Olek­sandr Syrskyj: der General, den Russ­land fürchtet

Foto: Wiki­me­dia

Der ukrai­ni­sche General Olek­sandr Syrskyj ist in Russ­land geboren, hat in Moskau stu­diert. Trotz­dem zeich­net er für schmerz­hafte Nie­der­la­gen Russ­lands im Angriffs­krieg gegen die Ukraine ver­ant­wort­lich – und für die Anpas­sung der ukrai­ni­schen Armee an NATO-Standards. 

Vor Beginn der umfas­sen­den rus­si­schen Inva­sion am 24. Februar 2022 gingen viele inter­na­tio­nale Exper­ten aus einem ein­fa­chen Grund von einem schnel­len Sieg Russ­lands aus: Beim Kampf gegen eine kleine post­so­wje­ti­sche Armee müsse eine große post­so­wje­ti­sche Armee doch einen siche­ren Vorteil haben. Dabei wurde jedoch über­se­hen, dass es in den ukrai­ni­schen Streit­kräf­ten spä­tes­tens seit Aus­bruch des Don­bas­krie­ges im Früh­jahr 2014 tief­grei­fende struk­tu­relle Ver­än­de­run­gen gegeben hatte.

Keine Gene­räle „sowje­ti­scher Bauart“ mehr

Im Februar 2022 fehlte es der Ukraine zwar massiv an moder­nen west­li­chen Waffen. Anders als Russ­land musste sich das Land jedoch nicht mehr auf Gene­räle „sowje­ti­scher Bauart“ ver­las­sen, sondern konnte auf wesent­lich jüngere Ent­schei­dungs­trä­ger bei der Armee bauen. Bezeich­nen­der­weise hat der Ober­be­fehls­ha­ber der ukrai­ni­schen Streit­kräfte, Walerij Salu­schnyj, nie in der Sowjet­union gedient.

Anpas­sung an NATO-Standards

Für die größten Nie­der­la­gen der Russen in diesem Krieg, aber auch für viele Refor­men inner­halb der ukrai­ni­schen Armee und ihre Anpas­sung an die Stan­dards der NATO ist jedoch jemand ver­ant­wort­lich, der 1965 im rus­si­schen Regie­rungs­be­zirk Wla­di­mir auf die Welt kam, 1986 die Mos­kauer Mili­tär­kom­man­do­hoch­schule absol­vierte und dessen Ukrai­nisch von einem deut­li­chen rus­si­schen Akzent geprägt ist: Olek­sandr Syrskyj. Der 57-jährige Gene­ral­oberst (der Rang ent­spricht dem eines NATO-Gene­ral­leut­nants) ist seit 2019 Kom­man­deur der ukrai­ni­schen Landstreitkräfte.

Land­streit­kräfte als mobile Netzstruktur

Sein mili­tä­ri­scher Ansatz stellt das Gegen­teil davon dar, wie Russ­land in diesem Krieg kämpft: Kom­man­deure sollen bei lokalen tak­ti­schen Fragen laut Syrskyj maxi­male Ent­schei­dungs­frei­heit genie­ßen, statt einer stren­gen Ent­schei­dungs­ver­ti­kale unter­wor­fen zu sein. Unter seiner Führung sind die Land­streit­kräfte zu einer mobilen Netz­struk­tur geworden.

Infor­ma­tio­nelle Kriegsführung

Gleich­zei­tig gilt Syrskyj als jemand, der die infor­ma­tio­nelle Kriegs­füh­rung sehr ernst nimmt. „Wir ent­wi­ckeln das System der Infor­ma­ti­ons­kriegs­füh­rung immer weiter. Neben der eigent­li­chen Trup­pen­vor­be­rei­tung ist das der wich­tigste Bereich“, sagte er lange vor dem Februar 2022 in einem seiner sel­te­nen Inter­views.

Es soll auch Syrs­kyjs Idee gewesen sein, mit der letzt­jäh­ri­gen öffent­li­chen Ankün­di­gung einer Gegen­of­fen­sive im Süden den Gegner zu ver­wir­ren, um dann den Haupt­an­griff statt­des­sen in der Region Charkiw durch­füh­ren zu lassen. Unab­hän­gig davon, ob es tat­säch­lich Syrskyj war, der diese Idee ent­wi­ckelte, führte er die ukrai­ni­sche Armee bei der Char­ki­wer Offen­sive tat­säch­lich erfolg­reich an. Beim Besuch Wolo­dymyr Selen­skyjs im befrei­ten Isjum im Sep­tem­ber 2022 stand er sym­bol­kräf­tig direkt neben dem Präsidenten.

Ver­tei­di­gung von Kyjiw

Die Ope­ra­tion in Charkiw war nicht der erste ukrai­ni­sche Sieg unter direk­ter Führung Syrs­kyjs seit Beginn der umfas­sen­den Inva­sion. Er hatte mit seinen Truppen bereits vorher etwas geschafft, das für die Ukraine von aller­größ­ter stra­te­gi­scher Bedeu­tung war: die erfolg­rei­che Ver­tei­di­gung von Kyjiw. „Ehrlich gesagt hätte ich mir nicht vor­stel­len können, dass die rus­si­sche Führung eine derart dreiste, groß­flä­chige Aggres­sion begin­nen würde. Ich dachte, die Kampf­hand­lun­gen würden im Osten begin­nen“, erklärte Syrskyj in einem Gespräch mit der Washing­ton Post, „aber wir sind das Militär. Unab­hän­gig davon, woran ich geglaubt oder nicht geglaubt habe, habe ich gemacht, was not­wen­dig war.“

Es war Syrskyj, der es anord­nete, Flug­zeuge und Hub­schrau­ber von ihren Haupt­stütz­punk­ten abzu­zie­hen, um sie vor rus­si­schen Luft­an­grif­fen zu schüt­zen. Etwa eine Woche vor der rus­si­schen Inva­sion wurden die wich­tigs­ten Kom­man­do­pos­ten umgrup­piert, einen Tag vor Inva­si­ons­be­ginn dann die meisten Flug­ab­wehr­sys­teme von Kyjiw an andere Posi­tio­nen verlegt. Nicht alles funk­tio­nierte rei­bungs­los: So wurden Systeme, die den wich­ti­gen Flug­platz Hosto­mel ver­tei­di­gen sollten, teil­weise von Russen bom­bar­diert. Ihre Posi­tio­nen waren von einem Mit­ar­bei­ter des Flug­plat­zes ver­ra­ten worden, dessen Sohn von rus­si­schen Geheim­diens­ten rekru­tiert worden war.

Aus­ge­zeich­net als „Held der Ukraine“

Alles in allem aber sorgten sowohl diese Vor­be­rei­tun­gen als auch krea­tive Ent­schei­dun­gen während der Ver­tei­di­gung dafür, dass die ukrai­ni­sche Haupt­stadt gehal­ten werden konnte. Im März 2022 gab es einen kri­ti­schen Moment, als rus­si­sche Truppen mit viel Technik auf ukrai­ni­sche Stel­lun­gen im Dorf Moscht­schun vor­rück­ten und damit fak­tisch direkt vor den Toren Kyjiws ange­kom­men waren. „Die Ein­nahme Moscht­schuns hätte das Vor­rü­cken in die Stadt bedeu­tet“, sagt Syrskyj. Er traf deshalb mit anderen hoch­ran­gi­gen Ver­tre­tern der Streit­kräfte die Ent­schei­dung, einen Damm zu spren­gen, wor­auf­hin das Wasser die Russen regel­recht über­schwemmte. Ihr Angriffs­ver­such schei­terte und danach lief alles auf einen unver­meid­ba­ren Rückzug hinaus. Für seine Rolle bei der Ver­tei­di­gung Kyjiws wurde Syrskyj die höchste Aus­zeich­nung „Held der Ukraine“ verliehen.

Ver­ant­wort­lich für den Front­ab­schnitt um Bachmut

Aktuell ver­ant­wor­tet der erfah­rene Gene­ral­oberst den Front­sek­tor, zu dem auch die hart umkämpfte Stadt Bachmut gehört. Mehr­mals besuchte Syrskyj zur schwie­rigs­ten Zeit seine Sol­da­ten in Bachmut. Sich an den gefähr­lichs­ten Orten der Front zu zeigen, ist etwas, wofür der 57-Jährige nicht erst seit Februar 2022 bekannt ist. Schon im Februar 2015 deckte seine Einheit den gefähr­li­chen Rückzug der ukrai­ni­schen Armee aus der Stadt Debal­zewe im Bezirk Donezk. Nicht zuletzt für diese Ope­ra­tion wurde Syrskyj im Dezem­ber 2016 von einem Gene­ral­ma­jor zu einem Gene­ral­leut­nant beför­dert, bis er 2020 zum Gene­ral­oberst wurde – die Geschichte eines der erfolg­reichs­ten Befehls­ha­ber des rus­sisch-ukrai­ni­schen Krieges geht weiter.

Portrait von Denis Trubetskoy

Denis Tru­bets­koy ist in Sewas­to­pol auf der Krim geboren und berich­tet als freier Jour­na­list aus Kyjiw.

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