Presseschau (31. August bis 13. September 2023)
Verteidigungsminister: Wer ist der Neue? +++ Korruptionsbekämpfung und die Verhaftung Ihor Kolomojskyjs +++ Welche Folgen hat der G‑20-Gipfel für die Ukraine?
Verteidigungsminister: Wer ist der Neue?
Die Ernennung des Krimtataren Rustem Umjerow als Nachfolger des am 4. September 2023 zurückgetretenen Verteidigungsministers Oleksij Resnikow sorgt für gemischte Reaktionen.
Ukrajinska Prawda zeigt sich überrascht:
„Unerwarteterweise erwies sich Umjerow tatsächlich als Kompromisskandidat, der alle zufrieden stellen konnte: Selenskyj sieht in ihm einen Manager, prowestliche Aktivisten eine Person mit gutem Ruf, und Jermak (Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, Anmerkung der Redaktion) jemanden, der die beiden für ihn wichtigen Abgeordneten im Verteidigungsministerium nicht anrühren wird.”
In einem NV-Interview äußert Roman Kostenko, Parlamentsabgeordneter und Sekretär des Sicherheits- und Verteidigungsausschusses, hohe Erwartungen an Umjerow, insbesondere im Kontext der Krim:
„Das ist ein historischer Moment: Erstmals wurde ein Vertreter des krimtatarischen Volkes zum Verteidigungsminister ernannt. [...] Umjerow ist ein guter Manager, er hat sein ganzes Leben damit verbracht, private Unternehmen und den staatlichen Vermögensfonds zu verwalten. [...] Außerdem verfügt er über Kontakte in die ganze Welt – in die USA, den Nahen Osten und die Türkei.”
Beim Dserkalo Tyschnja hält sich die Begeisterung über die vielen Lobeshymnen auf den neuen Minister stark in Grenzen:
„Wir werden nicht näher darauf eingehen, wer zu Beginn der Verhandlungen über das Getreideabkommen vorschlug, unser GESAMTES Getreide an die Türkei zu verkaufen, wer zu der Delegation gehörte, die eben dieser Türkei und auch Belarus äußerst zweifelhafte Verhandlungsvorschläge unterbreitete, und wer im Konflikt zwischen dem Präsidialamt und Achmetow (Rinat Achmetow, reichster Mensch der Ukraine und Oligarch, Anmerkung der Redaktion) vor dem Krieg vermittelte. Aber analysieren wir lieber, wofür Umjerow gelobt wird. Umjerows Erfolge beim Staatlichen Vermögensfonds der Ukraine sind eher Errungenschaften seiner Vorgänger.”
Korruptionsbekämpfung und die Verhaftung Ihor Kolomojskyjs
Präsident Selenskyj sieht sich wachsendem Druck durch das Thema Korruption ausgesetzt. Eine aktuelle Umfrage der Stiftung Demokratische Initiativen – Ilko Kutscheriw zeigt: Knapp 78 Prozent der ukrainischen Befragten machen ihn direkt für die Korruption in Regierung und regionalen Verwaltungen verantwortlich.
Im Interview mit NV warnt der ehemalige ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin vor bevorstehenden Debatten in westlichen Ländern über Korruption in der Ukraine und vor einer möglichen Neubewertung der Unterstützung für Kyjiw:
„Bislang sehe ich noch keine Auswirkungen auf die Waffenlieferungen [...], aber politisch werden solche Debatten definitiv befördert werden. […] Wir sollten keinen Anlass zu dem Verdacht geben, dass wir intransparent oder unehrlich seien […]. Diesen Herbst steht uns eine neue politische Realität bevor, in der wir beweisen müssen, dass wir die perfekten Musterschüler sind.”
Hromadske thematisiert ein von der Werchowna Rada verabschiedetes Gesetz, das die Vermögensangaben ukrainischer Abgeordneter ein weiteres Jahr unter Verschluss hält, selbst wenn diese nun offiziell wieder eingereicht werden müssen. Das Medium zitiert den Antikorruptionsaktivisten Witalij Schabunin, der das Gesetz scharf kritisiert:
„Kernstück jedes Meldesystems ist die Offenlegung des Vermögens der Beamten. Die Beamten haben nun ihre Vermögenswerte ins elektronische Register eingegeben: Aber wussten Sie etwas darüber? Konnten Journalisten die Vermögenswerte etwa untersuchen?”
Censor beleuchtet die Motive hinter der Festnahme des prominenten ukrainischen Oligarchen Ihor Kolomojskyj durch den Inlandsgeheimdienst der Ukraine (SBU):
„Als das Präsidialamt erfuhr, dass das Nationale Antikorruptionsbüro und die Spezialisierte Antikorruptionsstaatsanwaltschaft Kolomojskyj Anfang September vorladen wollten, entschied es, den Antikorruptionsbehörden zuvorzukommen. […] Auf diese Weise wollte das Präsidialamt demonstrieren, dass Kolomojskyj nicht von unabhängigen Antikorruptionsbehörden, sondern vom SBU hinter Gitter gebracht wurde, und damit seine eigene Effizienz unterstreichen. Die Unterbringung des Oligarchen in SBU-Gewahrsam ermöglicht es dem Präsidialamt außerdem, Kolomojskyj zu kontrollieren und ihn von Antikorruptionsbehörden und Medien fernzuhalten.”
Welche Folgen hat der G‑20-Gipfel für die Ukraine?
Der G‑20-Gipfel in Indien, der am 9. und 10. September stattfand, sorgte aufgrund der zurückhaltenden Stellungnahme zum von Russland geführten Angriffskrieg in der Ukraine für Aufsehen und heftige Kritik.
Der ukrainische Botschafter in Japan kommentiert im Dserkalo Tyschnja die Ergebnisse des Gipfels:
„Was wurde ohne die Ukraine besprochen und was beschlossen? […] Zwar wurde eine Abschlusserklärung verabschiedet, doch die Positionen der Teilnehmerstaaten zum Krieg Russlands gegen die Ukraine gingen weit auseinander. […] Es hat sich herausgestellt, dass es nicht nur hinsichtlich des Krieges in der Ukraine gravierende Meinungsverschiedenheiten gibt, sondern auch in Bezug auf die Finanzstabilität, den Klimawandel und die Epidemieprävention usw.”
Der Politologe Pawlo Bajew vom Peace Research Institute Oslo, analysiert in seiner Kolumne für NV den Gipfel wie folgt:
„Kyjiw zeigte sich enttäuscht über die vermeintliche Schwäche der Erklärung. Dennoch ist sich die ukrainische Führung darüber im Klaren, dass das wohl wirksamste Mittel, um die Staaten, die es vorziehen, sich aus dem europäischen Krieg herauszuhalten, zu einer prinzipientreueren Haltung zu bewegen, darin besteht, Russland eine Reihe von Niederlagen zuzufügen. So ist jeder von den ukrainischen Brigaden eroberte Schützengraben ein Schlag für Moskaus Position auf der internationalen Bühne und für Putins Plan, einen langen Zermürbungskrieg zu gewinnen.”
Gefördert durch:
Ukrainische Medien
Die Online-Zeitung Ukrajinska Prawda veröffentlicht als regierungskritisches Medium investigative Artikel und deckte auch Korruptionsfälle innerhalb der ukrainischen Regierung auf. Sie zählt zu den meistgenutzten Nachrichtenportalen der Ukraine.
Die Ukrajinska Prawda wurde im Jahr 2000 vom ukrainisch-georgischen Journalisten Heorhij Gongadse gegründet, der im darauffolgenden Jahr – angeblich auf Veranlassung des damaligen Präsidenten Leonid Kutschma – ermordet wurde. Die heutige Chefredakteurin ist die bekannte ukrainisch-krimtatarische Journalistin Sevgil Musaieva.
Im Mai 2021 verkaufte die damalige Eigentümerin Olena Prytula 100 Prozent der Anteile an Dragon Capital, eine ukrainische Investment-Management-Gesellschaft, die vom tschechischen Unternehmer Tomáš Fiala geleitet wird.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 69,6 Millionen
Das Online-Nachrichtenportal und ‑Fernsehen Hromadske finanziert sich über Crowdfunding bei seinen Leserinnen und Lesern, Spenden, Werbung und über für andere Medien aufgenommene Videos.
Hromadske wurde als NGO mit dazugehörigen Online-Medien im November 2013 mit Beginn des Euromaidan gegründet. Die jetzige Chefredakteurin ist die ukrainische Journalistin Jewhenija Motorewska, die sich zuvor mit dem Thema Korruption in ukrainischen Strafverfolgungsbehörden befasst hat.
Die Weiterentwicklung von Hromadske wird von einem Vorstand vorangetrieben, der aus sieben prominenten ukrainischen Persönlichkeiten besteht, darunter Nobelpreisträgerin Oleksandra Matwijtschuk.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 2,8 Millionen
Der ukrainische Fernsehsender mit Online-Nachrichtenportal, dessen Chefredakteurin die ukrainische Journalistin Chrystyna Hawryljuk ist, wird finanziell von der ukrainischen Regierung unterstützt. In diesem Zusammenhang hat sich die Website einer ausgewogenen Berichterstattung verpflichtet.
Das renommierte Institute of Mass Information führte Suspilne.Novyny im September 2021 auf der sogenannten „weißen Liste“ ukrainischer Medien, die ein sehr hohes Niveau an zuverlässigen Informationen bieten.
Suspilne.Novyny wurde im Dezember 2019 gegründet und gehört zur Nationalen öffentlichen Rundfunkgesellschaft der Ukraine. Im Januar 2015 war die zuvor staatliche Rundfunkanstalt entsprechend europäischen Standards in eine öffentliche Rundfunkgesellschaft umgewandelt worden.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 7,4 Millionen
NV ist eine Print- und Online-Zeitschrift, deren Schwerpunkt auf Nachrichten aus dem Ausland und der ukrainischen Politik liegt. Zu den Hauptthemen zählen die internationale Unterstützung der Ukraine, Korruption sowie die künftige Entwicklung des Landes. Die Online-Ausgabe veröffentlich oft Artikel renommierter ausländischer Medien wie The Economist, The New York Times, BBC und Deutsche Welle. Die Zeitschrift erscheint freitags als Druckausgabe auf Ukrainisch, die Website ist auf Ukrainisch, Russisch und Englisch verfügbar. NV gilt als eine der zuverlässigsten Nachrichtenquellen in der Ukraine.
NV wurde im Jahr 2014 – ursprünglich unter dem Namen Nowjoe Wremja („Die neue Zeit“) – vom ukrainischen Journalisten Witalij Sytsch gegründet, der die Chefredaktion übernahm. Zuvor arbeitete Sytsch bei dem ebenfalls populären Magazin Korrespondent. Er verließ Korrespondent, nachdem es an Serhij Kurtschenko – einen Janukowytsch nahestehenden Oligarchen aus Charkiw – verkauft worden war. NV gehört zum Verlagshaus Media-DK, dessen Eigentümer der tschechische Unternehmer Tomáš Fiala ist.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 27,1 Millionen
Dserkalo Tyschnja liefert Hintergrundberichte und Analysen; das Themenspektrum umfasst politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Themen. Die Zeitung betrachtet die ukrainische Politik und deren Akteure in einem internationalen Zusammenhang. Dserkalo Tyschnja steht auf der „weißen Liste“ ukrainischer Medien, die zuverlässige Informationen liefern.
Dserkalo Tyschnja ist eine der ältesten ukrainischen Zeitungen und erschien zuerst 1994. Seit 2020 ist die Zeitung nur noch online verfügbar: auf Ukrainisch, Russisch und Englisch. Chefredakteurin ist die bekannte ukrainische Journalistin Julija Mostowa, Ehefrau des ehemaligen ukrainischen Verteidigungsministers Anatolij Hrysenko.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 4,7 Millionen
Das ukrainische Online-Magazin Babel wurde im September 2018 gegründet. Das Themenspektrum umfasst soziale und politische Themen; besonderes Augenmerk gilt aber auch Nachrichten aus der Wissenschaft und über neue Technologien.
Nach dem 24. Februar 2022 wurde die zuvor ebenfalls angebotene russische Version der Website geschlossen. Stattdessen wird nun eine englische Version angeboten. Babel finanziert sich über Spenden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Babel engagieren sich in zahlreichen Projekten, die darauf abzielen, die ukrainischen Streitkräfte während des Krieges zu unterstützen.
Die Eigentümer des Online-Magazins sind der erste Chefredakteur Hlib Husjew, Kateryna Kobernyk und das slowakische Unternehmen IG GmbH. Heute ist der ukrainische Journalist Jewhen Spirin, der aus dem besetzten Luhansk stammt, Chefredakteur von Babel.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 1,1 Millionen
Das Online-Magazin Liwyj Bereh gehört zum Horschenin-Institut, einer ukrainischen Denkfabrik, die sich mit politischen und gesellschaftlichen Prozessen in der Ukraine und der Welt beschäftigt. Liwyj Bereh hat sich auf Interviews spezialisiert; häufige Themen sind die ukrainische Innen- und internationale Politik sowie soziale Fragen in der Ukraine.
Liwyj Bereh wurde im Juni 2009 gegründet, Chefredakteurin Sonja Koschkina hat seit 2018 einen eigenen Youtube-Kanal „KishkiNA“, auf dem sie Interviews mit verschiedenen Personen veröffentlicht.
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Im Fokus des ukrainischen im Jahr 2000 gegründeten Online-Nachrichtenportals LIGA stehen wirtschaftliche, politische und soziale Themen. Seit 2020 steht LIGA auf der „weißen Liste“ ukrainischer Medien, die stets präzise Informationen und zuverlässige Nachrichten anbieten.
Chefredakteurin ist die ukrainische Journalistin Julija Bankowa, die davor eine leitende Position bei dem Online-Magazin Hromadske hatte.
Der Eigentümer des Nachrichtenportals ist die ukrainische unabhängige Mediaholding Ligamedia, deren Geschäftsführer Dmytro Bondarenko ist.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 8,5 Millionen
Censor präsentiert sich als Website mit „emotionalen Nachrichten“. Der Fokus liegt vor allem auf innenpolitischen Entwicklungen. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine sind viele Beiträge den Ereignissen an der Front und den ukrainischen Streitkräften gewidmet. Censor ist auf drei Sprachen verfügbar: Ukrainisch, Russisch und Englisch.
Das Nachrichtenportal Censor wurde 2004 vom bekannten ukrainischen Journalisten Jurij Butusow gegründet und zählt zu den populärsten Nachrichtenseiten des Landes. Butusow gilt als scharfer Kritiker von Präsident Selenskyj. Er erhebt schwere Vorwürfe in Bezug auf Korruption innerhalb der ukrainischen Regierung, schlechte Vorbereitung auf den Krieg gegen Russland und unbefriedigende Verwaltung der Armee. Butusow wird von über 400.000 Menschen auf Facebook gelesen. Seine Posts auf dem sozialen Netzwerk haben enormen Einfluss und lösen hitzige Diskussionen aus.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 59 Millionen
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