11 Fragen an Igor Gomonai zum ukrainischen Fußball
Der ukrainische Fußball wird häufig assoziiert mit rechten Fans, Wettmanipulationen und Oligarchenprojekten, weniger mit demokratischen Faninitiativen. Elf Fragen an den ukrainischen Fußballaktivisten Igor Gomonai, einen Kenner des ukrainischen Fußballs und seiner Fanszene.
Wie politisch ist Fußball, genauer gesagt die Fanszene, in der Ukraine?
Wenn wir über den ukrainischen Fußball sprechen, müssen wir zunächst verstehen, dass es zwei unterschiedliche Ebenen gibt: Den offiziellen Fußball mit einem Fußballverband, Topliga, Sportmedien etc. sowie eine zweite Ebene mit Amateurfußball, Graswurzelinitativen, Fangruppen etc. Zwischen diesen beiden klafft eine Lücke. Die offizielle Ebene ist sehr politisiert und in den Bereichen, in denen die Fans mit Offiziellen zu tun haben wird es schnell politisch. Aber die Fans selbst sind nicht besonders politisch involviert. Sie mögen zwar gegen etwas protestieren, aber werden kaum für etwas agitieren.
Stimmt es, dass die aktive Fanszene in der Ukraine dominiert wird von rechten Gruppen? In Deutschland gibt es auch politisch linke Kurven wie bei St. Pauli oder Babelsberg 03 – gibt es ähnliche linke Fanszenen in der Ukraine?
Hier müssen wir zunächst klarstellen, was die ukrainische Fanszene ist. Anders als in Deutschland sind die ukrainischen Stadien nicht ausverkauft und Dauerkarteninhaber sind in der Minderheit. Die Mehrheit schaut sich „große“ Spiele an, z. B. Derbys oder gegen populäre Vereine wie Dynamo Kyjiw oder Schachtar Donezk, aber geht nur selten zu normalen Spielen, geschweige denn unterstützen sie ihre Teams bei Auswärtsspielen. Es gibt daher nur einen kleinen Kern von Fans, die mehr oder weniger jedes Spiel besuchen. Unter ihnen sind die Ultras die am besten organisierte und sichtbarste Gruppe. Die anderen Zuschauer sind meist kleinere Gruppen von Freunden oder reine Stadionfreundschaften, die zusammen Spiele schauen. Das bedeutet, dass im Grunde die einzige Möglichkeit, sein Team aktiv zu unterstützen für viele darin besteht, zu den Ultras zu gehen.
Was Rechts und Links angeht muss ich vorwegnehmen, dass es im Land keine großen ideologischen politischen Parteien gibt. Die große Mehrheit weiß nicht einmal, was das bedeutet, politisch und ökonomisch betrachtet, und was der Unterschied ist. Es gibt lediglich ein gemeinsames Verständnis: Links heißt Lenin, Stalin, Sowjetunion, Russland. Und rechts steht für den Kampf um Unabhängigkeit, Patriotismus etc. Die Mehrheit der Ultras und andere aktive Fans beziehen eine patriotische Position. Daher können sie in diesem kleinen ukrainischen „Mini-Universum“ nicht links sein.
Ich glaube nicht, dass es möglich ist, Patriotismus mit nationalsozialistischen oder anderen diskriminierenden und inhumanen Dingen zu vermischen
Weshalb einige aus dieser aktiven Minderheit manchmal Nazi-Symbolik benutzen ist eine schwierige Frage. Mit persönlich gefällt das nicht und ich glaube nicht, dass es möglich ist, Patriotismus mit nationalsozialistischen oder anderen diskriminierenden und inhumanen Dingen zu vermischen. Übrigens ist es laut ukrainischem Recht verboten, sowohl kommunistische als auch nationalsozialistische Symbolik zu zeigen.
Die internationale Presse berichtet häufig über rassistische Tendenzen in der aktiven ukrainischen Fanszene. Ist das tatsächlich nur ein Problem einer kleinen Minorität in den Stadien? Und gibt es auch Fans, die sich gegen Rassismus engagieren?
Für mehrere Jahrzehnte sowjetischer Besatzung war die Ukraine ein sehr verschlossenes Land mit einer isolierten Gesellschaft. Jetzt öffnet sich die Gesellschaft allmählich, es gibt die Möglichkeit zu reisen, mehr Touristen und Auswanderer strömen ins Land; in anderen Worten erfahren wir mehr Diversität.
Ich kann sagen, dass rassistisches Verhalten ein Problem einer absoluten Minderheit ist – sowohl in den Kurven als auch in der breiten Gesellschaft
Ich kann sagen, dass rassistisches Verhalten ein Problem einer absoluten Minderheit ist – sowohl in den Kurven als auch in der breiten Gesellschaft. Der beste Weg gegen Rassismus zu sein ist niemanden zu diskriminieren. Das aktuellste Beispiel ist die Initiative Kyjiwer Bürger, Fans unterschiedlicher Nationalitäten und Herkunft, die das Champions League Finale sehen möchten, kostenlos bei sich zu Hause aufzunehmen, nachdem viele Hotels die Preise enorm erhöht hatten.
Hooligans werden besonders im osteuropäischen Fußball als Problem angesehen. Die Bilder russischer Hools, die britische Fans während der Europameisterschaft 2016 angriffen, gingen um die Welt. Es gibt Befürchtungen, das ähnliche Vorfälle bei der bevorstehenden WM in Russland auftreten könnten. Was können Sie uns über Hooligans in der Ukraine sagen? Gibt es welche? Wo gibt es Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede im Vergleich zu den Hooligans in Westeuropa bzw. Deutschland?
Unter den Ultras gibt es einige Hooligan-„Firmen“ (so bezeichnen sich die Hooligan-Gruppen selbst, Anm. d. Red.), die bereit sind, sich bei Heim- und Auswärtsspielen zu prügeln. Wie in anderen osteuropäischen Ländern organisieren sie Trainings; verabreden sich außerhalb der Städte um gegen ihre Rivalen zu kämpfen.
Seit dem Krieg in der Ostukraine gegen Russland haben sie jedoch eine Art Waffenstillstand, ein Abkommen, nicht gegeneinander zu kämpfen. Jetzt kämpfen sie manchmal gegen die Polizei oder internationale Fans, aber üblicherweise greifen sie nicht einfach ohne Grund an. Sie bevorzugen es gegen Gleichgesinnte zu kämpfen, so dass sie kein Risiko für normale Fans darstellen.
Während des Arabischen Frühlings spielten Fans und Ultras in Ägypten eine wichtige Rolle bei den Protesten und einige Beobachter meinen, die Ultras seien wichtiger gewesen als politische Parteien. In der Türkei haben Fußballfans ebenfalls eine zentrale Rolle bei der Protestwelle von 2013 gespielt und selbst zutiefst verfeindete Fans demonstrierten gemeinsam gegen Präsident Erdogan. Spielten ukrainische Fußballfans ebenfalls eine Rolle bei der Majdan-Revolution?
Aktive Fußballfans nahmen eine wichtige Rolle während der Majdan-Revolution ein, die sogar als entscheidend angesehen werden kann. Erprobt im Kampf gegen die Bereitschaftspolizei waren sie die ersten, die sich Straßenkämpfe mit der Polizei lieferten.
Die Fans waren faktisch die ersten, die die Proteststimmung in die Gesellschaft getragen haben
Aber dazu muss gesagt werden, dass die Proteste gegen das verbrecherische Regime von Janukowytsch nicht erst 2013 begannen. Schon 2011, in Vorbereitung auf die Europameisterschaft 2012, als Regierung und Polizei den Druck auf aktive Fußballfans drastisch erhöhten, begannen sie mit Aktionen gegen das Regime innerhalb sowie außerhalb der Stadien. Sie haben mehr als 5.000 Menschen in der Stadt versammelt, was für die damalige Zeit eine große Menge war und was nicht einmal den Oppositionsparteien gelang. Sie waren damit faktisch die ersten, die diese Proteststimmung in die Gesellschaft getragen haben, die die Hoffnung auf Veränderung langsam verlor.
Gibt es Fangruppen, die im Donbas kämpfen? Und wie haben die Fans in Donezk und Luhansk reagiert – haben sie die besetzten Gebiete gemeinsam mit ihren Clubs, die in die freie Ukraine gegangen sind, verlassen, oder sind sie geblieben?
Soweit mir bekannt ist, kämpfen oder kämpften Vertreter fast aller Fangruppen, inklusive der unteren Ligen, im Donbas. Offiziell wurden 40 Fußballfans getötet, aber inoffiziell wird von 100 gesprochen.
Die Fans von Donezk und Luhansk, vor allem die aktiven, die in den Polizeidatenbanken registriert waren, haben alle ihr Zuhause verlassen, da sie gejagt wurden, nachdem diese Datenbank den neuen Machthabern in die Hände gefallen ist. Viele wollten nicht abwarten, ob sie in der Datenbank gelistet warten oder ihre pro-russischen Nachbarn sie als ukrainische Patrioten denunzierten. Ich habe eklatante Geschichten gehört, wie einige jede Nacht wo anders übernachtet haben, durch Fenster fliehen mussten und wie sie die besetzten Territorien und damit ihr Hab und Gut und ihre Häuser verlassen mussten.
Es gibt eine neue Fußballliga auf der Krim. Wie sieht es in den sog. „Volksrepubliken“ aus – gibt es dort auch neue Ligen und was lässt sich über den Fußball und die Fans in den besetzen Gebieten sagen?
Nach der illegalen Annexion der Krim übernahm Russland die Clubs, die in der höchsten ukrainischen Liga spielten und registrierten sie unter neuem Namen. Später begannen die Clubs in der russischen Liga zu spielen, aber nach Fanprotesten in Kyjiw während eines Besuchs von UEFA-Präsident Platini hat die UEFA alle Vereine der Krim von sämtlichen offiziellen Wettbewerben ausgeschlossen.
In den sogenannten „Volksrepubliken“ – fraglich ist, welche Menschen sie repräsentieren? – gibt es soweit ich weiß keinen offiziellen Ligabetrieb, es wird auf Amateurniveau gespielt. Aber das ist alles Fake – die „Republiken“, die Clubs und vermutlich auch die Fans.
In Deutschland engagieren sich Fußballfans sehr aktiv im Bereich der Fanrechte, aber auch in zahlreichen sozialen Projekten, z.B. in der Flüchtlingsarbeit oder historischen Fanprojekten. Gibt es in der ukrainischen Fanszene vergleichbares Engagement?
Derzeit gibt es keine gemeinsame Dachorganisaion – Fake-Organisationen zähle ich jetzt mal nicht dazu – und überwiegend machen die Fans einzelne Kampagnen. Das ist einerseits weniger effektiv, aber andererseits verlieren sie dadurch nicht ihre Unabhängigkeit, was für die Fanszene essenziell ist.
Was soziales Engagement angeht, so unterstützen Ultras traditionell Waisenhäuser, aber üblicherweise ohne dies an die große Glocke zu hängen. Seit Ausbruch des Krieges helfen sie der Armee, indem sie Geld für Verpflegung und Ausrüstung der Soldaten sammeln. Auch helfen sie Binnenflüchtlingen, allen voran Kindern, die aus dem Donbas und von der Krim geflohen sind.
Viele Vereine sind in Oligarchenhand – wie sieht die Beziehung zwischen Fans und Club-Eignern aus? Wie abhängig sind diese Clubs von ihren Besitzern?
Fast alle Vereine sind Projekte reicher Eigentümer. Es gibt keine Tradition von Fanbeteiligung an Vereinen, keine Mitgliedschaftsmodelle oder gar Fans, die für ihre Vereine tätig sind. Normalerweise gibt es nur eine sehr beschränkte Kommunikation zwischen den Clubs und den aktiven Supportern, die unabhängig sein wollen. Die Clubs sind absolut von ihren Eigentümern abhängig, sie machen damit kein Geld und es gab mehrfach Fälle, in denen Vereine aufgehört haben zu existieren sobald die Eigner das Interesse daran verloren haben, z. B. Metalist Charkiw oder Metalurg Donezk.
Du hast kürzlich eine NGO mit dem Namen „Football Democracy“ gegründet. Was hat es damit auf sich?
„Football Democracy“ ist der Name für einen Traum. Es steht für einen perfekten Fußball, in dem die Supporter der wichtigste Teil der Vereine sind. Die NGO „Football Democracy“ ist der nächste Schritt meines Versuchs, die Sicht der aktiven Fans stärker zu berücksichtigen, die normalerweise in meinem Land nicht beachtet wird. Zu den Zielen der NGO zählt die Verbreitung solcher Ideen wie Fanbeteiligung, Fan-Eigentümerschaft, Fanbeauftragte usw.
Momentan bereiten wir unser erstes Projekt zusammen mit der deutschen NGO „Gesellschaftsspiele“ unter dem Titel „Seitenwechsel – Engagement und Erinnerungskultur im Fußball“ vor. Auf dem Programm des interkulturellen Austauschs zwischen deutschen und ukrainischen Fans steht neben dem Besuch von Fußballspielen und Stadien auch die gemeinsame Geschichte beider Länder im Mittelpunkt. Ab Juni können sich deutsche und ukrainische Fans dafür bewerben.
Am Wochenende findet das Champions League Finale in Kyjiw statt. Warum sollten deutsche Fußballfans in die Ukraine reisen und das Finale anschauen?
Natürlich würde ich gerne alle in meine Stadt einladen, es gibt viel zu sehen, zu essen und zu trinken. Wusstest Du, das Kyjiw mehr als 1.500 Jahre alt ist? Aber da kein deutsches Team am Finale teilnimmt (Real Madrid trifft auf den FC Liverpool, Anm. d. Red.) wäre mein Vorschlag, zu einem anderen Zeitpunkt zu kommen: Es wird zu voll in der Stadt und nicht möglich sein, ein Zimmer zu normalen Preisen zu bekommen.
Interview und Übersetzung aus dem Englischen von Eduard Klein.
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Tragen Sie sich in unseren Newsletter ein und bleiben Sie auf dem Laufenden.