Die Ein­nahme von Pokrowsk birgt mehr als ein nur mili­tä­ri­sches Risiko

Foto: Face­book Met­in­vest Pokrowsk Wuhillja

In Pokrowsk befin­det sich das einzige Berg­werk in der Ukraine, das Koks­kohle für die Stahl­in­dus­trie in der Ukraine liefert. Eine Ein­nahme durch rus­si­sche Truppen hätte weit­rei­chende Folgen.

Im Vorfeld der Kon­fe­renz „Ukraine und wir. Wie weiter?“ am 21. März ver­öf­fent­li­chen wir eine Bei­trags­reihe zur aktu­el­len Kriegs­lage, zu Stra­te­gien im Umgang dem rus­si­schen Krieg und zur zukünf­ti­gen Sicher­heits­ar­chi­tek­tur Europas, in der die Ukraine eine zen­trale Rolle ein­neh­men soll.

Stra­te­gi­sche Bedeutung

Am 13. Januar meldete die Nach­rich­ten­agen­tur Reuters, dass das einzige Koh­le­berg­werk in der Ukraine, das Koks­kohle pro­du­ziert, seinen Betrieb auf­grund des Vor­mar­sches der rus­si­schen Streit­kräfte ein­ge­stellt hat. Dabei ist Koks für die einst mäch­tige Stahl­in­dus­trie des Landes unver­zicht­bar. Diese Ent­wick­lung unter­streicht die zuneh­men­den Aus­wir­kun­gen der Mili­tär­ak­tio­nen auf die indus­tri­elle Basis der Ukraine und erhöht den stra­te­gi­schen Verlust, den der Fall von Pokrowsk mit sich bringen könnte.

Um die Bedeu­tung der Stadt für die ukrai­ni­sche Wirt­schaft zu ver­ste­hen, lohnt sich ein Blick auf grund­le­gende sta­tis­ti­sche Daten. Pokrowsk ist Sitz der Public Joint Stock Company Pokrovske Mine Manage­ment, die zur Pokrovsk Coal Group gehört, dem größten Koks­koh­le­pro­du­zen­ten der Ukraine. Dieser ist wie­derum ein Teil des ukrai­ni­schen Stahl­kon­zerns Met­in­vest. Pokrovske Mine Manage­ment ist nach wie vor der einzige bedeu­tende Pro­du­zent dieses für die ukrai­ni­sche Metall­in­dus­trie äußerst wich­ti­gen Rohstoffs.

Abhän­gig­keit der metall­ur­gi­schen Indus­trie von Pokrowsk

Vor der Voll­in­va­sion pro­du­zierte Pokrovske Mine Manage­ment 6,2 Mil­lio­nen Tonnen Koks­kohle pro Jahr. 2022 betrug die Pro­duk­tion 5,3 Mil­lio­nen Tonnen und 2023 5,6 Mil­lio­nen Tonnen. Der Gesamt­be­darf der ukrai­ni­schen metall­ur­gi­schen Indus­trie an Koks­kohle wird auf etwa 7,5–8 Mil­lio­nen Tonnen pro Jahr geschätzt. Pokrovske Mine Manage­ment liefert Roh­stoffe an große Hüt­ten­werke, dar­un­ter Yuzhkoks, Zapo­rizhkoks, die Kokerei in Dnipro, Kamets­tal und das Hüt­ten­werk in Dnipro.

Seit Beginn der umfas­sen­den Inva­sion hat die metall­ur­gi­sche Indus­trie ver­hee­rende Ver­luste erlit­ten. Anlagen wie Azov­s­tal und die Iljitsch Eisen– und Stahl­werke Mariu­pol wurden zer­stört, ein erheb­li­cher Teil der Pro­duk­ti­ons­ka­pa­zi­tä­ten in der Region Donezk wurden von Russ­land besetzt, still­ge­legt und geplün­dert. Auch in Bezug auf die Roh­stoff­res­sour­cen stand die Indus­trie vor großen Her­aus­for­de­run­gen. Die Nähe der Kampf­hand­lun­gen hat die Eisen­erz­för­de­rung im Becken rund um Krywyj Rih erheb­lich erschwert.

Logis­ti­sche Herausforderungen

Darüber hinaus wurde die Indus­trie durch eine erschwerte Logis­tik belas­tet. Die Infra­struk­tur für den Land­trans­port wurde teil­weise zer­stört und steht unter stän­di­gem Beschuss der rus­si­schen Armee, was die Anlie­fe­rung von Mate­ria­lien auf dem Landweg stark behin­dert. In Ver­bin­dung mit der Blo­ckade der See­hä­fen hat dies zu erheb­li­chen logis­ti­schen Stö­run­gen geführt.

Kon­se­quen­zen für die Stahlproduktion

Der mög­li­che Verlust der Kon­trolle über die Stadt Pokrowsk ist daher nicht nur aus mili­tä­ri­scher Sicht zu betrach­ten, sondern auch als schwe­rer Schlag für die Wirt­schaft der Ukraine. Die Ein­nahme von Pokrowsk birgt das Risiko eines erheb­li­chen Rück­gangs der Stahl­pro­duk­tion. Exper­ten sagen voraus, dass bei einem Verlust von Pokrovske Mine Manage­ment die jähr­li­che Stahl­pro­duk­tion auf 2 bis 3 Mil­lio­nen Tonnen sinken könnte, was 20 bis 30 % der mög­li­chen 10 Mil­lio­nen Tonnen ent­spricht. Dies würde die Haus­halts­ein­nah­men aus dem Metall­ur­gie­sek­tor erheb­lich ver­rin­gern und die Abhän­gig­keit von impor­tier­ter Koks­kohle erhöhen, die auch den Bedarf der Indus­trie nicht voll­stän­dig decken kann.

Besat­zungs­po­li­tik und Aus­wir­kun­gen auf die Industrie

Die rus­si­sche Besat­zungs­po­li­tik für Berg­bau­an­la­gen hat Umwelt- und Betriebs­stan­dards kon­se­quent miss­ach­tet. Im Donbas doku­men­tier­ten Men­schen­rechts- und Umwelt­or­ga­ni­sa­tio­nen bereits vor der umfas­sen­den Inva­sion weit ver­brei­tete Über­flu­tun­gen von Berg­wer­ken. Der Bergbau erfor­dert umfang­rei­che Res­sour­cen, dar­un­ter mensch­li­che Arbeits­kraft, Strom für Pumpen und Belüf­tung sowie Methankon­trolle. Statt den Betrieb auf­recht­zu­er­hal­ten, gaben die Besat­zungs­be­hör­den ihn oft auf, was zu über­flu­te­ten Minen führte. Diese Vor­ge­hens­weise ver­deut­licht die anhal­tende Gleich­gül­tig­keit der rus­si­schen Besat­zungs­be­hör­den gegen­über den Folgen für die Umwelt und die Indus­trie, so dass es unwahr­schein­lich ist, dass sie nach der Erobe­rung Pokrowsks die Stan­dards auf­recht­erhal­ten oder die Berg­bau­un­ter­neh­men wei­ter­füh­ren werden.

Umwelt­ri­si­ken

Die Umwelt ist durch den jahr­zehn­te­lan­gen Koh­le­ab­bau in der Region bereits stark belas­tet. Pokrowsk und die nahe gele­ge­nen Gebiete in der Region Dni­pro­pe­trowsk sind einer starken Luft­ver­schmut­zung durch Staub- und Gas­emis­sio­nen aus­ge­setzt, die durch die mit dem Bergbau ver­bun­dene Was­ser­ver­schmut­zung und Boden­ver­schlech­te­rung noch ver­stärkt wird.

In Pokrowsk gibt es zwar keine großen Ober­flä­chen­ge­wäs­ser, die direkt von der Flutung durch den Bergbau betrof­fen sind, aber das Grund­was­ser ist stark gefähr­det. Ver­schmutz­tes, schwer­me­tall­hal­ti­ges Gru­ben­was­ser kann in die Grund­was­ser­lei­ter ein­drin­gen und das ohnehin schon fragile Was­ser­ver­sor­gungs­sys­tem in der Region Donezk weiter schä­di­gen, das seit 2014 vor großen Her­aus­for­de­run­gen steht. Durch diese Ver­un­rei­ni­gung besteht die Gefahr, dass sich der bereits begrenzte Zugang der Region zu siche­rem Trink- und tech­ni­schem Wasser weiter verschlechtert.

Die Eska­la­tion der Kampf­hand­lun­gen hat es nahezu unmög­lich gemacht, die Gewäs­ser zu über­wa­chen. Die Bevöl­ke­rung ist auf­grund der sich ver­schlech­tern­den Umwelt­be­din­gun­gen, ein­schließ­lich der Was­ser­ver­schmut­zung und des begrenz­ten Zugangs zu sau­be­rem Trink­was­ser, erhöh­ten Gesund­heits­ri­si­ken ausgesetzt.

Die Ein­stel­lung der Berg­bau­ak­ti­vi­tä­ten hat auch die Boden­ver­schmut­zung ver­stärkt. Bei der Gewin­nung und Ver­ar­bei­tung von Koks­kohle fallen Abfälle an, die Schwer­me­talle wie Blei, Kadmium und Queck­sil­ber ent­hal­ten. Ohne ord­nungs­ge­mäße Bewirt­schaf­tung können diese Schad­stoffe aus dem Grund­was­ser in den Boden sickern und zu einer groß­flä­chi­gen Ver­schmut­zung führen. Der hohe Mine­ral­ge­halt des Gru­ben­was­sers trägt weiter zur Ver­sal­zung der Böden bei. Dies ver­rin­gert die land­wirt­schaft­li­chen Erträge, ver­schlech­tert den Boden und die mensch­li­che Gesund­heit und bedroht auch die Flora und Fauna, da frucht­ba­res Land immer knapper wird.

Viele dieser Pro­bleme ent­wi­ckeln sich all­mäh­lich und bleiben zunächst unbe­merkt. Die Flutung von Berg­wer­ken hin­ge­gen hat unmit­tel­bare und sicht­bare Folgen, wie etwa Boden­sen­kun­gen. Die Flutung, die durch den Still­stand der Was­ser­för­de­rung aus­ge­löst wird, führt zu che­mi­scher und phy­si­ka­li­scher Boden­ver­schlech­te­rung, ein­schließ­lich der Bildung von Erd­fäl­len. Senk­gru­ben bergen schwer­wie­gende Risiken, etwa die Frei­set­zung von Gru­ben­ga­sen an die Ober­flä­che, die zu Ver­gif­tun­gen oder Explo­sio­nen führen können. Gas, das durch Risse in Gebäu­de­fun­da­men­ten ent­weicht, kann sich bei­spiels­weise in geschlos­se­nen Räumen ansam­meln und gefähr­li­che Folgen haben.

Fazit

Die Umwelt­si­cher­heit der Ukraine ist für die öko­lo­gi­sche Sta­bi­li­tät in Europa von ent­schei­den­der Bedeu­tung. Werden diese Risiken igno­riert, könnte das weit­rei­chende Folgen haben. Nötig sind pro­ak­tive inter­na­tio­nale Bemü­hun­gen zur Bewah­rung der Umwelt und der regio­na­len Sta­bi­li­tät bei gleich­zei­ti­gem Schutz kri­ti­scher Ressourcen.

Anastasiia Bondarenko

Ana­sta­siia Bon­da­renko ist Koor­di­na­to­rin des Bereichs „Klima und Umwelt“ bei Aus­tausch e. V.

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