Lachen gegen die Angst

Stand-up-Comedy in der Ukraine
Foto: Face­book Under­ground Stand Up

Viele Men­schen in der Ukraine denken darüber nach, wie sie trotz des Krieges für eine Weile abschal­ten können, ohne dass dies mora­lisch hin­ter­fragt wird. Stand-up-Comedy ist dabei zu einer echten Alter­na­tive zu Clubs und Dis­ko­the­ken gewor­den. Denn sie kann tages­ak­tu­ell und poli­tisch sein. Die ukrai­ni­sche Comedy-Szene boomt, Come­di­ans sammeln auf YouTube Hun­dert­tau­sende Klicks – und mit ihren Auf­trit­ten oft auch Geld für die Armee oder huma­ni­täre Projekte.

Die rus­si­sche Inva­sion hat die ukrai­ni­sche Kul­tur­bran­che in eine äußerst schwie­rige Lage gebracht. Zwar hat der Über­fall der Armee Wla­di­mir Putins dazu geführt, dass Pop­mu­sik auf Ukrai­nisch inzwi­schen boomt. Vor dem 24. Februar 2022 hatten trotz Sprach­quo­ten im Radio meist Lieder auf Rus­sisch, oft sogar direkt aus Russ­land selbst, domi­niert. Auch rein ukrai­ni­sche Thea­ter­vor­stel­lun­gen waren noch nie so beliebt wie jetzt.

Allein die Tat­sa­che jedoch, dass eine Vor­stel­lung oder ein Konzert überall im Land jeder­zeit wegen eines Luft­alarms unter­bro­chen werden kann, birgt massive wirt­schaft­li­che Risiken und führte zu hohen Ver­lus­ten. Außer­dem haben viele Men­schen mora­li­sche Beden­ken und fragen sich, ob es ange­mes­sen ist, in Zeiten wie diesen Kon­zerte oder Partys zu besu­chen. Und nicht zuletzt hat auch die Kauf­kraft der Bevöl­ke­rung durch den Krieg deut­lich abgenommen.

Boom der Comedy-Szene seit dem Großangriff

Doch es gibt eine Branche, der es nach der rus­si­schen Inva­sion besser geht als je zuvor: Stand-up-Comedy auf Ukrai­nisch. Dabei war Stand-up in der Ukraine auch vor Februar 2022 schon beliebt. Aller­dings zeigte sich hier die gleiche Tendenz wie etwa bei der Pop­mu­sik: Während es durch­aus beliebte ukrai­nisch­spra­chige Komi­ke­rin­nen und Komiker gab, domi­nier­ten rus­sisch­spra­chige Come­di­ans oder Ange­bote direkt aus Russ­land den Markt. Beson­ders gut schnit­ten rus­si­sche Stand-up-Shows auf YouTube ab.

Erst der rus­si­sche Groß­an­griff hat die Situa­tion grund­le­gend ver­än­dert – und zwar derart, dass die Klick­zah­len ukrai­nisch­spra­chi­ger Künst­le­rin­nen und Künst­ler teil­weise um das Zehn­fa­che in die Höhe schnell­ten. Nachdem Russ­land Ende März 2022 die Gebiete nörd­lich von Kyjiw räumen musste und sich das All­tags­le­ben in vielen weiter von der Front ent­fern­ten Regio­nen langsam sta­bi­li­sierte, wurden manche Komi­ke­rin­nen und Komiker statt wie vor dem 24. Februar 2022 ein oder zweimal pro Woche plötz­lich fast täglich gebucht.

Sicher selbst bei Luft­alarm: Stand-up-Auf­tritte in Kellerbars

Dies hatte mehrere Gründe. Stand-up-Comedy kann tages­ak­tu­ell und poli­tisch sein – deshalb war sie für die Men­schen in der Ukraine gerade nach dem emo­tio­na­len Schock zu Kriegs­be­ginn eine deut­lich bessere Alter­na­tive für Unter­hal­tung als etwa Fern­seh­se­rien oder Spiel­shows. Außer­dem fühlt es sich für viele Ukrai­ne­rin­nen und Ukrai­ner mora­lisch weniger ver­werf­lich an, eine Stand-up-Come­dy­show zu besu­chen als in Dis­ko­the­ken oder gar Karaoke-Bars zu gehen, während ihre Lan­des­leute in Regio­nen wie Donezk oder Sapo­rischschja von rus­si­schen Drohnen beschos­sen werden und in Schüt­zen­gra­ben aus­har­ren müssten. Und dann kommt ein ganz prag­ma­ti­scher Aspekt hinzu: Viele Stand-up-Auf­tritte finden ohnehin in Kel­ler­bars statt, wes­we­gen sie – anders als Musik­kon­zerte auf großen Bühnen –wegen dro­hen­den Luft­alarms nicht ständig unter­bro­chen werden müssen.

„Während des Krieges bist du einsam. Ja, man kom­mu­ni­ziert mal mit jeman­dem, mal hilft man irgend­wem – aber man hat längst nicht mehr so ein Umfeld wie vor dem Krieg“, Serhii Lipko, einer der bekann­tes­ten Stand-up-Komiker der Ukraine. Er meldete sich nach dem rus­si­schen Angriff frei­wil­lig für die ter­ri­to­ria­len Ver­tei­di­gungs­kräfte und war später als Luft­auf­klä­rer an den Kämpfen um Bachmut in der Region Donezk beteiligt.

Serhiy Lipko – Solo Stand-up Show (mit eng­li­schen Untertiteln)

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Witze gegen die Angst

Stand-up ist für den 30-Jäh­ri­gen, der von der bereits 2014 von Russ­land besetz­ten Halb­in­sel Krim stammt, eine Mög­lich­keit, Men­schen nicht nur an einem Ort zusam­men­zu­brin­gen, sondern auch mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Während des Krieges sei das beson­ders wichtig. Über seine ersten Auf­tritte nach dem rus­si­schen Ein­marsch erzählt Lipko: „Ich hatte keine Angst, schlecht zu per­for­men, ich hatte keine Angst, dass die Leute nicht kommen würden oder dass ein Witz nicht funk­tio­niert. Wenn ich schlecht per­formt hätte, dann wäre das halt so gewesen […], davon stirbt ja keiner.“

Doch ganz offen­sicht­lich haben die Witze von Serhii Lipko richtig gut funk­tio­niert: Den Auf­tritt über seine Zeit an der Front, der im April 2022 auf­ge­zeich­net wurde, sahen auf YouTube Hun­dert­tau­sende Men­schen an – genau wie die meisten anderen seiner grö­ße­ren Shows.

Humor im Krieg: „Wir lachen über die Russen“

Lipkos Kollege Felix Redka stammt aus Sumy – einer Groß­stadt im Nord­os­ten der Ukraine nur 30 Kilo­me­ter von der rus­si­schen Grenze ent­fernt – und ver­an­stal­tete dort schon kurz nach dem Groß­an­griff eine Comedy-Show. „Es war einer der schwers­ten Auf­tritte meines Lebens“, sagt er über die Ver­an­stal­tung, zu der mehr als hundert Besu­che­rin­nen und Besu­cher in einen Luft­schutz­kel­ler kamen.

„Aber wir haben gemerkt, dass wir Humor während des Krieges brau­chen – und zwar sogar mehr als zu Frie­dens­zei­ten.“ Vor dem Auf­tritt habe es einen Dis­clai­mer gegeben: „Wir werden jetzt Witze machen. Aber wir sind uns der [beson­de­ren] Situa­tion bewusst – des­we­gen müsst ihr nicht bleiben, wenn es euch nicht gefällt“, erin­nert sich Redka.

Humor ist für den Komiker eine Mög­lich­keit, emo­tio­na­len Stress abzu­bauen: „Wenn du Angst hast, greif auf Humor zurück“, emp­fiehlt er. „Es gibt drei Reak­tio­nen auf Angst: kämpfen, rennen oder erstar­ren. Wir haben uns eine vierte Reak­tion aus­ge­dacht: uns über die Russen lustig zu machen.

Bezeich­nend ist auch, dass die ukrai­ni­sche Stand-up-Szene zwar zah­len­mä­ßig von Männern domi­niert wird, es aber durch­aus Frauen gibt, die ganz vorne mit dabei sind. Ein her­aus­ra­gen­des Bei­spiel ist Nastia Zukhvala (bür­ger­lich: Ana­sta­siia Babii), die Ehefrau von Lipko. Sie widmet sich in ihren humor­vol­len Auf­trit­ten oft dem Thema Femi­nis­mus. Auch die 27-jährige Vale­riia Madziuk gehört zu den füh­ren­den Figuren der Branche.

Nastia Zukhvala – Solo Stand-up Show „Raf­fi­nierte Wut“ (mit eng­li­schen Untertiteln)

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Über den schwie­ri­gen Alltag lachen

Fast drei Jahre nach dem Beginn des rus­si­schen Groß­an­griffs ver­an­stal­ten Bars in Kyjiw und an anderen Orten regel­mä­ßig gut besuchte Stand-up-Auf­tritte. Gerade in der aktu­el­len, für die Ukraine extrem schwie­ri­gen Phase des Krieges errei­chen sie damit sehr viele Men­schen. Gescherzt wird dabei über die Russen und darüber, dass sie es nötig haben, sich von nord­ko­rea­ni­schen Sol­da­ten helfen zu lassen.

Die Men­schen lachen aber vor allem auch über den Alltag im Krieg: über das Haa­re­wa­schen während der Strom­aus­fälle, weil es dann oft auch kein Lei­tungs­was­ser gibt, oder über Tin­der­da­tes in einer Zeit, in der es ledig­lich in Trans­kar­pa­tien, der west­lichs­ten Region des Landes, keine nächt­li­che Sperr­stunde gibt. Witze über Bom­bar­die­run­gen, Drohnen und Raketen gehören in der Ukraine ohnehin längst zur Tagesordnung.

Come­di­ans sammeln Geld für die Armee

Ob man das auch im Ausland lustig findet, ist eine andere Frage. Schließ­lich leben die Men­schen in der Ukraine sowieso längst in einer voll­kom­men anderen Rea­li­tät. Doch ukrai­ni­sche Stand-up-Come­di­ans bilden eine wich­tige kul­tu­relle Brücke zu ihren Lands­leu­ten im Exil. Zudem nutzen sie Touren und Auf­tritte in anderen Ländern, um Geld für die Armee oder huma­ni­täre Pro­jekte zu sammeln.

Das füh­rende ukrai­ni­sche Comedy-Projekt Under­ground Standup aus Kyjiw spendet die Erlöse seiner Shows in den großen Arenen der Haupt­stadt voll­stän­dig an die Armee. Und Anton Tymos­henko, der als erster Stand-up-Komiker in der Ukraine den renom­mier­ten Ukraine-Palast im Zentrum Kyjiws aus­ver­kau­fen konnte, mischt dabei mit Witzen auf Eng­lisch ganz vorne mit.

Anton Tymos­henko – Stand Up Comedy | Live aus den USA und Amsterdam

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Vasyl Baidak – Solo Stand-up Show „Eine Komödie der Beob­ach­tung des Absur­den“ (mit eng­li­schen Untertiteln)

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Portrait von Denis Trubetskoy

Denis Tru­bets­koy ist in Sewas­to­pol auf der Krim geboren und berich­tet als freier Jour­na­list aus Kyjiw.

 

 

 

 

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