Inna Sowsun: Feministin und progressive Parlamentsabgeordnete
Die überzeugte Feministin Inna Sowsun wurde mit nur 29 Jahren zur stellvertretenden Bildungsministerin ernannt. Später war sie mehrere Jahre Vizepräsidentin der renommierten Kyiv School of Economics, seit 2019 sitzt sie für die liberale Oppositionspartei Stimme im Parlament. Dort engagiert sie sich unter anderem für die Rechte von LGBTQ+-Personen an der Front.
Als Inna Sowsun 2014 im Alter von nur 29 Jahren zur ersten Stellvertreterin des Bildungsministers ernannt wurde, war das so überraschend wie nachvollziehbar. Die überzeugte Feministin hatte zuvor an der Kyjiwer-Mohyla-Akademie und der Taras-Schewtschenko-Universität in Kyjiw Politologie studiert sowie einen Master in Europäischer Politik an der schwedischen Universität Lund gemacht – und gleichzeitig als Assistentin eines Parlamentsabgeordneten gearbeitet.
Vor allem aber hatte sie bei der landesweit bekannten NGO Opora Bildungsprojekte umgesetzt und die gemeinnützige Denkfabrik CEDOS gegründet, deren Leiterin sie fünf Jahre lang war. Erfahrungen konnte sie also reichlich vorweisen, genau wie Fachkompetenz im Bereich Bildung.
Benachteiligung von Frauen: das Schweigen brechen
Dennoch war das Erste, das sie nach Bekanntgabe ihrer Ernennung zur stellvertretenden Ministerin über sich selbst im Netz las, dass sie die Geliebte des Ministers sei. Sie konnte darüber lachen und fühlte sich nicht angegriffen. Die damalige Finanzministerin Natalija Jaresko wurde unterdessen nie mit Vermutungen konfrontiert, es könne sich bei ihren männlichen Stellvertretern um Liebhaber handeln.
Es sind Momente wie diese, die Sowsuns Weltbild geformt haben. „Es hat eine Weile gedauert, bis ich verstanden habe, dass ich über [solche Vorfälle] reden muss“, sagt sie. „Ich bin Feministin, daraus mache ich kein Geheimnis. […] Wenn wir schweigen, wird es der nächsten Generation Frauen genauso gehen.“ Sowsun kritisiert, dass Frauen in der Ukraine im Schnitt 25 Prozent weniger verdienen als Männer und verweist darauf, dass jede dritte Frau angibt, unter häuslicher Gewalt zu leiden.
Einsatz für gleichgeschlechtliche Paare
Neben Feminismus gibt es ein weiteres Thema, für das Sowsun sich einsetzt: Die 39-Jährige, deren Partner seit Beginn der umfassenden russischen Invasion an der Front kämpft, engagiert sich für die Rechte der LGBTQ+-Community. 2023 legte sie dem Parlament einen Gesetzentwurf vor, der eingetragene Partnerschaften bei gleichgeschlechtlichen Beziehungen erlauben soll.
Das sei nicht zuletzt wegen LGBTQ+-Personen an der Front wichtig, so Sowsun. „Da ist zum Beispiel der Fall eines LGBT-Paares, bei dem ein Partner an der Front getötet wurde – und der andere hat keinerlei [rechtlichen] Status“, sagt sie. Dabei ginge es nicht in erster Linie um Kompensationszahlungen, „denn wenn ein geliebter Mensch stirbt, ist Geld das Letzte, was einen interessiert. Es geht ganz grundsätzlich um Zugang zum Krankenhaus, unter Umständen darum, medizinische Entscheidungen für einen Angehörigen zu treffen.“
Wegen der eigenen Sprache diskriminiert
Dass sich Sowsun als stellvertretende Bildungsministerin besonders für die Autonomierechte ukrainischer Universitäten und Hochschulen einsetzte, hat Wurzeln in ihrer Kindheit: Sowsun wuchs in Charkiw auf, ihre Familie sprach Ukrainisch – nicht gerade typisch für die wichtigste Großstadt in der Ostukraine.
„Schon im Kindergarten fragte ich mich, warum ich schikaniert wurde, wenn ich Ukrainisch sprach“, erinnert sich Inna Sowsun. „Es gab viele Situationen im Kindergarten und in der Schule, in denen ich meine Sprache nicht sprechen konnte. […] Ich war in einem Land geboren, das Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik hieß – und trotzdem wurde ich ausgelacht“. Das Nachdenken darüber habe in ihr das Interesse an Politik geweckt.
Parteistreit und Populismus als Gefahr für die Ukraine
2019 trat die neue liberale Partei Stimme um den bekannten – und mittlerweile aus der Politik ausgeschiedenen – Rocksänger Swjatoslaw Wakartschuk an Inna Sowsun heran und schlug ihr vor, als Parlamentsabgeordnete auf der Liste zu kandidieren. „Ich habe mir angeschaut, was das für Leute sind, mit denen Wakartschuk ins Parlament geht, und habe gemerkt, dass sie mir politisch nahestehen“, so Sowsun.
Die Stimme hat sich in dieser Legislaturperiode mehrfach intern zerstritten – und obwohl die Partei eher zu den konstruktiven Kräften in der Werchowna Rada zählt, war sie im Parlament bisher nicht so erfolgreich wie erhofft. Inna Sowsun bereut ihre Kandidatur dennoch nicht. „Ich habe versucht, mich so gut es geht aus den Streitigkeiten herauszuhalten […], natürlich war das alles sehr unangenehm“, sagt die Abgeordnete, die heute im Energieausschuss sitzt. „Aber ich bin mir sicher, dass wir trotz dieser negativen Aspekte nie unsere Stimmen verkauft [und unsere politischen Überzeugungen verraten] haben […], das ist ein echter Erfolg.“
Für die größte Gefahr in der Politik ihres Landes hält Inna Sowsun den Populismus. Er zerstöre den Staat und die Fähigkeit von Parlament und Regierung, auf die Herausforderungen zu reagieren, vor denen die Ukraine heute steht. „Es ist jetzt nicht die Zeit, um nach Extremen zu suchen“, sagt Sowsun, „wir müssen uns zusammentun […], um unser Land zu verteidigen.“
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