Kyrylo Budanow: Russlands wortgewaltiger Staatsfeind
Wenn auf dem russisch kontrollierten Gebiet eine erfolgreiche Sabotageaktion stattfindet, sind die Chancen groß, dass er dahintersteckt: Kyrylo Budanow, Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes HUR. Russland fürchtet Budanow, doch auch zu Hause gibt es kritische Stimmen.
Als er gefragt wurde, ob er an der Liquidierung russischer Kriegspropagandisten in Russland beteiligt gewesen sei, antwortete Kyrylo Budanow lakonisch: „Wir haben Russen getötet und wir werden sie an jeder Ecke der Welt töten – und zwar bis zum vollständigen Sieg der Ukraine.“ Mit Aussagen wie dieser sorgt der 37-jährige Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes HUR, der seit Anfang September 2023 den Dienstgrad eines Generalleutnants hat, weltweit für Schlagzeilen – vor allem in Russland. Anders als die meisten Geheimdienstchefs provoziert Budanow gern mit aufsehenerregenden Äußerungen. Doch es sind weniger seine Worte als vielmehr seine Taten, die ihn zu einem der größten Staatsfeinde Moskaus machten.
Russland schießt mit den teuersten Waffen auf ihn
Dass Russland einige der teuersten Waffen aus dem eigenen Arsenal gegen den Hauptsitz des HUR einsetzt, zeigt, wie groß die Probleme sind, die Budanows Geheimdienst dem Kreml bereitet. So wurde etwa am 29. Mai, am helllichten Tag, das Hauptquartier des Militärgeheimdienstes HUR im Kyjiwer Stadtteil Podil mit ballistischen Iskander-Raketen angegriffen. Die Flugabwehr konnte die Raketen jedoch abfangen, das Gebäude wurde lediglich durch herabfallende Trümmer leicht beschädigt.
Erfolgreiche Operationen auf der besetzten Krim
Kyrylo Budanow soll unter anderem der Koordinator der auf ukrainischer Seite kämpfenden russischen Freiwilligenverbände sein, wie etwa der Legion Freiheit Russlands und des Russischen Freiwilligencorps, die mit ihrem Vordringen auf russisches Staatsgebiet in diesem Jahr mehrfach für Aufmerksamkeit sorgten. Unter seiner Ägide ist der Geheimdienst vermutlich auch für mehrere Mordversuche an russischen Propagandisten verantwortlich – etwa für die Tötung des Militärbloggers Wladlen Tatarskij in St. Petersburg oder für den Anschlagsversuch auf den russischen Schriftsteller und Politiker Sachar Prilepin.
Budanow soll im Zusammenhang mit der Planung von Gefangenenaustauschen sogar Kontakt zum mittlerweile getöteten Chef der Gruppe Wagner Jewgenij Prigoschin gehabt haben und hat angeblich auch Verbindungen nach China. Ende August und Anfang September 2023 führte der HUR eine Reihe von Operationen auf und in der Umgebung der besetzten Krim-Halbinsel durch, die die russische Flugabwehr massiv geschwächt haben sollen.
Kompliziert – und extravagantes Auftreten
Doch Budanow ist eine komplizierte Persönlichkeit, und sein Auftreten ist mehr als extravagant. Das beginnt bereits mit der Ausstattung seines Arbeitszimmers: Darin wohnen ein Frosch, ein Kanarienvogel und ein Kater namens Günter. An der Wand hängt eine Karte, auf der Russland in mehrere Kleinrepubliken aufgeteilt ist. Oft läuft im Hintergrund Musik von Antonio Vivaldi. Bei Interviews trägt er stets eine Pistole zu seiner Uniform, im Hintergrund sind im Büro weitere Waffen zu sehen. Budanows Miene ist eisern. Er lächelt gerne, aber selbst dieses Lächeln wirkt meist bedrohlich.
Was für ein Mann steckt hinter der eisernen Miene?
Die Biografie des Generalleutnants ist mysteriös. Budanow lebt in Kyjiw und hat in Odesa studiert. Er soll aber in Sewastopol auf der Krim aufgewachsen sein. Nach eigenen Aussagen will er nach dem Krieg als erstes diese Stadt besuchen. Über all diese Phasen seines Lebens ist fast nichts bekannt. Als er 2020 von Präsident Wolodymyr Selenskyj, zu dem er aktuell ein enges Verhältnis pflegt, zum HUR-Chef ernannt wurde, war dies für Außenstehende eine überraschende Personalie. Innerhalb des Geheimdienstes war Budanows Name allerdings schon damals bestens bekannt.
Mehr als zehn Mordversuche soll Budanow überlebt haben. Seit dem Überfall auf die Krim 2014 hatte er in unterschiedlichen Funktionen im Donbas gekämpft und wurde mehrfach verwundet. 2016 war er Kommandeur einer Operation in der Stadt Dschankoj auf der besetzten Krim: Die Ukrainer planten, Hubschrauber in einem russischen Stützpunkt zu zerstören. Es war ein gewagter Einsatz, bei dem die Gruppe gegen russische Spezialeinheiten kämpfen musste. Ein hochrangiger russischer Offizier wurde dabei getötet.
Detaillierte Vorhersage des russischen Angriffskriegs
Es war Budanow, der im November 2021 sehr detailliert und zutreffend die Angriffsstrategie Russlands darlegte, als das Büro von Selenskyj die Gefahr einer umfassenden Invasion noch unterschätzte. Während des Krieges nahm er dann selbst an mehreren Operationen an der Front teil. Im HUR gibt es Mitarbeiter, die das durchaus kritisch sehen: Der Chef solle kein derart großes Risiko eingehen. Aber Kyrylo Budanow gilt als jemand, der nicht zu stoppen ist, wenn er sich für etwas entschieden hat. „Menschenleben sind in Gefahr“, sagt er pragmatisch gegenüber The Economist, nur deshalb gehe er das Risiko ein, „es gibt keinen Raum für Fehler.“
Budanows Selbst-PR gefällt nicht jedem
Inzwischen kennt jeder Ukrainer Budanow. Es ist nahezu unvermeidlich, dass er in der politischen Nachkriegszeit des Landes eine wichtige Rolle spielen wird. Aber er wird nicht nur dafür kritisiert, dass er im Einsatz zu hohe Risiken eingeht. Manche finden es auch nicht angemessen, dass er so zahlreiche Interviews gibt und sich bewusst der Selbst-PR widmet. Zumal er neben den erstaunlich genauen auch manchmal überzogen optimistische Vorhersagen äußerte, die schließlich doch nicht eintraten.
Zwischen dem Militärgeheimdienst HUR und dem Inlandsgeheimdienst SBU, der ebenfalls für viele prominente Aktionen wie die Sprengung der Krim-Brücke im Oktober 2022 verantwortlich ist, herrscht eine Art Wettbewerb. Beide Geheimdienste sind in Russland und auf dem besetzten Gebiet der Ukraine sehr aktiv, wodurch HUR und SBU sich gegenseitig anstacheln. Und gerade dieser „Wettbewerb“ dürfte ganz nach dem Geschmack des Mannes mit dem Pokerface sein.
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