„FRAGILE MEMORY”

Ihor Ivankos berüh­ren­der Film über die Bezie­hung zu seinem Groß­va­ter ist auch ein Zeugnis ver­gan­ge­ner Zeiten, während die Erin­ne­run­gen zu ver­blas­sen drohen. Von Sofia Insua

In einer stau­bi­gen Garage findet der Fil­me­ma­cher Ihor Ivanko ein außer­ge­wöhn­li­ches Film­ar­chiv. Es ist das einer ver­gan­ge­nen Zeit, betrach­tet durch die Linse seines Kind­heits­hel­den: seines Groß­va­ters Leonid Burlaka. Als ehe­ma­li­ger Kame­ra­mann des „Odesa Film Studio“ war er eine wich­tige Figur des sowje­ti­schen und ukrai­ni­schen Kinos. Aber für seinen Enkel war er mehr als das. Und es scheint, als habe Ivanko nicht nur die Augen­farbe des Groß­va­ters geerbt, sondern auch eine kraft­volle Sen­si­bi­li­tät und seinen fil­mi­schen Blick. Nachdem Ivanko etwa 450 Rollen Nega­tive ent­wi­ckelt und gesich­tet hat, wird der Mitt­zwan­zi­ger zum Regis­seur seiner eigenen auto­bio­gra­fi­schen Reise. Diese Reise führt uns durch die Geschichte einer Familie und eines Volkes, des ukrai­ni­schen Volkes, mit Film­ma­te­rial aus den Sech­zi­ger­jah­ren bis in die Gegenwart.

Zer­brech­lich­keit von Macht und Kunst

„Fragile Memory“ hilft uns, die Zer­brech­lich­keit der Macht, der Kunst und der Zeit besser zu ver­ste­hen, ist eine zärt­li­che, intime Dar­stel­lung des Zusam­men­halts zwi­schen den Gene­ra­tio­nen – und eine Hommage an das Geden­ken. „Sieh nur, Ljonja, wie viel Kraft in dir steckt“, sagt die Groß­mutter, während sie und Leonid einige Schwarz-Weiß-Fotos von sich aus der Ver­gan­gen­heit ansehen. Dann ver­schlech­tert sich sowohl das geis­tige als auch das linke Auge des Groß­va­ters, mit dem er die Kamera bedient; die Film­auf­nah­men werden zuneh­mend ver­schwom­men. Die che­misch beschä­dig­ten Bilder sind bewusste Illus­tra­tio­nen dessen, was in seinem Kopf vor sich geht. Da er vieles ver­gisst und sich sein geis­ti­ger Zustand immer weiter ver­schlech­tert, wird es für Ihor Ivanko im Laufe des Doku­men­tar­films immer wich­ti­ger, diese Momente, in denen die Zeit still­stand, zu bewahren.

Wenn er seinen Groß­va­ter schon nicht vor dem Altern und dem Gedächt­nis­ver­lust bewah­ren kann, dann will er dafür sorgen, dass eine greif­bare Erin­ne­rung und ein Aus­druck seines Lebens – dessen Fotos und Filme – wei­ter­le­ben. Der 2022 urauf­ge­führte Film ist eine naht­lose Zusam­men­ar­beit zwi­schen Enkel und Groß­va­ter, und diese wun­der­bare, gemein­sam geschaf­fene Welt aus Patch­work­bil­dern zeich­net den oft chao­ti­schen Prozess des Erin­nerns fein­füh­lig nach.

Diese Film­kri­tik ist im Work­shop „Young Film Critics“ des Ukrai­nian Film­fes­ti­val Berlin ent­stan­den. Geför­dert mit Mitteln für Film­fes­ti­val­för­de­rung de⁺ des Goethe-Ins­ti­­­tuts in Koope­ra­tion mit dem Aus­wär­ti­gen Amt der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land. Das dritte ukrai­ni­sche Film­fes­ti­val findet vom 26. – 30. Oktober in Berlin statt.

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