„Acces­sion Exch­ange Forum“: Per­spek­ti­ven für den EU-Bei­tritt der Ukraine, Geor­gi­ens und der Repu­blik Moldau

Foto: LibMod

Klare Regeln und Stan­dards für die Bei­tritts­kan­di­da­ten sind nötig – aber auch Refor­men des Bei­tritts­pro­zes­ses. Stimmen vom dies­jäh­ri­gen „Acces­sion Exch­ange Forum“ in Kyjiw.

Das dies­jäh­rige Forum war aus meh­re­ren Gründen ein beson­de­res: Im Sommer 2022 erhiel­ten die Ukraine und die Repu­blik Moldau den EU-Kan­di­da­ten­sta­tus und Geor­gien den poten­zi­el­len Kan­di­da­ten­sta­tus. Aus diesem Grund heißt das Forum nun „Acces­sion Exch­ange Forum“ – und nicht mehr „Asso­cia­tion Exch­ange Forum“, unter welchem Namen es seit 2018 jähr­lich statt­ge­fun­den hat.

Der (poten­zi­elle) Kan­di­da­ten­sta­tus der drei Länder prägte dann auch die Dis­kus­sio­nen. Obgleich die Bewer­tung der Refor­mbestrebungen auf dem Weg zur EU-Mit­glied­schaft wei­ter­hin eine wich­tige Rolle spielt, wurde jetzt erst­mals über weitere Koope­ra­tio­nen zwi­schen den Kan­di­da­ten des west­li­chen Balkans und Ost­eu­ropas gespro­chen – und wie diese Syn­er­gien die Bei­tritts­pro­zesse beschleu­ni­gen können.

Ukraine, Moldau und Geor­gien: von- und mit­ein­an­der lernen

Gerade in den Berei­chen der Rechts­staat­lich­keit, Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fung und Justiz haben die drei Länder wei­ter­hin wich­tige Refor­men zu bewäl­ti­gen und können aus bis­he­ri­ger Erfah­rung von- und mit­ein­an­der lernen. Und manche Risiken des Bei­tritts­pro­zes­ses, die auf dem west­li­chen Balkan sicht­bar wurden, gelten auch für die Ukraine, Moldau und Geor­gien. Es gilt nun, dem Risiko eines Still­stan­des oder Rück­schritts im Annä­he­rungs­pro­zess aktiv ent­ge­gen­zu­wir­ken und dau­er­haft einen starken poli­ti­schen, aber auch gesell­schaft­li­chen Konsens zu schaf­fen. Gleich­zei­tig darf die ange­strebte EU-Mit­glied­schaft nicht als Wett­be­werb zwi­schen den (poten­zi­el­len) Kan­di­da­ten begrif­fen werden.

„Der EU-Bei­tritt ist kein Wett­be­werb, sondern ein Prozess, durch den wir uns auf­grund der Kom­ple­xi­tät der Refor­men, die wir durch­füh­ren müssen, alle durch­schla­gen müssen.“ – Cris­tina Ghera­si­mov, Lei­te­rin des Büros der Prä­si­den­tin der Repu­blik Moldau.

Aller­dings muss jedes Land einzeln danach beur­teilt werden, wie gut und schnell es in der Lage ist, nach­hal­tig seinen indi­vi­du­el­len Reform­weg zu beschrei­ten. Ein auf Ver­dienst und Leis­tung basie­ren­der Ansatz ist dabei von zen­tra­ler Bedeu­tung, so der Konsens unter den anwe­sen­den Expert:innen.

Reform des Beitrittsprozesses?

Ein wei­te­rer Dis­kus­si­ons­schwer­punkt war die Frage nach einem gestuf­ten Bei­trittsprozess und eine mög­li­che Reform der Erwei­te­rungs­me­tho­dik. Die EU könnte bei­spiels­weise den Kan­di­da­ten­län­dern in einem gestuf­ten Bei­tritts­pro­zess suk­zes­sive den Zugang zu den vier Grund­frei­hei­ten der EU (Kapi­tal­ver­kehr, Dienst­leis­tungs­ver­kehr, Per­so­nen­ver­kehr und Waren­ver­kehr) gewäh­ren, nachdem sie bestimmte Mei­len­steine bei ihrem Reform­pro­zess erreicht haben. Dies könnte starke Anreize für die Bei­tritts­kan­di­da­ten schaf­fen, die Reform­agenda zügig und qua­li­ta­tiv hoch­wer­tig umzu­set­zen. Hier sollte also die EU selbst Refor­men ihrer Erwei­te­rungs­pro­zesse vor­neh­men – was einen wich­ti­gen Beitrag leisten könnte, die EU aus ihrer „Erwei­te­rungs­krise“ zu befreien.

„Die Krise der Erwei­te­rung wird von der EU nicht aner­kannt. Die Kom­mis­sion sagt, wir hätten einen Prozess, der funk­tio­niere. Er funk­tio­niert nicht, weil es kein Endziel gibt, das mit Ver­diens­ten ver­bun­den ist. Die Länder sind wie ein Hamster im Rad: Wie schnell man auch rennt, man kommt nicht weiter, weil einige Staaten uns offen sagen: Wir wollen in nächs­ter Zukunft nicht mehr Mit­glie­der.“ – Gerald Knaus, Euro­pean Sta­bi­lity Initiative

Auch über Ände­run­gen in den Abstim­mungs­ver­fah­ren bei Bei­tritts­ent­schei­dun­gen wurde inten­siv dis­ku­tiert. Die EU muss einen Wechsel von einer Ein­stim­mig­keit zu einer qua­li­fi­zier­ten Mehr­heit in Betracht ziehen, um durch Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen bedingte Vetos von ein­zel­nen EU-Mit­glieds­staa­ten, wie im Falle Nord­ma­ze­do­ni­ens, zu verhindern.

Eine neue euro­päi­sche Sicher­heits­ar­chi­tek­tur funk­tio­niert nur mit der Ukraine

Natür­lich spielt auch der rus­si­sche Angriffs­krieg gegen die Ukraine eine zen­trale Rolle bei der Frage der EU-Erwei­te­rung. Denn nicht zuletzt war die Ent­schei­dung, der Ukraine, der Repu­blik Moldau und Geor­gien einen (poten­zi­el­len) Kan­di­da­ten­sta­tus zu ver­lei­hen, eine direkte Reak­tion auf die rus­si­sche Inva­sion und ein ein­deu­ti­ges poli­ti­sches Signal. Auch hat der Angriffs­krieg den EU-Mit­glieds­staa­ten bewusst gemacht, dass die Zukunft Europas und die der Ukraine untrenn­bar mit­ein­an­der ver­bun­den sind.  Eine neue Sicher­heits­ar­chi­tek­tur in Europa funk­tio­niert nur mit der Ukraine.

Refor­men: wich­tige Schritte zur Umset­zung in der Ukraine

Für die Umset­zung mancher Reform­vor­ha­ben bedeu­tet der Angriffs­krieg zwar eine Her­aus­for­de­rung, aber bei weitem keine unüber­wind­bare Hürde – und das nicht nur in der Ukraine, sondern auch in der Repu­blik Moldau und Geor­gien. Gerade die Ukraine hat gezeigt, dass ihre Demo­kra­tie auch in Kriegs­zei­ten wehr­haft bleibt. Seit dem ver­gan­ge­nen Sommer hat die ukrai­ni­sche Regie­rung nicht nur ambi­tio­nierte Pläne vor­ge­legt, sondern auch bereits wich­tige Schritte zur Umset­zung der sieben, von der EU-Kom­mis­sion gefor­der­ten Schlüs­sel­re­for­men geleis­tet. Auch wenn noch keine Reform die von der EU gestell­ten Anfor­de­run­gen voll­stän­dig erfüllt, hat die Regie­rung gerade in den Berei­chen der Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fung, Justiz und Medi­en­ge­setz­ge­bung ein­deu­tige Fort­schritte gemacht.

Es braucht aller­dings klare Regeln und hohe Stan­dards. Die EU sollte die Umset­zung der Refor­men genau über­wa­chen – trotz oder gerade wegen des Angriffskrieges.

„Um das Über­le­ben der Ukraine zu sichern, brau­chen wir Waffen. Um die Ent­wick­lung der Ukraine zu sichern, brau­chen wir die Mit­glied­schaft in der EU. Wir bitten nicht um eine Son­der­be­hand­lung. Wir suchen nicht nach Abkür­zun­gen. Wir wollen nur einen wirk­li­chen, sinn­vol­len und leis­tungs­ori­en­tier­ten Bei­tritts­pro­zess.“ – Alyona Get­man­chuk, Direk­to­rin des New Europe Centers

Auch wenn die drei Länder noch einige wich­tige Etappen bis zur Mit­glied­schaft zurück­le­gen müssen, zeigt allein die Geschichte des Exch­ange-Forums, wie dyna­misch der Prozess sein kann. „Vor einem Jahr hätte wahr­schein­lich niemand gedacht, dass wir dieses Jahr ein ‚Acces­sion Exch­ange Forum‘ – und nicht ein wei­te­res ‚Asso­cia­tion Exch­ange Forum‘ orga­ni­sie­ren würden“ – Leonid Litra, Senior Rese­arch Fellow beim New Europe Center.

Mehr Infor­ma­tio­nen und Videos des Forums finden Sie hier.

Textende

Ver­wandte Themen

News­let­ter bestellen

Tragen Sie sich in unseren News­let­ter ein und bleiben Sie auf dem Laufenden.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mun­gen erklä­ren Sie sich einverstanden.