Stepan Bandera – Zum his­to­ri­schen und poli­ti­schen Hin­ter­grund einer Symbolfigur

Foto: Imago Images

Stepan Bandera ist eine umstrit­tene und hoch poli­ti­sierte his­to­ri­sche Figur. Die Bedeu­tung von Bandera für die Geschichte und Gegen­wart der Ukraine ana­ly­siert Wil­fried Jilge.

Anm. d. Red.: Dieser Text ent­stand in seiner ersten Fassung bereits 2015. Die Ihnen hier vor­lie­gende Version ist im Sam­mel­band „Ukraine ver­ste­hen. Auf den Spuren von Terror und Gewalt“ 2020 erschienen.

Eine der zen­tra­len Thesen der rus­si­schen Geschichts­pro­pa­ganda in der Ukraine-Krise lautet, die ban­de­rowzy, d. h. rus­so­phobe Radi­kal­na­tio­na­lis­ten, Anti­se­mi­ten oder „radikal neo­na­zis­ti­sche Gruppen“ wie der Rechte Sektor und die radi­kal­na­tio­na­lis­ti­sche Partei Swoboda seien die ent­schei­den­den Kräfte hinter den Pro­tes­ten auf dem Maidan gewesen; sie hätten in einem faschis­ti­schen Putsch am 21./22. Februar 2014 den Macht­wech­sel in Kyjiw her­bei­ge­führt. Als Faktor der Selbst­ver­tei­di­gung des Maidan spielte der Rechte Sektor während der gewalt­sa­men End­phase der Maidan-Pro­teste in der Tat eine Rolle, und die Swoboda war als kleinste Partei im Bündnis der par­la­men­ta­ri­schen Oppo­si­tion ver­tre­ten. Sie haben jedoch die Agenda der Pro­teste nie domi­niert und sind bei den Prä­si­den­ten- und Par­la­ments­wah­len chan­cen­los geblie­ben. Die Wirkung des Ste­reo­typs von den ban­de­rowzy in der rus­si­schen Öffent­lich­keit ver­dankt sich der Präsenz des sowje­ti­schen Mythos vom „Großen Vater­län­di­schen Krieg“ in der Geschichts­po­li­tik und Erin­ne­rungs­kul­tur des heu­ti­gen Russ­lands. Er bildet eines der zen­tra­len Ele­mente des vom rus­si­schen Prä­si­den­ten Putin pro­pa­gier­ten Patrio­tis­mus. In dem pro­pa­gan­dis­tisch genutz­ten sowje­ti­schen Kriegs­ge­schichts­bild zählten die ban­de­rowzy zu den Haupt­fein­den des sowje­ti­schen Staates.

Der ukrai­ni­sche Poli­ti­ker Stepan Bandera stand an der Spitze der 1940 gespal­te­nen Orga­ni­sa­tion Ukrai­ni­scher Natio­na­lis­ten (OUN), die während des Zweiten Welt­kriegs Wider­stand gegen die sowje­ti­sche Beset­zung der West­ukraine leis­tete und in ver­schie­de­nen Peri­oden mit dem natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deutsch­land zusam­men­ar­bei­tete. In der sowje­ti­schen Geschichts­auf­fas­sung werden Bandera und die OUN vor allem mit Ver­bre­chen und Terror gegen die „fried­li­che sowje­ti­sche Bevöl­ke­rung“ asso­zi­iert und als reine Mario­net­ten der Deut­schen prä­sen­tiert. Auf dieser Grund­lage stellen staat­lich gelenkte rus­si­sche Medien eine Ana­lo­gie zwi­schen dem Ein­marsch der deut­schen Wehr­macht im Sommer 1941 und den Pro­tes­ten auf dem Kyjiwer Maidan her: Die „neuen ban­de­rowzy“ in Kyjiw sind aus dieser Sicht Kol­la­bo­ra­teure der USA und der Euro­päi­schen Union, die sich gegen rus­sisch­spra­chige Men­schen und über­haupt gegen alles Rus­si­sche wenden.

Das Ste­reo­typ von den ban­de­rowzy erfüllt aber noch eine viel wich­ti­gere Funk­tion: Es soll die eigen­stän­dige ukrai­ni­sche Nation und die von ihr in freier Selbst­be­stim­mung ange­strebte euro­päi­sche Inte­gra­tion diskreditieren. 

Zu diesem Zweck wird in den popu­lär­wis­sen­schaft­li­chen Mono­gra­fien, die in Russ­land 2014 zum Thema Bandera und rus­sisch-ukrai­ni­sche Bezie­hun­gen erschie­nen sind, auf eine leicht modi­fi­zierte Deutung des Ver­tra­ges von Pere­jas­law aus dem Jahre 1654 zurückgegriffen.

1648 hatte der Auf­stand der ukrai­ni­schen Kosaken gegen die pol­ni­sche Adels­herr­schaft begon­nen. Ihr bedräng­ter Anfüh­rer, der Hetman Bohdan Chmel­nyz­kyj (ca. 1595–1657), wandte sich schließ­lich mit einem Hilfs­ge­such an den Zaren, um die Auto­no­mie der von ihm seit 1648/​1649 eta­blier­ten kosa­ki­schen Staat­lich­keit zu sichern. 1654 sprach sich eine Ver­samm­lung der Kosaken in Pere­jas­law für die Unter­ord­nung unter den Zaren aus und schwor ihm den Treue­eid. Die Deutung des Ver­tra­ges von Pere­jas­law ist bis heute umstrit­ten. Einige ukrai­ni­sche His­to­ri­ker betonen, dass es sich dabei um ein künd­ba­res Mili­tär­bünd­nis zweier Staaten auf der Basis von Gleich­be­rech­ti­gung gehan­delt habe. Rus­si­sche His­to­ri­ker hin­ge­gen ver­ste­hen den Vertrag meist als Ein­glie­de­rung der Ukraine ins Mos­kauer Reich.

Während im natio­nal­ukrai­ni­schen Geschichts­bild die Ära von Chmel­nyz­kyjs Kosa­ken­staat­lich­keit als „gol­de­nes Zeit­al­ter“ und Aus­druck ukrai­ni­scher Eigen­stän­dig­keit gilt, ist Pere­jas­law für die hier rele­vante sowje­ti­sche His­to­rio­gra­phie das Symbol der „Wie­der­ver­ei­ni­gung der Ukraine mit Russ­land“, die dann im „Großen Vater­län­di­schen Krieg“ end­gül­tig gefes­tigt worden sei. Im Rahmen der auf­wen­dig insze­nier­ten, mona­te­lan­gen Staats­fei­ern zum 300. Jah­res­tag des Ver­trags wurde 1954 die Halb­in­sel Krim in die Ukrai­ni­sche Sowjet­re­pu­blik ein­ge­glie­dert. Pere­jas­law wurde als Sinn­bild der unver­brüch­li­chen Freund­schaft von Ukrai­nern und Russen zele­briert und als Zeichen der wie­der­erlang­ten Einheit der ost­sla­wi­schen Brü­der­völ­ker (Russen, Ukrai­ner, Bela­ru­sen) nach dem Zerfall der Kyjiwer Rus, dem Ende des ver­meint­lich ein­heit­li­chen „alt­rus­si­schen Volkstums“.

Zemen­tierte der Mythos von Pere­jas­law vor 1991 die Zuge­hö­rig­keit der Ukrai­ner zur Sowjet­union an der Seite des „großen rus­si­schen Bruders“, so dient die Argu­men­ta­tion in der rus­si­schen Geschichts­po­li­tik heute der Vor­stel­lung von Russen und Ukrai­nern als „Brüdern in Blut und Glaube“ und der Legi­ti­ma­tion einer „natür­li­chen“ Inte­gra­tion in die von Russ­land geführte „Rus­si­sche Welt“ (russkij mir). In diesem Sinne wird in einem jüngst erschie­ne­nen rus­si­schen Buch zu Stepan Bandera kon­sta­tiert, dass es „zwei Ukrai­nen“ gebe: Eine „echte Ukraine, die Ukraine des Rates von Pere­jas­law […] und der sla­wi­schen Bru­der­schaft, die einig mit Russ­land“ sei, sowie eine „pro­west­li­che, rus­so­phobe Ukraine“, „mit der wir in der Ver­gan­gen­heit nicht nur einmal kämpfen mussten“. Und wenn sich, so der Autor weiter, „die ban­de­rowzy an der Macht halten, ist es nicht aus­ge­schlos­sen, dass man in Zukunft wieder kämpfen muss“.

Tat­säch­lich waren die OUN und ihr von Stepan Bandera ange­führ­ter Flügel an Ver­bre­chen betei­ligt. Reine Mario­net­ten der Deut­schen waren sie aber kei­nes­wegs: Ihr obers­tes Ziel war stets die Errich­tung eines ukrai­ni­schen Staates, was deut­schen Zielen letzt­lich zuwi­der­lief. Dass die ultra­na­tio­na­lis­ti­sche Ideo­lo­gie der OUN nicht von vorn­her­ein pau­schal mit dem deut­schen Natio­nal­so­zia­lis­mus gleich­ge­setzt werden kann, zeigt ein Blick in ihre Geschichte.

Die im Jahr 1929 in Wien voll­zo­gene Grün­dung der OUN war auch ein Versuch der ukrai­ni­schen Ver­tre­ter eines »neuen Natio­na­lis­mus«, die rich­ti­gen Kon­se­quen­zen aus den geschei­ter­ten ukrai­ni­schen Staats­bil­dungs­ver­su­chen der Jahre 1917 bis 1921 zu ziehen. Zu diesen „neuen Natio­na­lis­ten“ zählte auch der aus der Ost­ukraine stam­mende Dmytro Donzow (1883–1973), der – ohne formal Mit­glied der Orga­ni­sa­tion zu sein – in den 1920er Jahren zum wich­tigs­ten Ideo­lo­gen und Vor­den­ker des radi­ka­len „inte­gra­len Natio­na­lis­mus“ der OUN wurde. Donzow und seine Gefolgs­leute kamen zu dem Schluss, dass die Ukrai­ner noch keine Nation, sondern eine „amorphe Masse“ dar­stell­ten, die zur Aus­übung von Herr­schaft noch nicht befä­higt sei. Ziel war es daher nicht, eine Nation zu befreien, sondern über­haupt erst zu schaf­fen. Im Sinne des Vol­un­t­a­ris­mus Donzows musste die Nati­ons­bil­dung durch den Willen und die „männ­lich-heroi­sche“ Tat einer natio­na­lis­ti­schen Elite voll­zo­gen werden. Damit wendete sich Donzow gegen den „schwäch­li­chen Libe­ra­lis­mus“ und legte die Grund­la­gen für die anti­de­mo­kra­ti­sche, anti­par­la­men­ta­ri­sche und auto­ri­täre Ideo­lo­gie der OUN und ihre streng nach dem Füh­rer­prin­zip geglie­derte hier­ar­chi­sche Struk­tur. Die OUN lehnte das Par­tei­en­we­sen ab und ver­stand sich als über­par­tei­li­che Bewe­gung, in der sich die unter­schied­li­chen poli­ti­schen Kräfte der Ukrai­ner sammeln sollten. Letz­te­res schei­terte aber am abso­lu­ten Macht­an­spruch der OUN: So wollte sich keine der lega­lis­ti­schen Par­teien der Ukrai­ner in Polen (wo außer­halb der Sowjet­ukraine die meisten Ukrai­ner lebten) der Führung der OUN unterordnen.

Der „inte­grale Natio­na­lis­mus“ der OUN lehnte sich zunächst eng an den ita­lie­ni­schen Faschis­mus an. Ihr wich­tigs­tes poli­ti­sches Ziel war die Errich­tung eines auto­ri­tär ver­fass­ten und berufs­stän­disch geglie­der­ten ukrai­ni­schen Staates. Dem Ziel der Staat­lich­keit wurden alle anderen Ziele untergeordnet.

Die Mit­glie­der der OUN ver­stan­den sich als Avant­garde, deren Kader auf der Basis eines eigenen Staates die Ukrai­ner und Ukrai­ne­rin­nen zur Nation her­an­bil­den sollten. 

Dabei sahen die Prot­ago­nis­ten der OUN im Krieg den ein­zi­gen Weg zur Befrei­ung und staat­li­chen Eigen­stän­dig­keit. Eine fried­li­che Erfül­lung des ukrai­ni­schen Selb­stän­dig­keits­stre­bens inner­halb der in der Zwi­schen­kriegs­zeit in Europa herr­schen­den Macht­kon­stel­la­tion und Frie­dens­ord­nung war nicht vorstellbar.

Die wich­tigs­ten Grund­sätze des „inte­gra­len Natio­na­lis­mus“ wurden in den „Zehn Geboten des ukrai­ni­schen Natio­na­lis­ten“, dem soge­nann­ten Dekalog, zusam­men­ge­fasst. Radi­ka­ler natio­na­ler Ego­is­mus und Rück­sichts­lo­sig­keit gegen­über den Feinden der ukrai­ni­schen Nation und ihres künf­ti­gen Staates bil­de­ten die Grund­lage. Der Dekalog for­derte von jedem ukrai­ni­schen Natio­na­lis­ten unbe­dingte Opfer­be­reit­schaft. Dies schloss den gewalt­sa­men Kampf ein, ohne den aus OUN-Sicht ein ukrai­ni­scher Staat nicht zu errin­gen sei. So ließen sich indi­vi­du­el­ler Terror und Ver­bre­chen mora­lisch recht­fer­ti­gen, wenn diese dem Inter­esse der ukrai­ni­schen Nation dienten.

In den süd­öst­li­chen, von Ukrai­nern bewohn­ten Gebie­ten Polens baute die OUN in den 1930er Jahren eine starke Unter­grund­or­ga­ni­sa­tion auf. Seit 1930 kämpfte sie mit Terror- und Sabo­ta­ge­ak­ten gegen die pol­ni­sche Herr­schaft. Den Atten­ta­ten fiel auch Tadeusz Hołówko zum Opfer, einer der wenigen pol­ni­schen Poli­ti­ker, die sich für die Rechte der ukrai­ni­schen Min­der­heit ein­setz­ten. Der Terror der OUN wendete sich in erster Linie, aber nicht aus­schließ­lich gegen den pol­ni­schen Staat und seine Reprä­sen­tan­ten. Er traf bei­spiels­weise auch gemä­ßigte Ukrai­ner, (ukrai­ni­sche) Kom­mu­nis­ten und einen Reprä­sen­tan­ten sowje­ti­scher Ein­rich­tun­gen in Polen. Der pol­ni­sche Staat reagierte u. a. mit einer bru­ta­len „Pazi­fi­zie­rung“ ukrai­ni­scher Dörfer. Die poli­ti­sche Ent­wick­lung der Ukrai­ner in Polen muss auch im Lichte der Min­der­hei­ten­po­li­tik des pol­ni­schen Staates gesehen werden: Er betrieb, wenn auch in den ver­schie­de­nen Phasen nicht immer mit glei­cher Inten­si­tät, eine Politik der Polo­ni­sie­rung  gegen­über den Ukrai­nern, die eine Hin­wen­dung zur OUN begüns­tigte, ins­be­son­dere in den Reihen der unzu­frie­de­nen west­ukrai­ni­schen Jugend.

Der Terror der OUN in den 1930er Jahren schloss Aktio­nen gegen Juden ein (z. B. das Nie­der­bren­nen jüdi­scher Geschäfte), bei denen auch phy­si­sche Gewalt ange­wen­det wurde. Der Anti­se­mi­tis­mus der OUN in dieser Zeit zeigte sich vor­wie­gend noch öko­no­misch, weniger ras­sis­tisch moti­viert. In ihrer Sicht domi­nierte die jüdi­sche Bevöl­ke­rung den städ­ti­schen Handel und blo­ckier­ten so die Aus­bil­dung eines ukrai­ni­schen Mit­tel­stan­des und damit eine voll­stän­dige Nati­ons­bil­dung der Ukrai­ner. Der anti­se­mi­ti­sche Ste­reo­typ von „den Juden als Erfül­lungs­ge­hil­fen der Russen“ – oder der Sowjets – war bei Donzow bereits Mitte der 1920er Jahre ange­legt, rückte aber noch nicht in den Vordergrund.

Ihre inten­sivste poli­ti­sche Akti­vi­tät in Polen ent­fal­tete die OUN, als Stepan Bandera Führer der Lan­des­exe­ku­tive der OUN in den west­ukrai­ni­schen Gebie­ten wurde. Der 1909 in dem ost­ga­li­zi­schen Dorf Staryj Uhryniw (heute Gebiet Iwano-Fran­kiw­s­k/Ukraine) gebo­rene Stepan Bandera wuchs als Sohn eines grie­chisch-katho­li­schen Pfar­rers auf und ent­stammte der länd­li­chen ukrai­ni­schen Intel­li­genz. 1929 trat er der OUN bei und stieg im Juni 1932 bereits zum stell­ver­tre­ten­den Lan­des­füh­rer und Refe­ren­ten für Pro­pa­ganda auf. Als Lan­des­füh­rer (inof­fi­zi­ell schon Ende 1932, offi­zi­ell seit Juni 1933) trug Bandera Ver­ant­wor­tung für die Atten­tate der OUN, und unter seiner Führung nahm der Terror der OUN noch­mals zu.

Bandera befür­wor­tete den indi­vi­du­el­len Terror als Teil einer „per­ma­nen­ten Revo­lu­tion“, die die Ukrai­ner auf eine später zu ent­fa­chende „natio­nale Revo­lu­tion“ vor­be­rei­ten sollte. Sie würde schließ­lich zur Errich­tung eines ukrai­ni­schen Staates führen. 

Unter Ban­de­ras Ver­ant­wor­tung als Lan­des­füh­rer verübte die OUN ihr spek­ta­ku­lärs­tes Atten­tat: die Ermor­dung des pol­ni­schen Innen­mi­nis­ters Bro­nisław Piera­cki am 15. Juni 1934 in Warschau.

Zusam­men mit anderen Mit­glie­dern der OUN wurde Bandera in zwei Pro­zes­sen in War­schau und Lwiw (ehemals Lemberg) 1935 und 1936 vor Gericht gestellt. Er wurde zum Tode ver­ur­teilt, das Urteil wurde jedoch später in eine lebens­läng­li­che Haft­straße umge­wan­delt. Sein Auf­tritt ver­wan­delte bereits den ersten Gerichts­pro­zess in War­schau, der auf ein großes Medi­en­in­ter­esse stieß, in einen Pro­pa­gan­da­er­folg der OUN. Fragen des Rich­ters beant­wor­tete Bandera nicht auf Pol­nisch, sondern auf Ukrai­nisch, was unzu­läs­sig war. Als er des­we­gen aus dem Gerichts­saal geführt wurde, leis­tete er Wider­stand und rief Anschul­di­gun­gen an die Adresse des pol­ni­schen Staates aus. Durch die Gerichts­pro­zesse wurde Bandera eine der bekann­tes­ten Per­sön­lich­kei­ten in der West­ukraine. Die im Prozess demons­trierte Unbeug­sam­keit und ideo­lo­gi­sche Beharr­lich­keit machten ihn zum „Symbol des auf­rech­ten ukrai­ni­schen Natio­na­lis­ten, der die Parole ›den ukrai­ni­schen Staat errin­gen oder sterben‹ personifizierte“.

Sowohl die Pro­zesse 1935/​1936 als auch Ban­de­ras Ermor­dung durch einen sowje­ti­schen Agenten am 15. Oktober 1959 in München bilden wich­tige Aus­gangs­punkte für die Ver­klä­rung dieses Poli­ti­kers zum Sinn­bild einer unbe­zwing­ba­ren Opfernation. 

Vor allem bei der west­ukrai­ni­schen Jugend war er populär.

Die OUN war nicht in der Lage, aus eigener Kraft einen ukrai­ni­schen Staat zu errich­ten. Der Frage, mit welchem Bünd­nis­part­ner dieses Ziel erreicht werden könnte, kam daher beson­dere Bedeu­tung zu. Bereits in den 1920er Jahren lie­ferte Dmytro Donzow mit seiner Denk­fi­gur der „Amo­ra­li­tät“ ein Argu­ment, das die Weichen früh in Rich­tung Deutsch­land stellte. Im Sinne seiner Rus­sen­feind­schaft for­derte er, dass das ukrai­ni­sche Volk mit jedem Gegner Russ­lands ohne Rück­sicht auf dessen poli­ti­sche Ziele zusam­men­ar­bei­ten könnten. Daraus leitete die OUN schon früh eine ent­spre­chende Prä­fe­renz ab, wobei weniger ideo­lo­gi­sche Ver­wandt­schaft als gemein­same Inter­es­sen den Aus­schlag gaben. Als Bünd­nis­part­ner, von dem eine Ände­rung des Status quo in Europa aus­ge­hen konnte, kam nach 1933 ins­be­son­dere das bis auf tak­ti­sche Aus­nah­men grund­sätz­lich anti­pol­nisch und anti­so­wje­tisch aus­ge­rich­tete natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Deut­sche Reich in Frage. Schon weil Polen neben der Sowjet­union zunächst der Haupt­feind der OUN war, unter­hielt die Orga­ni­sa­tion jedoch auch Kon­takte zu Staaten, deren Ver­hält­nis zu Polen ange­spannt war, wie z. B. zu Litauen und zur Tschechoslowakei.

Affi­ni­tä­ten zwi­schen der Ideo­lo­gie der OUN und dem Natio­nal­so­zia­lis­mus, die später vor allem hin­sicht­lich Anti­bol­sche­wis­mus und Anti­se­mi­tis­mus in den Vor­der­grund rückten, haben die Zusam­men­ar­beit erleich­tert. Ende der 1930er Jahre fand ein ras­sis­tisch argu­men­tie­ren­der, die Assi­mi­la­tion der Juden aus­schlie­ßen­der Anti­se­mi­tis­mus Eingang in den ideo­lo­gi­schen Diskurs der OUN, und 1940/​1941 bildete der Anti­se­mi­tis­mus in Form des Ste­reo­typs vom „jüdi­schen Bol­sche­wis­mus“ (auch „Juden­kom­mune“) einen festen Bestand­teil von Ideo­lo­gie und Politik der OUN.

Was das Ver­hält­nis der OUN zu den Deut­schen angeht, so kon­zen­triere ich mich auf einen Höhe­punkt der kom­ple­xen Kol­la­bo­ra­ti­ons­ge­schichte: die Zusam­men­ar­beit des von Bandera geführ­ten Flügels der OUN mit NS-Deutsch­land 1940 /​ 1941.

Nach der Ermor­dung ihres Führers Jewhen Kono­wa­lez durch den sowje­ti­schen Agenten Sudo­pla­tow im Mai 1938 kam es inner­halb der OUN zu Kon­flik­ten und im Jahre 1940 zur Spal­tung der Orga­ni­sa­tion. Der eine, von Oberst Andrij Melnyk geführte Flügel (OUN‑M) reprä­sen­tierte eher die ältere Gene­ra­tion der OUN, die Emi­gran­ten; der andere  Flügel (OUN‑B) hatte seine Basis in der West­ukraine und im deutsch besetz­ten Polen und wurde von Stepan Bandera geführt. Im Hin­blick auf die Ideo­lo­gie exis­tier­ten keine nen­nens­wer­ten Unter­schiede. Beide Flügel arbei­te­ten mit den Deut­schen zusam­men. Die OUN‑M koope­rierte u. a. mit den deut­schen Poli­zei­kräf­ten; die OUN‑B primär mit der deut­schen Wehr­macht, vor allem ihrem Nach­rich­ten­dienst, der „Abwehr“. Die gegen­über den Deut­schen vor­sich­ti­ger agie­rende OUN‑M war eher bereit, auf dem Weg zur Staat­lich­keit natio­nale Rück­schläge hin­zu­neh­men und sich zunächst auf den Aufbau vor­staat­lich-lokaler Struk­tu­ren zu beschrän­ken. Die betont akti­vis­ti­sche Bandera-OUN setzte stärker auf eigene Initia­tive: Direkt nach der Befrei­ung der ukrai­ni­schen Gebiete wollte sie – zeit­gleich mit der bewaff­ne­ten Erhe­bung der Ukrai­ner – den Staat aus­ru­fen, eine Regie­rung bilden und mit dem Aufbau staat­li­cher Struk­tu­ren begin­nen. In den Augen Ban­de­ras sollten die Ukrai­ner durch eine solche „natio­nale Revo­lu­tion“ unter Führung der OUN‑B gegen­über den Deut­schen ihren Anspruch legi­ti­mie­ren, auf ukrai­ni­schem Gebiet die Geschi­cke selbst zu bestim­men. Diese Vor­stel­lun­gen sind unter dem Titel Kampf und Tätig­keit der OUN während des Krieges vom Mai 1941 doku­men­tiert. Die Schrift, die Bandera zusam­men mit den von ihm in die OUN-B-Führung beru­fe­nen Kader ver­fasste – u. a. seinem Stell­ver­tre­ter Jaros­law Stezko (1912–1986) und dem Leiter des mili­tä­ri­schen Stabes der OUN‑B und spä­te­ren UPA-Ober­kom­man­die­ren­den Roman Schu­che­wytsch (1907–1950) – enthält aus­führ­li­che Instruk­tio­nen für den erwar­te­ten deut­schen Angriff auf die Sowjetunion.

Die Anwei­sun­gen der OUN‑B defi­nier­ten die Feinde, von denen das befreite ukrai­ni­sche Ter­ri­to­rium „gesäu­bert“ werden sollte. Im Falle des Krieges sollten die regime­treue Intel­li­genz, die Akti­vis­ten und Funk­tio­näre der feind­li­chen Natio­na­li­tä­ten, d. h. der „Mos­ko­wi­ter“ sowie Polen und Juden, liqui­diert und durch Mit­glie­der der ukrai­ni­schen Elite ersetzt werden. Diese Anwei­sun­gen sind stets im Lichte des ange­streb­ten Ziels eines eth­nisch homo­ge­nen Ter­ri­to­ri­ums und der hohen Gewalt­be­reit­schaft der OUN‑B zu sehen. Als Haupt­feind rückte der „mos­ko­wi­ti­sche Bol­sche­wis­mus“ in den Vor­der­grund, mit dem das Ste­reo­typ von den Juden als Stützen der bol­sche­wis­ti­schen Herr­schaft („Juden­kom­mune“) ver­knüpft wurde. Zwi­schen Juden als sowje­ti­schen Funk­ti­ons­trä­gern und anderen jüdi­schen Men­schen wird in dem Doku­ment nicht unter­schie­den; viel­mehr domi­niert eine gene­ra­li­sie­rende Tendenz, die das jüdi­sche Volk als natio­na­les Kol­lek­tiv zum Feind zu erklä­ren. Als Feinde wurden auch Ukrai­ner betrach­tet, die mit dem sowje­ti­schen Regime ver­bun­den waren.

NS-Deutsch­land war der Bünd­nis­part­ner der OUN‑B, mit dessen Hilfe die Sowjet­union nie­der­ge­wor­fen werden sollte. An dieser Bünd­nis­po­li­tik änderte auch die Tat­sa­che nichts, dass die deut­sche Seite in den vor­an­ge­gan­ge­nen Jahren ukrai­ni­sche Hoff­nun­gen auf einen eigenen Staat – das oberste Ziel der OUN – stets ent­täuscht hatte. Auch der brutale anti­jü­di­sche und anti­pol­ni­sche Terror der Deut­schen in Polen, der der OUN bekannt war, tat der Loya­li­tät keinen Abbruch. Das in den Instruk­tio­nen for­mu­lierte mör­de­ri­sche Pro­gramm illus­triert viel­mehr eine deut­li­che Radi­ka­li­sie­rung und Anpas­sung der OUN an die Politik NS-Deutschlands.

Ver­tre­ter der mit der OUN‑B koope­rie­ren­den Wehr­macht haben einer gewis­sen Auto­no­mie der Ukrai­ner wohl ambi­va­lent gegen­über­ge­stan­den; aus der Sicht Hitlers jedoch kam der Ukraine nicht die von der OUN‑B gewünschte Rolle eines gleich­be­rech­tig­ten Bünd­nis­part­ners zu; sie sollte eine Kolonie werden; ein ukrai­ni­scher Staat stand nicht zur Diskussion.

Im Rahmen der mili­tä­ri­schen Koope­ra­tion mit der OUN‑B stellte die Abwehr der Wehr­macht Ein­hei­ten mit ukrai­ni­schem Per­so­nal auf. Zum Zeit­punkt, als das Batail­lon Nach­ti­gall ein­mar­schiert war, pro­kla­mierte die OUN‑B am 30. Juni 1941 in Lwiw einen sou­ve­rä­nen ukrai­ni­schen Staat. Bandera selbst war nicht anwe­send; laut Rosso­liń­ski-Liebe wurde er von den Deut­schen im „Gene­ral­gou­ver­ne­ment“ kurz vor der Pro­kla­ma­tion fest­ge­setzt. Sie unter­sag­ten ihm, nach Lwiw zu kommen. Regie­rungs­chef wurde Ban­de­ras Stell­ver­tre­ter Jaros­law Stezko. Die Staats­grün­dung schei­terte. Die deut­sche Besat­zungs­macht ent­schied sich kurz nach der Pro­kla­ma­tion, die Betei­lig­ten zu inhaf­tie­ren. Bandera und Stezko wurden am 5. und 9. Juli 1941 fest­ge­nom­men und nach Berlin gebracht, unter der Auflage, die Stadt nicht zu ver­las­sen. Beide wei­ger­ten sich, den Staats­grün­dungs­akt zurück­zu­neh­men; doch unter­brei­te­ten sie bzw. die OUN‑B der deut­schen Seite bis Mitte August Ange­bote zur Fort­set­zung der Kol­la­bo­ra­tion. Die ban­de­rowzy ver­such­ten ver­geb­lich, die Deut­schen davon zu über­zeu­gen, am ukrai­ni­schen Bünd­nis­part­ner und dem ukrai­ni­schen Staat fest­zu­hal­ten, der sich, wie sie ver­si­cher­ten, einer von NS-Deutsch­land geführ­ten euro­päi­schen Ordnung anschlie­ßen würde.

Trotz des Schei­terns der Staats­grün­dung gelang es der OUN‑B, mit der Pro­kla­ma­tion vom 30. Juni 1941 einen beträcht­li­chen Teil der west­ukrai­ni­schen Bevöl­ke­rung zu mobi­li­sie­ren, ihre Bewe­gung als füh­rende ukrai­ni­sche Kraft zu prä­sen­tie­ren und ihren abso­lu­ten Macht­an­spruch im ukrai­ni­schen Lager durch­zu­set­zen. In den seit 1994 erschei­nen­den staat­li­chen Geschichts­bü­chern wird der „Akt der Erneue­rung des ukrai­ni­schen Staates“ mit wenigen Aus­nah­men als „Erneue­rung ukrai­ni­scher Staat­lich­keit“ positiv gewür­digt. Die von der OUN‑B vor­ge­se­hene Form des ukrai­ni­schen Staates, nämlich eine tota­li­täre Dik­ta­tur unter ihrer Führung, wird im staats­fi­xier­ten Schul­ge­schichts­bild nicht erwähnt. Das­selbe gilt für die Tat­sa­che, dass das Staats­pro­jekt Ban­de­ras vor allem für eine Inte­gra­tion einer auto­no­men Ukraine in Hitlers Europa stand und damit dem faschis­ti­schen Satel­li­ten­staat der kroa­ti­schen Usta­scha weit näher­kam als einer wirk­li­chen Unabhängigkeit.

Obwohl die Deut­schen die Hoff­nun­gen der Ukrai­ner auf einen eigenen Staat ent­täusch­ten, setzte die OUN‑B die Zusam­men­ar­beit mit den deut­schen Besat­zern im Juli 1941 zunächst fort.

Zu den dun­kels­ten und in den heu­ti­gen Geschichts­de­bat­ten der Ukraine weit­ge­hend tabui­sier­ten Kapi­teln der Geschichte der OUN‑B zählt die Betei­li­gung der OUN‑B und der von ihr geführ­ten und auf­ge­stell­ten ukrai­ni­schen Milizen an den Pogro­men gegen die jüdi­sche Bevöl­ke­rung, die nach dem Abzug der Roten Armee – und fast zeit­gleich mit dem „Staats­akt“ der OUN‑B – Ende Juni/​Anfang Juli 1941in zahl­rei­chen Städten und Dörfern der West­ukraine einsetzten. 

Das­selbe gilt für die von den Milizen – durch Fest­nah­men von Juden – geleis­tete Unter­stüt­zung bei Mas­sen­er­schie­ßun­gen im Juli 1941 durch die Ein­satz­grup­pen.  Die Milizen waren auch an Mas­sen­mor­den der Waffen-SS-Divi­sion Wiking in einer Reihe von Städten in Ost­ga­li­zien betei­ligt. Der His­to­ri­ker Alek­sandr Kruglov schätzt die Zahl der in der gesam­ten West­ukraine im Juni/​Juli 1941 ermor­de­ten Juden auf etwa 16.000.

Die anti­jü­di­sche Gewalt wurde mit dem Ideo­lo­gem begrün­det, Juden seien gene­rell als Unter­stüt­zer des Sowjet­re­gimes ein­zu­stu­fen. Unmit­tel­ba­rer Aus­lö­ser der Pogrome, von denen hier nur kurz der Fall Lwiw betrach­tet werden kann (30. Juni –2. Juli 1941), war u. a. das Auf­fin­den der von den Sowjets bzw. der von der sowje­ti­schen Geheim­po­li­zei NKWD beim Abzug der Roten Armee ermor­de­ten Gefäng­nis­in­sas­sen (unter denen mehr­heit­lich Ukrai­ner, aber auch viele Polen und Juden waren). Gründe für die Inhaf­tie­run­gen durch den NKWD waren u. a. der Ver­dacht des ukrai­ni­schen Natio­na­lis­mus oder Ver­bin­dun­gen zum natio­na­lis­ti­schen Unter­grund. Die Gesamt­zahl der vom NKWD inhaf­tier­ten und beim Abzug der Roten Armee getö­te­ten Insas­sen (Ukrai­ner, Juden und Polen) belief sich allein in Lwiw auf über 3000, für alle Gebiete des sowje­tisch besetz­ten Ost­po­len wird sie auf über auf 20.000 geschätzt, davon zwei Drittel allein in der West­ukraine. Die schnelle Ver­brei­tung von Infor­ma­tio­nen über die Mas­sen­morde an den Gefäng­nis­in­sas­sen und der Umstand, dass Juden zu den Auf­räum­ar­bei­ten und der Bergung von Leichen in den NKWD-Gefäng­nis­sen her­an­ge­zo­gen wurden, wirkte als Kata­ly­sa­tor pogrom­ar­ti­ger anti­jü­di­scher Gewalt. Die ukrai­ni­schen Milizen brach­ten die Juden – in weitaus höherer Zahl als für die Auf­räum­ar­bei­ten benö­tigt – zwangs­weise zu den Gefäng­nis­sen, miss­han­del­ten und schlu­gen sie, wobei sie von Zivi­lis­ten und Zivi­lis­tin­nen unter­stützt wurden. An Miss­hand­lun­gen und Ermor­dun­gen auf den Gefäng­nis­hö­fen waren meist ukrai­ni­sche Milizen und Zivi­lis­ten, aber auch deut­sche Sol­da­ten und Polizei betei­ligt. Zu Tötun­gen der jüdi­schen Bevöl­ke­rung durch die ukrai­ni­sche Miliz oder Ein­hei­mi­sche kam es im Rahmen der Betei­li­gung an Gewalt­ex­zes­sen; sys­te­ma­ti­sche Erschie­ßun­gen hat die ukrai­ni­sche Miliz selbst nicht durch­ge­führt. Die deut­schen Macht­ha­ber haben die Hass­aus­brü­che tole­riert und geför­dert; die Ein­hei­mi­schen mussten zu anti­jü­di­schen Hand­lun­gen jedoch nicht beson­ders ange­trie­ben werden. Die Gewalt­ex­zesse gegen Juden waren im Sinne der – auch von der OUN‑B geteil­ten und ver­brei­te­ten – ste­reo­ty­pi­sche Wahr­neh­mung vom „jüdi­schen Bol­sche­wis­mus“ in den Augen vieler Ukrai­ner eine Strafe für die sowje­ti­schen Ver­bre­chen. In den Gewalt­ta­ten zeigte sich laut Kai Struve der „emo­tio­nale Aus­nah­me­zu­stand“, den die Kon­fron­ta­tion mit den NKWD-Ver­bre­chen ebenso aus­löste wie die Freude über die Befrei­ung von der sowje­ti­schen Herr­schaft, als deren Träger und Nutz­nie­ßer die Juden ange­se­hen wurden.

Hinzu kam die eupho­ri­sche Hoff­nung vieler Ukrai­ner auf einen eigenen Staat, die von den Deut­schen aber bald ent­täuscht wurde. Die von der OUN‑B geführ­ten Milizen haben noch Ende Juli/​Anfang August die deut­sche Sicher­heits­po­li­zei durch Fest­nah­men bei den Mas­sen­er­schie­ßun­gen von Juden unter­stützt. Obwohl das Ver­hält­nis der OUN‑B zu den Deut­schen nach der geschei­ter­ten Staats­grün­dung massiv ein­ge­trübt war, wider­sprach die Zusam­men­ar­beit bei den Gewalt­ta­ten gegen Juden nicht den Zielen der OUN‑B. Diese sah in der Ver­fol­gung der Juden ein kon­kre­tes Feld der Koope­ra­tion und hoffte durch ent­spre­chende Mit­ar­beit immer noch, die Deut­schen davon über­zeu­gen zu können, die Errich­tung eines ukrai­ni­schen Staates zuzulassen.

Die Gewalt der ukrai­ni­schen Milizen gegen Juden an vielen Orten kann nicht allein mit einem Kampf gegen die sowje­ti­sche, von Juden sym­bo­li­sierte Herr­schaft erklärt werden: In Süd­ost­ga­li­zien haben die OUN-B-geführ­ten Milizen in Orten, wo die dortige unga­ri­sche Besat­zungs­macht keine volle Kon­trolle (vor allem in den Dörfern) ausübte, bei ihren Aktio­nen gegen echte und ver­meint­li­che Helfer der Sowjets pol­ni­sche und ukrai­ni­sche Akti­vis­ten, bei den jüdi­schen aber ganze Fami­lien getötet. Dies spricht dafür, dass auch ein gene­ra­li­sie­ren­der und eli­mi­na­to­ri­scher Anti­se­mi­tis­mus als eigen­stän­di­ges Movens eine Rolle für das Handeln der Bandera-Milizen spielte.

Trotz der erheb­li­chen Betei­li­gung von OUN-B-Ange­hö­ri­gen und anderen Ein­hei­mi­schen an den anti­jü­di­schen Gewalt­ta­ten ging das Morden in weitaus höherem Maße von den Deut­schen aus. 

Zudem haben die ukrai­ni­schen Milizen gegen­über den Juden nicht an allen Orten ein­heit­lich gehan­delt. Trotz der von ukrai­ni­scher Seite ver­üb­ten mas­si­ven anti­jü­di­schen Gewalt im Sommer 1941 ist das Vor­ur­teil vom „Anti­se­mi­tis­mus der Ukrai­ner“ ebenso falsch wie andere Kol­lek­tiv­ste­reo­type. Tau­sende von Juden haben von Ukrai­nern im Laufe der Besat­zungs­zeit Hilfe erfah­ren oder wurden durch sie gerettet.

Im August und Sep­tem­ber 1941 kün­dig­ten die Deut­schen die Zusam­men­ar­beit mit der Bandera-OUN end­gül­tig auf. Die deut­sche Besat­zungs­macht ging nun selek­tiv – wenn auch nicht auf breiter Front – in Form von Ver­haf­tun­gen und Erschie­ßun­gen gegen die Orga­ni­sa­tion vor. Bandera kam im Novem­ber 1941 in „Ehren­haft“ in das Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Sach­sen­hau­sen. Seine Brüder, die OUN-B-Mit­glie­der Olek­sandr und Vasyl, wurden im Herbst 1941 von der Gestapo ver­haf­tet und im Juli 1942 im KZ Ausch­witz ermor­det. Im Sommer 1942 wurden noch weitere Mit­glie­der der Füh­rungs­gruppe der OUN‑B nach Ausch­witz deportiert.

In die Ille­ga­li­tät gezwun­gen, musste sich die OUN‑B neu auf­stel­len. Unter ihrer Führung wurde 1942/​1943 die Ukrai­ni­sche Auf­stands­ar­mee (UPA) auf­ge­baut, die im Grunde ihr mili­tä­ri­scher Arm war, wenn auch nicht völlig mit der OUN‑B iden­tisch. Die per­so­nelle Basis der UPA rekru­tierte sich u. a. aus Mit­glie­dern der OUN‑B, ehe­ma­li­gen zur OUN‑B gehö­ri­gen Mit­glie­dern der Batail­lone Nach­ti­gall und Roland sowie ein­hei­mi­schen jungen Männern und Teilen der ukrai­ni­schen Hilfs­po­li­zei, von denen viele an den deut­schen Mas­sen­mor­den an Juden betei­ligt gewesen waren und dann zur UPA desertierten.

Im Laufe des Krieges gewann die UPA eine immer größere poli­ti­sche Bedeu­tung. Sie ver­fügte über einen breiten Rück­halt in der west­ukrai­ni­schen Bevöl­ke­rung, die die repres­sive sowje­ti­sche Herr­schaft in den Jahren 1939 bis 1941 noch in so fri­scher wie schlech­ter Erin­ne­rung hatte und ihre Rück­kehr in die West­ukraine im Sommer 1944 fürchtete. 

Der in der west­li­chen Ukraine kon­zen­trierte Kampf der UPA dauerte bis 1949, der anti­so­wje­ti­sche Wider­stand des natio­na­lis­ti­schen Unter­grunds bis in die 1950er Jahre.

Ab dem Sommer 1943 kämpfte die UPA vor allem gegen sowje­ti­sche Par­ti­sa­nen, deren Auf­tau­chen in Wol­hy­nien ein Motiv ihrer Grün­dung gewesen war, und 1944, nach der Rück­erobe­rung der Gebiete durch die Sowjets, kämpfte sie auch gegen die Rote Armee. Außer­dem ging sie gegen pol­ni­sche Ein­woh­ner vor. Der Krieg der UPA mit den Sowjets wurde bei­der­seits mit enormer Bru­ta­li­tät geführt. Um der UPA die Rekru­tie­rungs­ba­sis und Unter­stüt­zung zu ent­zie­hen, reagierte die sowje­ti­sche Geheim­po­li­zei mit mas­sen­haf­ten Erschie­ßun­gen, Ver­haf­tun­gen und Depor­ta­tio­nen. Zwi­schen 1944 und 1952 wurden etwa 153.000 Men­schen erschos­sen und zwi­schen 1944 und 1953 sind etwa 66.000 Fami­lien (rund 204.000 Men­schen) aus der West­ukraine depor­tiert worden. Dies ist ein Grund für die in Ost­ga­li­zien und Teilen Wol­hy­ni­ens domi­nie­rende anti­so­wje­tisch ein­ge­färbte natio­nale Erin­ne­rungs­kul­tur, in der die UPA als eine Art Hei­mat­schutz­ar­mee ange­se­hen wird.

In der sowje­ti­schen His­to­rio­gra­phie und Pro­pa­ganda wurden zahl­rei­che Aspekte des Unter­grund­kamp­fes der UPA ver­schwie­gen und die Ste­reo­type von den ban­de­rowzy auf die UPA über­tra­gen. Das daraus resul­tie­rende, von der heu­ti­gen rus­si­schen Medi­en­pro­pa­ganda meist über­nom­mene Zerr­bild von der durch­ge­hen­den Kol­la­bo­ra­tion der UPA mit den Deut­schen ist in dieser Ein­deu­tig­keit jedoch his­to­risch unzu­tref­fend. Zwar gab es ein­zelne Kon­takte von UPA-Gruppen mit deut­schen Stellen, ten­den­zi­ell wendete sich der natio­na­lis­ti­sche Par­ti­sa­nen­kampf der UPA aber auch gegen die deut­sche Besat­zungs­macht. Aktio­nen der UPA rich­te­ten sich bei­spiel­weise gegen die deut­sche Zivil­ver­wal­tung und Infra­struk­tur und waren „keine Ein­zel­fälle, sondern schränk­ten deren Arbeit spürbar ein“. Außer­dem ver­suchte die UPA, Zwangs­ar­bei­ter und Zwangs­ar­bei­te­rin­nen zu befreien, nicht zuletzt, um sie der UPA ein­zu­glie­dern. Der Wider­stand der UPA rich­tete sich vor allem gegen Zivil­ver­wal­tung, deut­sche Sicher­heits­po­li­zei und SD, aber kaum gegen die Wehrmacht.

In weiten Teilen der ukrai­ni­schen His­to­rio­gra­phie wird die in kosa­ki­schen Tra­di­tio­nen ste­hende UPA als „natio­nale Armee“ und dritte Kraft dar­ge­stellt, die kom­pro­miss­los sowohl gegen die deut­sche als auch die sowje­ti­sche Besat­zungs­macht kämpfte. Außer­dem wird darauf hin­ge­wie­sen, dass es im Rahmen des außer­or­dent­li­chen Kon­gres­ses der OUN‑B im August 1943 zu erheb­li­chen Modi­fi­ka­tio­nen in der Pro­gram­ma­tik von OUN und UPA in Rich­tung auf eine Demo­kra­ti­sie­rung und im Sinne einer mode­ra­te­ren Ein­stel­lung der UPA gegen­über Juden gekom­men sei. Das daraus resul­tie­rende Bild von der UPA als anti­to­ta­li­tä­rer und für die Frei­heit und Unab­hän­gig­keit der Ukraine kämp­fende Kraft lässt sich jedoch nur auf­recht­erhal­ten, wenn die dunklen Seiten der UPA kon­se­quent unter­schla­gen werden. Die Demo­kra­ti­sie­rung stand nur auf dem Papier und war vor allem tak­tisch moti­viert: Ange­sichts der dro­hen­den Nie­der­lage des Deut­schen Reiches suchten die OUN‑B und die UPA neue Bünd­nis­part­ner wie die Westmächte.

Die UPA per­p­etu­ierte zahl­rei­che Ele­mente des rechts­extre­men inte­gra­len Natio­na­lis­mus der OUN der 1930er Jahre.

Das eigent­li­che Ver­bre­chen der UPA setzt im März 1943 mit dem Versuch einer „eth­ni­schen Säu­be­rung“ des Gebiets Wol­hy­nien ein. 

Der Terror gegen die pol­ni­sche Bevöl­ke­rung zielte auf eine eth­ni­sche Homo­ge­ni­sie­rung Wol­hy­ni­ens ab, um den Anspruch der Ein­be­zie­hung dieser Region in einen künf­ti­gen ukrai­ni­schen Staat zu unter­strei­chen. Den Mas­sa­kern fielen min­des­tens 60.000 Polen zum Opfer, angeb­lich 5000 –20.000 Ukrai­ner den Gegen­maß­nah­men der pol­ni­schen Hei­mat­ar­mee. Dieses Ereig­nis ist Teil eines grö­ße­ren, auch unter der vor allem in der Ukraine gebräuch­li­chen Bezeich­nung „Wol­hy­nien-Tra­gö­die“ bekann­ten blu­ti­gen ukrai­nisch-pol­ni­schen Kon­flikts, der bisher weder aus­rei­chend erforscht noch auf­ge­ar­bei­tet worden ist.

Der Umgang der UPA mitder jüdi­schen Bevöl­ke­rung, die in die Wälder geflüch­tet oder in Reihen der UPA als Ärzte oder Hand­wer­ker tätig waren, ver­langt eben­falls noch eine gründ­li­che Unter­su­chung. Doch blieb die Haltung der UPA ten­den­zi­ell anti­se­mi­tisch. Viele UPA-Par­ti­sa­nen waren wei­ter­hin über­zeugt, dass „die Juden“ die Sowjet­macht unter­stütz­ten. Im Früh­jahr 1944 setzte die Koope­ra­tion zwi­schen UPA und Wehr­macht wieder ein. Jün­ge­ren For­schun­gen zufolge wurden min­des­tens 1000 bis 2000 Juden, die in die Wälder geflüch­tet waren, von UPA-Ein­hei­ten getötet.

Nachdem die West­ukraine wieder in sowje­ti­scher Hand war, wurde Stepan Bandera im Sep­tem­ber 1944 aus der Haft ent­las­sen – auch dies eine Folge der erneu­ten Koope­ra­tion der OUN mit den Deut­schen. Er blieb zwar während des Krieges sym­bo­lisch der Führer der OUN‑B, hatte jedoch mit dem Kampf der UPA kaum etwas zu tun. Bandera nahm noch Teil an der letzten Etappe der ukrai­nisch-deut­schen Kol­la­bo­ra­ti­ons­ge­schichte: Im Novem­ber 1944 war er Mit­be­grün­der des Ukrai­ni­schen Natio­nal­ko­mi­tees, das von der deut­schen Reichs­re­gie­rung im März 1945 noch als „allei­ni­ger Ver­tre­ter des ukrai­ni­schen Volkes“ aner­kannt wurde, doch spiel­ten dort künftig weder er noch die OUN‑B noch eine ent­schei­dende Rolle. Seit Februar 1945 stand Bandera an der Spitze des auf einer Wiener Kon­fe­renz der OUN‑B gegrün­de­ten Aus­lands­zen­trums der Orga­ni­sa­tion, bevor er nach Kriegs­ende nach Bayern über­sie­delte, wo er bis zu seiner Ermor­dung 1959 unter fal­schem Namen lebte. Die Aus­lands­or­ga­ni­sa­tion der OUN‑B blieb nach dem Krieg in ideo­lo­gi­sche Strei­te­reien und macht­po­li­ti­sche Kon­flikte ver­strickt und spal­tete sich schließ­lich. Stepan Bandera soll sich in den orga­ni­sa­ti­ons­in­ter­nen Kämpfen Demo­kra­ti­sie­rungs­ten­den­zen wider­setzt haben, wobei unge­klärt ist, ob die demo­kra­ti­schen Ver­än­de­rungs­be­stre­bun­gen seiner Rivalen ernst gemeint waren. Bandera jeden­falls stand schließ­lich einem Flügel der Aus­lands-OUN‑B vor, deren Wirken weit­ge­hend auf das Exil ein­ge­schränkt war. Die OUN-B-Führung im Ausland einer­seits und die Lan­des­struk­tu­ren von OUN und UPA in der Ukraine ande­rer­seits iso­lier­ten sich zuneh­mend von­ein­an­der. Wenige Jahre nach Kriegs­ende hatte die Aus­lands-OUN in der ukrai­ni­schen Heimat keine Basis mehr.

Für die rus­si­sche TV-Pro­pa­ganda war es ein Leich­tes, die auf dem Maidan sicht­ba­ren Symbole der radi­kal­na­tio­na­lis­ti­schen Tra­di­tion samt Por­träts von Bandera zu finden und ins Zentrum zu rücken, um ihre ver­fäl­schen­den Thesen zu den „neuen ban­de­rowzy“ visuell zu untermauern. 

Auf den regel­mä­ßi­gen großen „Volks­ver­samm­lun­gen“, dem Herz­stück der Maidan-Pro­teste, benutzte eine erdrü­ckende Mehr­heit nicht die Zeichen der natio­na­lis­ti­schen Tra­di­tion, sondern die Staats­sym­bole der Ukraine, ins­be­son­dere die blau-gelbe Flagge und diese häufig in Kom­bi­na­tion mit der EU-Flagge. Die Akzep­tanz Ban­de­ras, der vor allem unter west­ukrai­ni­schen (ost­ga­li­zi­schen) Demons­tran­ten populär war, wuchs während der Pro­teste auch unter Kyjiwer und zen­tralukrai­ni­schen Demons­tran­ten, welche die Mehr­heit auf den großen „Volks­ver­samm­lun­gen“ bil­de­ten. Doch weder bei diesen Demons­tran­ten noch bei einer Mehr­heit der Bevöl­ke­rung ist er zum unbe­strit­te­nen Natio­nal­hel­den auf­ge­stie­gen. In den Jahren nach dem Maidan sind die Zustim­mungs­werte für die in der Ukraine stets umstrit­tene Per­sön­lich­keit Stepan Bandera in Umfra­gen leicht, aber nicht massiv ange­stie­gen. Nach einer von der ukrai­ni­schen sozio­lo­gi­schen Gruppe „Rejtynh“ (oder einfach „Rating­group“) im Oktober 2018 durch­ge­führ­ten reprä­sen­ta­ti­ven Umfrage bekun­de­ten etwas mehr als ein Drittel der Befrag­ten eine posi­tive Ein­stel­lung zu Bandera (18 Prozent „ganz positiv“; 18 Prozent „eher positiv“), womit er unter 10 mög­li­chen his­to­ri­schen Per­sön­lich­kei­ten den sechste Platz noch hinter dem ehe­ma­li­gen Gene­ral­se­kre­tär der KPdSU Leonid Bre­sch­new einnahm. An die Spit­zen­werte des tra­di­tio­nell belieb­ten Kosaken-Hetmans Bohdan Chmel­nytz­kyj (73 Prozent, Platz 1) oder des „Vaters der ukrai­ni­schen Geschichts­schrei­bung“ Mycha­jlo Hru­schevsky (68 Prozent, Platz 2), die für ein gemä­ßigt natio­na­les Geschichts­bild stehen, reichen die Werte für Bandera bei weitem nicht heran. Selbst in der Zen­tralukraine kam er nur auf 35 Prozent, während die hohen Positiv-Werte in der West­ukraine (64 Prozent), wo das ehrende Geden­ken für die Prot­ago­nis­ten von OUN und UPA tra­di­tio­nell einen hohen Stel­len­wert hat, ebenso wenig über­ra­schen wie die deut­li­che gerin­gere Zustim­mung im Süden und Osten des Landes (jeweils 17 Prozent).

Auch die mit ihm und der OUN‑B ver­knüpf­ten Gedenk­tage, die rot-schwarze Orga­ni­sa­ti­ons­fahne der OUN und sein Porträt konnten sich als reprä­sen­ta­ti­ves Symbol der Maidan-Bewe­gung nicht durch­set­zen. Wich­tigs­tes Symbol war Taras Schewtschenko, der unter fast allen Ukrai­nern unum­strit­tene ukrai­ni­sche Natio­nal­dich­ter. Sein auf dem weithin sicht­ba­ren großen Euro­ban­ner befes­tig­tes Bild blieb auf der Bühne von Beginn bis Ende der Pro­teste präsent.

Das einzige Element des radi­kal­na­tio­na­lis­ti­schen Tra­di­ti­ons­be­stands, das eine große Ver­brei­tung erfuhr, war der Ruf „Ruhm der Ukraine, den Helden Ruhm!“, wie ihn auch die OUN als Gruß ver­wen­dete. Seine Popu­la­ri­sie­rung auf dem Maidan und danach bedeu­tet nicht Zustim­mung zu einem faschis­ti­schen Pro­gramm und ist auch nicht primär mit der Erin­ne­rung an die his­to­ri­sche OUN oder UPA verknüpft.

Der Ruf „Ruhm der Ukraine“ ver­bin­det sich für die Mehr­heit der Pro­tes­tie­ren­den mit den kon­kre­ten Helden des Maidan, wie z.B. den Ende Februar getö­te­ten Demons­tran­ten. Er steht für demo­kra­ti­sche Ver­än­de­rung und die Auf­leh­nung gegen ein auto­ri­tä­res und kor­rup­tes Regime. 

Das beson­ders unter Jugend­li­chen popu­läre Bild von Stepan Bandera als unbeug­sa­mem Kämpfer für die ukrai­ni­sche Unab­hän­gig­keit und gegen die tota­li­tä­ren Besat­zer baut gleich­wohl auf einer Geschichts­klit­te­rung auf. Bandera steht his­to­risch für die extremste Form des Natio­na­lis­mus, in dem Anders­den­kende keinen Platz hatten. Es ist daher frag­lich, ob sich eine frei­heit­lich ver­klärte radi­kal­na­tio­na­lis­ti­sche Tra­di­tion als Sym­bol­res­source einer demo­kra­ti­schen Gesell­schaft eignen wird. Vor allem im ost­ukrai­ni­schen Donbas, aber auch in Teilen des heute über­wie­gend staats­loya­len Südens wird die Popu­la­ri­sie­rung natio­na­lis­ti­scher Symbole radikal abge­lehnt oder mit Skepsis gesehen und kann zur Ent­frem­dung vom ukrai­ni­schen Staat bei­tra­gen. Dies ist sicher auch, aber nicht in jedem Fall allein eine Folge sowje­ti­scher und rus­si­scher Pro­pa­ganda. Poli­ti­sche Symbole lassen sich nicht einfach von ihren his­to­ri­schen Bedeu­tun­gen oder unter­schied­li­chen, münd­lich wei­ter­ge­ge­be­nen Fami­li­en­er­fah­run­gen trennen. Und schließ­lich fehlt den Men­schen im Donbas und in Teilen des Südens die Eman­zi­pa­ti­ons­er­fah­rung des Maidan. Die frei­heit­lich-demo­kra­ti­schen Umwer­tun­gen ein­zel­ner natio­na­lis­ti­scher Symbole nach­zu­voll­zie­hen, die durch die Pro­teste bewirkt oder bestä­tigt wurden, ist ihnen deshalb kaum möglich gewesen. Das wie­derum hat es ihnen erschwert, der Bedeu­tungs­ver­schie­bung wirk­lich zu trauen. Die ukrai­ni­sche Gesell­schaft wird sich daher künftig einer offenen und herr­schafts­freien Debatte über die Geschichte von OUN und UPA stellen müssen, die auch die dunklen Seiten nicht verschweigt.

Für wich­tige Hin­weise dankt der Autor Frank Golc­zew­ski, Dieter Pohl, Ray Brandon, Kai Struve und Grze­gorz Rosso­liń­ski-Liebe. Bei dem Beitrag handelt es sich um einen über­ar­bei­te­ten und ergänz­ten Beitrag von Wil­fried Jilge, der 2015 bereits im Wall­stein Verlag erschie­nen ist. Vgl. Wil­fried Jilge: Stepan Bandera – Zum his­to­ri­schen und poli­ti­schen Hin­ter­grund einer Sym­bol­fi­gur. In: Katha­rina Raabe (Hrsg.): Gefähr­dete Nach­bar­schaf­ten – Ukraine, Russ­land, Euro­päi­sche Union. (=Valerio 17/​2015), S. 103–123.

Textende

Portrait von Wilfried Jilge

Wil­fried Jilge ist Media­ti­ons­be­ra­ter beim zif, Ost­eu­ro­pa­his­to­ri­ker und Ukraine-Experte.

Ver­wandte Themen

News­let­ter bestellen

Tragen Sie sich in unseren News­let­ter ein und bleiben Sie auf dem Laufenden.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mun­gen erklä­ren Sie sich einverstanden.