Zwischen Krise und Aufbruch – wo steht die Ukraine heute?
Neue soziologische Daten und Wirtschaftskennzahlen zeigen, wo die sozialen Probleme des Landes liegen, aber auch wie sich die Ukraine nach der wirtschaftlichen Krise wieder erholt. Von Eduard Klein
Drängende Probleme aus Sicht der Bevölkerung
Laut einer aktuellen Umfrage sehen mehr als die Hälfte der Bewohner (51,3%) den Krieg im Donbas als das größte Problem des Landes. Das wird, solange der Konflikt im Ostteil des Landes fast täglich Menschenleben kostet, vermutlich so bleiben. Mit einigem Abstand folgen Inflation und Preissteigerungen sowie niedrige Löhne und Renten, die von 37%, resp. 36% der Menschen im Land als größtes Problem genannt werden. Jeweils rund ein Viertel der Bevölkerung sieht in der Arbeitslosigkeit (27,1%), den hohen Kosten für kommunale Dienstleistungen (26,9%), der medizinische Versorgung (22,9%) und der politischen Korruption (22,9%) ein drängendes Problem.
Gleichzeitig registriert die Bevölkerung auch positive Veränderungen. Zumeist solche, von denen die Bürgerinnen und Bürger direkt profitieren , wie z. B. der Ausbau und die Instandhaltung der Straßen (44,9%), die Anhebung der Renten (27,3%) oder allgemeine Maßnahmen zur Verbesserung des Stadtbilds (26,6%). Auch die Verbesserung der öffentlichen Dienstleistungen (8,9%) und die Anhebung der Löhne (8,7%) werden positiv wahrgenommen
Diese Zahlen verdeutlichen, dass abgesehen vom fortwährenden Krieg im Osten des Landes, den die Ukraine nicht alleine beenden kann, es vor allem soziale Probleme sind, die die Menschen beschäftigen. Hier hat es die Regierung selbst in der Hand, diese Probleme anzugehen und auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen hinzuwirken. Erfolgreiche Reformen wie in der Rentenpolitik, wodurch Renten signifikant erhöht und an die Inflation angepasst wurden, oder die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung zeigen, dass dies grundsätzlich möglich ist und von den Menschen honoriert wird. Vor diesem Hintergrund wird es spannend sein zu sehen, wie sich die Implementierung von weiteren im Herbst 2017 verabschiedeten Reformen z.B. im Bildungs- oder Gesundheitswesen in den kommenden Jahren auf die realen Lebensbedingungen der Bürgerinnen und Bürger auswirken wird.
Wachsende Wirtschaft lässt Löhne kräftig steigen
Anfang 2017 wurde der Mindestlohn auf 3.200 Hrywnja verdoppelt. Das trug zusammen mit der wirtschaftlichen Erholung dazu bei, dass der Durchschnittslohn in den letzten 12 Monaten von 5.350 Hrywnja auf 7.377 Hrywnja gestiegen ist – ein sattes Plus von 37,9%, das selbst die Inflation im selben Zeitraum i.H.v. 14,2% deutlich übersteigt. Was daran zusätzlich bemerkenswert ist: In den Regionen, wo die Menschen im Schnitt die Hälfte weniger verdienen als in Kiew, sind die Löhne schneller gestiegen als in der Hauptstadt. Die wirtschaftliche Erholung erreicht somit breite Bevölkerungsschichten im ganzen Land, und nicht nur die Metropolregionen.
Diese positive Dynamik auf der Mikroebene spiegelt sich auch in makroökonomischen Zahlen wider: 2016 wuchs die ukrainische Wirtschaft nach zwei Krisenjahren wieder um 2,3%. Die jüngsten Prognosen der Nationalbank gehen davon aus, dass das Wirtschaftswachstum auch in diesem Jahr bei 2,3% liegen wird – und dass trotz der Handelsblockade mit den „Volksrepubliken“ in Luhansk und Donezk, die im März 2017 verhängt wurde und der Nationalbank zufolge 0,7% des BIP kostet.
Für 2018 wird gar mit einem Anstieg der Wirtschaftsleistung um 3,2% gerechnet. Das bringt dem Staat zusätzliche Steuereinnahmen und bietet der Regierung den nötigen Handlungsspielraum, um auf die eingangs geschilderten Nöte der Bevölkerung eingehen zu können. Zumal 2019 Präsidentschafts- und Parlamentswahlen anstehen und die Regierung, wenn sie im Amt bleiben möchte, liefern muss, um verloren gegangenes Vertrauen in der Bevölkerung durch eine spürbare Verbesserung der Lebensbedingungen zurückzugewinnen.
Gleichzeitig macht die wirtschaftliche Konsolidierung das Land unabhängiger von internationalen Geldgebern. IWF oder EU haben ihre Kredite stets an Reformauflagen geknüpft. Mit der wachsenden Wirtschaft könnte deshalb der internationale Druck auf die Regierung abnehmen, dringende Reformen wie z. B. die Etablierung eines unabhängigen Antikorruptionsgerichts durchzuführen.
Steigende Investitionen sorgen für wirtschaftliche und regionale Diversifizierung
Ein Motor für Wirtschaftswachstum sind Investitionen, die 2016 um 20% und im ersten Halbjahr 2017 noch einmal um 23% angestiegen sind. Sie kamen vor allem der Modernisierung der Infrastruktur und Industrieanlagen zugute. Das schafft eine erhöhte Nachfrage für Maschinen und Technik, deren Import 2016 um 26% stieg, wovon nicht zuletzt die deutsche Exportwirtschaft profitierte.
Eine Karte der seit 2015 fast 150 neu eröffneten bzw. sich im Bau befindenden Fabriken in der Ukraine zeigt, dass sich viele der neuen Anlagen im Westteil des Landes in unmittelbarer Nähe zur EU-Außengrenze befindet. Die Nähe zur EU, die Russland als wichtigsten Handelspartner abgelöst hat, gut qualifiziertes Personal und niedrige Lohnkosten machen die Region attraktiv für Zulieferer in der Automobilindustrie, aber auch für andere Branchen wie den Nahrungsmittelsektor, die Chemieindustrie und IT-Dienstleistungen. Die (mehrheitlich in der Ostukraine beheimatete) Schwerindustrie, das einstige Rückgrat der ukrainischen Wirtschaft, stagniert, nicht zuletzt wegen der Handelsblockade. Das wird aber zunehmend durch die positive Dynamik in anderen Wirtschaftszweigen und Regionen kompensiert.
Die Umfragedaten stammen aus einer gemeinsamen Studie des Kyjiwer Instituts für Soziologie, des Razumkov-Zentrums, der Rating-Group Ukraine und des SOCIS-Zentrum. Für die Studie wurden 20.000 Personen in allen Regionen (mit Ausnahme der besetzten Gebiete und der Krim) im Zeitraum vom 28. Oktober – 14. November 2017 befragt.
Die Wirtschaftszahlen stammen, wenn nicht anders erwähnt, vom Statistikamt der Ukraine, www.ukrstat.gov.ua.
Neue soziologische Daten und Wirtschaftskennzahlen zeigen, wo die sozialen Probleme des Landes liegen, aber auch wie sich die Ukraine nach der wirtschaftlichen Krise wieder erholt. Von Eduard Klein
Drängende Probleme aus Sicht der Bevölkerung
Laut einer aktuellen Umfrage sehen mehr als die Hälfte der Bewohner (51,3%) den Krieg im Donbas als das größte Problem des Landes. Das wird, solange der Konflikt im Ostteil des Landes fast täglich Menschenleben kostet, vermutlich so bleiben. Mit einigem Abstand folgen Inflation und Preissteigerungen sowie niedrige Löhne und Renten, die von 37%, resp. 36% der Menschen im Land als größtes Problem genannt werden. Jeweils rund ein Viertel der Bevölkerung sieht in der Arbeitslosigkeit (27,1%), den hohen Kosten für kommunale Dienstleistungen (26,9%), der medizinische Versorgung (22,9%) und der politischen Korruption (22,9%) ein drängendes Problem.
Gleichzeitig registriert die Bevölkerung auch positive Veränderungen. Zumeist solche, von denen die Bürgerinnen und Bürger direkt profitieren , wie z. B. der Ausbau und die Instandhaltung der Straßen (44,9%), die Anhebung der Renten (27,3%) oder allgemeine Maßnahmen zur Verbesserung des Stadtbilds (26,6%). Auch die Verbesserung der öffentlichen Dienstleistungen (8,9%) und die Anhebung der Löhne (8,7%) werden positiv wahrgenommen
Diese Zahlen verdeutlichen, dass abgesehen vom fortwährenden Krieg im Osten des Landes, den die Ukraine nicht alleine beenden kann, es vor allem soziale Probleme sind, die die Menschen beschäftigen. Hier hat es die Regierung selbst in der Hand, diese Probleme anzugehen und auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen hinzuwirken. Erfolgreiche Reformen wie in der Rentenpolitik, wodurch Renten signifikant erhöht und an die Inflation angepasst wurden, oder die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung zeigen, dass dies grundsätzlich möglich ist und von den Menschen honoriert wird. Vor diesem Hintergrund wird es spannend sein zu sehen, wie sich die Implementierung von weiteren im Herbst 2017 verabschiedeten Reformen z.B. im Bildungs- oder Gesundheitswesen in den kommenden Jahren auf die realen Lebensbedingungen der Bürgerinnen und Bürger auswirken wird.
Wachsende Wirtschaft lässt Löhne kräftig steigen
Anfang 2017 wurde der Mindestlohn auf 3.200 Hrywnja verdoppelt. Das trug zusammen mit der wirtschaftlichen Erholung dazu bei, dass der Durchschnittslohn in den letzten 12 Monaten von 5.350 Hrywnja auf 7.377 Hrywnja gestiegen ist – ein sattes Plus von 37,9%, das selbst die Inflation im selben Zeitraum i.H.v. 14,2% deutlich übersteigt. Was daran zusätzlich bemerkenswert ist: In den Regionen, wo die Menschen im Schnitt die Hälfte weniger verdienen als in Kiew, sind die Löhne schneller gestiegen als in der Hauptstadt. Die wirtschaftliche Erholung erreicht somit breite Bevölkerungsschichten im ganzen Land, und nicht nur die Metropolregionen.
Diese positive Dynamik auf der Mikroebene spiegelt sich auch in makroökonomischen Zahlen wider: 2016 wuchs die ukrainische Wirtschaft nach zwei Krisenjahren wieder um 2,3%. Die jüngsten Prognosen der Nationalbank gehen davon aus, dass das Wirtschaftswachstum auch in diesem Jahr bei 2,3% liegen wird – und dass trotz der Handelsblockade mit den „Volksrepubliken“ in Luhansk und Donezk, die im März 2017 verhängt wurde und der Nationalbank zufolge 0,7% des BIP kostet.
Für 2018 wird gar mit einem Anstieg der Wirtschaftsleistung um 3,2% gerechnet. Das bringt dem Staat zusätzliche Steuereinnahmen und bietet der Regierung den nötigen Handlungsspielraum, um auf die eingangs geschilderten Nöte der Bevölkerung eingehen zu können. Zumal 2019 Präsidentschafts- und Parlamentswahlen anstehen und die Regierung, wenn sie im Amt bleiben möchte, liefern muss, um verloren gegangenes Vertrauen in der Bevölkerung durch eine spürbare Verbesserung der Lebensbedingungen zurückzugewinnen.
Gleichzeitig macht die wirtschaftliche Konsolidierung das Land unabhängiger von internationalen Geldgebern. IWF oder EU haben ihre Kredite stets an Reformauflagen geknüpft. Mit der wachsenden Wirtschaft könnte deshalb der internationale Druck auf die Regierung abnehmen, dringende Reformen wie z. B. die Etablierung eines unabhängigen Antikorruptionsgerichts durchzuführen.
Steigende Investitionen sorgen für wirtschaftliche und regionale Diversifizierung
Ein Motor für Wirtschaftswachstum sind Investitionen, die 2016 um 20% und im ersten Halbjahr 2017 noch einmal um 23% angestiegen sind. Sie kamen vor allem der Modernisierung der Infrastruktur und Industrieanlagen zugute. Das schafft eine erhöhte Nachfrage für Maschinen und Technik, deren Import 2016 um 26% stieg, wovon nicht zuletzt die deutsche Exportwirtschaft profitierte.
Eine Karte der seit 2015 fast 150 neu eröffneten bzw. sich im Bau befindenden Fabriken in der Ukraine zeigt, dass sich viele der neuen Anlagen im Westteil des Landes in unmittelbarer Nähe zur EU-Außengrenze befindet. Die Nähe zur EU, die Russland als wichtigsten Handelspartner abgelöst hat, gut qualifiziertes Personal und niedrige Lohnkosten machen die Region attraktiv für Zulieferer in der Automobilindustrie, aber auch für andere Branchen wie den Nahrungsmittelsektor, die Chemieindustrie und IT-Dienstleistungen. Die (mehrheitlich in der Ostukraine beheimatete) Schwerindustrie, das einstige Rückgrat der ukrainischen Wirtschaft, stagniert, nicht zuletzt wegen der Handelsblockade. Das wird aber zunehmend durch die positive Dynamik in anderen Wirtschaftszweigen und Regionen kompensiert.
Die Umfragedaten stammen aus einer gemeinsamen Studie des Kyijwer Instituts für Soziologie, des Razumkov-Zentrums, der Rating-Group Ukraine und des SOCIS-Zentrum. Für die Studie wurden 20.000 Personen in allen Regionen (mit Ausnahme der besetzten Gebiete und der Krim) im Zeitraum vom 28. Oktober – 14. November 2017 befragt.
Die Wirtschaftszahlen stammen, wenn nicht anders erwähnt, vom Statistikamt der Ukraine, www.ukrstat.gov.ua.
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