Starke Erholung der Investitionen mit weiterem Wachstumspotenzial
Das Investitionsklima in der Ukraine erholt sich nach schweren Jahren rasant und die Unternehmen blicken wieder positiv in die Zukunft. Doch strukturelle Probleme verhindern eine höhere Investitionsquote.
Seit Mitte 2015 erholt sich die ukrainische Wirtschaft nach der schweren Rezession der Vorjahre. Während das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den letzten beiden Jahren jeweils um knapp 2.5% zulegen konnte, weist das Wachstum der Investitionen in die Wirtschaft ein ungleich höheres Tempo auf. Folgt man der offiziellen ukrainischen Statistik, so stiegen die Investitionen in den letzten beiden Jahren im Schnitt um jeweils 5–6 Prozent im Vergleich zum jeweiligen Vorquartal. Im Jahresvergleich ergibt sich für die letzten beiden Jahre ein starkes Wachstum von jeweils knapp 20 Prozent. 2017 lag die Investitionstätigkeit damit erstmals wieder über dem Vorkrisenniveau des Jahres 2013.
Unternehmen blicken optimistisch in die Zukunft
Diese positive Entwicklung hält weiter an. Im vierten Quartal 2017 – für dieses liegen bereits detaillierte Daten vor – erhöhten sich die Anlageinvestitionen in Produktionsmittel im Vergleich zum Vorquartal um 8 Prozent, während sie im Jahresvergleich um 16,7 Prozent wuchsen. Wie die Ukrainische Nationalbank in ihrem jüngsten Inflationsreport vom April 2018 feststellt, erstreckte sich die robuste Investitionstätigkeit auf die meisten Wirtschaftssektoren. Die Nationalbank sieht die Investitionstätigkeit von mehreren Faktoren unterstützt: Erstens gebe es eine positivere Erwartungshaltung der Unternehmen (die sich in optimistischeren Unternehmensumfragen ausdrückt), zweitens habe sich die finanzielle Lage vieler Unternehmen verbessert, drittens habe die öffentliche Hand die Investitionsausgaben erhöht und viertens einige Staatsunternehmen die Investitionsausgaben gesteigert. Damit sind die Investitionen neben dem privaten Konsum derzeit ein wichtiger Wachstumstreiber für die Gesamtwirtschaft. Für das erste Quartal 2018 schätzt die Nationalbank das BIP-Wachstum auf 2,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, d.h. sie erwartet eine Fortsetzung des aktuellen moderat-positiven Wachstumstrends.
Investitionen fließen vor allem in die Industrie, Landwirtschaft und den Bausektor
Investiert wurde im vergangen Jahr 2017 vor allem im Industriesektor (33 Prozent an den Gesamtinvestitionen), im Agrarsektor (14 Prozent) und im Bau (12 Prozent). Dabei wurde etwa ein Viertel der gesamten Investitionsmittel für Investitionen in Gebäude, und über die Hälfte für Maschinen und Anlagen verwendet. Etwa 13 Prozent der Mittel flossen zudem in neue Transportmittel, z. B. die Anschaffung neuer Eisenbahnwaggons. Finanziert wurden die Investitionen vor allem aus Eigenmitteln (knapp 70 Prozent) und öffentlichen Mitteln des zentralstaatlichen Budgets sowie regionaler Haushalte (12,7 Prozent). Bankkredite (5,3 Prozent) und Mittel ausländischer Investoren (1,4 Prozent) spielten nur eine untergeordnete Rolle.
Geringes Investitionsniveau im internationalen Vergleich legt strukturelle Defizite offen
Trotz der beschriebenen positiven Entwicklungen ist das Investitionsniveau in der Ukraine im internationalen Vergleich noch immer zu gering. Der Anteil der Anlageinvestitionen am Bruttoinlandsprodukt lag im Zeitraum von 2009 bis 2017 im Schnitt bei niedrigen 16,4 Prozent. Dieser Wert hat sich zuletzt vom Tiefpunkt bei 13,5 Prozent (2015) wieder etwas erholt, erreichte 2017 aber erst wieder 15,7 Prozent. Dies liegt unter den entsprechenden Werten im Nachbarland Polen oder der Bundesrepublik Deutschland, wo der Investitionsanteil knapp 20 Prozent an der Wirtschaftsleitung beträgt. In Russland liegt der Anteil in den letzten Jahren bei stabilen 21–22 Prozent sogar etwas höher, wird aber von der Investitionstätigkeit im derzeit wachstumsstarken Rumänien mit fast 26 Prozent des BIP noch deutlich übertroffen. In der Ukraine wurde nur während des Wirtschaftsbooms 2004–2008 eine ähnlich hohe Investitionsquote erreicht (Anteil zwischen 22 und 27 Prozent des BIP). Allerdings floss damals ein nicht unerheblicher Anteil der Investitionen in eine Immobilienpreisblase, welche 2009 mit der Finanzkrise in sich zusammenbrach. Es geht also nicht nur um die Quantität, sondern auch die Qualität bzw. Nachhaltigkeit der getätigten Investitionen.
Die im internationalen Vergleich niedrige Investitionsquote in der Ukraine lässt sich einerseits auf den politischen, wirtschaftlichen und militärischen Konflikt mit Russland zurückführen. Anhaltend niedrige Investitionsquoten sind aber auch ein Hinweis auf tieferliegende, strukturelle Probleme, welche die Investitionstätigkeit behindern, etwa eine ausgeprägte Korruption, zu komplexe Bürokratie oder ein unterentwickelter Finanzsektor.
Direkte Auslandsinvestitionen spielen kaum eine Rolle
Ein weiterer wichtiger Indikator für die Attraktivität eines Investitionsstandortes sind ausländische Direktinvestitionen. Während in den Jahren 2009–2013 etwa 6 Mrd. Dollar (bzw. 4 Prozent des BIP) pro Jahr in die Ukraine flossen, halbierte sich diese Summe in den Jahren 2015–2017 auf rund 3 Mrd. Dollar jährlich (2–3 Prozent des BIP). Im Krisenjahr 2014 gab es wenig überraschend nur sehr geringe Direktinvestitionen.
Diese Summen sind allerdings nach oben verzerrt. Teilweise werden Finanzströme ukrainischer Unternehmer aus Offshore-Finanzplätzen als Direktinvestitionen „getarnt“. Zudem haben ausländische Bankengruppen in den vergangenen drei Jahren mehr als 4 Mrd. Dollar (ca. 4 Prozent des BIP) an Schuldforderungen an ihre ukrainischen Töchter in Eigenkapital umgewandelt, um diese zu rekapitalisieren, was in der Statistik als Direktinvestition verbucht wird. Die tatsächlichen ausländischen Direktinvestitionen dürften daher noch niedriger ausgefallen sein, und sind in der Periode 2015–2017 eher bei unter 2 Prozent des BIP pro Jahr anzusetzen. Diese niedrigen Summen drücken die anhaltende Vorsicht ausländischer Investoren aus. Zudem sind die betrachteten Volumina zu gering, um einen deutlichen wirtschaftlichen Modernisierungsschub zu erzeugen.
Es bleibt Luft nach oben
Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass die Investitionen in der Ukraine zwar derzeit sehr dynamisch ansteigen, jedoch struktur- und konfliktbedingt von einem niedrigen Ausgangsniveau starten. Daher ist noch immer „Platz nach oben“. Ausländische Direktinvestitionen und ukrainische Banken spielen derzeit keine große Rolle in der Bereitstellung von Investitionsmitteln. Für eine nachhaltige Entwicklung der ukrainischen Wirtschaft wäre eine weitere Steigerung der Investitionstätigkeit (v.a. auch in Infrastruktur), sowie der Auslandsinvestitionen und Kreditvergaben zu Investitionszwecken zu begrüßen, wobei die wiederkehrenden Zyklen starker Überhitzung und tiefer Rezession vermieden werden sollten.
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