Sowjetische Mosaiken gestern und heute
Reist man durch die Ukraine, fallen einem überall im Land große, bunte, oft eindrucksvolle Mosaiken auf. Was hat es damit auf sich und wieso werden in jüngerer Zeit immer mehr dieser Kunstwerke zerstört?
In vielen postsowjetischen Städten hat sich bis heute ein einzigartiger visueller Code erhalten, der von monumental-dekorativer Kunst geprägt ist, die fester Bestandteil der modernen Architektur der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts war. Hintergrund war ein Erlass des Zentralkomitees der KPdSU und des Ministerrats der UdSSR von 1955, der einen neuen Architekturkanon einführte. Die Gebäude erhielten große plane Oberflächen, die von nun an für Monumentalpropaganda genutzt werden sollten. Dabei bezog man sich teilweise auf Lenins Plan einer Monumentalpropaganda, die wiederum von Tommaso Campanellas Utopie Die Sonnenstadt entlehnt war, wo historische oder naturwissenschaftliche Fresken an Häuserwänden zur Bildung einer neuen Generation beitragen sollten.
Mosaik am Sportpalast in Rubischne (Gebiet Luhansk). Unbekannter Künstler.
Mosaiken als konstruktiver Bestandteil der Architektur
Monumentalmosaiken, Fresken, Glasfenster und Graffiti erschienen in den sechziger bis achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts in großer Zahl an den Wänden sowjetischer Gebäude. Jede Sowjetrepublik hatte ihre Besonderheiten in der monumental-dekorativen Kunst.
In der Ukraine waren Mosaiken am beliebtesten, eine der ältesten Techniken, die sich besonders in der sakralen Kunst entwickelt hatte. Ein Grund für ihre weite Verbreitung lag in ihrer Beständigkeit und materiellen Einfachheit. Traditionell wurden für die Mosaiken Buntglaswürfel verwendet, die tonnenweise im Glaswerk Lysytschansk (Gebiet Luhansk) hergestellt und für die künstlerische Produktion in die ganze Sowjetunion geliefert wurden. Eine kleinere Buntglaswürfelproduktion gab es auch in Kyjiw. Außerdem wurden für Mosaiken zum Beispiel Keramikfliesen, Stein oder Metall verwendet. Die Bandbreite der verwendeten Materialien war relativ groß. So schuf zum Beispiel der Künstler Fedir Tetjanytsch (Fripulja) in Kyjiw einige Mosaiken aus recht untypischen Materialien – Schrauben, Dosen und verschiedenen Metallteilen. Hryhorij Synyzja schuf Floralmosaiken, die an Intarsienarbeiten erinnern.
Unabhängig von Technik und Material war das Konzept der Synthese bestimmend für die sowjetische Monumentalkunst. Wichtig war der Prozess der kollektiven Erschaffung eines Kunstwerkes, die gemeinsame Arbeit von Künstlern, Architekten, Ingenieuren und Konstrukteuren, die bereits mit der Planung von Gebäuden, Architekturkomplexen oder ganzen Wohngebieten begann. Deshalb waren die Mosaiken nicht nur Dekorelemente, sondern konstruktiver Bestandteil der Architektur.
Propagandistisch aufgeladene Sujets
Die Aufladung der Mosaiken mit den unvermeidlichen Propagandainhalten erfolgte über die Künstlerräte der staatlichen Leitungsgremien und die Sektion für Monumentalkunst des Künstlerbundes. Das Sujet des Kunstwerkes wurde in der Regel von der Funktion des Gebäudes bestimmt: „Arbeit“ für Betriebe, „Sport“ für Sportkomplexe, „Wissenschaft“ für Forschungsinstitute, „Familie“ für Polikliniken. Es gab eine Reihe unumgänglicher, stärker ideologisch geprägter Themen wie Lenin, Oktober oder „Die Macht den Sowjets“.
Mosaik an einem Kindergarten in Ternivka.
Für jedes Objekt ernannte die Sektion eine Künstlergruppe, die an der Planung und Entwicklung einer künstlerischen Gesamtlösung für das Projekt beteiligt war. Im Anschluss übernahmen die Künstler entweder selbst die Realisierung oder übergaben den Entwurf einer ausführenden Brigade des Produktionskombinats Künstler, die es in Kyjiw und einigen anderen Gebietsstädten gab. Heute werden die meisten Räume des Kyjiwer Kombinats kommerziell vermietet, übrig geblieben ist nur ein Teil der Bildhauerwerkstätten, die sich auf die Herstellung von Grabmälern spezialisiert haben. Von den Glasfenster- und Gobelinwerkstätten und der großen Mosaikabteilung ist nichts mehr übrig – das ist heutzutage nicht mehr aktuell.
Ausgerechnet die monumentale Propagandakunst war Betätigungsfeld innovativer Künstler
Eine Blütezeit der Monumentalkunst in der Sowjetukraine waren die sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Die entsprechende Sektion des Künstlerbundes galt damals als die progressivste. Paradoxerweise wurde ausgerechnet die monumentale Propagandakunst zu einem Betätigungsfeld innovativer Künstler. Während in der Akademiekunst ein strenger sozialistischer Realismus dominierte und der Formalismus jäh beendet war, konnten die Monumentalkünstler noch mit der Form experimentieren und sie freier auslegen. Das war durch die Besonderheiten der Arbeit mit hartem Material und wiederum auch durch die Synthese der Künste bedingt. Viele Vertreter der „Sechziger“, die neue Tendenzen in der ukrainischen Kunst geprägt hatten, arbeiteten in der Monumentalkunst. Die bekanntesten von ihnen sind Alla Horska, Walerij Lamach, Ernest Kotkow, Iwan Lytowtschenko, Halyna Subtschenko, Hryhorij Pryschedko und Wiktor Sarezkyj.
Mosaikbild „Die Fahne des Sieges“ im Museum „Junge Garde“ im Gebiet Luhansk. Künstler: Alla Horska, Wiktor Sarezkyj, Borys Plaksij.
Die ukrainisch-sowjetische Monumentalkunst ist bedroht
Natürlich gab es auch unter den Monumentalkünstlern Konjunkturritter und Ideologen oder Künstler, die einfach nur mit guten Aufträgen ihren Lebensunterhalt verdienen wollten. Die ukrainisch-sowjetische Monumentalkunst ist eine vielschichtige und widersprüchliche Erscheinung, die erst seit Kurzem erforscht wird. Seit 2014 gibt es ein Online-Archiv ukrainisch-sowjetischer Mosaiken, in dem die existierenden Werke dokumentiert und beschrieben werden.
2015 wurden in der Ukraine mehrere Dekommunisierungsgesetze verabschiedet, darunter das „Gesetz über die Verurteilung der kommunistischen und nationalsozialistischen (nazistischen) totalitären Regime in der Ukraine und das Verbot der Propaganda ihrer Symbolik“. Dieses Gesetz rief von Anfang an zahlreiche Fragen und Kritik hervor, da es keine Mechanismen und Kriterien für eine Umsetzung beinhaltete und die Existenz einer ganzen Reihe von Kunstwerken bedrohte. Dies betraf insbesondere die monumental-dekorativen Objekte, da für Skulpturen die Möglichkeit einer Demontage und Lagerung besteht, es aber in der Ukraine keine Demontagetechniken für Mosaikbilder gibt.
Die genaue Zahl der im Zuge der Dekommunisierung vernichteten Werke ist nicht bekannt. Von den verlorenen müssen das mit Beton überzogene Mosaikbild von Serhij Switlorusow in Charkiw, das mit einem Presslufthammer zerstörte Denkmal für die Tschekisten von Wasyl Borodaj in Kyjiw, die teilweise zerschnittenen Reliefs von Walentyn Borysenko an der Fassade des Ukrainischen Hauses (ehemaliges Lenin-Museum) und die abgedeckten Mosaiken der Familie Kyrytschenko in der Kyjiwer Metrostation Palast Ukraina genannt werden. Zur Demontage dieser Objekte gab es unmittelbare Direktiven der Regierung.
Zahlreiche Kunstwerke fallen der Dekommunisierung auch indirekt zum Opfer. So wurde zum Beispiel das Mosaik an der Kyjiwer Schule Nr. 141 von Mitarbeitern des Gebäudedienstes abgeschlagen, mit der Begründung, dass es sowieso dekommunisiert worden wäre, weil darauf Pioniere abgebildet waren. Ein Mosaikrelief auf einem Fünfgeschosser in einem Kyjiwer Randbezirk wurde von den Wohnungseigentümern nach und nach mit Isoliermaterial bedeckt. Auf den Hinweis, dass sie ein Kunstwerk beschädigen, antworteten sie, dass es sowjetisch sei und der Dekommunisierung unterliegen würde.
Demontage des Mosaiks an der Schule Nr. 141 in Kyjiw.
Seit Inkrafttreten des Dekommunisierungsgesetzes wurde alles „Sowjetische“ extrem stigmatisiert. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte und dem kulturellen Erbe des zwanzigsten Jahrhunderts, eine gleichzeitige Verurteilung der Verbrechen des Gulag und Anerkennung der wissenschaftlichen und kulturellen Leistungen wurde unmöglich gemacht. Wenn man berücksichtigt, wie das Ukrainische Institut für Nationale Erinnerung den nationalpatriotischen Trend in der Gesellschaft prägt, so wird offensichtlich, dass es sich nicht um ein Verbot staatlicher Ideologie handelt, sondern schlicht um ihren Austausch.
Insgesamt hat der Prozess der Dekommunisierung die monumental-dekorative Kunst auf gewisse Weise aktualisiert. Kunstwerke, die mit dem Zusammenbruch der UdSSR zu Beginn der 1990er Jahre gemeinsam mit dem Gegenstand der Propaganda ihren Inhalt verloren hatten, erlangen nun, nach mehr als zwanzig Jahren, plötzlich wieder politische Bedeutung, wenn auch in einem anderen Kontext – dem von verbotener und zensierter Kunst.
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