Asowsches Meer: Das gefährliche Muskelspiel
Die Krise um das Asowsche Meer spitzt sich zu. Russland hat kurzzeitig den Zugang für ukrainische Schiffe geschlossen und erhöht seine militärische Präsenz deutlich. In der Ukraine wird gleichzeitig heftig über eine mögliche Reaktion diskutiert.
In Expertenkreisen war eine mögliche Eskalation am Asowschen Meer, dessen Zugang sich die Ukraine und Russland teilen, bereits seit der russischen Annexion der Halbinsel Krim im März 2014 ein großes Thema. Zwar sind die Hafenstädte Mariupol und Berdjansk für die Ukraine – gemessen am Umsatz – nicht ganz so wichtig wie Odessa oder Cherson. Trotzdem war es für Kiew von Anfang an äußert problematisch, dass Moskau auf einmal beide Ufer der Straße von Kertsch unter seiner Kontrolle hatte. So wuchs in der Ukraine bereits damals die Angst, Russland könne jederzeit nach Bedarf eingreifen und den Schiffsverkehr beeinträchtigen oder gar unterbrechen. Zudem war gleich nach der Annexion klar, dass Russland eine Brücke über die Straße von Kertsch bauen würde, um eine Landesverbindung mit der de facto isolierten Halbinsel zu schaffen.
Karte des Schwarzen Meers
Die Brücke von Kertsch ist nicht das entscheidende Problem
Die Kertsch-Brücke ist nun Mitte Mai 2018 eröffnet worden – und ist nur einer der Gründe, warum die Lage am Asowschen Meer in diesem Jahr ständig eskaliert. Denn die Brücke, eines der größten Projekte in russischer Baugeschichte, schließt wegen ihrer baulichen Höhe die Durchreise von Schiffen, die höher als 35 Meter sind, aus. In der Theorie bedeutet das starke Handelsverluste für die Ukraine. In der Praxis wurden allerdings in vergangenen Monaten meist lediglich Antennen gekürzt. Der große Frachtrückgang erfolgte bereits zu Beginn des Donbass-Krieges durch den faktischen Wegfall der beiden industriellen Großstädte Donezk und Luhansk. Die aktuelle Eskalation ist daher eher politischer Natur.
Russische Kontrollen als Schikane
Nach Angaben der ukrainsichen Regierung zufolge hat Russland in diesem Jahr bereits mehr als 150 Schiffe, die ukrainische Häfen als Start- oder Endziel hatten, im Asowschen Meer aufgehalten und sie langatmigen Kontrollen unterzogen. Russland beruft sich dabei auf das ukrainisch-russische Abkommen über die gemeinsame Nutzung des Meers von 2004. Diese Vereinbarung erlaubt es den Grenzschützern beider Länder, Schiffe aufzuhalten und zu kontrollieren. Normalerweise wird das Schiff selbst sowie persönliche Sachen der Crewmitglieder durchsucht. Die Kontrolle und Festsetzung des Schiffes kann sowohl wenige Stunden als auch mehrere Tage dauern. Die exzessiven Kontrollen der russischen Küstenwache führten dazu, dass im Zeitraum zwischen dem 14. und dem 21. August kein einziges Schiff mit den Ziel- oder Starthäfen Mariupol und Berdjansk die Straße von Kertsch passieren konnte.
Festnahme eines Fischerboots als Auslöser?
Die aktuelle Ausgangslage wurde allerdings zum Teil auch durch eine Festnahme provoziert. Ende März haben ukrainische Grenzschützer das auf der Krim registrierte Fischerboot „Nord“ im Asowschen Meer festgesetzt. Gegen den Kapitän wurde ein Verfahren wegen „illegaler Einreise auf das zwischenzeitlich okkupierte Gebiet“ eingeleitet. Russland protestierte scharf und setzte die Grenzpolizisten in diesem Fall auf die internationale Fahndungsliste. Zwei von neun Crewmitgliedern durften bisher nach Russland zurückkehren. Sieben weitere konnten mit ihren russischen Papieren nicht ausreisen, weil die Ukraine diese als auf der Krim lebende Ukrainer betrachtet. Mittlerweile leben die Crew-Mitglieder in der russischen Botschaft in Kiew. Der Kapitän darf sich derzeit zwar frei bewegen, Besuche der annektierten Krim sind ihm jedoch untersagt. Der russischen Menschenrechtsbeauftragten Tetjana Moskalkowa zufolge reagiert Kiew derzeit nicht auf Moskaus Angebote, die Krim-Fischer Teil eines Gefangenenaustauschs zu machen.
Russland erhöht seine Militärpräsenz deutlich
Das aktuelle Vorgehen der Russen im Asowschen Meer wird mit diesem Vorfall oft in Verbindung gebracht, rechtfertigt russische Kanonenboot-Politik aber kaum. In der Tat werden ukrainische Schiffe zwar erst seit der Festnahme von „Nord“ massenhaft aufgehalten. Doch damit hört Russland noch nicht auf. Im Juli sprach das ukrainische Verteidigungsministerium noch davon, dass Moskau die Marinepräsenz im Asowschen Meer bis auf 40 Schiffe aufgestockt hat. Das ehemalige Generalstabmitglied Ihor Romanenko geht nun sogar von 60 russischen Militärschiffen aus – ein Kontingent, mit dem die Ukraine beim besten Willen nicht mithalten kann. Kiew gesamte Marine beschränkt sich derzeit auf rund 50 Schiffe- wobei unklar ist, wie viele davon überhaupt einsatzbereit sind. Bemerkenswert ist auch, dass die Ukraine sich seit Jahren weigert, zwei US-Patrouillenboote der Island-Klasse anzunehmen. Über eine kostenlose Übergabe wird bereits seit 2014 diskutiert, allerdings sollen die Boote – Stand heute – erst Ende 2019 in der Ukraine ankommen. Den Recherchen der Antikorruptionssendung „Schemy“ von Radio Svoboda zufolge könnte diese auffallende Verzögerung mit den Interessen einer spezialisierten Werkstatt in Kiew zu tun haben, die mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und seinem Vertrauten Ihor Kononenko in Verbindung gebracht wird.
Ukrainische Reisebeschränkungen als Reaktion
Die Frage ist also, wie die Ukraine jenseits des miloitärischen auf die Eskalation im Asowschen Meer antworten kann. Derzeit scheint es auf Sanktionen hinauszulaufen, die vom Infrastrukturministerium erarbeitet wurden und theoretisch auf der nächsten Sitzung des Sicherheitsrates verabschiedet werden könnten. Unter anderem könnte es um die Absetzung des Passagierverkehrs durch Züge und Busse zwischen der Ukraine und Russland gehen. Die Flugverbindungen zwischen den beiden Nachbarländern wurden bereits Ende 2015 eingestellt. Nun könnten die Bedingungen für Reisen zwischen den Ländern noch einmal verschärft werden. Unklar ist jedoch, ob diese Maßnahme mehr Russland oder den ukrainischen Staatsbürgern im Nachbarland schaden würde.
Aufkündigung des bilateralen Abkommens mit Russland eine Möglichkeit?
Ein weiterer Knackpunkt der aufgeregten Diskussion in der Ukraine: soll das umstrittene Abkommen über die gemeinsame Nutzung des Asowschen Meer gekündigt werden?
Nein, scheint das ukrainische Außenministerium klar zu meinen. „Es ist eine wichtige Sicherheitsfrage für die Ukraine“, sagt stellvertretende Außenministerin Olena Serkal. „Von der Kündigung kann doch keine Rede sein. Die könnte Russland die Grundlage für einen territorialen Disput geben.“ Allerdings sagte der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin am Donnerstag, dass die Ukraine die Fragen rund um das Asowsche Meer auf der nächsten UN-Generalversammlung besprechen wolle. Er fügte hinzu, dass Kiew klare Antworten auf „militärische Provokationen“ Russlands geben müsse.
Vorteile für die Ukraine durch die Aufkündigung?
Trotzdem stieß die Position des Außenministeriums auf Kritik in ukrainischen Expertenkreisen. „Die Position gleicht einer Kapitulation und ist seltsam“, meint Marineexperte Andrij Klymenko von BlackSeaNews. Die Kritiker betonen, das Abkommen von 2004 sei lediglich deklarativ, die rechtlichen Normen seien nicht klar genug vorgeschrieben. Sollte die Ukraine das Abkommen kündigen, würde sich die Situation im Asowschen Meer durch eine UN-Konvention regeln, die wiederum den Großteil des Asowschen Meers wegen der Länge der Uferlinie Kiew zuschreiben würde. Allerdings wird jenes rechtliche Kalkül dadurch gefährdet, dass Russland de facto die beiden Ufer der Straße von Kertsch kontrolliert.
Verbaler Schlagabtausch zwischen Washington und Moskau
Ein Gesetzentwurf, der vorsieht das Abkommen von 2004 aufzukündigen, wurde bereits 2015 im ukrainischen Parlament registriert. Damals hatten aber bereits das ukrainische Außenministerium sowie einige Sicherheitsbehörden ausdrücklich vor möglichen Blockadeaktionen Russlands in Richtung der Häfen Mariupol und Berdjansk gewarnt. Seit Juli 2018 gibt es einen neuen Gesetzentwurf, der im September verabschiedet werden könnte. Welche Position sich dahin durchsetzt, ist heute noch nicht abzusehen.
Klar ist jedoch, dass das Thema Asowsches Meer immer auch an internationalen Bedeutung gewinnt. Am Donnerstag hat das US-Außenministerium die Handlungen Russlands am Asowschen Meer in einem Statement klar verurteilt: „Es ist ein weiteres Beispiel, wie Russland die Ukraine zu destabilisieren versucht.“ Die russische Botschaft in Washington reagierte gewohnt geärgert: „Das Außenministerium ist wegen der Festhaltungen, nicht wegen der Festnahmen oder Arreste, besorgt. Es ist bemerkenswert, dass sie dabei kein einziges Schiff von angeblich Hunderten nennen, der von uns festgehalten wäre.“
Da die Ukraine weder über militärische noch politische Druckmittel gegenüber Russland verfügt, scheint sie der russischen Kanonenbootpolitik derzeit hilflos ausgeliefert.
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