„Ein ukrai­ni­scher Frie­dens­ak­ti­vist im Krieg“

Maksym Butkevych, Wolodymyr Selenskyj
Foto: president.gov.ua

Der ukrai­ni­sche Men­schen­recht­ler Maksym But­ke­vych trat kurz nach Beginn der Groß­in­va­sion frei­wil­lig den ukrai­ni­schen Streit­kräf­ten bei und geriet in rus­si­sche Kriegs­ge­fan­gen­schaft. Wenige Tage vor seiner Frei­las­sung im Oktober dieses Jahres erschien im Anthea Verlag eine Samm­lung seiner Texte. Eine Rezen­sion von Yeli­za­veta Landenberger.

Maksym But­ke­vych wurde 1977 in Kyjiw geboren und wollte als kleiner Junge unbe­dingt Kos­mo­naut werden. Dieser Kar­rie­re­weg schei­terte aus gesund­heit­li­chen Gründen – statt­des­sen ver­schrieb er sich dem sozia­len Enga­ge­ment, betei­ligte sich schon als Jugend­li­cher an ver­schie­de­nen anti­fa­schis­ti­schen Initia­ti­ven und grün­dete während der „Revo­lu­tion auf Granit“ 1990, der ersten großen Demons­tra­tion auf dem Maidan, ein gewalt­freies Streik­ko­mi­tee an seiner Schule. Später stu­dierte er Phi­lo­so­phie und ange­wandte Anthro­po­lo­gie in Kyjiw und Sussex.

But­ke­vych arbei­tete als Jour­na­list unter anderem für den BBC World Service und war Co-Initia­tor des unab­hän­gi­gen ukrai­ni­schen Radio­sen­ders Hro­madske Radio. Er grün­dete auch das Men­schen­rechts­zen­trum ZMINA sowie das No Borders Project mit, das Geflüch­te­ten in der Ukraine hilft und sich seit Beginn des Krieges in den Gebie­ten Donezk und Luhansk auch den Bin­nen­ver­trie­be­nen im Land widmet. But­ke­vych wurde zu einer viel­be­ach­te­ten Figur der ukrai­ni­schen Zivil­ge­sell­schaft. Nach Beginn der Groß­in­va­sion meldete er sich frei­wil­lig zur Armee und geriet in rus­si­sche Kriegsgefangenschaft.

Frei­las­sung durch Gefangenenaustausch

Am 18. Oktober 2024 kam But­ke­vych nach über zwei Jahren Kriegs­ge­fan­gen­schaft frei. Zusam­men mit 94 anderen ukrai­ni­schen Sol­da­ten war er gegen 95 rus­si­sche aus­ge­tauscht worden. Drei Tage zuvor, als seine Frei­las­sung noch nicht abseh­bar war, erschien im Anthea Verlag eine Samm­lung mit seinen Texten aus den Jahren 2004 bis 2022 und mit Soli­da­ri­täts­be­kun­dun­gen seiner Freunde. Steffen Beilich, Irina Bondas, Camilla Elle, Jonas Empe, Car­lotta Frei­gang und André Hansen über­setz­ten die Texte ins Deut­sche. Sie sind um Schwarz-Weiß-Fotos von But­ke­vych, ein Glossar und QR-Codes ergänzt, mit denen die Ori­gi­nale ein­seh­bar sind.

Die Ein­lei­tung zum Band stammt von der Men­schen­recht­le­rin Olek­san­dra Matvi­i­chuk vom Center for Civil Liber­ties, die 2022 mit dem Frie­dens­no­bel­preis aus­ge­zeich­net wurde. Als sie den Preis im Dezem­ber des­sel­ben Jahres ent­ge­gen­nahm, erwähnte sie in ihrer Dan­kes­rede auch ihren Freund Maksym But­ke­vych: „Er und andere ukrai­ni­sche Kriegs­ge­fan­gene sowie alle inhaf­tier­ten Zivi­lis­ten müssen frei­ge­las­sen werden.“ But­ke­vych war am Ende nicht einfach nur Kriegs­ge­fan­ge­ner: der „Oberste Gerichts­hof“ im von Russ­land besetz­ten Luhansk ver­ur­teilte ihn im März 2023 in einem Schein­pro­zess zu 13 Jahren Lager­haft. Demnach soll er kurz vor seiner Gefan­gen­nahme in der Stadt Sje­wjer­odo­nezk (Region Luhansk) mit einem Gra­nat­wer­fer auf Zivi­lis­ten geschos­sen haben – was allein deshalb unmög­lich ist, weil But­ke­vych zum dama­li­gen Zeit­punkt noch in Kyjiw sta­tio­niert war.

Das beim Anthea Verlag erschie­nene Buch enthält auch Texte zum Gerichts­pro­zess, dar­un­ter einen Artikel der staats­na­hen rus­si­schen Tages­zei­tung Kom­mers­ant über But­ke­vychs Ver­ur­tei­lung und dessen Rede beim Beru­fungs­ver­fah­ren. Darin gibt er an, unter Andro­hung psy­chi­scher und phy­si­scher Gewalt, von der er einen Vor­ge­schmack erhal­ten habe, ein fal­sches Geständ­nis unter­schrie­ben zu haben. Amnesty Inter­na­tio­nal und andere Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen pran­ger­ten den Schein­pro­zess und for­der­ten seine Freilassung.

Ein Frie­dens­ak­ti­vist an der Front

Das Paradox, das im Zentrum des Buchs steht, ist bereits im Titel ange­legt: Wie konnte sich der Linke, Christ und Frie­dens­ak­ti­vist But­ke­vych, der zu Beginn der Nuller­jahre gegen den Irak­krieg pro­tes­tierte, dazu ent­schlie­ßen, selbst zur Waffe zu greifen? Darauf finden sich im Buch aus­führ­li­che Ant­wor­ten. In einem Inter­view Anfang April 2022 etwa sagte But­ke­vych, er sei Anti­mi­li­ta­rist, seit er denken könne und finde, mili­tä­ri­sche Struk­tu­ren müssten einen klar umgrenz­ten Zustän­dig­keits­be­reich haben. „Zurzeit fühle ich mich aber am rich­ti­gen Platz.“ Er werde nicht ewig in der Armee bleiben, sondern so lange, „wie das, was für uns in der Ukraine am wert­volls­ten ist, geschützt werden muss“. Im letzten Text vor seiner Gefan­gen­nahme, „Ostern mit Kalasch­ni­kow“, der von Mitte April bis Anfang Mai 2022 ent­stand, beschreibt But­ke­vych seine Gefühle an der Front wie folgt:

„An Ostern wird der Sieg des Lebens über den Tod gefei­ert und dieses Jahr begehe ich dieses Fest als frei­wil­li­ges Mit­glied einer Struk­tur, die Men­schen geschaf­fen haben, um zu töten und getötet zu werden. Beim Nacht­dienst spreche ich die Oster­ge­bete für den Sieg über den Tod. Direkt neben mir steht die Maschine, die mit dem Ziel ent­wor­fen wurde, Tod oder Ver­let­zun­gen zuzu­fü­gen. Und weißt du was? Ich erkenne zwar das Para­doxe an der Situa­tion, aber ich fühle kein wirk­li­ches Unbe­ha­gen dabei.“

Scheu­klap­pen­men­ta­li­tät im Westen

Man kann nur hoffen, dass das Buch viele deut­sche Leser und Lese­rin­nen findet. Denn es ist nicht nur eine Chro­no­lo­gie von But­ke­vychs Arbeit und seiner Zeit in der Armee sowie in Gefan­gen­schaft, sondern es erläu­tert auf zutiefst mensch­li­che und auf­rich­tige Weise die Lage der Men­schen in der Ukraine. But­ke­vych geht in seinem Oster­text auch auf die nicht nach­las­sen­den For­de­run­gen west­li­cher Intel­lek­tu­el­ler ein, man solle der Ukraine keine wei­te­ren Waffen liefern und schnells­tens einen Kom­pro­miss mit Russ­land ein­ge­hen. Diese zeugten von Scheu­klap­pen­men­ta­li­tät und Rea­li­täts­ver­lust, urteilt er. Denn man sehe jetzt in Butscha, Irpin, Hosto­mel, Mariu­pol, Charkiw, Tscher­ni­hiw und anderswo: „russkij mir“ – über­setzt: „rus­si­sche Welt“ und in zweiter Bedeu­tung „rus­si­scher Frieden“ – bedeute „Tod, Leid, Demü­ti­gung und Zerstörung“.

Die rus­si­sche Staats­füh­rung wolle alles, was mit der ukrai­ni­schen Gemein­schaft zu tun habe, aus­lö­schen, schreibt But­ke­vych. Und weil man dieses Vor­rü­cken des Todes nicht zulas­sen könne, sei es not­wen­dig, zum ein­zi­gen Mittel in dieser Situa­tion zu greifen: zur Waffe. Zugleich fordert er, allen Wid­rig­kei­ten zum Trotz, eine huma­nis­ti­sche Haltung zu bewah­ren: „Wir dürfen nicht zulas­sen, dass Hass und Schmerz uns blind machen, dass wir unsere Offen­heit und Viel­falt, unser Mit­ge­fühl und unsere Frei­heit opfern.“

 

Maksym But­ke­vych „Am rich­ti­gen Platz: Ein ukrai­ni­scher Frie­dens­ak­ti­vist im Krieg“, Anthea, Berlin 2024, 114 Seiten, Preis: 15,00 Euro.

Portrait von Yelizaveta Landenberger

Yeli­za­veta Lan­den­ber­ger ist wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu Berlin sowie freie Jour­na­lis­tin und Übersetzerin.

 

 

 

 

 

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