Presseschau (28. Juni bis 5. Juli 2023)
Beherrschende Themen in den ukrainischen Medien waren der anstehende NATO-Gipfel, ein möglicher russischer Terroranschlag auf das Atomkraftwerk Saporischschja und die ukrainische Gegenoffensive. Die Berichterstattung über die Folgen der Meuterei von Jewgenij Prigoschin, Chef der Gruppe Wagner, trat hingegen in den Hintergrund.
DER BEVORSTEHENDE NATO-GIPFEL
Ukrajinska Prawda
Die Ukrajinska Prawda hofft, dass beim NATO-Gipfel am 11. und 12. Juli in Vilnius „Geschichte geschrieben wird“. Die USA unterstütze die Ukraine bei ihrem künftigen Beitritt nicht ausreichend. Beim Gipfel werde sich zeigen, ob sich Joe Biden darüber bewusst sei, dass über „seinen Platz in der Geschichte“ jetzt entschieden werde. Ukrajinska Prawda ruft in ihrem Leitartikel den amerikanischen Präsidenten dazu auf, eine NATO-Einladung an die Ukraine auszusprechen, was eine künftige Mitgliedschaft zur Folge haben würde.
NV
Walerij Tschalyj, ehemaliger ukrainischer Botschafter in den USA, meint in einem in der NV veröffentlichten Interview:
Entweder der Ukraine wird eine helfende Hand gereicht, oder das Land wird über Jahre im gefährlichen Schatten Moskaus bleiben.
Dserkalo Tyschnja
Der Dserkalo Tyschnja hingegen warnt davor, beim NATO-Gipfel den Versuch zu unternehmen, eine Mitgliedschaft der Ukraine durch „Halblösungen und unbedeutende Gesten zu ersetzen.“ Dies sei zu verhindern, es sei vielmehr an der Zeit, „auf politischem und rechtlichem Wege die Rolle der Ukraine als östliche Säule der Verteidigung Europas gegen die größte Bedrohung für eine friedliche Zukunft zu festigen.“
MÖGLICHER ANSCHLAG AUF DAS AKW SAPORISCHSCHJA
Babel
Das Online-Medium Babel berichtet, das AKW Saporischschja bekomme keinen Strom mehr von der Hochspannungsleitung, die eine der Hauptleitungen darstelle. Das Kraftwerk sei nun an die Notfallversorgung angeschlossen. Die Situation sei bedrohlich.
NV und LIGA
Für den Fall einer nuklearen Katastrophe im AKW Saporischschja veröffentlichten verschiedene Medien, darunter NV und LIGA, Anweisungen und Handlungsempfehlungen des ukrainischen Gesundheitsministeriums. Allein die Tatsache, dass diese Materialien vom Ministerium veröffentlicht werden, zeigt, dass ein Anschlag auf das AKW Saporischschja für möglich gehalten wird.
Suspilne
Auch Suspilne veröffentlicht ähnliches Material auf seiner Website und weist drauf hin, dass die Einwohner der umliegenden Region auf eine Evakuierung vorbereitet sein müssten, falls das AKW Saporischschja gesprengt werde.
NV
Die NV beruft sich auf das amerikanische Institut für Kriegsstudien (ISW), demzufolge Russland das Ziel habe, in Bezug auf das AKW Saporischschja die Ukraine „unverantwortlicher Handlungen“ zu bezichtigen. Die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen „radioaktiven Vorfalls“ im AKW bleibe jedoch gering. Es gehe den Russen eher um eine kleinere Provokation im AKW, um die Verantwortung dafür dann der Ukraine zuschieben zu können.
BEWERTUNG DER GEGENOFFENSIVE
Hromadske
Hromadske macht auf die von der ukrainischen Armee genutzten „unbemannten Luftfahrzeuge“ aufmerksam:
Lediglich zehn Prozent des Bedarfs der Armee an Drohnen sind gedeckt.
Die von ukrainischen Freiwilligen gesammelten Spenden seien nicht mehr ausreichend, es müsse ein staatliches Finanzierungsprogramm zu diesem Zweck gestartet werden.
Suspilne
Suspilne betont die Bedeutung von Langstreckenwaffen für die ukrainische Offensive. Die Waffen, wie zum Beispiel die US-amerikanischen ballistischen ATACMS, seien sehr wichtig, um die russische Nachhut gefechtsunfähig zu machen.
Liwyj Bereh
Liwyj Bereh veröffentlicht den ersten Teil eines großen Interviews mit Witalij Dejneha, Gründer der bekannten ukrainischen Nichtregierungsorganisation „Powernys Schywym“ („Komm lebend wieder“). Seiner Meinung nach komme die ukrainische Armee zwar langsam voran, aber bis zum Ende dieses Jahres werde man Erfolge im Schlachtfeld sehen. Im nächsten Jahr seien Drohnen ebenso wichtig wie Kampfflugzeuge. In dieser Hinsicht hätten die russischen Streitkräfte einen Vorsprung vor der ukrainischen Armee.
Suspilne
Suspilne zitiert die stellvertretende Verteidigungsministerin Hanna Maljar, die am 4. Juli sagt: „Wir rücken vor, und der Feind nicht“. Trotz hohen Drucks seitens der russischen Armee gelinge es den ukrainischen Streitkräften an der Front bei Bachmut, allmählich vorzurücken. Die Initiative liege dort bei der ukrainischen Armee.
Ukrajinska Prawda
Die Ukrajinska Prawda verweist auf das auf ISW, demzufolge die ukrainische Gegenoffensive nicht aufs tote Gleis geraten sei: Die jetzige Gegenoffensive „ist zwar nicht so dramatisch und schnell, aber erfolgreicher als die gescheiterte russische Winter-Frühjahrsoffensive.“ Die ukrainische Armee bereite den Boden vor, um die russischen Verteidigungslinien zu durchbrechen und weiter vorzurücken.
Die Ukrajinska Prawda zitiert außerdem den deutschen Bundeskanzler. Olaf Scholz habe gesagt, die ukrainischen Streitkräfte planten ihre Operationen „sehr zielgerichtet“, während „Deutschland Bedingungen geschafft hat, um die Ukraine langfristig zu unterstützen“.
DIE MEUTEREI VON PRIGOSCHIN
Hromadske
Hromadske spricht mit Rob Lee, einem amerikanischen Analytiker, über Prigoschins Meuterei. Lee glaubt, Prigoschin habe Putin herausgefordert und sich zu einer Gefahr für den russischen Präsidenten entwickelt. Alle Akteure der Meuterei (Prigoschin, Putin, das russische Verteidigungsministerium) seien durch die Ereignisse des 24. Juni wesentlich geschwächt. Es bleibe abzuwarten, ob dies direkte Folgen für den Krieg in der Ukraine haben werde. Prigoschin sei an der finanziellen Seite von militärischen Konflikten interessiert. Im Gegensatz zu Afrika biete ihm der Krieg in der Ukraine keine lukrativen Möglichkeiten. Es sei also möglich, dass die Gruppe Wagner und Prigoschin ihre Interessen anderswo verfolgen würden.
Ukrainische Medien
Die Online-Zeitung Ukrajinska Prawda veröffentlicht als regierungskritisches Medium investigative Artikel und deckte auch Korruptionsfälle innerhalb der ukrainischen Regierung auf. Sie zählt zu den meistgenutzten Nachrichtenportalen der Ukraine.
Die Ukrajinska Prawda wurde im Jahr 2000 vom ukrainisch-georgischen Journalisten Heorhij Gongadse gegründet, der im darauffolgenden Jahr – angeblich auf Veranlassung des damaligen Präsidenten Leonid Kutschma – ermordet wurde. Die heutige Chefredakteurin ist die bekannte ukrainisch-krimtatarische Journalistin Sevgil Musaieva.
Im Mai 2021 verkaufte die damalige Eigentümerin Olena Prytula 100 Prozent der Anteile an Dragon Capital, eine ukrainische Investment-Management-Gesellschaft, die vom tschechischen Unternehmer Tomáš Fiala geleitet wird.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 69,6 Millionen
Das Online-Nachrichtenportal und ‑Fernsehen Hromadske finanziert sich über Crowdfunding bei seinen Leserinnen und Lesern, Spenden, Werbung und über für andere Medien aufgenommene Videos.
Hromadske wurde als NGO mit dazugehörigen Online-Medien im November 2013 mit Beginn des Euromaidan gegründet. Die jetzige Chefredakteurin ist die ukrainische Journalistin Jewhenija Motorewska, die sich zuvor mit dem Thema Korruption in ukrainischen Strafverfolgungsbehörden befasst hat.
Die Weiterentwicklung von Hromadske wird von einem Vorstand vorangetrieben, der aus sieben prominenten ukrainischen Persönlichkeiten besteht, darunter Nobelpreisträgerin Oleksandra Matwijtschuk.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 2,8 Millionen
Der ukrainische Fernsehsender mit Online-Nachrichtenportal, dessen Chefredakteurin die ukrainische Journalistin Chrystyna Hawryljuk ist, wird finanziell von der ukrainischen Regierung unterstützt. In diesem Zusammenhang hat sich die Website einer ausgewogenen Berichterstattung verpflichtet.
Das renommierte Institute of Mass Information führte Suspilne.Novyny im September 2021 auf der sogenannten „weißen Liste“ ukrainischer Medien, die ein sehr hohes Niveau an zuverlässigen Informationen bieten.
Suspilne.Novyny wurde im Dezember 2019 gegründet und gehört zur Nationalen öffentlichen Rundfunkgesellschaft der Ukraine. Im Januar 2015 war die zuvor staatliche Rundfunkanstalt entsprechend europäischen Standards in eine öffentliche Rundfunkgesellschaft umgewandelt worden.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 7,4 Millionen
NV ist eine Print- und Online-Zeitschrift, deren Schwerpunkt auf Nachrichten aus dem Ausland und der ukrainischen Politik liegt. Zu den Hauptthemen zählen die internationale Unterstützung der Ukraine, Korruption sowie die künftige Entwicklung des Landes. Die Online-Ausgabe veröffentlich oft Artikel renommierter ausländischer Medien wie The Economist, The New York Times, BBC und Deutsche Welle. Die Zeitschrift erscheint freitags als Druckausgabe auf Ukrainisch, die Website ist auf Ukrainisch, Russisch und Englisch verfügbar. NV gilt als eine der zuverlässigsten Nachrichtenquellen in der Ukraine.
NV wurde im Jahr 2014 – ursprünglich unter dem Namen Nowjoe Wremja („Die neue Zeit“) – vom ukrainischen Journalisten Witalij Sytsch gegründet, der die Chefredaktion übernahm. Zuvor arbeitete Sytsch bei dem ebenfalls populären Magazin Korrespondent. Er verließ Korrespondent, nachdem es an Serhij Kurtschenko – einen Janukowytsch nahestehenden Oligarchen aus Charkiw – verkauft worden war. NV gehört zum Verlagshaus Media-DK, dessen Eigentümer der tschechische Unternehmer Tomáš Fiala ist.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 27,1 Millionen
Dserkalo Tyschnja liefert Hintergrundberichte und Analysen; das Themenspektrum umfasst politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Themen. Die Zeitung betrachtet die ukrainische Politik und deren Akteure in einem internationalen Zusammenhang. Dserkalo Tyschnja steht auf der „weißen Liste“ ukrainischer Medien, die zuverlässige Informationen liefern.
Dserkalo Tyschnja ist eine der ältesten ukrainischen Zeitungen und erschien zuerst 1994. Seit 2020 ist die Zeitung nur noch online verfügbar: auf Ukrainisch, Russisch und Englisch. Chefredakteurin ist die bekannte ukrainische Journalistin Julija Mostowa, Ehefrau des ehemaligen ukrainischen Verteidigungsministers Anatolij Hrysenko.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 4,7 Millionen
Das ukrainische Online-Magazin Babel wurde im September 2018 gegründet. Das Themenspektrum umfasst soziale und politische Themen; besonderes Augenmerk gilt aber auch Nachrichten aus der Wissenschaft und über neue Technologien.
Nach dem 24. Februar 2022 wurde die zuvor ebenfalls angebotene russische Version der Website geschlossen. Stattdessen wird nun eine englische Version angeboten. Babel finanziert sich über Spenden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Babel engagieren sich in zahlreichen Projekten, die darauf abzielen, die ukrainischen Streitkräfte während des Krieges zu unterstützen.
Die Eigentümer des Online-Magazins sind der erste Chefredakteur Hlib Husjew, Kateryna Kobernyk und das slowakische Unternehmen IG GmbH. Heute ist der ukrainische Journalist Jewhen Spirin, der aus dem besetzten Luhansk stammt, Chefredakteur von Babel.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 1,1 Millionen
Das Online-Magazin Liwyj Bereh gehört zum Horschenin-Institut, einer ukrainischen Denkfabrik, die sich mit politischen und gesellschaftlichen Prozessen in der Ukraine und der Welt beschäftigt. Liwyj Bereh hat sich auf Interviews spezialisiert; häufige Themen sind die ukrainische Innen- und internationale Politik sowie soziale Fragen in der Ukraine.
Liwyj Bereh wurde im Juni 2009 gegründet, Chefredakteurin Sonja Koschkina hat seit 2018 einen eigenen Youtube-Kanal „KishkiNA“, auf dem sie Interviews mit verschiedenen Personen veröffentlicht.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 2 Millionen
Im Fokus des ukrainischen im Jahr 2000 gegründeten Online-Nachrichtenportals LIGA stehen wirtschaftliche, politische und soziale Themen. Seit 2020 steht LIGA auf der „weißen Liste“ ukrainischer Medien, die stets präzise Informationen und zuverlässige Nachrichten anbieten.
Chefredakteurin ist die ukrainische Journalistin Julija Bankowa, die davor eine leitende Position bei dem Online-Magazin Hromadske hatte.
Der Eigentümer des Nachrichtenportals ist die ukrainische unabhängige Mediaholding Ligamedia, deren Geschäftsführer Dmytro Bondarenko ist.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 8,5 Millionen
Censor präsentiert sich als Website mit „emotionalen Nachrichten“. Der Fokus liegt vor allem auf innenpolitischen Entwicklungen. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine sind viele Beiträge den Ereignissen an der Front und den ukrainischen Streitkräften gewidmet. Censor ist auf drei Sprachen verfügbar: Ukrainisch, Russisch und Englisch.
Das Nachrichtenportal Censor wurde 2004 vom bekannten ukrainischen Journalisten Jurij Butusow gegründet und zählt zu den populärsten Nachrichtenseiten des Landes. Butusow gilt als scharfer Kritiker von Präsident Selenskyj. Er erhebt schwere Vorwürfe in Bezug auf Korruption innerhalb der ukrainischen Regierung, schlechte Vorbereitung auf den Krieg gegen Russland und unbefriedigende Verwaltung der Armee. Butusow wird von über 400.000 Menschen auf Facebook gelesen. Seine Posts auf dem sozialen Netzwerk haben enormen Einfluss und lösen hitzige Diskussionen aus.
Aufrufe der Website im Mai 2023: 59 Millionen
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