Stärkung der Zusammenarbeit in den Bereichen Menschenrechte, Wirtschaft und Innovation: Bundestagsdelegation zu Besuch in Kyjiw
Gespräche mit Vertreter:innen der ukrainischen Regierung, des Parlaments, der Wirtschaft, der Energie- und Verteidigungsindustrie sowie mit der Zivilgesellschaft standen auf dem Programm dieser Reise nach Kyjiw, an der im September eine Delegation von Mitarbeiter:innen aus verschiedenen Bundestagsfraktionen teilnahmen. Auch Vertreter von Berlin Economics und des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft reisten mit, um sich zu informieren und auszutauschen.
Das Zentrum Liberale Moderne hatte die Reise gemeinsam mit der East Europe Foundation (Kyjw) organisiert. Erörtert wurden die aktuellen Herausforderungen, vor denen die Ukraine derzeit steht. Die zahlreichen und vielfältigen Begegnungen lieferten wertvolle Impulse zur Stärkung der Ukraine und ihrer Integration in den EU-Binnenmarkt.
Energiesicherheit, bilateralen Beziehungen und wirtschaftliche Reformen
Round Table Talk
Gleich zu Anfang stand ein Round Table Talk zum Thema der ukrainischen Energiesicherheit auf dem Programm. Vertreter:innen der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft tauschten sich aus und diskutierten mit den deutschen Gästen über die aktuelle Situation. Dabei ging es um die Frage, wie sich die Stabilität des Energiesystems angesichts der beständigen Angriffe Russlands auf die kritische Infrastruktur des Landes gewährleisten lässt. Besonderes Augenmerk wurde auch auf die Entwicklung erneuerbarer Energiequellen wie Solar- und Windenergie gelegt. Sie können eine wichtige Rolle für die langfristige Energiesicherheit spielen.
Treffen mit ukrainischen Abgeordneten
Im darauffolgenden Treffen mit den ukrainischen Abgeordneten Iryna Herashchenko, Maria Ionova und Liudmyla Buymister wurden Fragen der bilateralen Beziehungen, der europäischen Integration, der Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich sowie die Lage an der Front und im Energiesektor erörtert.
Maria Ionova betonte, dass die europäischen Partner die russische Propaganda aktiv bekämpfen müsse. Ihre Gesellschaften müssten ehrlich über die potenzielle Bedrohung informiert werden, schließlich ginge es bei der Unterstützung der Ukraine nicht nur um die Sicherheit der Ukraine, sondern um die ganz Europas.
Ukrainische Wirtschaft
Mit einem weiteren Diskussionsformat startete Tag 2 des Besuchs. Thema: Die wirtschaftliche Lage in der Ukraine und die Bedeutung rechtsstaatlicher Reformen. Die Teilnehmer:innen: Expert:innen und Vertreter:innen der Wirtschaft sowie der ukrainischen Zivilgesellschaft.
Zentrale Frage war, welche Bedeutung eine stabile finanzielle Unterstützung durch internationale Partner und die schnellstmögliche Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte für die Ukraine hat. Demografische Herausforderungen, die unter anderem zu einem eklatanten Mangel an Arbeitskräften führen, wurden ebenso erörtert wie die Dringlichkeit, Bedingungen zu schaffen, die es Ukrainer:innen ermöglichen, in ihr Land zurückzukehren.
Besondere Aufmerksamkeit wurde der Korruptionsbekämpfung, der Justizreform und der Notwendigkeit der Einhaltung internationaler Standards zur Verbesserung der Justiz gewidmet.
Menschenrechte und Kriegsverbrechen
Treffen mit Menschenrechtsaktivist:innen
Am selben Tag fand ein weiteres Treffen mit Vertreter:innen von Menschenrechtsorganisationen statt: Tetiana Pechonchyk und Alena Lunova vom ZMINA-Menschenrechtszentrum, Oleksandra Romantsova von Center for Civil Liberties, Roman Koval von Truth Hounds und Jane Alieva von der Mama Jane Foundation.
Die Menschenrechtsaktivist:innen betonten die systematischen Verletzungen der Rechte und Freiheiten der ukrainischen Zivilbevölkerung und der Kriegsgefangenen durch Russland. Mit ihren Organisationen arbeiten sie aktiv daran, Beweise für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu sammeln, mit dem Ziel, durch internationale Gerichte und Mechanismen Gerechtigkeit zu erreichen. Für dieses Vorhaben aber wird weitere Unterstützung, werden weitere Partner, benötigt. Nur so kann sichergestellt werden, dass Russland zur Rechenschaft gezogen wird.
Weiterer wichtiger Punkt war die Entführung ukrainischer Kinder durch Russen. Tausende Kinder wurden aus ihren Familien und ihrem Zuhause entrissen und entführt. Die meisten von ihnen sind bis heute psychischer Gewalt und Russifizierung ausgesetzt. Jane Alieva betonte, dass die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen in dieser Angelegenheit äußerst wichtig sei: Denn nur mittels offizieller Kontakte mit der russischen Seite, wie sie internationale Organisationen herstellen können, ließe sich an der Rückkehr der Kinder arbeiten. Das Fehlen solcher Kontakt stelle für die ukrainischen Organisationen ein großes Problem dar.
Forensische Waffenexpertise
Später besuchte die deutsche Delegation das Kyjiwer wissenschaftliche Forschungsinstitut für forensische Expertise. Oleksandr Ruvin, Direktor des Instituts, führte die Gäste persönlich durch das Institut und zeigte ihnen die Fragmente von Raketen, Drohnen und anderen Waffen, die Russland gegen die Zivilbevölkerung der Ukraine einsetzt. Er wies darauf hin, dass in den russischen Waffen Komponenten internationaler Hersteller verwendet werden. Darunter befänden sich auch Hersteller aus Deutschland.
Kinderkrankenhaus Ochmatdyt
Ein Rundgang durch Kyjiw stand an Tag 3 auf dem Programm: Die Besucher:innen konnten sich dabei mit eigenen Augen von den Folgen des russischen Beschusses überzeugen. Sie besuchten auch das Kinderkrankenhaus Ochmatdyt. Es war im Juli bombardiert, schwer beschädigt und in Teilen zerstört worden. Der Besuch bot die Gelegenheit, mit dem medizinischen Personal auszutauschen und sich von der Widerstandsfähigkeit und Selbstlosigkeit, mit der Ärztinnen und Ärzte sich für die hier behandelten schwerkranken Kinder einsetzten, selbst zu überzeugen.
Chemiekonzern Bayer: Engagement in der Ukraine
Später besuchte die Gruppe das Kyjiwer Büro von Bayer. Im Fokus der Gespräche standen Bayers aktuelle Aktivitäten in der Ukraine, insbesondere in den Bereichen Landwirtschaft, Gesundheit und humanitäre Hilfe. Bayer engagiert sich mit bedeutenden Investitionen im ukrainischen Agrarsektor. Das Unternehmen zeichnet sich aber auch durch erhebliche Medikamentenspenden aus: Seit Beginn der Vollinvasion hat der Pharmahersteller insgesamt etwa 23 Millionen Euro für Hilfsprojekte in der Ukraine gespendet und spielt damit eine bedeutende Rolle bei der Gewährleistung der Gesundheits- und Lebensmittelversorgung.
Ein weiterer Schwerpunkt des Treffens war Bayers Saatgutproduktion, die für die ukrainische Landwirtschaft eine wichtige Rolle spielt. Die Saatgutproduktionsanlage in Schytomyr ist dabei von zentraler Bedeutung und leistet einen wichtigen Beitrag zur lokalen Wirtschaft. Trotz der Herausforderungen des Krieges, wie Arbeitskräfteknappheit und Energieengpässe beweist das Unternehmen eine große Anpassungsfähigkeit. Besonders bemerkenswert ist außerdem, dass zunehmend Frauen in bisher männlich besetzten Positionen arbeiten und damit den Betrieb sichern.
Strategischer Berater des Vizepremierminister
Die parlamentarische Delegation traf zudem mit Oleksii Riabchyn zusammen. Mit ihm, dem strategischen Berater des Vizepremierministers für europäische und euro-atlantische Integration der Ukraine, diskutierten sie die Notwendigkeit einer weiteren umfassenden Unterstützung der Ukraine sowie die Notwendigkeit ihrer Integration in die EU und in die NATO. Besonderes Augenmerk lag auch auf dem Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur, auf gemeinsamen Energieprojekten und der Verschärfung der Sanktionen gegen Russland.
Innovationskraft der Verteidigungsindustrie
Bei einem weiteren Round Table Talk diskutierten die deutschen Besucher:innen mit Experten aus Think Tanks, Forschungseinrichtungen, Regierungsbehörden und internationalen Organisationen wichtige Sicherheits- und Verteidigungsfragen und insbesondere die Rolle Deutschlands bei der Stärkung der ukrainischen Verteidigungskapazitäten.
Der Schwerpunkt der Diskussion lag dabei auf Fragen nach technologischen Fortschritten, Markttrends und regulatorischen Herausforderungen innerhalb der ukrainischen Verteidigungsindustrie.
Zudem wurde die wichtige Rolle internationaler Kooperationen hervorgehoben, insbesondere angesichts der geopolitischen Lage, die die Verteidigungsstrategien stark beeinflusst. Teilnehmende kamen unter anderem von Organisationen wie dem Razumkov Center, Centre for Defence Strategies (CDS), der East Europe Foundation und weiteren, die in Projekten zur Sicherheit und Außenpolitik aktiv sind.
Die Ukraine verzeichnet erhebliche Fortschritte im Verteidigungssektor, besonders im Bereich moderner Technologien wie Drohnen, Cybersicherheit und KI-basierter Lösungen. Der Anteil privater Unternehmen nimmt dabei stetig zu und zeigt eine Diversifizierung des Marktes. Gemeinsame Projekte mit deutschen Firmen, wie mit dem Drohnenhersteller Quantum Systems, der kürzlich eine Produktionsstätte in der Ukraine eröffnete, unterstreichen das Potenzial für internationale Kooperationen. Die Teilnehmenden stellten die Bedeutung weiterer Unterstützung heraus, insbesondere müssten bürokratische Hürden abgebaut werden, um die Verteidigungsproduktion zu stärken und die internationale Zusammenarbeit zu erleichtern.
Es wurden Strategien gegen Desinformationskampagnen und Empfehlungen zur nachhaltigen Entwicklung der Verteidigungsindustrie formuliert. Ein zentraler Fokus lag dabei auf dem Wachstum der Verteidigungsindustrie. Hier wurde die Notwendigkeit betont, Joint Ventures mit internationalen Partnern, insbesondere in Europa, auszubauen. Dafür aber müssten dringend regulatorische Hindernisse überwunden werden, die den Export und die Produktionskapazitäten einschränken.
Strategische Investitionen spielten ebenfalls eine wichtige Rolle: Neben dem akuten Bedarf an UAVs und Luftverteidigungssystemen sollen langfristige Projekte in den Bereichen Satellitentechnologie und Aufklärung Priorität erhalten. Diese Technologien gelten als Schlüssel zur zukünftigen Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit.
Ebenso auf der Agenda und nicht minder dringlich seien Maßnahmen zur Bekämpfung von Desinformation. Hierbei wurde die Bedeutung einer verstärkten internationalen Zusammenarbeit hervorgehoben, um den hybriden Kriegsstrategien Russlands entgegenzuwirken. Es gelte, sowohl öffentliche als auch staatliche Stellen besser für diese Bedrohung zu sensibilisieren und deren Abwehrfähigkeit zu stärken.
Fazit
Der Besuch der Delegation in Kyjiw verdeutlichte die zentrale Rolle einer engen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Ukraine in politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen. Die Gespräche mit Vertreter:innen der ukrainischen Regierung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sowie die Besuche vor Ort boten tiefgehende Einblicke in die aktuellen Herausforderungen und Fortschritte des Landes. Der Austausch zeigte, dass eine gemeinsame Zukunft sowohl auf starken wirtschaftlichen und technologischen aber auch auf humanitären Grundlagen basiert. Diese müssen durch eine enge Partnerschaft weiter ausgebaut werden.
Das vom Auswärtigen Amt geförderte Projekt „Die Ukraine in Europa: Deutsch-ukrainischer parlamentarischer Dialog, Stärkung der Ukraine-Kompetenz in Deutschland und Förderung der europäischen Integration der Ukraine“ wird vom Zentrum Liberale Moderne (Berlin) und der East Europe Foundation (Kyjiw) durchgeführt. Das Projekt zielt darauf ab, den deutsch-ukrainischen parlamentarischen Dialog zu Themen zu fördern, die für die Zusammenarbeit und die europäische Integration der Ukraine wichtig sind.
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