grenzen zu wahren. Jede Abweichung von den zwischen Deutschland und der Ukraine vereinbarten Grundsätzen im Streben nach einem „Kompromiss mit Russland“ widerspricht der vereinbarten Sicherheitsstrategie und untergräbt die Glaubwürdigkeit der regelbasierten internationalen Ordnung.
- In einem militärisch siegreichen Russland würden sich gegenwärtige totalitäre Tendenzen und militaristisch-imperialistische Identitätsstiftung verfestigen. In einer innenpolitisch immer schwierigeren Situation würde der militärische Erfolg und der existenzielle Konflikt mit dem Westen über Jahrzehnte die zentrale politische Prägung des russischen Systems darstellen. Weit über Putins Amtszeit hinaus würden sich in russischen Eliten und in der Bevölkerung Denkmuster einprägen, die mit jeder Form der friedlichen Koexistenz und Annäherung an europäische Strukturen unvereinbar sind. Eine Wiederannäherung Russlands an Europa kann nur durch eine klare Niederlage in der Ukraine erfolgen. Denn die Erfahrung der Unrentabilität von Kriegen und des Verlusts von imperialem Einfluss sind die geistige Grundlage, auf der die europäische Integration nach 1945 fußt. Gerade diejenigen, die sich eine Wiederannäherung an Russland wünschen, sollten umso härter an dessen militärischer Niederlage arbeiten.
2. Die Unterstützung der Ukraine auf ihrem Weg in die NATO
liegt im Interesse Deutschlands
- Die Aufnahme der Ukraine in die NATO würde die Verteidigungsposition der Allianz stärken, insbesondere an ihrer Ostflanke. Da Russland in den strategischen Dokumenten der NATO als größte Bedrohung definiert wird, macht die unmittelbare Kampferfahrung der Ukraine sie zu einem unverzichtbaren starken Partner.
- Die Aufnahme der Ukraine in die NATO würde zudem die militärische Moral Russlands schwächen. Die Erweiterung der NATO in den letzten 20 Jahren war eine defensive Reaktion auf die aggressive Politik Russlands und keine „Provokation“. Dies zeigt am besten der jüngste Beitritt Finnlands und Schwedens. Frühere Verträge mit Russland wie der Zwei-plus-Vier-Vertrag und die NATO-Russland-Grundakte unterstützen das Recht europäischer Staaten, ihre Bündnisse frei zu wählen.
- Ein klarer Weg zur NATO-Mitgliedschaft würde der Ukraine wirtschaftliche Stabilität und Hoffnung bieten. Ein glaubwürdiger Sicherheitsschirm der NATO fördert ausländische Investitionen und die Rückkehr vertriebener Menschen in die Ukraine und mindert so das Risiko wirtschaftlicher Stagnation und Entvölkerung.
- Die aktuellen Kriege sind Technologiekriege. Eine Zusammenarbeit – der Austausch von Informationen über Technologien, über hybride Bedrohungen, Cybersicherheit, Energiesicherheit und Resilienz – mit der Ukraine wird die NATO als Allianz stärken und ihre Weiterentwicklung vorantreiben.
- Eine NATO-Mitgliedschaft ist die wirksamste Sicherheitsgarantie für die Ukraine angesichts der wiederholten Verstöße Russlands gegen Abkommen wie das Budapester Memorandum und die Minsker Vereinbarungen. Da sich die USA zunehmend auf Asien konzentrieren und nicht bereit sind, bilaterale Sicherheitsgarantien in Europa auszuweiten, bietet die NATO den einzigen gangbaren Weg zu dauerhaftem Frieden und Sicherheit für die Ukraine.
- Beim NATO-Gipfel 2024 in Washington bekräftigten die NATO-Partner (einschließlich Deutschland), dass die Zukunft der Ukraine in der NATO liegt und dass sie das Land weiterhin auf seinem irreversiblen Weg zur NATO-Mitgliedschaft unterstützen.[8] Die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine kann daher kein Verhandlungsgegenstand in Gesprächen mit Russland sein.
- Würde die Ukraine nicht in die NATO aufgenommen, bestünde die Gefahr, dass das Land Opfer und Versuchslabor weiterer militärischer Provokationen Russlands würde: angefangen bei Störaktionen und Operationen verdeckter Kräfte bis hin zum erheblich größeren Risiko einer Neuauflage des Krieges unter für Russland günstigen Bedingungen. Auch ein neuer Krieg gegen die Ukraine nach dem Waffenstillstand wäre für Russland kein isolierter Akt, sondern ein Test der europäischen Geschlossenheit und des Reaktionsvermögens westlicher Staaten. Eine Position als dauerhaftes „Versuchslabor“ würde nicht nur den wirtschaftlichen Wiederaufbau der Ukraine verlangsamen und verteuern – auch für europäische Staaten würde diese Grauzone eine ständige Herausforderung darstellen, die permanente Aufmerksamkeit, Krisenmanagement und militärisches Handeln erfordert.
3. Taurus-Raketen sind notwendig, um die Positionen der Ukraine zu stärken
- Die Ukraine hatte die deutsche Regierung Ende Mai 2023 offiziell um die Lieferung ihrer leistungsstärksten Marschflugkörper vom Typ Taurus gebeten, erhielt jedoch bisher stets eine Ablehnung aus Berlin.
- Taurus-Marschflugkörper wurden entwickelt, um verborgene und geschützte Ziele zu treffen, einschließlich Kommandozentralen und Brücken. Sie verfügen über einen „Bunker-Buster“-Sprengkopf, der Betoninfrastruktur massiv beschädigen kann, sowie über Stealth-Technologie[9], um russische Raketenabwehrsysteme und andere elektronische Abwehrsysteme zu umgehen. Somit sind Taurus-Marschflugkörper taktisch wichtige Waffen, um russische Kommando- und Kontrollzentren sowie logistische Knotenpunkte anzugreifen.
- Die Ausrüstung der Ukraine mit Marschflugkörpern vom Typ Taurus könnte den Druck auf Russland weiter erhöhen, seine Kriegsziele zu überdenken.
- Großbritannien lieferte der Ukraine im Mai 2023 Waffen mit größerer Reichweite[10], Frankreich folgte im Juli 2023[11] und die USA im April 2024[12]. Die Bestände an britischen Storm-Shadow-Marschflugkörpern und französischen SCALP EG sind jedoch sehr begrenzt. Taurus ist ein weiterer hochentwickelter Marschflugkörper, den die Ukraine einsetzen könnte, um jene militärischen Ziele in Russland zu treffen, von denen aus die ukrainische Zivilbevölkerung angegriffen Derzeit verfügt Deutschland über 600 Taurus-Marschflugkörper im Bestand der Bundeswehr.[13]
- Eine stetige Bereitstellung von Storm Shadows/SCALP und deutschen Taurus-Marschflugkörpern würde der Ukraine neue Handlungsmöglichkeiten bei ihren Luftoperationen eröffnen, während die Vielfalt der Lieferquellen ein wichtiges Signal für die europäische Einheit wäre. Es würde auch die russische Operationsplanung herausfordern, denn die ukrainische Armee könnte nicht nur deutlich mehr Ziele angreifen, sondern es wäre für die russische Führung auch schwieriger vorherzusagen, wo die nächsten Treffer einschlagen könnten.
- Taurus könnte „leicht an F‑16-Kampfflugzeuge angepasst werden“, über die die Ukraine laut MBDA, dem Unternehmen, das die Marschflugkörper entwickelt hat, bereits verfügt.[14]
- Die an die Ukraine gelieferten Taurus-Marschflugkörper müssten nicht von deutschen Soldat:innen bedient werden. Ausbildung und Betreuung könnte der Hersteller, die Taurus Systems GmbH, übernehmen, ohne dass die Bundeswehr beteiligt wäre.[15] So könnten die ukrainischen Streitkräfte darin ausgebildet werden, die Marschflugkörper eigenständig zu bedienen.[16]
- Normalerweise haben Taurus-Marschflugkörper eine Reichweite von 500 Kilometern (was zum Beispiel nicht ausreichen würde, um Moskau von der ukrainischen Grenze aus anzugreifen). Diese Reichweite könnte jedoch durch den Hersteller weiter eingeschränkt werden.[17] Alle Ziele für von westlichen Staaten gelieferte Waffensysteme höherer Reichweite (ATACMS, SCALP, Storm Shadow, zum Teil auch HIMARS und HAMMER) werden vorab mit dem Ukraine-Kommando der NATO in Wiesbaden (NATSU) abgeklärt, das die internationale Waffenhilfe an die Ukraine koordiniert. Sollte es politische Bedenken gegen Ziele innerhalb der praktischen Reichweite von Taurus geben, könnten diese also jederzeit geltend gemacht werden.
- Da sich US-Präsident Trump gegen weitere Lieferungen von ATACMS an die Ukraine ausgesprochen hat, steigt der Druck auf europäische Staaten, Waffen mit größerer Reichweite zu liefern. Das politische Ziel der Europäischen Union, im eigenen Umfeld handlungsfähig zu bleiben und US-amerikanische Ausfälle zu kompensieren, wird ohne deutschen Beitrag nicht realisierbar sein.
4. Die Stärkung der ukrainischen Rüstungsproduktion
ist eine Investition in die europäische Sicherheit
- Während die Ukraine ihre Verteidigungsfähigkeiten verstärkt, um der russischen Aggression entgegenzuwirken, gewinnt sie entscheidende Erkenntnisse über die operativen Bedürfnisse moderner Kriegsführung, die den westlichen Ländern fehlen. Ukrainische Rüstungsproduzenten passen sich schnell an aktuelle Gegebenheiten an und identifizieren die praktischen Bedürfnisse der Streitkräfte in Echtzeit. Diese Erkenntnisse können dazu beitragen, die Rüstungsindustrie europäischer Staaten voranzubringen und das Abschreckungspotential Europas zu verbessern.
- Die Unterstützung der Verteidigungsfähigkeit der Ukraine ist politisch und wirtschaftlich weniger anspruchsvoll als direkte Militärhilfe. In Europa fehlen vielerorts die Kapazitäten, um militärische Ausrüstung in großem Maßstab und zu verhältnismäßigen Preisen herzustellen, während die Ukraine über freie Kapazitäten verfügt, die genutzt werden sollten. Die Produktion vor Ort würde zudem Lieferzeiten verkürzen, wodurch teure Logistikketten für den Transport von Waffen und Ausrüstung aus dem Ausland entfielen. Darüber hinaus sind die Produktionskosten in der Ukraine wesentlich niedriger als in Europa. Laut dem ehemaligen Minister für strategische Industrien in der Ukraine, Oleksandr Kamyshin, ist der Kauf von Waffen ukrainischer Hersteller „der beste, schnellste und kostengünstigste Weg, uns an der Front zu helfen“[18]. Dies würde die finanzielle Belastung für die Geberländer Dänemark hat 2024 als erstes NATO-Mitglied direkt in die ukrainische Verteidigungswirtschaft investiert und so die Produktion von 18 selbstfahrenden Radhaubitzen des Typs 2S22 Bohdana ermöglicht. Deutschland erwägt nun eine ähnliche Option.[19]
- Investitionen in den Verteidigungssektor der Ukraine stimulieren sowohl die ukrainische als auch die europäische Wirtschaft. Steuereinnahmen von Verteidigungsunternehmen tragen zum Staatshaushalt der Ukraine bei, während die Schaffung von Arbeitsplätzen sowohl die lokale Wirtschaft als auch die verbündeter Staaten stärkt.
- Die Nutzung eingefrorener russischer Vermögenswerte könnte die finanzielle Belastung europäischer Länder verringern.[20] Belgien etwa hat Berichten zufolge[21] aus eingefrorenen Vermögen Einnahmen in Höhe von 1,7 Milliarden US-Dollar erzielt und einen Teil dieser Mittel zur Unterstützung der ukrainischen Verteidigung und für die Flüchtlingshilfe eingesetzt. Beim jüngsten G7-Gipfel im Oktober 2024 einigten sich die Staats- und Regierungschefs darauf, der Ukraine einen Kredit in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar zu gewähren, der aus den Zinsen eingefrorener russischer Reserven finanziert wird.
- Die Zusammenarbeit zwischen Europa und der Ukraine stärkt den Verteidigungssektor der EU und bereitet ihn auf zukünftige Herausforderungen vor. Die Unterstützung der ukrainischen Verteidigungsindustrie integriert diese bei der Forschung, Entwicklung und Produktion von Rüstungsgütern in die europäische Wertschöpfungskette und erhöht die Kapazität europäischer Länder, international konkurrenzfähige Produkte zu bauen. Schon heute steigert das Siegel „combat proven in Ukraine” den Exporterfolg von Rüstungsgütern deutlich. Systeme, die sich in internationalen Großausschreibungen bewerben (RCH155 und Lynx KF41), werden daher auch in die Ukraine geliefert, da Rüstungshersteller, die ihre neuen, hochmodernen Produkte verkaufen wollen, sind daran interessiert, dass diese im Einsatz getestet werden. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hob die unzureichende Kapazität der EU hervor, die Produktion für langanhaltende Konflikte hochzufahren.[22] Partnerschaften und Joint Ventures mit der Ukraine könnten helfen, diese Lücke zu schließen und es Europa ermöglichen, besser auf Bedrohungen zu reagieren. Die Ukraine verfügt über eine gut entwickelte militärisch-industrielle Basis, die in der Lage ist, fortschrittliche Waffen und Munition zu produzieren. Die Ukraine verfügt über eine gut entwickelte militärisch-industrielle Basis, die in der Lage ist, fortschrittliche Waffen und Munition zu produzieren und damit den Bedarf der NATO zu ergänzen sowie die Abhängigkeit von nicht-europäischen Lieferanten zu verringern – eine Notwendigkeit, die angesichts der anhaltend hohen Militärausgaben Russlands besonders deutlich wird, wo Artilleriegeschosse im Vergleich zu westlichen Ländern nahezu dreimal so schnell und zu einem Viertel der Kosten produziert werden.[23]
- Allerdings kann die ukrainische Rüstungsindustrie das in den Kriegsjahren 2025 und 2026 voraussichtlich benötigte Material nicht allein produzieren. Sollten vor allem die USA ihre militärische Unterstützung schrittweise herunterfahren, käme es zu erheblichen Nachschubproblemen. Dies gilt insbesondere für die Bereitstellung von Kampfflugzeugen und die Aufrechterhaltung des Flugbetriebs sowie für die Lieferung von Munition für Kampfflugzeuge, M142- und M270-Mehrfachraketenwerfer, Patriot-Flugabwehrraketen-Systeme, Artilleriemunition (155 mm) und gepanzerte Fahrzeuge (M2 Bradley und M113). Insbesondere im Bereich Fahrzeugbau ist Deutschland der wichtigste Hersteller in Europa, ohne den die quantitative Herausforderung kaum zu bewältigen ist. Eine schnellere Einführung modernisierter Schützenpanzer vom Typ Puma würde Kapazitäten frei machen, sodass die Ukraine dringend benötigte Schützenpanzer vom Vorgänger-Typ Marder erhalten könnte. Außerdem müsste in Deutschland die Produktion von Fahrzeugen für die Ukraine forciert werden, etwa die des selbstfahrenden Artilleriegeschützes RCH155.
Impressum
Dieses Dokument wurde vom Transatlantic Dialogue Center in Zusammenarbeit mit dem Zentrum Liberale Moderne und Open Platform erstellt.
Transatlantic Dialogue Center
Das Transatlantic Dialogue Center ist ein ukrainischer nichtstaatlicher Think Tank, der sich auf politische Analysen, Projekte und Beratung im Bereich Außenpolitik und Kommunikation spezialisiert.
Zentrum Liberale Moderne
Das Zentrum Liberale Moderne ist ein politischer Think Tank und eine Debattenplattform. LibMod steht für die Verteidigung und Erneuerung der liberalen Demokratie, für den Aufbruch in die ökologische Moderne und für eine fundierte Osteuropa-Expertise.
Open Platform
Die Organisation Open Platform e. V. stärkt von Berlin aus die deutsch-ukrainische Zusammenarbeit und fördert den gesellschaftlichen und politischen Austausch sowie die aktive Teilhabe an einer offenen Gesellschaft. Open Platform ist assoziiertes Mitglied der Allianz Ukrainischer Organisationen.
Autor:innen
Stepan Rusyn, Diana Maslianchuk, Kateryna Khimich, Nataliya Pryhornytska, Daria Malling
Unser besonderer Dank gilt Dr. Gustav Gressel für seine fachkundige Begutachtung und seine wertvollen Beiträge, die den Inhalt dieser Publikation maßgeblich bereichert haben.
Der Text ist unter der Creative Commons-Lizenz „Namensnennung-Nicht kommerziell 4.0 International“ (CC BY-NC 4.0) lizenziert.
[1] https://www.ifw-kiel.de/publications/the-costs-of-not-supporting-ukraine-33410/
[2] https://www.heritage.org/china/commentary/north-korea-sent-8-million-artillery-shells-ukraine-next-troops
[3] https://www.ifw-kiel.de/publications/the-costs-of-not-supporting-ukraine-33410/
[4] https://www.ifw-kiel.de/topics/war-against-ukraine/ukraine-support-tracker/
[5] https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/aktuelles/militaerhilfe-fuer-die-ukraine-stopp-kostet-deutschland-viel-mehr-als-fortfuehrung/
[6] https://esut.de/2024/08/meldungen/52552/339-milliarden-euro-unterstuetzungsleistungen-fuer-die-ukraine/
[7] Vgl.: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/2196306/2260264/8efa1868839ede7609437b341d75c3c5/2024–02-16-ukraine-sicherheitsvereinbarung-deu-data.pdf?download=1 (20.01.2025).
[8] https://www.nato.int/cps/en/natohq/topics_37750.htm
[9] Stealth-Technologie, auch als „Low Observable Technology“ bezeichnet, umfasst eine Reihe von Methoden, die darauf abzielen, militärische Fahrzeuge wie Flugzeuge, Schiffe, U‑Boote, Raketen, Satelliten und Bodenfahrzeuge für Radar, Infrarot, Sonar und andere Erkennungsmethoden weniger sichtbar oder idealerweise unsichtbar zu machen.
[10] https://www.gov.uk/government/speeches/defence-secretary-oral-statement-on-war-in-ukraine–3
[11] https://www.france24.com/en/europe/20230713-a-strong-gesture-french-delivery-of-scalp-missiles-to-ukraine-marks-shift-in-western-strategy
[12] https://www.reuters.com/world/us/us-quietly-shipped-long-range-atacms-missiles-ukraine-2024–04-24/
[13] https://www.flightglobal.com/germany-receives-last-taurus-cruise-missile/97453.article
[14] https://www.mbda-systems.com/sites/mbda/files/2024–07/2019%20TAURUS%20datasheet.pdf
[15] https://www.mdr.de/nachrichten/welt/politik/taurus-marschflugkoerper-bundeswehr-moskau-faktencheck-100.html
[16] https://www.merkur.de/politik/militaerexperte-zerpflueckt-scholz-argumente-gegen-taurus-lieferung-ukraine-krieg-93420873.html
[17] https://www.mdr.de/nachrichten/welt/politik/taurus-marschflugkoerper-bundeswehr-moskau-faktencheck-100.html
[18] https://www.politico.eu/article/ukraine-want-use-eu-money-build-up-military-industrial-complex-oleksandr-kamyshin/
[19] https://deaidua.org/news/2024/10/18/german-government-considers-financing-ukrainian-made-armaments/
[20] https://www.reuters.com/world/europe/eu-countries-adopt-plan-use-frozen-russian-assets-ukraines-defence-2024–05-21/
[21] https://www.reuters.com/world/europe/belgium-welcomes-eu-proposal-give-ukraine-profits-russia-assets-2024–03-21/
[22] https://www.swp-berlin.org/10.18449/2024S15/?utm_source
[23] https://news.sky.com/story/russia-is-producing-artillery-shells-around-three-times-faster-than-ukraines-western-allies-and-for-about-a-quarter-of-the-cost-13143224
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