Transparent, nachhaltig und zeitnah – der Wiederaufbau der Ukraine
Am 14.6. wurde bei dem von LibMod und dem German Economic Team organisierten Expert Roundtable ein Strategiepapier zum Wiederaufbau der Ukraine vorgestellt. Der stellvertretende ukrainische Energieminister Mykola Kolisnyk, Politiker:innen der Werchowna Rada, und andere deutsche und ukrainische Expert:innen diskutierten über Prinzipien und Herausforderungen eines nachhaltigen und transparenten Wiederaufbaus.
Trotz des Krieges und der täglichen russischen Angriffe passiert der Wiederaufbau der Ukraine bereits – mit Hilfe internationaler Partner und dank des Engagements und der zahlreichen Initiativen der ukrainischen Gesellschaft. Die Ukrainer:innen wollen jedoch nicht nur wiederherstellen, was Russland zerstört und vernichtet hat. Sie streben vielmehr danach, das Land zu modernisieren, das Potential für eine klimaneutrale Wirtschaft auszuschöpfen und die Zukunft demokratisch zu gestalten.
Die Autoren des Strategiepapiers – das #RRR4U-Konsortium, bestehend aus dem Institut für Wirtschaftsforschung und Politikberatung (IER), dem Center for Economic Strategy (CES), dem Institute of Analytics and Advocacy und der DiXi Group – sehen das Ziel des „Ukraine Recovery Cookbooks“ in der Festlegung von klaren, allgemein verständlichen Prinzipien und strategischen Grundsätzen für den Wiederaufbau. In diesen Prinzipien sollen sich die ukrainische Gesellschaft, die Gebergemeinschaft und alle Akteure, die an deren Umsetzung beteiligt sind, wiederfinden.
Anpassung an EU-Standards
Als die vier wichtigsten Prinzipien nennt das Strategiepapier: der Mensch im Mittelpunkt, Selbstverantwortung, Transparenz und die Beteiligung von Privatkapital. Die neu entstehende Infrastruktur muss nachhaltig und effizient gestalten werden und dabei die Vereinbarkeit aller Maßnahmen mit den EU-Normen gewährleisten.
So sollte die Ukraine von Anfang an EU-Regulierungsstandards für den Wiederaufbau von Städten, Industrie und Energiesystem übernehmen, um das Land so schnell wie möglich auf den EU-Beitrittsweg zu bringen. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, die vorhandenen Instrumente und Ressourcen zur Finanzierung schon jetzt zu nutzen und nicht auf das Ende des Krieges zu warten.
Der richtige Zeitpunkt ist jetzt
Sowohl die Politiker:innen als auch die an der Diskussion beteiligten Expert:innen waren sich einig, dass ein rechtzeitiger Wiederaufbau die Stabilität der Wirtschaft unterstützt und die Voraussetzungen für die Rückkehr der vor dem Krieg geflüchteten Fachkräfte schafft. Ein weiterer Grund, schon jetzt mit der Modernisierung zu beginnen und in die Ukraine zu investieren, sind die Kosten. Je später angefangen wird, desto teurer wird es sein, davon waren alle Teilnehmenden überzeugt.
„Build Back Better“
Einer der wichtigsten Grundsätze für den Wiederaufbau: Build Back Better – Die Wirtschaft muss nachhaltig, energieeffizient und inklusiv wachsen. Natürlich benötigt eine großangelegte Modernisierung der Wirtschaft enorme private Investitionen aus dem In- und Ausland. Das größte Hindernis hierbei ist der Sicherheitsaspekt. Um Anreize für private Investitionen zu schaffen, ist eine Versicherung gegen kriegsbedingte Risiken erforderlich.
Private Investitionen: Versicherung gegen kriegsbedingte Risiken notwendig
Mehrere internationale Organisationen arbeiten derzeit daran, diese Möglichkeit für ausländische Kapitalanlagen zu schaffen, beispielsweise die U.S. International Development Finance Corporation, die Multilaterale Investitions-Garantie-Agentur und die Regierungen Deutschlands und Polens. Ein ähnlicher Mechanismus ist auch für ukrainische Investoren erforderlich und sollte einen privaten Versicherungsmarkt anstelle einer zentralisierten Projektvergabe vorsehen.
Auch wenn derzeit kein Aktionsplan für die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine zur Debatte steht, könnten NATO-Garantien einen entscheidenden Anstoß für ausländische Investitionen geben. Die Ukraine strebt die Integration in der transatlantischen und europäischen Gemeinschaft an und braucht glaubwürdige Sicherheitsgarantien.
Neue Plattform DREAM: Transparente Finanzierung von Wiederaufbauprojekten
Transparenz ist ein anderes wichtiges Stichwort, wenn es um die Finanzierungen von Wiederaufbauprojekten geht. Rechtsstaatlichkeit sollte die Grundvoraussetzung dafür sein. Die Ukraine braucht deshalb die Institutionalisierung tragfähiger Maßnahmen gegen Korruption.
Besondere Aufmerksamkeit verdient in dieser Hinsicht die neue Plattform DREAM – das Digital Restoration Ecosystem for Accountable Management. DREAM ist für die Aufsicht über den Wiederaufbauprozess zuständig. Alle Projekte, die von der Regierung, lokalen Behörden, staatlichen und kommunalen Unternehmen eingereicht werden, sind in der DREAM-Plattform vertreten.
Mit einer transparenten Verfahrensweise werden vorrangige Projekte ermittelt, die dann von der Agentur für Wiederaufbau, den Fachministerien oder den lokalen Gemeinden auf der Plattform veröffentlicht werden. Die Geldgeber können auswählen, welche Projekte sie finanzieren wollen, die bereitgestellten Mittel werden im System erfasst. Umsetzungsphase und Status der Projekte sind auf der Plattform jederzeit einsehbar. Das System kann allerdings nur dann funktionieren, wenn die Informationen auf zuverlässigen Daten basieren. Der Krieg hat zwar den Datenzugang auf allen Ebenen erschwert, die Lage sollte allerdings nicht lange so unüberschaubar bleiben.
Andere entscheidende Punkte sind die Kohärenz der politischen Entscheidungen, gut funktionierende Institutionen, Verstärkung der Kapazitäten in der Verwaltung und die Einbindung von Zivilgesellschaft, Privatkapital (Unternehmen) in die Strategieentwicklung – und der internationalen Gemeinschaft durch institutionalisierte Konsultationsmechanismen
Dezentralisierung und „Ownership“
Die Autor:innen des Strategiepapiers argumentieren, dass die Dezentralisierung und der Kapazitätenaufbau in den Gemeinden zu grundlegenden Elementen und Eckpfeilern aller Wiederaufbauprojekte werden müssen. Es sind in vieler Hinsicht die Resultate genau dieser erfolgreichen Dezentralisierungsreform, die die in vielen Ländern bewunderte Resilienz der Ukrainer gegen den russischen Vernichtungskrieg gestärkt haben. Zugleich tragen gerade die Gemeinden eine besonders schwere Last, sei es wegen der Besatzung und den Zerstörungen oder wegen des infolge des Krieges entstandenen Fachkräftemangels.
Ziel ist es, Menschen auf lokaler Ebene aktiv in den Wiederaufbauprozess einzubinden, mehr Selbstverantwortung – „Ownership“ – zu fördern und dadurch für mehr Vertrauen zwischen verschiedenen Ebenen zu sorgen. Der Schwerpunkt liegt auf der Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen in den Gemeinden, indem diese für Menschen und Unternehmen gleichermaßen attraktiv sind. Um dies zu erreichen, sollten Vertreter:innen aus sämtlichen Gesellschaftsgruppen bei Entscheidungsprozessen einbezogen werden, sei es bei Überlegungen zur Architektur des Wiederaufbaus oder bei der Festlegung von Projektprioritäten.
Stärkung der Kommunen
Gleichzeitig müssen die Kommunen gezielt Kapazitäten aufbauen, Investitionen, Anlehen und Förderungen müssen einbezogen und die Entwicklung von strategischen Plänen unterstützt werden. Damit kann die lokale Selbstverwaltung und die Rolle der Kommunen gestärkt werden. Vielen Menschen auf der lokalen Ebene, auch in der Selbstverwaltung, sind Konzepte wie „grüner Wiederaufbau“ – mit modernen Technologien, effizient und weitgehend emissionsfrei – nicht einmal bekannt. Die Aufklärung und der Dialog darüber sollten nicht erst nach dem Krieg starten. Sondern jetzt.
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