Rustem Umjerow: Krim­ta­tar und Minis­ter für den Neuanfang

Foto: Imago Images

Seit Sep­tem­ber 2023 ist der 41-jährige Rustem Umjerow ukrai­ni­scher Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter. Er ist damit der erste Krim­ta­tar, der in der Ukraine zum Minis­ter auf­stieg. Der ursprüng­lich aus der Pri­vat­wirt­schaft stam­mende Umjerow ist in kür­zes­ter Zeit zu einer der mäch­tigs­ten Figuren im Umfeld von Prä­si­dent Wolo­dymyr Selen­skyj geworden.

Zwei Jahre nach Beginn der umfas­sen­den rus­si­schen Inva­sion befin­det sich die Ukraine in einem Prozess der Adap­tion an den andau­ern­den Krieg. Der jüngste Wechsel des Armee­be­fehls­ha­bers und die damit ver­bun­de­nen Ver­än­de­run­gen an der Armee­spitze sind Teil dieser Ent­wick­lung – ebenso wie die noch zu erwar­ten­den Aus­wechs­lun­gen in Regie­rung und Prä­si­di­al­amt. Doch der per­so­nelle Umbau nahm bereits im letzten Sep­tem­ber seinen Anfang, als der 41-jährige eth­ni­sche Krim­ta­tar Rustem Umjerow das Ruder im Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­rium übernahm.

Erster krim­ta­ta­ri­scher Minis­ter der Ukraine

Damit wurde Umjerow – dessen Familie aus der Umge­bung der Stadt Alu­schta im Süd­os­ten der Krim-Halb­in­sel stammt, von dort unter Stalin nach Zen­tral­asien depor­tiert wurde und erst Anfang der Neun­zi­ger­jahre auf die Krim zurück­kehrte – zum ersten Ver­tre­ter des krim­ta­ta­ri­schen Volkes, der in der Ukraine zum Minis­ter auf­stieg. Doch obwohl diese Ent­schei­dung mitten im rus­si­schen Angriffs­krieg zwei­fel­los eine starke Sym­bol­wir­kung hatte, war ihre Grund­lage selbst­ver­ständ­lich eine andere.

Umje­rows Vor­gän­ger als Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter Oleksij Res­ni­kow hatte das Ressort unter schwie­rigs­ten Bedin­gun­gen durch die ersten ein­ein­halb Jahre des großen Krieges geführt und sich beson­ders im Kontakt zu aus­län­di­schen Part­nern stets als kluger Ver­hand­lungs­füh­rer bewie­sen. Es gab jedoch grund­sätz­li­che Pro­bleme: Dabei ging es um sys­tem­im­ma­nente Kor­rup­tion bei Ein­käu­fen für die Armee, aber auch darum, dass das gesamte Beschaf­fungs­sys­tem opti­miert werden musste. Dass für die Abwehr des rus­si­schen Über­falls jede Hrywnja wichtig ist, liegt dabei auf der Hand.

Erfolg­reich als Leiter des Fonds für Staatseigentum

Der Muslim Umjerow, der in seiner Jugend viel Zeit in den USA ver­brachte und Eng­lisch ähnlich gut spricht wie Res­ni­kow, schien der opti­male Kan­di­dat zu sein. Schon sein Alter passte ins Profil – das Durch­schnitts­al­ter der wich­tigs­ten von Selen­skyj neu ernann­ten Per­so­nen liegt bei etwa 40 Jahren. Im Kern aber ging es darum, dass Umjerow, der ursprüng­lich zunächst als Unter­neh­mer im Pri­vat­sek­tor tätig gewesen und dann für die Oppo­si­ti­ons­par­tei Holos (Stimme) Par­la­ments­ab­ge­ord­ne­ter gewesen war, sich im Anschluss als Leiter des Fonds für Staats­ei­gen­tums her­vor­tat, den er bis zu seiner Ernen­nung zum Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter rund ein Jahr lang führte.

Diese Behörde über­wacht nämlich das gesamte staat­li­che Eigen­tum und ist unter anderem für Pri­va­ti­sie­run­gen zustän­dig. Weil es dabei unzäh­lige Inter­es­sens­kon­flikte gibt, galt der Fonds jahr­zehn­te­lang als eine der kor­rup­ti­ons­an­fäl­ligs­ten Struk­tu­ren des Landes. Unter Umjerow hat sich die Situa­tion deut­lich ver­bes­sert: Die übli­chen Skan­dale blieben aus, die ange­peilte Umset­zung einer höheren Zahl an Pri­va­ti­sie­run­gen gewann trotz des Krieges plötz­lich an Tempo. Letzt­lich war Umje­rows erfolg­rei­che Leitung einer derart kom­ple­xen Struk­tur für Selen­skyj aus­schlag­ge­bend. Denn der Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter ist in der Ukraine eine zivile Person, die sich vor allem mit Beschaf­fun­gen für die Armee beschäf­tigt. Wer die Leitung des Fonds für Staats­ei­gen­tum meis­tert, hat auch im Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­rium gute Chancen – das war die Logik, die für Umjerow als neuen Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter sprach.

Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­rium im digi­ta­len Umbau

Weil zusam­men mit Res­ni­kow auch all seine zahl­rei­chen Stell­ver­tre­ter gehen mussten, waren die ersten Wochen Umje­rows im neuen Amt schwie­rig. Inzwi­schen geben aber auch pro­mi­nente Inves­ti­ga­ti­v­jour­na­lis­ten wie Jurij Nikolow, der Anfang 2023 den großen Skandal um den Einkauf von Lebens­mit­teln für Sol­da­ten zu deut­lich über­höh­ten Preisen auf­ge­deckt hatte, zu: Trans­pa­renz sowie Effi­zi­enz der Ein­käufe haben sich seit Amts­an­tritt von Umjerow bereits gesteigert.

Auch in Sachen Digi­ta­li­sie­rung scheint das Minis­te­rium deut­lich vor­an­zu­kom­men. So hat Umjerow das elek­tro­ni­sche Regis­ter der Wehr­pflich­ti­gen vor­an­ge­trie­ben, das bald an den Start gehen soll. Ganz im Sinne von Prä­si­dent Selen­skyj, der bei der Ernen­nung des neuen Minis­ters for­derte: „Alles, was digi­ta­li­siert werden kann, sollte auch digi­ta­li­siert werden.“

Ver­mitt­ler zwi­schen der Ukraine und Nahost

Dass Umjerow in so kurzer Zeit zu einer der wich­tigs­ten Figuren im ukrai­ni­schen Macht­ap­pa­rat auf­stei­gen konnte, über­rascht auch aus einem anderen Grund wenig: Der 41-Jährige, der fünf Spra­chen spricht, dar­un­ter Tür­kisch, übte in Selen­skyjs Team trotz seiner Zuge­hö­rig­keit zu einer Oppo­si­ti­ons­par­tei schon längere Zeit die Funk­tion eines Ver­mitt­lers zwi­schen der Ukraine und dem Nahen Osten aus.

Umjerow war Berater des krim­ta­ta­ri­schen Poli­ti­ker Mustafa Dsche­mil­jew und pflegt beste Bezie­hun­gen in die Türkei. Er soll den tür­ki­schen Prä­si­den­ten Recep Erdoğan per­sön­lich kennen und mit dessen Spre­cher und Berater İbrahim Kalın in Kontakt stehen. Auch den sau­di­schen Kron­prin­zen Moham­med bin Salman kennt Umjerow per­sön­lich, ebenso wie andere bedeu­tende poli­ti­sche Figuren. Diese Ver­net­zung war für die Ukraine schon mehr­fach hilf­reich, sowohl beim Aus­tausch von Gefan­ge­nen und bei der Rück­ho­lung von depor­tier­ten Kindern als auch bei der Schlie­ßung des Getreidedeals.

Ziel für 2024: Wie­der­her­stel­lung der Grenzen von 1991

Gleich­zei­tig ist Umjerow auch im Westen bestens ver­netzt und pflegt enge Bezie­hun­gen in die USA. Sein natür­li­ches Talent für Diplo­ma­tie kann der Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter auch in die Ver­hand­lun­gen über Waf­fen­lie­fe­run­gen – nicht zuletzt im Rahmen des soge­nann­ten Ram­stein-Formats – einbringen.

Das Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­rium müsse ein ganz­heit­li­ches System dar­stel­len, „das ergeb­nis­ori­en­tiert arbei­tet“, sagt Minis­ter Umjerow über seine Pläne für 2024. „Wir müssen die Fähig­keit haben, das stra­te­gi­sche Ziel zu errei­chen: die Wie­der­her­stel­lung der Grenzen von 1991. Im Jahr 2024 werden wir alles tun, um die gesetz­ten mili­tä­ri­schen Ziele zu errei­chen.“ Die Befrei­ung der Krim mag zwar vorerst eine weit ent­fernte Per­spek­tive sein. Für kaum jeman­den ist sie aber auf­grund des per­sön­li­chen Bezugs so wichtig wie für den Krim­ta­ta­ren Umjerow.

Portrait von Denis Trubetskoy

Denis Tru­bets­koy ist in Sewas­to­pol auf der Krim geboren und berich­tet als freier Jour­na­list aus Kyjiw.

 

 

 

 

 

 

 

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