Zähes Ringen um Agrar­ex­porte in die EU

Foto: IMAGO /​ Ukr­in­form

Seit Sommer 2022 konnte die Ukraine viele Pro­dukte quoten- und zoll­frei in die EU aus­füh­ren. Doch ab dem 6. Juni ist Schluss mit den Zoll­erleich­te­run­gen und es gelten vorerst wieder die glei­chen Regeln wie vor dem rus­si­schen Groß­an­griff. Der ukrai­ni­schen Land­wirt­schaft drohen dadurch Mil­li­ar­den­ver­luste. Deshalb hofft Kyjiw auf eine schnelle Eini­gung mit der EU – doch nicht nur die Bauern in Polen wehren sich dagegen.

Die ukrai­ni­sche Wirt­schaft leidet nicht erst seit Februar 2022: Schon seit 2014 schwächt sie der Krieg im Osten des Landes, wo die Zentren der Schwer­indus­trie liegen. Durch die Covid-Pan­de­mie kam die Ukraine zwar ins­ge­samt besser als erwar­tet – gerade wirt­schaft­lich brachte diese Zeit jedoch eben­falls Ver­luste. Doch all das war noch nichts ver­gli­chen mit dem, was nach dem rus­si­schen Groß­an­griff passierte.

Eine enorme Hilfe in dieser schwe­ren Lage war der Mecha­nis­mus soge­nann­ter auto­no­mer Han­dels­maß­nah­men, den die EU im Juni 2022 ein­führte, um das ange­grif­fene Land zu unter­stüt­zen. In der Ukraine nannte man dies umgangs­sprach­lich oft einfach ein „visa­freies Han­dels­re­gime“. Es setzte bei der Einfuhr ukrai­ni­scher Waren in die EU vor­über­ge­hend Quoten und Zölle aus. Gerade für die starke ukrai­ni­sche Agrar­wirt­schaft, deren Exporte über das Schwarze Meer in die Länder des glo­ba­len Südens durch die rus­si­schen Angriffe zeit­weise ein­ge­schränkt wurden, bedeu­tete das eine enorme Erleichterung.

Bauern in Nach­bar­län­dern protestieren

Einige EU-Staaten, dar­un­ter Nach­bar­län­der der Ukraine wie Polen und Ungarn, aber auch Länder wie Frank­reich, standen den Han­dels­er­leich­te­run­gen aller­dings seit jeher skep­tisch gegen­über – mit der Begrün­dung, qua­li­ta­tiv hoch­wer­tige, aber ver­gleichs­weise billige ukrai­ni­sche Pro­dukte trieben die Preise nach unten und gefähr­de­ten damit lokale Pro­du­zen­ten. Vor allem in Polen sorgte dies 2023 und 2024 für mehrere Wellen von Bau­ern­pro­tes­ten, zeit­weise wurden sogar Grenz­über­gänge blo­ckiert, sodass Lkw aus der Ukraine nicht pas­sie­ren konnten.

Dass War­schau kürz­lich schon im Voraus das Aus­lau­fen der „auto­no­men Han­dels­maß­nah­men“ zum 5. Juni 2025 ankün­digte, war deshalb nicht über­ra­schend. Wenig später einigte sich die Euro­päi­sche Kom­mis­sion auf eine Reihe von Über­gangs­maß­nah­men für ukrai­ni­sche Exporte, die ab dem 6. Juni in Kraft treten. Sie sollen gelten, bis sich beide Seiten auf die Über­ar­bei­tung des seit 2016 gel­ten­den Frei­han­dels­ab­kom­mens einigen. Das im Rahmen des EU-Asso­zi­ie­rungs­ab­kom­mens ver­ein­barte Doku­ment half der Ukraine in der Zeit nach 2014, die Wirt­schaft zu sta­bi­li­sie­ren. Inzwi­schen muss es jedoch drin­gend über­ar­bei­tet werden – sowohl mit Blick auf die ver­än­derte Lage seit 2022 als auch auf die Per­spek­ti­ven eines EU-Bei­tritts der Ukraine.

Viele Emo­tio­nen, wenige Fakten

Ob die Befürch­tun­gen euro­päi­scher Land­wirte in Bezug auf ukrai­ni­sche Agrar­pro­dukte begrün­det sind, ist eine schwie­rige Frage. „In dieser Dis­kus­sion zwi­schen der EU und der Ukraine stecken viele Emo­tio­nen und wenige Fakten“, sagte Alex Lis­sitsa, Prä­si­dent des Ukrai­ni­schen Ver­bands der Agrar­wirt­schaft, gegen­über der Zeit­schrift NV. Die Ukraine habe den Bauern in Polen oder Frank­reich keinen Schaden zuge­fügt – schließ­lich würden Preise, etwa für Getreide, nicht von Deutsch­land oder Polen bestimmt, sondern durch den Weltmarkt.

„Schaut man sich die Preise für Zucker und Zucker­rü­ben auf dem euro­päi­schen Markt an, hat die Ukraine den Euro­pä­ern gehol­fen, riesige Mengen von Zucker zu einem nied­ri­gen Preis zu bekom­men. So haben wir den euro­päi­schen Markt sta­bi­li­siert“, betont Lis­sitsa. Die Preise für hei­mi­sche Zucker­rü­ben seien in der EU in den ver­gan­ge­nen Jahren teil­weise um 300 Prozent gestie­gen. Wenn pol­ni­sche Minis­ter darüber klagten, ukrai­ni­scher Zucker habe Europa über­schwemmt, dann seien das vor allem emo­tio­nale Äußerungen.

Ukraine befürch­tet Milliardenverluste

Tat­säch­lich wurden schon 2024 wieder ver­ein­zelt Han­dels­quo­ten für ukrai­ni­sche Pro­dukte ein­ge­führt – eben wegen der Pro­teste in Ländern wie Polen. Sowohl Zucker als auch einige andere Pro­dukte wie Getreide, Eier und Mais wurden im ver­gan­ge­nen Jahr ent­spre­chend fest­ge­leg­ter Quoten impor­tiert. Nun wird erneut um Quoten für rund 30 Export­gü­ter gerun­gen, dar­un­ter Milch­pro­dukte sowie Schweine- und Rindfleisch.

Durch die Rück­kehr zu den Quoten und Zöllen, die vor dem rus­si­schen Groß­an­griff galten, drohen der kriegs­ge­beu­tel­ten Ukraine Mil­li­ar­den­ver­luste – und zwar über­wie­gend in der Land­wirt­schaft, der füh­ren­den Branche im Land. Im schlimms­ten Fall sind Export­ver­luste in die EU von mehr als drei Mil­li­ar­den Euro jähr­lich sowie ein Rück­gang des Brut­to­in­lands­pro­duk­tes um rund 2,5 Prozent zu befürch­ten. Davon geht etwa Danylo Het­mantsev aus, der Vor­sit­zende des Aus­schus­ses für Finan­zen, Steuern und Zoll­po­li­tik im ukrai­ni­schen Parlament.

Beun­ru­hi­gen­des Signal seitens der EU

Für die Euro­päi­sche Kom­mis­sion sei die Rück­kehr zu Han­dels­quo­ten, nach deren Aus­schöp­fen Zölle gezahlt werden müssen, eben­falls ein „uner­wünsch­tes Sze­na­rio“, findet die Jew­ro­pe­jska Prawda, das außen­po­li­ti­sche Pendant zum füh­ren­den Online-Medium Ukra­jinska Prawda: „Denn das sendet ein sehr beun­ru­hi­gen­des Signal aus: Die Unter­stüt­zung der Ukraine seitens der EU wird schwächer.“

Mit Blick auf die Mas­sen­pro­teste der Bauern, so die Zeitung, sei es aller­dings schon vor einem Jahr ein großes Zuge­ständ­nis der EU gewesen, die Zoll­erleich­te­run­gen für die Ukraine um weitere zwölf Monate zu ver­län­gern. Umge­setzt werden konnte dies nur, weil Kom­mis­si­ons­prä­si­den­tin Ursula von der Leyen sei­ner­zeit per­sön­lich ver­sprach, dies sei die letzte Ver­län­ge­rung der „auto­no­men Handelsmaßnahmen“.

Hoff­nung auf baldige Einigung

Die Ukraine setzt nun alle Hoff­nun­gen darauf, dass sie im Handel mit der EU nur vor­über­ge­hend zur Quo­ten­re­ge­lung zurück­kehrt und man sich so bald wie möglich auf eine lang­fris­tige Lösung einigt. Denn sollte die Über­gangs­phase länger als ein paar Monate dauern, könnte sie den Export der dies­jäh­ri­gen Ernte ab August stark treffen.

Das Ziel der ukrai­ni­schen Seite ist es daher, bis Ende Juli 2025 eine Eini­gung zu erzie­len – und zwar in Form einer Ver­ein­ba­rung, die zwar etwas schlech­ter für Kyjiw aus­fal­len könnte, als die bisher gel­ten­den „auto­no­men Han­dels­maß­nah­men“, aber dennoch deut­lich besser als das jetzige Über­gangs­mo­dell. Ob sich dies aller­dings inner­halb so kurzer Zeit errei­chen lässt, ist frag­lich, auch wenn die Ukraine sicher alles daran setzen wird, die Ver­hand­lun­gen so schnell wie möglich zu einem Ergeb­nis zu führen.

Vor­be­halte im kon­ser­va­ti­ven Lager in Polen

Dass dies­be­züg­lich bisher wenig pas­siert ist, lag vor allem an der Prä­si­dent­schafts­wahl in Polen. Allen Betei­lig­ten war klar, dass dieses Thema die Sie­ges­chan­cen des Kan­di­da­ten aus dem Regie­rungs­la­ger, des War­schauer Ober­bür­ger­meis­ters Rafał Trz­as­kow­ski, gemin­dert hätte. Nun ist ein­ge­tre­ten, was viele in Kyjiw befürch­tet hatten: Wahl­sie­ger ist der rechts­kon­ser­va­tive Kan­di­dat Karol Naw­ro­cki, der dem Bei­tritt der Ukraine in die EU und die Nato äußerst skep­tisch gegenübersteht.

Nomi­niert hat den par­tei­lo­sen Naw­ro­cki die natio­nal­kon­ser­va­tive Partei PiS, die während der Bau­ern­pro­teste im Jahr 2023 als dama­lige Regie­rungs­par­tei in einen offenen Kon­flikt mit der ukrai­ni­schen Regie­rung trat. Auch die amtie­rende Regie­rung unter Donald Tusk fuhr mit Blick auf ukrai­ni­sche Importe jedoch bisher eine harte Linie. Der ukrai­ni­schen Wirt­schaft steht also in den nächs­ten Monaten ein zähes Ringen bevor. Dessen Bedeu­tung für die Zukunft der euro­päi­schen Inte­gra­tion der Ukraine ist kaum zu überschätzen.

Portrait von Denis Trubetskoy

Denis Tru­bets­koy ist in Sewas­to­pol auf der Krim geboren und berich­tet als freier Jour­na­list aus Kyjiw.

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