Motor Sitsch und andere chinesische Investitionsprojekte
Chinesische Investitionsprojekte in der Ukraine sind vor allem in Landwirtschaftssektor erfolgreich. Die Liste der nicht umgesetzten Projekte ist allerdings lang – der Turbinenhersteller Motor Sitsch ist nur eines von vielen Beispielen. Zu den Hintergründen lesen Sie die Analyse von Iuliia Osmolovska.
Ein Beispiel für ein erfolgreiches Investitionsprojekt Chinas in der Ukraine sind die Aktivitäten der chinesischen Agroholding China National Cereals, Oils and Foodstuffs Corporation (COFCO), auf die mehr als die Hälfte der ukrainischen Getreideexporte nach China entfallen. Das Unternehmen ist einer der größten Arbeitgeber in der ukrainischen Landwirtschaft und einer der größten Investoren in die landwirtschaftliche Infrastruktur des Landes (einschließlich einer Reihe von Logistikzentren in Mykolajiw und Mariupol sowie in den Gebieten Dnipropetrowsk und Cherson). Seit 2008 hat COFCO mehr als 200 Milliarden US-Dollar in die ukrainische Wirtschaft investiert, darunter auch im Rahmen der Belt and Road Initiative. So wird etwa das Getreideterminal am Hafen von Mykolajiw vom COFCO-Management perspektivisch als Logistikzentrum für den Transport landwirtschaftlicher Produkte nach Osteuropa angesehen. COFCO erwägt derzeit Investitionen in die Infrastruktur der ukrainischen Binnenschifffahrt, um die Lagerkapazitäten für Getreide zu erhöhen.
Chinesische Unternehmen treten auch als Generalunternehmer für ukrainische Regierungsbehörden in Erscheinung. Ein erfolgreiches Beispiel für eine solche Zusammenarbeit ist die Vertiefung des Wasserbeckens im Seehafen „Süd“ im Gebiet Odesa. Hier haben chinesische Subunternehmer (die China Harbor Engineering Company Ltd.) ihre Aufträge drei Monate früher als geplant erfüllt und so zehn Prozent des Auftragswertes in Höhe von 15 Milliarden US-Dollar eingespart.
Problematische und nicht umgesetzte Projekte
Zu den vielversprechenden aber nicht umgesetzten „Leuchtturmprojekten“ gehören die folgenden:
- Das Memorandum von 2012 über die Zusammenarbeit zwischen dem ukrainischen Landwirtschaftsministerium und der China Exim-Bank (dabei sollte ein chinesisches Dahrlehnen über 3 Milliarden US-Dollar mit jährlichen Maislieferungen beglichen werden). Der Vertrag wurde nicht realisiert weil die ukrainische Seite ihre Verpflichtungen nicht erfüllt hat. Seit 2021 befindet sich das Projekt im Stadium der „Erörterung der gegenseitigen Ansprüche der Parteien.“
- Das Memorandum von 2015 zwischen dem ukrainischen Bauministerium und dem chinesischen Unternehmen CITIC Construction Co. Ltd über bis zu 15 Milliarden US-Dollar für Projekte zur Modernisierung und Transformation des kommunalen Städtebaus. Stand 2021 wurde das Projekt nicht realisiert.
- Vertrag von 2011 über den Bau einer Eisenbahnstrecke zwischen Kyjiw und dem Flughafen „Boryspil“ (chinesische Kreditlinien über 372 Millionen US-Dollar unter ukrainischer Staatsgarantie; chinesischer Auftragnehmer ist die China National Machinery Industry Corporation). Der Vertrag wurde nicht realisiert weil die ukrainische Seite ihre Verpflichtungen nicht erfüllt hat. Die ersten 52 Millionen gingen auf die Konten ein. Für dieses Geld wurde das Projekt aus der Taufe gehoben und Baugrund gekauft. Später beschloss die ukrainische Seite, die Mittel auf andere Infrastrukturprojekte umzuschichten. 2015 stellte sich heraus, dass ein Teil der Gelder (zwischen 2012 und 2013) gestohlen worden war. Die Eisenbahnstrecke wurde aus anderen Mitteln finanziert. Die Parteien liegen über die Zahlung der ersten Tranche im Streit.
- Vertrag von 2011 mit dem chinesischen Unternehmen Sinomash in Höhe von 1,5 Milliarden US-Dollar für den Bau eines Gaskraftwerks auf der Krim. Das Projekt wurde wegen der Annexion der Halbinsel durch Russland nicht weitergeführt.
- Vertrag von 2011 mit dem chinesischen Unternehmen Sinohydro über 1,44 Milliarden US-Dollar für Infrastrukturprojekte auf der Krim (darunter im Rahmen der Belt and Road Initiative). Das Projekt wurde wegen der Annexion der Halbinsel durch Russland nicht weitergeführt.
- Мemorandum von 2017 über 300 Millionen US-Dollar zwischen der staatlichen Agentur „Ukravtodor“ und der China Road Bridge Corporation zum Bau einer Brücke in Krementschuk. Das Projekt wurde nicht realisiert, da die Vertragsbedingungen von chinesischer Seite nicht erfüllt werden konnten (zu niedrig angesetzter Kostenvoranschlag, ungenaue Konstruktionspläne, Revision der vertraglichen Leistungsfristen).
- Vertrag von 2017 über 42 Millionen US-Dollar zwischen „Ukravtodor“ und der chinesischen Sinohydro Corporation zum Bau einer 22 Kilometer langen Autobahntrasse M‑06 in der Nähe von Schytomyr. 2020 wurde der Vertrag von der ukrainischen Seite wegen Nichterfüllung von Verpflichtungen des chinesischen Partners (Nichteinhaltung von Bauterminen und geringe Qualität der Ergebnisse) aufgekündigt.
- Vertrag von 2017 über 38,5 Millionen US-Dollar zwischen „Ukravtodor“ und der chinesischen Xinjiang Communications Construction Group Co., Ltd. für die Durchführung von Reparaturarbeiten an den Autobahnen М‑03 sowie М‑12. Im Jahre 2019 wurde der Vertrag von der ukrainischen Seite wegen Nichterfüllung von Verpflichtungen des chinesischen Partners (Nichteinhaltung von Bauterminen) aufgekündigt.
- Protokoll zwischen dem ukrainischen Energieministerium und der staatlichen China Development Bank von 2012 über den Einsatz von Gaskohle statt Erdgas. Mit dem chinesischen Darlehen über 3,656 Milliarden US-Dollar sollten unter anderem Kohlekraftwerke gebaut werden, um die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu verringern. Seit 2015 verhandelt der staatliche Energiekonzern „Naftohas“ mit der chinesischen Seite, um bisherige Projekte durch andere im Öl- und Gassektor zu ersetzen.
„Die andere Hälfte des Tisches“ – der Fall „Motor Sitsch“
„Was unsere Beziehungen zu China im Allgemeinen anbelangt, gibt es da einen Tisch auf dem sich ein Haufen Fragen stapelt, und das Thema ‚Motor Sitsch‘ befindet sich auf der anderen Hälfte dieses Tisches. Um ihn herum gibt es nicht die geringste Spur von Leben. Es existiert, doch es wird in eine separate Spur abgeleitet.“ So kommentierte Außenminister Dmytro Kuleba im Juli 2021 die Situation um den bekannten ukrainischen Turbinenhersteller. Wenn wir Kulebas metaphorisches Bild weiterdenken, dann hat die Situation um Motor Sitsch Züge einer endlosen Serie angenommen, bei der die Zuschauer mittlerweile die „guten“ und die „bösen“ Figuren verwechseln.
Wenn man versucht, die komplexe Geschichte in einfachen Worten zu erklären, dann hatte die chinesische Seite die Absicht, 100 Millionen US-Dollar (anderen Quellen zufolge 250) in Motor Sitsch zu investieren und später eine Mehrheitsbeteiligung an dem Unternehmen zu erhalten. Pikant war, dass die Motor-Sitsch-Produkte zur Kategorie der Dual-Use-Güter gehören, bei deren Herstellung auch Militärtechnologie zum Einsatz kommt. Obwohl die ersten Aktivitäten chinesischer Investoren in dem Projekt 2016 begannen, geriet es erst 2018 bis 2020 in eine kritische Phase, als die USA der Ukraine nachdrücklich „riet“, das Abkommen mit China wegen Risiken eines unkontrollierten Transfers von Militärtechnologie – genauer Flugzeugtriebwerken – zu annullieren.
Im April 2918 ließ das Kyjiwer Bezirksgericht Schewtschenskyj 56 Prozent der Motor-Sitsch-Aktien, die sich im Besitz ausländischer Investoren befanden, beschlagnahmen, und untersagte jeden Handel mit ihnen, die zu einem Eigentümerwechsel führen könnten. Die Aktien befinden sich bis heute unter Verschluss. 2019 behauptete Vyatscheslav Bohuslajew, ein ehemaliger Aktionär des Unternehmens, er habe den Betrieb an ein chinesisches Unternehmen verkauft, dass sich verpflichtet hätte, innerhalb von zwei Jahren 250 Milliarden US-Dollar in Ausbau und Entwicklung zu investieren.
Doch seit 2021 präsentiert Bohuslajew eine andere Version der Ereignisse und behauptet, dass er vom chinesischen Unternehmen Skyrizon einen Kredit in Höhe von 100 Millionen US-Dollar aufgenommen und diesen bereits zurückgezahlt habe. Nach mehreren Weigerungen des ukrainischen Antimonopolkomitees, Motor Sitsch an den chinesischen Investor Skyrizon zu verkaufen, reichte dieser eine Klage über 3,5 Milliarden US-Dollar bei einem internationalen Schiedsgericht ein. Inoffiziellen Angaben zufolge ist die chinesische Seite seit dem Abschluss des Rahmenabkommens mit der Ukraine über eine Investitionspartnerschaft bei Infrastrukturprojekten (26.07.2021) nicht mehr so sehr daran interessiert, den derzeit „pausierenden“ Rechtsstreit zu lösen. Allerdings wurde am 29. November 2021 eine neue Klage von Skyrizon gegen die Ukraine vor dem Ständigen Schiedsgericht in Den Haag über 4,5 Milliarden Dollar bekannt.
Offiziell hat Kijyw nie bestätigt, dass die USA in dieser Sache Druck ausgeübt hätten. Allerdings traten just im Jahr 2018 in der Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern verschiedene Probleme auf, und die Umsetzung des Abkommens verlangsamte sich erheblich. Im Januar 2021 beschloss der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine ein Verbot der Mehrheitsbeteiligung chinesischer Investoren an Motor Sitsch – offiziell, um strategische Industrieanlagen zu schützen. Präsident Wolodymyr Selenskyj bekräftigte diese Entscheidung, als er am 1 Februar 2021 im US-Sender HBO sagte, dass solange er an der Macht sei, Anteilsübertragungen von dem strategischen Unternehmens Motor Sitsch niemals stattfinden würden. Selenskyj wehrte sich gegen die Darstellung, dass die USA in dieser Frage Druck auf die Ukraine ausgeübt hätten, und betonte, dass er China – im Gegensatz zu Washington – nicht als ernsthafte geopolitische Bedrohung ansehe.
Allerdings hatte Selenskyj wenige Tage zuvor, am 28. Januar 2021 ein Dekret unterzeichnet, das Sanktionen gegen die chinesischen Investoren bei Motor Sitsch verhängte: Skyrizon Aircraft Holdings Limited, Hong Kong Skyrizon Holdings Limited, Beijing Skyrizon Aviation Industry Investment, Beijing Xinwei Technology Group. Diese Maßnahme wiederum erfolgte kurz nachdem die USA Exportbeschränkungen gegen Skyrizon wegen nationaler Sicherheitsinteressen verhängten.
Wenig überraschend haben diese Maßnahmen seitens der ukrainischen Regierung von chinesischer Seite keine positive Reaktion ausgelöst, die die Sanktionen gegen Skyrizon als „irrtümliche und sinnlose Aktion“ sowie als „barbarischen Raub“ bezeichnete und unverblümt auf die „merkwürdige“ zeitliche Koinzidenz der Entscheidungen der amerikanischen und ukrainischen Seite hinwies.
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