Wie die Ukraine zum hei­ßes­ten Rei­se­tipp Europas gewor­den ist

In der Ukraine boomt der Tou­ris­mus. Allein Kiew ver­zeich­nete im ersten Halb­jahr 2018 mehr als 800.000 Besu­cher, mit stark stei­gen­der Tendenz. Dabei sah es noch vor einigen Jahren so aus, als läge der Frem­den­ver­kehr am Boden.

Die Ukraine ist ein schönes Land, das seinen Besu­chern nicht nur abwechs­lungs­rei­che Land­schaf­ten und unfass­bar viel Geschichte zu bieten hat, sondern auch die Gast­freund­schaft seiner Bewohner.

Lange Zeit jedoch galt die Ukraine vor allem ein Tran­sit­land. Men­schen reisten nur mit einem Ziel ein: um schnell wieder wei­ter­zu­rei­sen. Und für viele west­li­che Tou­ris­ten war das zweit­größte Land Europas ein weißer Flecken auf der Landkarte.

Die Ent­wick­lun­gen seit der Maidan-Revo­lu­tion im Jahr 2014 haben jedoch die Tou­ris­mus­bran­che in der Ukraine kom­plett auf den Kopf gestellt. Seit etwa zwei Jahren werden ukrai­ni­sche Flug­hä­fen zudem von inter­na­tio­na­len Bil­li­g­air­lines ange­flo­gen, die Ukraine hat über Ryanair, Easyjet und Ger­man­wings Anschluss an den moder­nen Städ­te­tou­ris­mus gefunden.

Ein Blick auf die Zahlen macht deut­lich, wie tief­grei­fend der poli­ti­sche Wandel den Tou­ris­mus ver­än­dert hat.

Die Zahl der aus­län­di­schen Besu­cher nach dem Maidan um 50 Prozent

In der ukrai­ni­schen Tou­ris­mus­bran­che gilt das Jahr 2013 als Refe­renz­punkt für das, was einmal war. Ins­ge­samt 24,7 Mil­lio­nen aus­län­di­sche Besu­cher zählten die Behör­den damals. Dar­un­ter befan­den sich aller­dings auch sehr viele Men­schen, die ledig­lich auf der Durch­reise waren – Flug­rei­sen sind für viele Men­schen in Ost­eu­ropa immer noch uner­schwing­lich, sie reisen auf dem Landweg.

Portrait von Sebastian Christ

Sebas­tian Christ arbei­tet als Autor und Zukunfts­for­scher in Berlin.

Im Jahr darauf brach der Frem­den­ver­kehr im Zuge der poli­ti­schen Ver­än­de­run­gen beinahe zusam­men. Nur noch 12,7 Mil­lio­nen Men­schen besuch­ten die Ukraine. Haupt­grund dafür dürften jedoch nicht die apo­ka­lyp­tisch anmu­ten­den Fern­seh­bil­der von den Stra­ßen­kämp­fen im Herzen Kiews vom Februar 2014 gewesen sein, sondern viel eher das sich dra­ma­tisch ver­schlech­ternde Ver­hält­nis zum größten Nachbarland.

Rei­sende aus Russ­land machten im Jahr 2013 etwa 40 Prozent aller aus­län­di­schen Besu­cher aus. Das änderte sich mit den rus­si­schen Mili­tär­in­ter­ven­tio­nen in der Ukraine. In Folge des Kon­flikts wurden Flug­ver­bin­dun­gen ein­ge­stellt, Ein­rei­se­be­stim­mun­gen ver­schärft. Und über den Tou­ris­mus auf der Krim, früher eines der belieb­tes­ten Rei­se­ziele von rus­si­schen Tou­ris­ten in der Ukraine, konnten nach der völ­ker­rechts­wid­ri­gen Anne­xion keine Sta­tis­ti­ken mehr geführt werden. All dies führte dazu, dass im Jahr 2014 statt 10,3 Mil­lio­nen nur noch 2,4 Mil­lio­nen Russen in die Ukraine reisten.

Ähn­li­ches gilt übri­gens auch für Besu­cher aus Belarus. Etwa 3,3 Mil­lio­nen von ihnen kamen im Jahr 2013, sie machten damals 15 Prozent aller aus­län­di­schen Besu­cher aus. Ein Jahr später reisten nur noch 1,6 Mil­lio­nen Bela­rus­sen in die Ukraine.

Auf­schwung in den ver­gan­ge­nen Jahren

Das alles muss man wissen, um die aktu­el­len Fakten ein­ord­nen zu können. Die Besu­cher­zah­len von einst hat die Ukraine zwar noch lange nicht erreicht, was nicht zuletzt an den aus­blei­ben­den Tran­sit­rei­sen­den liegt. Und trotz­dem ist die Ent­wick­lung vielversprechend.

Im Jahr 2017 kamen 14,2 Mil­lio­nen aus­län­di­sche Besu­cher in die Ukraine. Laut Schät­zun­gen der Rada-Abge­ord­ne­ten Anna Roma­nova, Lei­te­rin der Tou­ris­mus-Kom­mis­sion des ukrai­ni­schen Par­la­ments, waren davon mehr als zehn Mil­lio­nen Transitreisende.

Die ukrai­ni­schen Dia­spora-Gemein­den machen dagegen nur einen kleinen Teil der Besu­cher aus. Roma­nova sagte der „Kyiv Post“, dass zum Bei­spiel von etwa 1,2 Mil­lio­nen Kana­di­ern mit ukrai­ni­schen Wurzeln jedes Jahr ledig­lich 20.000 in die Ukraine reisen würden.

Bleiben also etwa vier Mil­lio­nen aus­län­di­sche Besu­cher im Jahr 2017, die sich bewusst für die Ukraine als Rei­se­ziel ent­schie­den hatten. Laut Recher­chen der „Kyiv Post“ sind die beiden wich­tigs­ten Ver­kaufs­ar­gu­mente für Reisen in die Ukraine das kul­tu­relle Erbe und die bil­li­gen Preise. Erstaun­li­cher­weise kommen jedoch auch 50.000 Men­schen im Jahr, um sich medi­zi­nisch behan­deln zu lassen – und das, obwohl das Gesund­heits­sys­tem nicht den aller­bes­ten Ruf hat.

Tou­ris­mus­boom in Kiew: „Ver­ges­sen sie Paris!“

Während Metro­po­len wie Bar­ce­lona, London oder Berlin von Städ­te­rei­sen­den schon weit­ge­hend erkun­det sind, hat sich Kiew zu einem Geheim­tipp ent­wi­ckelt. „Why you should skip Paris and visit Kyiv“, titelte zum Bei­spiel das Magazin „Forbes“ im Juli diesen Jahres.

Im ersten Halb­jahr 2018 kamen bereits 850.000 Men­schen aus dem Ausland nach Kiew, hinzu kamen 2,5 Mil­lio­nen Inlands­tou­ris­ten. Das sind sogar mehr als im Jahr 2013.

Hostels und Drei-Sterne-Hotels mel­de­ten für die Som­mer­mo­nate bis ein­schließ­lich Sep­tem­ber eine Aus­las­tungs­quote von 90 Prozent, doch auch die Betten in den Vier-Sterne-Hotels sind zu etwa zwei Drit­teln ausgebucht.

Zur stei­gen­den Popu­la­ri­tät von Kiew als Tou­ris­mus­ziel haben auch welt­weit über­tra­gene Groß­ereig­nisse bei­getra­gen. Im Mai 2017 fand dort der „Euro­vi­sion Song Contest“ statt, ein Jahr später das Finale der UEFA Cham­pi­ons League zwi­schen Real Madrid und dem FC Liver­pool. Beide Male nutzte die Stadt die sich bie­tende Gele­gen­heit, ein posi­ti­ves Bild von Kiew zu verbreiten.

Pro­fi­teure und Trittbrettfahrer

Leider gab es auch zahl­rei­che Tritt­brett­fah­rer, die sich auf Kosten der Tou­ris­ten berei­chern wollen. Schon während des Euro­vi­sion Song Con­tests gab es Berichte über saftige Preis­er­hö­hun­gen für Hotel­zim­mer und Feri­en­woh­nun­gen. Im Vorfeld des Cham­pi­ons League-Finals im Mai 2018 eska­lierte die Situa­tion voll­ends. Geschäf­te­ma­cher boten Schlaf­mög­lich­kei­ten auf abge­leb­ten Kunst­le­der­so­fas für bis zu 800 Euro pro Nacht an. Ein Hotel im mehr als zehn Kilo­me­ter vom Zentrum ent­fern­ten Stadt­teil Niwki ver­langte für ein Zimmer 4.500 Euro – der Nor­mal­preis liegt bei etwa 35 Euro pro Nacht.

In dieser Situa­tion zeigte sich jedoch auch, wie leben­dig die ukrai­ni­sche Zivil­ge­sell­schaft ist. Auf Face­book grün­de­ten Akti­vis­ten die Gruppe „Kyiv Free Couch for Foot­ball Fans“, in der Pri­vat­per­so­nen kos­ten­lose Über­nach­tungs­mög­lich­kei­ten anbie­ten konnten.

Auch Lviv ist in Sachen Städ­te­tou­ris­mus erfolg­reich. Allein im Jahr 2017 stiegen die Über­nach­tungs­zah­len um 50 Prozent an.

Der neue „Lonely Planet“ schwärmt für das Essen in der Ukraine

Und wie sieht die Zukunft aus? Viel­leicht hilft ein Blick in den Lonely Planet. Der welt­weit wohl ein­fluss­reichste Verlag für Indi­vi­du­al­rei­se­bü­cher hat im Juni 2018 eine Neu­auf­lage seines eng­lisch­spra­chi­gen Ukraine-Bandes veröffentlicht.

Glaubt man den Autoren, dann lohnt sich das Reisen in die Ukraine künftig nicht nur wegen den gerin­gen Preisen und der Geschichte, sondern auch wegen des Essens. Die junge ukrai­ni­sche Küche wird geprie­sen, ganz beson­ders die Restau­rants in den Großstädten.

Ein wenig umstrit­ten dürfte die Rei­se­emp­feh­lung für die 30-Meilen-Zone rund um das hava­rierte Kern­kraft­werk Tscher­no­byl sein. Sie schaffte es unter die Top 15 der Rei­se­tipps für die Ukraine. „Die welt­weit unwahr­schein­lichste Tou­ris­ten­at­trak­tion“, heißt es in dem Buch, und man kann sich schon fragen, ob Reisen an den Ort einer der schlimms­ten Reak­tor­ka­ta­stro­phen aller Zeiten wirk­lich so hym­nisch ange­prie­sen werden müssen. Ande­rer­seits könnte man auch sagen, dass diese Emp­feh­lung exem­pla­risch für die Viel­falt mög­li­cher Rei­se­er­leb­nisse in der Ukraine steht.

Wer es weniger risi­ko­reich, dafür aber nicht weniger auf­re­gend mag, für den hat der Lonely Planet auch noch andere Rei­se­tipps parat: Odessas Nacht­le­ben, die Berge der Kar­pa­ten oder die far­ben­fro­hen Märkte des Landes.

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