Tschernobyl vergisst man nicht (Fotostrecke)
„Diese Katastrophe wird unsere Leben überdauern, sie übertrifft sogar all unsere Vorstellungen über die Zukunft unserer Zivilisation, sie wird sich immer weiter entfalten,“ schrieb die Autorin Katja Petrowskaja in einem Text zum 25-jährigen Jubiläum von Tschernobyl. Auch nach 34 Jahren lässt uns die Reaktorkatastrophe und alles wofür sie steht, nicht los. Mit dieser Fotostrecke wollen wir aus der Redaktion unsere Eindrücke teilen.
TOUR 1
Unser Redakteur Mattia Nelles fuhr im April 2016 zum 30. Jubiläum der Katastrophe auf eine Tagestour in die Sperrzone. Er verstehe sehr gut die Menschen, die diesen Katastrophentourismus geschmacklos finden, aber er sei sehr tief bewegt gewesen, von dem was er erlebt hatte. „Es ist eine riesige Freiluft-Gedenkstätte für menschliches Versagen!“
2016 als ich die Sperrzone besuchte, war der 2 Milliarden Sarkophag noch nicht auf den havarierten Reaktorblock gestülpt worden. Aus der Entfernung konnte man die provisorische Abdeckung sehen. Diese hatten tausende von sowjetischen Einheiten unter Einsatz ihrer Gesundheit errichten müssen. An ihren und den Einsatz anderer hunderttausende Rund um den Reaktorunfall musste ich trotz aller Kritik an der politischen Führung der Sowjetunion oft zurückdenken.
Heute ist Prypjat eine verlassene Geisterstadt, kaum fünf Kilometer vom havarierten Kernkraftwerk entfernt. Erst 1970 vom Reißbrett geplant, als moderne Satellitenstadt geschaffen.
Der große und ehemals modern ausgerüstete Kulturpalast inmitten Prypjats ist Ausdruck davon, wie privilegiert es die Einwohner der Satellitenstadt hatten. Der mehrheitlich im AKW arbeitenden Stadtbevölkerung – Durchschnittsalter war kaum 26 Jahre alt – wurde deutlich mehr geboten als vielen Sowjetbürgern.
Ausdruck des relativen Luxus in der Satellitenstadt war auch der Vergnügungspark, der zum 1. Mai 1986 eröffnen sollte. Heute ist das nie in Dienst gestellte Riesenrad ein trauriges Symbol für den Reaktorunfall geworden.
Ausdruck des relativen Luxus in der Satellitenstadt waren die zahlreichen Geschäfte und das breite Erholungsangebot, wie der moderne Olympische Pool, eine absolute Rarität in sowjetischen Mittelstädten…
Oder auch die modernen Sportanlagen, wie diese Sporthalle.
Plünderungen und wachsender Tourismus haben ihre Spuren hinterlassen. Einige gruselige Szenen, wie diese in einer Schule liegenden Masken, wurden höchstwahrscheinlich für Extremtouristen gestellt.
Seit der abrupten Evakuierung am 27. April, erst 36h nach dem Reaktorunfall, befindet sich die Stadt im Zerfall. Dieser ehemalige Kindergarten ist Ausdruck, dieser kurzfristigen Evakuierung. Für mich wirft dieses Bild die schmerzhafte Problematik auf, welche geringe Bedeutung menschliches Leben für die sowjetischen Behörden hatte. Als aller erstes wurden die Telefonleitungen gekappt. Die Einwohner verbrachten ohne jede Warnung eineinhalb Tage bei hoher Strahlung... Ich frage mich bis heute, welche Spätfolgen die Bewohner der Stadt davon getragen haben…
TOUR 2
Unsere Social Media Managerin Saskia Heller fuhr im Juli 2018 im Rahmen einer Exkursion, die sie selbst mitorganisierte, in die Ukraine. Die kleine Exkursion beinhaltete nicht nur einen Besuch in der Sperrzone, sondern auch einen Besuch im Tschornobyl Museum in Kyjiw und die Stadt Slawutytsch. Der erste Eindruck nach dem Tagesausflug in die Sperrzone konnte sie nur mit den Worten „leer, bewegend und sehenswert“ beschreiben. Vor der Reise war die Frage nach der radioaktiven Strahlung am Größten, aber durch Expertise von der Gesellschaft für Strahlenschutz e.V. war ihre Exkursionsgruppe gut vorbereitet. Im Nachhinein findet sie, dass jeder diesen Ort mal gesehen habe sollte, „aber man sollte sich gut vorbereitet haben und nicht unbedacht einfach dahinreisen“.
Bevor man die 30km-Sperrzone betreten darf, werden die Dokumente an einem Checkpoint überprüft. Das kann sich bei all den Ansturm schon mal hinziehen. Zum Glück kann man sich derweil am Souvenir-Stand des größten kommerziellen Tour-Anbieter die Zeit vertreiben.
An sich besteht keine große Gefahr radioaktiver Strahlung in der Sperrzone ausgesetzt zu sein. Neben Objekten aus Metall oder bestimmten ausgewiesenen Orten sind nur sogenannte Hotspots gefährlich. Die sind sehr unterschiedlich verteilt, oftmals sind sie entstanden, weil radioaktive Partikel von Liquidatoren beim Aufräumen z.B. von Schulsohlen abgefallen waren.
„Welche Antworten suchen wir hier?“ steht auf einem der Graffiti in Prypjat.
Ein Ausflug in die Sperrzone ist nur authentisch, wenn man in der gleichen Kantine isst wie die Arbeiter vom Atomkraftwerk. Die Lebensmittel werden von außerhalb gebracht und das Essen an sich unterscheidete sich nicht von anderen Abenteuern in ukrainischen Kantinen.
Seitdem ich eine Dokumentation über Duga‑1 (sowjetische Anlage für ein Kurzwellensignal) sah, wollte ich nur dahin. Dieses massive Konstrukt aus Stahl ist einfach atemberaubend!
Mit dem Maidan und dem darauffolgenden Dekommunisierungsgesetz sind alle Lenin-Statuen verschwunden. Nicht ganz, denn in der Stadt Tschornobyl gibt es zwei (diese Statue und ein anderes Monument).
Alle Architektur und Urbanismus Fans sollten einmal Slawutytsch besucht haben. Die Stadt wurde 1986 gegründet und sollte eine neue Stadt für die evakuierten Menschen von Prypjat werden. Mit Expertise und Architekten aus verschiedenen Sowjetrepubliken wurde diese Stadt in binnen von zwei Jahren gebaut. Es gibt an sich keine Straßennamen, sondern die Stadt ist in Vierteln eingeteilt. Auf dem Foto ist ein Wohnblock aus dem Tbilisi Viertel zu sehen.
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