„Reflection“
Der Film von Valentyn Vasyanovych erzählt den emotionalen Ausnahmezustand eines ukrainischen Kriegsgefangenen und erkundet dabei die Nuancen, aber auch die Überwindung der Traumata des Krieges. Eine Filmrezension von Dina Abedini Niknam.
Das Ukrainian Filmfestival findet von 26. – 30. Oktober in Berlin statt. Hier geht es zum Programm.
Ein Paintballspiel markiert den Beginn von Valentyn Vasyanovychs Film „Reflection“. Zwei Männer stehen im Vordergrund, während eine Mutter ihre Tochter durch eine Glasscheibe beobachtet, die Scheibe trennt die Paintballspieler von den Zuschauern. Andriy, ein Soldat, fragt Serhiy, einen ehemaligen Kriegsgefangenen, über den Krieg aus. Während sie sprechen, fallen Schüsse, die durch die Glasscheibe gedämpft werden. Die Farbe spritzt auf die Scheibe, aber die Beobachter bleiben unbeeindruckt und unberührt. Die Tochter, Polina, wird von einer Farbkugel getroffen und stürzt dramatisch. Sie fasst sich an ihre „Wunde“ und spielt ihren Tod nach. Dann ist das Spiel ist zu Ende und ein Reinigungsteam kommt herein, wischt Glas ab, verschmiert dabei die Farbe zu einem unscharfen Durcheinander und räumt dann auf, als wäre nie etwas gewesen. Die Szene zeigt die Kluft zwischen den Soldaten, die im Krieg kämpfen, und den Menschen zu Hause, ihren Familien, die auf ihre Rückkehr warten. Nur dass es in einem echten Krieg keine zweite Chance gibt, keine Wiedervereinigung mit der Familie, wenn ein Soldat auf dem Schlachtfeld stirbt. Dieses Gefühl ist Hauptthema und beherrschende Tonalität des Films zugleich.
Kriegsgefangenschaft und Trauma
Im Kern erzählt „Reflection“ die bewegende Geschichte des ukrainischen Kriegsgefangenen Serhiy, der sich als Chirurg zum Militäreinsatz gemeldet hatte. 2014 begann der Krieg im Donbass und viele Menschen traten in die Armee ein, um das zu verteidigen, woran sie glaubten. Serhiy ist dabei in dem inneren Konflikt, nicht in den Kampf ziehen zu wollen, sich aber auch nicht einfach zurücklehnen zu können, um „auf der sicheren Seite der Ereignisse“ zu stehen. In einem plötzlichen Schnitt sehen wir Serhiy auf dem Rücksitz eines Rettungswagens mitten im Kriegsgebiet, die Männer verfahren sich und werden gefangen genommen. Die Kamera beschreibt die Gefangenschaft von Serhiy in langen, statischen, die Geduld des Zuschauers herausfordernden Aufnahmen, aber auch in nicht minder bedrohlichen, unruhigen Bildern. Der Film zeigt Foltergeräte im Einsatz, einen Lastwagen mit der Aufschrift „HUMANITARIAN AID“, der tatsächlich aber als mobiles Krematorium dient, und Serhiy, der gezwungen wird, bei jedem gefolterten Gefangenen den Puls zu messen. Ohne die Gewalt zu explizit zu zeigen, schildert Vasyanovych die Schrecken des Krieges auf eindrückliche Weise. Schließlich wird Serhiy für einen Gefangenenaustausch ausgewählt. Nachdem er unvorstellbare Schrecken erlebt hat, leidet er an einer posttraumatischen Belastungsstörung, und versucht gleichzeitig, sich wieder an sein früheres Leben zu gewöhnen.
Perfektionist mit brillantem Auge für Details
Die symmetrische Bildgestaltung und statischen Weitwinkelaufnahmen sind ein zentrales Merkmal des Films, die ihn fast bühnenhaft wirken lassen. Roman Lutskyis verkörpert Serhiy gleichermaßen zurückhaltend und gefühlsbetont, sein Theaterhintergrund fordern die Ungläubigkeit des Publikums zusätzlich heraus. Für Vasyanovych ist es nicht der erste Ausflug in kreative Inszenierung und Symbolik, fünf Spielfilme und zwei Cannes-Nominierungen hat der Regisseur bereits vorzuweisen. Als Perfektionist mit einem brillanten Auge für Details führte er bei „Reflection“ selbst Regie, inszenierte und führte auch die Kamera. Der Film fordert die Menschen auf, genau hinzusehen und zu hinterfragen – sowohl in einem religiösen als auch in einem allgemeinen Kontext – und zeigt durch seine Symbolik, dass das, was an der Oberfläche zu sehen ist, nicht immer die Realität ist.
Symbole und innere Befreiung
Als eine Taube gegen das Fenster von Serhiys Wohnung fliegt, wird eine Parallele zwischen dem Vogel und dem Tod eines Mitgefangenen gezogen, den Serhiy miterlebt hat. Die Taube hinterlässt einen Abdruck auf dem Fenster, den Serhiy in Anlehnung an die Paintball-Szene wegzuwischen versucht. Es gelingt ihm nicht, und der Abdruck ähnelt nun einem Gespenst oder Geist, der zum Himmel schwebt. Der Symbolismus ist ein charakteristisches Element in Vasyanovychs Werk und spielt auch in seinem 2019 gedrehten Film „Atlantis“ eine wichtige Rolle. Nachdem Serhiy mit seiner Tochter über den Tod gesprochen hat und darüber, was mit einer Seele geschieht, wäscht ein starker Regen den Abdruck weg. Dies ist der Moment, in dem er endlich in der Lage ist, die schwere Last von seinen Schultern abzuschütteln. Als Polina ihren Vater fragt, warum er glaube, dass der Vogel abgestürzt sei, antwortet er, dass „er nur eine Spiegelung des Himmels in unserem Fenster gesehen hat“.
Die Überwindung der Traumata
Acht Jahre nach den Ereignissen des Films befindet sich die Ukraine mitten in einer groß angelegten Invasion, und das Thema Trauma ist aktuell wie eh und je. Russland begeht weiterhin Kriegsverbrechen, die Soldaten werden Zeugen schrecklicher Gräueltaten. Für viele Ukrainer sind die Ereignisse des Films ein Abbild ihrer eigenen Gefühle und Realität: Jede Familie kennt jemanden, einen Verwandten oder einen Freund, der im Krieg dient. Posttraumatische Belastungsstörungen, Zugang und Bereitschaft zu einer Therapie sowie mitfühlende Unterstützung sind von entscheidender Bedeutung. „Reflection“, erzählt den emotionalen Ausnahmezustand eines gefangenen Soldaten und erkundet dabei die Nuancen des Traumas und der menschlichen Erfahrung des Krieges. Es ist eine Geschichte über die Überwindung von Traumata – in der inneren und der äußeren Welt.
Diese Filmkritik ist im Workshop „Young Film Critics“ des Ukrainian Filmfestival Berlin entstanden. Gefördert mit Mitteln für Filmfestivalförderung de⁺ des Goethe-Instituts in Kooperation mit dem Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland. Das dritte ukrainische Filmfestival findet vom 26. – 30. Oktober in Berlin statt.
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