Dezentral, flexibel, resilient: Was Europa von ukrainischen Energiepionieren lernen kann

Die ukrainische Energiewirtschaft ist durch die massiven russischen Angriffe zum Testfeld für eine resiliente Energieversorgung geworden. Wo zentrale Netze versagen, entstehen flexible, dezentrale Lösungen, die inzwischen auch außerhalb der Ukraine erprobt werden. Modulare Systeme können Gemeinden, Krankenhäuser und Unternehmen selbst unter Extrembedingungen zuverlässig mit Strom und Wärme versorgen.
Die Geschichte von Andrii Grinenko, dem Mitbegründer des innovativen Energieunternehmens RSE, zeigt, wie die russischen Angriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur letztlich als Katalysator technologischer Neuerungen wirken – Innovationen, die schon heute zur Stärkung der europäischen Energiesicherheit beitragen.
Der ukrainische Unternehmer und promovierte Wirtschaftswissenschaftler Grinenko leitet seit 2023 das Unternehmen im tschechischen Brno und ist Mitbegründer der Clear Energy Group, eines Zusammenschlusses ukrainischer Firmen aus dem Bereich erneuerbare Energien. RSE ist auf Technologien spezialisiert, die ursprünglich als Antwort auf die Herausforderungen des Krieges entwickelt wurden, nun aber auch zur Stabilisierung europäischer Energienetze eingesetzt werden: Kraft-Wärme-Kopplungssysteme und andere Lösungen zur dezentralen Energieversorgung.
Die massiven und anhaltenden Angriffe auf die Energieinfrastruktur in der Ukraine haben gezeigt, wie verletzlich zentralisierte Versorgungssysteme sind. Aus diesem Grund entwickelte RSE eine Vielzahl mobiler Module, darunter kompakte Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, die die Strom- und Wärmeversorgung kritischer Einrichtungen unabhängig von großen Netzstrukturen sicherstellen.
In der Ukraine sind diese Module für die Menschen oft überlebenswichtig, denn sie sind schnell einsatzbereit und können selbst unter Beschuss Krankenhäuser oder Wasserwerke mit Energie versorgen.
„… kein Schnelligkeitsrekord, sondern eine Frage des Überlebens“
Heute produziert das Unternehmen etwa 35 Module pro Monat, was einer Jahreskapazität von über 100 Megawatt entspricht – genug, um etwa 400.000 Haushalte ein Jahr lang mit Strom zu versorgen. Das Flaggschiff-Modul mit einer Leistung von 4,5 Megawatt wurde im November 2025 auf den MWM Energy Days in Mannheim vorgestellt. Das Unternehmen will seine Kapazitäten in den nächsten Jahren steigern und eine Gesamtleistung von 900 Megawatt pro Jahr zu erreichen.
Die Module von RSE werden mit Erdgas oder Biogas betrieben und können an andere Brennstoffarten angepasst werden. Eine integrierte Turbokompressor-Wärmepumpe auf Propanbasis erhöht die Effizienz des Systems: Wärme- und Kälteerzeugung werden kombiniert, Gasverbrauch und Emissionen sinken. „Wir haben ein Turbomodul für unsere Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen entwickelt, mit dem ein Wirkungsgrad von bis zu 95 Prozent erreicht werden kann“, sagt Grinenko. Zum Vergleich: Der Durchschnittswert vergleichbarer europäischer Anlagen liegt bei etwa 88 bis 91 Prozent.
Das Unternehmen arbeitet mit MWM und FG Wilson / Caterpillar Energy Solutions zusammen – weltweit führenden Herstellern von Gas- und Dieselmotoren. Diese Partnerschaften sind von strategischer Bedeutung, denn sie verschaffen RSE Zugang zu hocheffizienten Motoren und Energiemanagementsystemen und ebnen so den Weg für die Integration ukrainischer Technologien in den europäischen Markt.
„Unsere europäischen Kollegen sind oft überrascht, wie schnell wir Energielösungen liefern und installieren können – etwa in der Nähe eines Krankenhauses oder eines Wasserwerks. Ein komplettes Modul kann innerhalb von zwölf Tagen aufgebaut und in Betrieb genommen werden. Für unsere Kunden in der Ukraine ist das kein Schnelligkeitsrekord, sondern eine Frage des Überlebens“, erklärt Grinenko.
Betrieb unter extremen Bedingungen
RSE begann bereits im Jahr 2023 mit der Installation seiner Module in Regionen, in denen große Energieanlagen zerstört oder beschädigt wurden. „Wenn das Energiesystem täglich ausfällt, kann man es sich nicht leisten, auf Reparaturen zu warten“, so Grinenko. „Wir sind mittlerweile in der Lage, die Anlagen innerhalb eines Tages aufzubauen, so dass Kommunen, kritische Infrastruktureinrichtungen, wichtige Unternehmen, Krankenhäuser oder Wasserversorger weiterarbeiten können.“
Die ersten Pilotmodule wurden in elf Regionen der Ukraine installiert. Dort wurden ihre Belastbarkeit bei Unterbrechungen der Kraftstoffversorgung oder Temperaturschwankungen sowie ein Fernbetrieb ohne stabiles Netz getestet. Und gerade diese extremen Bedingungen führten zu einer Optimierung der Module und der Steuerungs- und Sicherheitssysteme.
Doch der Krieg hat nicht nur die technischen Anforderungen verändert, sondern auch ein neues Verantwortungsbewusstsein geschaffen, meint Grinenko: „Wir haben verstanden, dass jede unserer Anlagen nicht nur ein Objekt ist, sondern dass Menschenleben von ihnen abhängen – Menschen, die auf Wärme und Strom angewiesen sind.“
Ukrainische Technologie für die europäische Energiesicherheit
Ein entscheidender Vorteil der RSE-Module besteht darin, dass sie überschüssigen Strom nicht ungenutzt lassen: Die Anlagen können den Strom in Wärme oder Kälte umwandeln und damit den Gasverbrauch deutlich reduzieren. Diese Funktion wurde ursprünglich für ukrainische Gemeinden entwickelt, um bei Netzinstabilität Stromspitzen lokal nutzen zu können. Genau diese Technologien werden heute in der EU zunehmend nachgefragt – nicht aus Kriegsnot, sondern weil sie es ermöglichen, erneuerbare Energie effizienter zu verwerten und den Verbrauch fossiler Brennstoffe zu senken.
Laut Grinenko zeigt sich diese Dynamik auch in den veränderten Absatzmärkten des Unternehmens: Während 2024 fast 80 Prozent der Module in die Ukraine verkauft wurden, werden es 2025 voraussichtlich nur noch etwa 40 Prozent sein – der andere Teil findet Absatz in Europa, Asien, Afrika und anderen Regionen. Diese Diversifizierung der Exporte zeugt vom Vertrauen der europäischen Verbraucher in Technologien, die sich in der Ukraine unter den schwierigen Bedingungen des Krieges bewährt haben.
In weniger als drei Jahren hat sich RSE an den europäischen Markt angepasst und ist zu einem Beispiel dafür geworden, wie ukrainische Technologien in das Energiesicherheitssystem der EU integriert werden können. Die Lösungen von RSE entsprechen dabei den gängigen europäischen Standards und Umweltauflagen: Sie sind ISO-zertifiziert und werden nach EU-Richtlinien geprüft.
Die Erfahrungen der Ukraine zeigen, wie entscheidend eine dezentrale und flexible Energieversorgung ist. Was für die Menschen in der Ukraine überlebenswichtig ist, dient den europäischen Partner als Vorbild, die eigenen Energiesystem effizienter und resilienter zu gestalten.
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