Elf Jahre Widerstand: Die Krim bleibt Ukrainisch!

Der krimtatarische Aktivist Reşat Amet wurde am 03. März 2014 das erste zivile Opfer der russischen Invasion der Ukraine. Während seines Einzelprotests mit ukrainischer Flagge vor dem Krimer Parlament wurde er von bewaffneten Männern entführt, gefoltert. Zwei Wochen später wurde seine verstümmelte Leiche auf einem Feld gefunden. Er starb an einem Hirnschaden, den er erlitt, als ihm seine Peiniger die Augen ausstachen. Die russische Invasion der Krim war der Startpunkt für erneute Repressionen vor allem gegen das krimtatarische Volk.
Elf Jahre sind seit der völkerrechtswidrigen Besetzung der Krim vergangen und vor allem die einheimischen Krimtataren bekommen die Unterdrückung der russischen Besatzer zu spüren. Laut des Krimtatarischen Resourcen Zentrums waren von den 387 politischen Gefangenen und Personen, die während der vorübergehenden russischen Besetzung der Krim in strafrechtlichen „Fällen“ verfolgt wurden, 238 Vertreter des krimtatarischen Volkes. Von den derzeit etwa 177 politischen Gefangenen in russischen Strafkolonien sind 108 Krimtataren und das trotz eines krimtatarischen Bevölkerungsanteils von nur etwa 12–15 Prozent der Krim.
Militarisierung des Bewusstseins
Im Gespräch mit dem Journalisten, Menschenrechtler und stellvertretenden Generaldirektor des Ukrainischen Instituts, Alim Aliev, sprachen wir über die Veränderungen auf der Krim seit der russischen Invasion der ukrainischen Halbinsel.
“Wir müssen über die tatsächliche Militarisierung des Bewusstseins sprechen, die während der gesamten Jahre der vorübergehenden Besetzung der Krim stattfand.”, sagt Aliev. “Sie beginnt in den Schulen und Kindergärten.”
Sprache und kulturelle Identität
Russische paramilitärische Organisationen wie „Junarmija“ gehören nun zum Schulalltag auf der Krim. Sie propagieren einen Kult der Gewalt, der den Krieg und die russische Armee verherrlicht und Hass auf die Ukraine und alles Ukrainische fördert – und das schon von Kindesbeinen an.
Heute ist die Krim eine hochgerüstete russische Militärbasis. Die Halbinsel dient als strategischer Stützpunkt für Angriffe auf die Ukraine. Die Militarisierung der Jugend der Krim ist ein Bestandteil der russischen Strategie zur Festigung ihrer Kontrolle auch in den kommenden Jahren.
Parallel dazu wurde die ukrainische Sprache systematisch verdrängt: Ukrainischsprachige Schulen gibt es keine mehr und die Zahl der Schulen mit Krimtatarisch als Unterrichtssprache hat sich halbiert. Die UNESCO stuft Krimtatarisch inzwischen als gefährdete Sprache ein. Elf Jahre – das ist nicht nur die Dauer der Besetzung, sondern auch die Zeit einer gesamten Schulausbildung. Kinder, die 2013/2014 eingeschult wurden, hatten keine Möglichkeit mehr, Ukrainisch zu lernen.
Geschichte und kulturelles Erbe
Doch nicht nur die Sprachen werden gezielt unterdrückt, sondern auch das kulturelle Erbe der Halbinsel. Aliev berichtet vom Khanpalast von Bachtschyssaraj, ein architektonisches Denkmal des 16. Jahrhunderts, das heute von Zerstörung bedroht ist. Unter dem Deckmantel der Restaurierung wurde der Palast umgebaut, wobei authentische Materialien durch moderne ersetzt werden, was sein historisches Erscheinungsbild verfälscht. Ähnliches passierte auch mit Chersones sagt Aliev. “Sie versuchen, dort ein imperiales „Disneyland“ zu bauen und haben dabei ein historisches Denkmal zerstört, das zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört.”

Foto: Mcip.gov.ua
Erinnerungspolitik
Die Erinnerungspolitik ist ein weiteres Instrument der russischen Besatzung: Nach 2014 verbot Russland Massenkundgebungen an Trauertagen, die an die Deportation der Krimtataren 1944 erinnern – ein Genozid, dem fast 50 Prozent des Volkes zum Opfer fielen. Auch Schulbücher wurden umgeschrieben: Die Krim wird dort als „ursprünglich russisches Land“ dargestellt, die Krimtataren bewusst aus der Geschichte gelöscht. „Indem Russland die Krimtataren aus der Geschichte verdrängt, wird der Mythos einer „russischen Krim“ gestärkt“, erklärt Aliev. Nationale Institutionen, die die Krimtataren als Gruppe vertreten, wie der Medschlis, sind heute auf der Krim verboten.
Medien als Propagandamaschinen
Mittlerweile gibt es auf der Krim praktisch keine unabhängigen Medien mehr, die darüber vor Ort berichten könnten. Nur wenige Publikationen, die kulturelle und soziale Themen behandeln, aber keine politischen. Aliev, selbst auch Journalist, erklärt uns, dass die meisten Medien auf der Krim russische Propaganda wiedergeben. Russland hat auf der Krim einen krimtatarischen Fernsehsender gegründet, der in krimtatarischer Sprache sendet, aber alle propagandistischen Botschaften überträgt. Dasselbe gilt für die ukrainische Zeitung, die sie aus denselben Gründen gegründet haben. Journalisten, die auf der Krim unter Decknamen arbeiten, um Recherchen für unabhängige Medien zu schreiben, werden wie Vladyslav Yesypenko verfolgt und interniert.
Entvölkerung
Zwischen 2014 und heute haben 80.000 bis 100.000 Menschen die Krim verlassen, vor allem Krimtataren. In diesem Zeitraum sind fast 800.000 neue Einwohner aus Russland auf die Krim gezogen. Somit hat sich die ethnische Zusammensetzung der Krim drastisch verändert. Die Bevölkerung der Krim wird immer russischer, da immer mehr Russen auf die Halbinsel ziehen, während Ukrainer und Krimtataren die Krim verlassen, verschleppt oder unterdrückt werden.
Einfrieren des Krieges ist keine Option
Alim Aliev beschreibt diese Veränderungen als eine fortlaufende Rekolonialisierung der Krim. Um die Halbinsel wieder in die Ukraine zu integrieren und die Folgen der erzwungenen Russifizierung rückgängig zu machen, brauche die Ukraine mehr Waffen und entschlossene Unterstützung ihrer Partner: “Wir sollten uns keiner Illusion hingeben, dass Gespräche über ein sogenanntes Einfrieren des Konflikts oder des Krieges das Problem lösen werden. Nein, das verschiebt den Krieg nur auf Jahre, möglicherweise auf die Generation unserer Kinder, und es löst definitiv nicht das Sicherheitsproblem der gesamten Region, insbesondere im Schwarzen Meer.”
Die Invasion begann 2014 nicht friedlich, und die Bewohner der Krim ergaben sich nicht widerstandslos. Am 26. Februar 2014 versammelten sich Tausende Ukrainer und Krimtataren im Zentrum von Simferopol, um gegen die russischen Besatzer zu protestieren. Ukrainische und krimtatarische Fahnen wehten im Wind, traditionelle ukrainische Lieder erklangen als Zeichen des Widerstands. Seitdem erinnert die Ukraine jedes Jahr an diesem Tag an diesen Widerstand. Ein Widerstand, der bis heute anhält – sichtbar in Form von blau-gelben Graffitis, gelben Schleifen, versteckten Botschaften und Symbolen der Zugehörigkeit zur Ukraine.
„Die russische Aggression begann mit der Krim. Sie wird mit der Krim enden, wenn die Halbinsel zurück in die Ukraine kehrt“, erklärte der ukrainische Außenminister am Tag des Widerstands gegen die Besetzung.
Die Krim bleibt ukrainisch – in den Herzen der Menschen, in ihrem Widerstand und in ihrem unerschütterlichen Glauben an die Rückkehr.
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