Tamila Taschewa: Brückenbauerin zwischen Krimtataren und Ukrainern
Die Krimtatarin Tamila Taschewa ist eine prominente Menschenrechtlerin, aber auch Ständige Vertreterin des ukrainischen Präsidenten für die seit 2014 besetzte Krim in Kyjiw – und zweifelsohne die ideale Brückenbauerin zwischen Ukrainern und Krimtataren.
Wie die meisten Krimtataren erlebten auch die Vorfahren Tamila Taschewas 1944 die Deportation nach Zentralasien unter Josef Stalin. Geboren in Usbekistan, kehrte die heute 38-jährige erst mit fünf Jahren in die Krim-Haupstadt Simferopol zurück und wurde später zu einer der zentralen Figuren in der kulturellen Verständigung zwischen Krimtataren und Ukrainern. Nach der Annexion der Krim 2014 verhalf sie Hunderten von Bewohnern zur Flucht und vertritt heute Präsident Selenskyj in den Belangen der Halbinsel.
Die Entdeckung des ukrainischen Rocks
Mit 15 Jahren entdeckte Taschewa durch ihren Bruder die Musikwelt der populären ukrainischen Rockband Okean Elsy und ihres ikonischen Frontsängers Swjatoslaw Wakartschuk. „Zu dieser Zeit war es auf der Krim noch sehr untypisch, ukrainische Musik zu hören“, erinnert sie sich. Ihre Begeisterung für ukrainischen Rock war sofort entflammt – nicht nur für Okean Elsy, sondern auch für Bands wie WW und Tartak. „Ihre Kreativität hat mir geholfen, Ukrainisch zu lernen“, erzählte sie in einem Interview. „Die krimtatarische und die ukrainische Kultur ähneln sich in vielerlei Hinsicht, selbst in ihren musikalischen Motiven.“
Krimtatarische Kultur im Zentrum
Nach ihrem Studium an der Fakultät für Orientalische Sprachen an der Wernadskyj-Universität in Simferopol zog es Taschewa wegen ihrer Leidenschaft für Kultur nach Kyjiw. Dort kümmerte sie sich Anfang der Nullerjahre um Kulturprojekte im Krimtatarischen Jugendzentrum. Schon bald organisierte sie landesweite krimtatarische Musikfestivals. Beim Ethnofestival Krajina Mrij („Land der Träume“), ins Leben gerufen vom Rockstar Oleh Skypka von der Band WW, kuratierte sie ein Programm, das krimtatarischen Künstlern eine landesweite Bühne bot. Zwischenzeitlich war sie auch als PR-Managerin für die populäre ukrainische Band TIK tätig.
Politisches Erwachen: von der Orangen Revolution zum Maidan
Schon in jungen Jahren politisch aktiv, organisierte Taschewa während der Orangen Revolution Demonstrationen auf der Krim. Damals standen die meisten Krimtataren hinter dem zukünftigen Präsidenten Wiktor Juschtschenko, der erfolgreich gegen die zu Gunsten von Wiktor Janukowytsch manipulierten Wahlergebnisse klagte. Später arbeitete sie im Büro einer Parlamentsabgeordneten und auch als Analystin der Juschtschenko-Partei Nascha Ukrajina („Unsere Ukraine“). Das einschneidendste Ereignis in Taschewas politischem und persönlichem Leben war jedoch zweifellos die russische Annexion der Krim im Jahr 2014.
Krimannexion und Gründung von KrimSOS
Während der Revolution der Würde versorgte Taschewa in einem improvisierten Feldlazarett verletzte Demonstranten auf dem Maidan. Als sich dann die Lage auf der Krim zuspitzte, gründete sie mit anderen Aktivisten die Facebook-Seite KrimSOS. „Zu Beginn wollten wir nur die Öffentlichkeit informieren und die Wahrheit verbreiten. Wir haben Informationen gesichtet und verifiziert“, erzählt sie. „Dann mussten wir uns aber an die Situation anpassen.“ KrimSOS etablierte eine Hotline, um Einwohnern bei der Flucht in andere ukrainische Gebiete zu unterstützen. „Bereits am 1. März 2014 halfen wir der ersten Familie, die Krim zu verlassen”, erinnert sie sich.
Anfangs rechneten Taschewa und ihr Team nicht damit, dass ihr Projekt länger als zwei Wochen bestehen würde. „Wir hofften, dass sich alles klären und gut ausgehen würde, und konnten uns nicht im Entferntesten ausmalen, dass auf die Ereignisse auf der Krim die Tragödie im Osten des Landes folgen würde“, erzählt sie. Angesichts des sich ausbreitenden Krieges erweiterte KrimSOS rasch seine Mission: Neben den Binnenvertriebenen von der Krim unterstützte die Initiative auch Flüchtlinge aus dem Donbas und die ukrainische Armee. Dennoch blieb die Krim stets im Fokus. Ein zentrales Anliegen ist und bleibt die Dokumentation der andauernden politischen Repressionen gegen Krimtataren, die insgesamt 116 der 180 politischen Häftlinge auf der besetzten Halbinsel ausmachen (Stand: Februar 2023).
Vertraute des Präsidenten: Taschewas neue Rolle als Krimbeauftragte
In den vergangenen Jahren prägte Tamila Taschewa maßgeblich die ukrainische Reintegrationsstrategie für die Krim. Sie gilt als eine der treibenden Kräfte hinter der Gründung der Krimplattform, einer internationalen diplomatischen Initiative zu Krimfragen. Dass Präsident Selenskyj, zu dem Taschewa einen guten Draht hat, sie im April 2022 – zu Beginn der umfassenden russischen Invasion – zu seiner Krimbeauftragten machte, überraschte im politischen Kyjiw niemanden. Die Hauptaufgabe der Vertretung des Präsidenten auf der Krim ist es, den Krimbewohnern ukrainische Papiere auszustellen und ihnen beratend zur Seite zu stehen.
Traum von der Rückkehr auf die Krim
„Die Krim ist für Russland nichts weiter als ein Militärstützpunkt. […] Das Leben der gewöhnlichen Menschen auf der Krim ist den russischen Machthabern egal“, stellt Taschewa klar. Die leidenschaftliche Menschenrechtlerin setzt sich weiter unermüdlich für die Zukunft der Krim und die Erhaltung der krimtatarischen Kultur ein. „Die Deportation im Jahr 1944, die Annexion der Krim durch Katharina II. und andere tragische Ereignisse, die das Schicksal der Krimtataren prägten, trugen dazu bei, dass der Wunsch, Traditionen zu bewahren und weiterzugeben, noch größer wurde”, betont sie, „die Menschen, die gewaltsam vertrieben wurden, träumten davon, in ihre Heimat zurückzukehren und alles wiederaufleben zu lassen.” Davon träumt heute auch Tamila Taschewa.
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