Nordstream 2: Überflüssig und politisch fatal
Dieser Tage mehren sich die Stimmen der Befürworter von Nord Stream 2. Doch das Projekt unterläuft die Klimaziele der EU, spaltet Europa und untergräbt eine gemeinsame europäische Energiepolitik.
Folgt man den Befürwortern der zweiten Doppelpipeline für russisches Erdgas durch die Ostsee, ist das alles energiewirtschaftlich höchst vernünftig und politisch ganz harmlos. Nordstream 2 erhöhe die europäische Energiesicherheit – schließlich war schon die Sowjetunion ein verlässlicher Lieferant – und sei ein rein kommerzielles Projekt. Die Europäische Kommission solle sich gefälligst raushalten, statt sich unbefugt in die Energiesouveränität Deutschlands einzumischen. Einspruch!
Nordstream 2 sabotiert die gemeinsame europäische Energiepolitik
In der 2014 von der EU-Kommission beschlossenen „Strategie für eine sichere Energieversorgung“ werden explizit drei Ziele genannt: Die Steigerung der Eigenerzeugung von Primärenergie, die Diversifizierung von Lieferländern und Lieferwegen sowie ein gemeinsames Auftreten der EU-Staaten gegenüber Drittländern. Nordstream 2 kollidiert mit allen drei Vorhaben. Das Projekt spekuliert auf steigende Erdgas-Importe der EU. Es verstärkt die Abhängigkeit von Russland, das bereits heute mit rund 30 Prozent der mit Abstand größte Gaslieferant nach Europa ist. Und es wirkt als Spaltpilz für die EU, die über Nordstream 2 tief zerstritten ist. Die nationale Engstirnigkeit, mit der eine Koalition von SPD, Union und Ostausschuss der deutschen Wirtschaft dieses Projekt gegen den Widerstand der EU-Kommission vorantreibt, ist ein Hohn auf alle Europaschwüre der Bundesregierung. In den Augen der Polen, der baltischen Republiken oder der Skandinavier ist Nordstream 2 nur ein weiterer Alleingang Deutschlands ohne Abstimmung mit seinen europäischen Nachbarn.
Eine Pipeline mit einem Transportvolumen von 55 Milliarden Kubikmetern im Jahr und Investitionskosten von 9–10 Milliarden Euro wird für Jahrzehnte gebaut. Ökonomisch basiert sie auf dem Kalkül eines langfristig steigenden Erdgas-Verbrauchs in der EU. Für den heutigen Bedarf ist sie schlicht überflüssig. Die Auslastung von Nordstream 1 lag 2015 lediglich bei 71 Prozent. Dazu kommen die Reservekapazitäten im kontinentalen Pipelinesystem und steigende Kapazitäten bei Flüssiggas-Terminals, die auf künftigen Bedarf ausgelegt sind. Es gibt weder heute noch morgen einen Engpass bei Importkapazitäten für Erdgas. Soll Nordstream 2 ausgelastet werden, setzt das entweder eine enorme Steigerung des Gasverbrauchs in der EU oder eine Verdrängung anderer Lieferanten und Transportwege voraus. Weder das eine noch das andere liegt im europäischen Interesse, sehr wohl aber im Interesse von Gazprom & Co.
Nordstream 2 unterläuft die Klimaziele der EU
Ein langfristig steigender Erdgasverbrauch ist mit den klimapolitischen Zielen der EU nicht vereinbar. Sie erfordern eine weitgehende Dekarbonisierung des Energiesektors bis zur Mitte des Jahrhunderts. Statt Pfadabhängigkeiten bei fossilen Energieimporten über Jahrzehnte festzuschreiben, müssen wir uns deshalb möglichst flexibel in den Bezugsquellen und Transportwegen halten. Kurzfristig mag die Nachfrage nach Erdgas bei einem schrittweisen Ausstieg aus der Kohle und einer weiteren Reduzierung des Ölverbrauchs anziehen. Langfristig muss auch der Verbrauch von Erdgas sinken. Ein Schlüssel dafür ist die kontinuierliche Verbesserung der Energieeffizienz im Gebäudesektor und der Industrie. Ein anderer die Substitution von Erdgas durch synthetisches Gas (Wasserstoff und Methan), das aus überschüssigem Regenerativstrom gewonnen wird. Je größer der Anteil von Wind- und Solarenergie am europäische Strommix wird, desto dringender stellt sich die Frage nach der Umwandlung überschießender Strommengen. Die Fixierung auf den Import von Erdgas verzögert die Entwicklung alternativer Zukunftstechnologien im industriellen Maßstab.
Außerdem kreuzt die neue Doppel-Pipeline mehrere ökologisch hoch sensible Gebiete. Ihr Bau ist ein massiver Eingriff in die maritime Biosphäre. Umweltschutz-Organisationen kritisieren den Trassenverlauf und die oberflächliche Umweltverträglichkeitsprüfung und haben bereits Klage gegen den Bau der Pipeline eingereicht.
Nordstream 2 ist ein geopolitisches Projekt des Kremls
Die Behauptung, Nordstream 2 sei ein rein kommerzielles Projekt, ist allzu blauäugig. Man muss schon fest die Augen verschließen, um zu übersehen, dass diese Pipeline Teil eines geopolitischen Spiels des Kremls ist. Es zielt darauf ab, die Ukraine und Polen als Transitländer auszuschalten, die europäische Abhängigkeit von Energieimporten aus Russland zu zementieren und einen Keil in die EU zu treiben. Während es Europa an einer strategischen Energiepolitik mangelt, baut die russische Seite ihr Energie-Imperium aus. Teil dieses Spiels ist auch der strategisch platzierte Bau von Atomkraftwerken, die Strom in die EU exportieren sollen wie der 2400 MW-Komplex an der weißrussisch-litauischen Grenze und eine ebenso große Anlage in Kaliningrad.
Gazprom ist kein Konzern wie jeder andere. Mit dem Ölgiganten Rosneft bildet er die ökonomische Basis des autoritären Regimes in Moskau. Öl und Gas sind die wichtigste Einnahmequelle des russischen Staates und die Hauptpfründe für die Bereicherung der Machtelite. Gazprom und Rosneft stehen zugleich im Zentrum der ökonomischen Netzwerke und politischen Seilschaften des Kremls in Europa. Kein Zufall, dass Ex-Kanzler Schröder auf ihrer Lohnliste steht – er ist ihr wirksamster Lobbyist. Dabei gehen wirtschaftliche und politische Interessen Hand in Hand.
Wer auf eine kooperative europäische Energieversorgung setzt, sollte der divide-et-impera – Politik des Kremls keinen Vorschub leisten
Es gibt eine deutlich billigere Alternative zu einer zweiten Ostsee-Pipeline: die Modernisierung des kontinentalen Transportnetzes. Das wäre ein multilaterales Projekt zum Vorteil aller. Wenn die Ukraine und Polen als Zwischenglied für russische Gasexporte nach Westeuropa ausgeschaltet werden, verlieren sie jährliche Transitgebühren in Milliardenhöhe. Zudem kann ihnen der Kreml jederzeit den Gashahn zudrehen, ohne sein Exportgeschäft zu gefährden. Der jüngste Gasstreit hat dies einmal mehr gezeigt. Die Ukraine wird dann noch anfälliger für russische Drohpolitik. Auch das gehört zur politischen Dimension von Nordstream 2.
Wer auf eine kooperative europäische Energieversorgung setzt, sollte der divide-et-impera – Politik des Kremls keinen Vorschub leisten. Das gilt allzumal für Deutschland. Es gibt zurecht eine kritische Sensibilität unserer mittel-osteuropäischen Nachbarn für eine Neuauflage der Achse Berlin-Moskau, die ihre Interessen und Besorgnisse übergeht. Nordstream 2 ist ein Prüfstein, wie ernst es Deutschland mit dem Bekenntnis zu „mehr Europa“ nimmt.
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