Die Türkei und der Krieg in der Ukraine

Recep Erdogan bei den rus­sisch-ukrai­ni­schen Frie­dens­ge­sprä­chen am 29.03.2022 in Istan­bul; Foto: Sergey Karpu­hin /​ Imago Images

Während die Türkei die Sou­ve­rä­ni­tät und ter­ri­to­riale Inte­gri­tät der Ukraine grund­sätz­lich unter­stützt, pflegt sie sehr enge Bezie­hun­gen zu Russ­land. Daria Isa­chenko ana­ly­siert, welche Inter­es­sen dahinterstehen.

Der tür­ki­sche Staats­chef Recep Tayyip Erdogan hat bereits im Novem­ber 2021 seine Ver­mitt­lung zwi­schen dem rus­si­schen und ukrai­ni­schen Prä­si­den­ten ange­bo­ten, als die Span­nun­gen zwi­schen Russ­land und dem Westen mit dem Auf­marsch rus­si­scher Truppen an der Grenze zur Ukraine zunah­men. Seit Beginn des rus­si­schen Angriffs­krie­ges gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 setzt Ankara seinen Balan­ce­akt zwi­schen Moskau und Kyjiw fort. Für die Ukraine stellt die stra­te­gi­sche Part­ner­schaft mit der Türkei „den Schlüs­sel zur Sicher­heit im Schwar­zen Meer“ dar. Die ter­ri­to­riale Expan­sion Russ­lands in der Region bedeu­tet zwar einer­seits auch für die Türkei ein Sicher­heits­pro­blem. Ander­seits ver­folgt Ankara wei­ter­hin die alte NATO-Stra­te­gie gegen­über dem Kreml: Abschre­ckung und Dialog. Dies hat Ankara ermög­licht, die Feder­füh­rung bei der Frage der Getrei­de­ex­porte aus der Ukraine zu über­neh­men. Zugleich werden die Erwar­tun­gen der Ukraine an die Türkei ange­sichts der Bezie­hun­gen zwi­schen Ankara und Moskau gedämpft.

Ankara als Vermittler

Seit dem Aus­bruch des Krieges hat sich die Türkei als Ver­mitt­ler zwi­schen Russ­land und der Ukraine gegen­über etwa Israel und Frank­reich erfolg­reich durch­ge­setzt. Ankara hat beim Aus­tausch der Kriegs­ge­fan­ge­nen mit­ge­wirkt und am 10. März kurz vor Beginn des Antalya Diplo­macy Forums ein erstes hoch­ran­gi­ges tri­la­te­ra­les Treffen orga­ni­siert, bei dem die Außen­mi­nis­ter der Ukraine und Russ­lands zusam­men­ka­men. Ein bedeu­ten­des Momen­tum waren die Gesprä­che zwi­schen den ukrai­ni­schen und rus­si­schen Ver­hand­lungs­de­le­ga­tio­nen am 29. März in Istan­bul. Die Ver­la­ge­rung des Ver­hand­lungs­orts von Belarus nach Istan­bul hat die Rolle der Türkei zwei­fels­frei gestärkt. Ankara wurde dadurch mit den Posi­tio­nen der Ukraine und Russ­lands ver­traut gemacht. Außer­dem wurde auch die Sicht­bar­keit der Türkei auf inter­na­tio­na­ler Ebene erhöht.

Anspruch auf Mitgestaltung

Beim Enga­ge­ment der Türkei im Ukraine-Krieg hängen drei Fak­to­ren eng zusam­men. Allein geo­gra­phisch kommt der Türkei eine zen­trale Rolle in der Schwarz­meer­re­gion zu. Über den Vertrag von Mon­treux, der seit 1936 den Schiffs­ver­kehr im Bos­po­rus, im Mar­ma­ra­meer und in den Dar­da­nel­len regelt, fun­giert die Türkei als Wäch­te­rin des Zugangs zum Schwar­zen Meer. Darüber hinaus zeich­net sich die Außen­po­li­tik der der­zei­ti­gen tür­ki­schen Führung unter Erdogan durch einen beharr­li­chen Akti­vis­mus aus. Dabei bean­sprucht die Türkei, dass ihr ange­streb­tes Anrecht auf Mit­ge­stal­tung auf der inter­na­tio­na­len Bühne von Groß­mäch­ten wie etwa den USA und Russ­land aner­kannt wird. Schließ­lich hilft der Türkei bei ihrem Enga­ge­ment im Schwar­zen Meer, dass sie als NATO-Mit­glied in der Lage ist, sowohl mit Russ­land als auch mit der Ukraine Bezie­hun­gen auf­recht­zu­er­hal­ten. Die Kom­bi­na­tion dieser drei Fak­to­ren ermög­lichte es der Türkei, sich als unver­zicht­ba­rer Akteur im aktu­el­len Kon­flikt zu posi­tio­nie­ren, was ins­be­son­dere bei der zusam­men mit den Ver­ein­ten Natio­nen eta­blier­ten Schwarz­meer-Getreide-Initia­tive deut­lich wurde.

Stra­te­gi­sche Part­ner­schaft zwi­schen Ankara und Kyjiw mit Bedingungen

Was die Sou­ve­rä­ni­tät und die ter­ri­to­riale Inte­gri­tät der Ukraine betrifft, so steht Ankara ein­deu­tig auf der Seite Kyjiws. Obwohl die Türkei sich auch 2014 den west­li­chen Sank­tio­nen gegen­über Russ­land nicht ange­schlos­sen hat, hat sie die Anne­xion der Krim als rechts­wid­rig ver­ur­teilt. Auch aktuell sieht die tür­ki­sche Führung keine Kom­pro­misse bei der ter­ri­to­ria­len Inte­gri­tät der Ukraine. Erdogan betonte jüngst in einem Inter­view: „Die erober­ten Gebiete werden der Ukraine zurück­ge­ge­ben.“ Die Unter­stüt­zung der Ukraine durch die Türkei sorgte noch vor Beginn des Angriffs­krie­ges am 24. Februar für War­nun­gen aus Moskau gegen­über Ankara. Für Ankara stellt es keinen Wider­spruch dar, Bay­raktar TB2-Drohnen an Kyjiw zu liefern, die zum Symbol des Wider­stands der Ukraine gegen Russ­land gewor­den sind –gleich­zei­tig aber enge Bezie­hun­gen zu Moskau zu pflegen. Dies hat mehrere Gründe.

Gründe für die engen Bezie­hun­gen zu Russland

Zum einen sieht die tür­ki­sche Seite im Kon­flikt zwi­schen Russ­land und der Ukraine eine grund­le­gende Neu­ge­stal­tung der Welt­ord­nung. Es gehe um „eine umfas­sen­dere Kon­fron­ta­tion zwi­schen der west­li­chen und der nicht­west­li­chen Welt“, die dem Berater des tür­ki­schen Prä­si­den­ten, Ibrahim Kalin, zufolge „legitim“ sei. Zum anderen schließt die NATO-Mit­glied­schaft der Türkei bila­te­rale Bezie­hun­gen mit Russ­land nicht aus. Das war bereits zu Zeiten des Ost-West-Kon­flik­tes der Fall. Nach dem Ende des Kalten Krieges ist das Ver­hält­nis zwi­schen Ankara und Moskau wesent­lich kom­ple­xer gewor­den. Abge­se­hen von öko­no­mi­schen Fragen sind Ankara und Moskau in einem regio­nal ver­floch­te­nen Kon­flikt­ma­nage­ment im Nahen Osten und im Süd­kau­ka­sus auf­ein­an­der ange­wie­sen. Und obwohl die Schwarz­meer­re­gion his­to­risch ein Riva­li­täts­feld zwi­schen den osma­ni­schen und rus­si­schen Reichen war, hat heute für die Türkei Sicher­heit in Bezug auf Syrien die höchste Prio­ri­tät, wo es aus Ankaras Sicht um die ter­ri­to­riale Inte­gri­tät der Türkei geht und Ankara auf Moskau ange­wie­sen ist.

Im Sep­tem­ber 2020 wurde die Türkei in der neuen Natio­na­len Sicher­heits­stra­te­gie der Ukraine als stra­te­gi­scher Partner benannt. Ent­spre­chend hoch waren die Erwar­tun­gen der Ukraine an die Türkei nach Beginn des Krieges am 24. Februar. Die ukrai­ni­sche Führung musste jedoch die Inter­es­sen der Türkei, die Ankara nicht zuletzt mit­hilfe Moskaus ver­folgt, zur Kennt­nis nehmen. Kyjiw schätzt die Koope­ra­tion mit Ankara in Bezug auf die tech­nisch-mili­tä­ri­sche Zusam­men­ar­beit, die Unter­stüt­zung der Sou­ve­rä­ni­tät der Ukraine, den Getrei­de­han­del und die Sicher­heit der Schiff­fahrt im Schwar­zen Meer. Die Ent­wick­lung der stra­te­gi­schen Part­ner­schaft zwi­schen der Ukraine und der Türkei wird aber wohl weiter im Schat­ten der Zusam­men­ar­beit der Türkei mit Russ­land verlaufen.

Portrait von Isachenko

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