Olena Selenska: First Lady wider Willen
Olena Selenska, First Lady der Ukraine, ist weltbekannt: Mit einer Mischung aus Emotionalität, Ruhe und Menschlichkeit trifft sie oft den perfekten Ton. Als renommierte Drehbuchautorin hat sie entscheidend zu Wolodymyr Selenskyjs Erfolg im Fernsehgeschäft beigetragen. Die 45-Jährige ist viel mehr als „nur“ die Frau des ukrainischen Präsidenten.
In der Nacht auf den 1. Januar 2019 kündigte Wolodymyr Selenskyj, erfolgreicher Fernsehmanager, Schauspieler und Komiker, seine Präsidentschaftskandidatur an. Das tat er im Laufe der Silvestergala seiner beliebten Comedysendung Wetschirnij Kwartal (Das Abendviertel). Natürlich wurde die Sendung nicht live ausgestrahlt. Dennoch erfuhr Selenskyjs Frau Olena erst am folgenden Morgen, dass ihr Mann tatsächlich bei den Wahlen antreten würde – worüber im Vorfeld viel spekuliert worden war. Dass in jenen Minuten Weltgeschichte geschrieben wurde, ahnte damals noch kaum jemand.
Vielleicht hatte der zukünftige ukrainische Präsident schlicht vergessen, Olena Selenska in diese folgenreiche Entscheidung einzuweihen. Gut möglich ist allerdings auch, dass es Selenskyjs Kalkül war, seine Frau nicht zu früh zu verärgern. Denn es ist kein Geheimnis, dass Olena Selenska, gebürtig Olena Kyjaschko, den politischen Ambitionen ihres Mannes skeptisch gegenüberstand und den Verbleib von Selenskyj im Fernsehgeschäft bevorzugt hätte. Auch heute scheut sie sich nicht, ihre Haltung in den Medien kundzutun: So sagte sie etwa im Interview mit The Economist, dass ihr Mann nach dem Krieg lieber nicht für eine zweite Amtszeit kandidieren sollte.
Einflussreich – aber lieber im Hintergrund
Einige Monate nach der Entscheidung für die erste Kandidatur wurde Wolodymyr Selenskyj offiziell zum Präsidenten der Ukraine gewählt – und Olena Selenska fand sich völlig ungewollt in der Rolle der First Lady wieder. Die wie ihr Mann aus der Industriestadt Krywyj Rih in der Region Dnipro stammende Selenska musste plötzlich ihrer neuen Rolle entsprechend häufiger als gewünscht in die Öffentlichkeit treten. Nach Selenskyjs Amtseinführung musste sie einen Instagram-Account einrichten, sie trug plötzlich nur noch Kleidung von ukrainischen Designern und beteiligte sich an der Entwicklung von Projekten, die sich etwa der Verbesserung von Schulkantinen annahmen.
Trotzdem hielt sich Selenska, die es 2023 auf die Liste der 100 einflussreichsten Menschen der Welt der US-amerikanischen Zeitschrift TIME schaffte, weiterhin zurück – und gab bis zum russischen Großangriff am 24. Februar 2022 nur ein großes Einzelinterview.
Doch auch vor der umfassenden Invasion war sie alles andere als „nur“ die Frau an der Seite ihres Mannes, auch wenn sie es vorzog, im Hintergrund zu agieren. Die Tochter eines Dozenten für Baukonstruktion und Bauwerke an der damaligen Kyjiwer Universität für Eisenbahnverkehr sollte dem Wunsch ihrer Eltern zufolge Architektin werden – und studierte an der Nationalen Universität Krywyj Rih Architektur.
Interessanterweise begann die Beziehung des Paares erst in Selenskas Studienzeit, obwohl die beiden zuvor an derselben Schule Parallelklassen besucht hatten, sich also schon länger kannten, und obwohl Selenskyj an einer anderen Universität studierte.
Top-Drehbuchautorin – bis zum 24. Februar 2022
Als Architektin hat Selenska letztlich nicht einen Tag gearbeitet, stattdessen entwickelte sie ein anderes Talent. Um Wolodymyr Selenskyj herum bildete sich schon damals eine starke Comedygruppe, die an Wettbewerben in der Ukraine und auch in Russland teilnahm und aus der sich später die Produktionsfirma Kwartal 95 entwickelte – benannt nach dem Stadtteil von Krywyj Rih, in dem Selenskyj aufgewachsen war.
Olena Selenska wurde schnell zu einer wichtigen Drehbuchautorin des Teams und trug als solche zur Kultsendung Wetschirnij Kwartal, aber auch zu anderen Produktionen von Kwartal 95, wie etwa zur ähnlichen Satiresendung Schinotschyj Kwartal (Das Viertel der Frauen), maßgeblich bei. Auch nach dem Wahlsieg ihres Mannes, mit dem sie eine Tochter und einen Sohn hat, arbeitete sie zunächst weiterhin im Autorenteam.
Der 24. Februar 2022 brachte jedoch eine Zäsur. Um fünf Uhr morgens erwachte Selenska und sah, dass ihr Mann bereits ein weißes Hemd und Anzug trug – bis zum heutigen Tag war es das letzte Mal, dass der ukrainische Präsident so gekleidet war. „Es ist losgegangen“, sagte er zu seiner Frau. Mehr als zwei Monate würden vergehen, bis Selenska ihn wieder zu Gesicht bekam.
„Auf einmal war das ein anderer Mensch“
„Auf einmal war das ein anderer Mensch“, sagt Selenskas enge Freundin und Kwartal-Schauspielerin Olena Krawez – nicht über Selenskyj, sondern über dessen Frau. In diesen anhaltenden Kriegszeiten lebt das Paar seither getrennt, weil der ukrainische Staatschef sich abgesehen von Reisen ins In- und Ausland hauptsächlich im Präsidialamt aufhält.
Auf internationaler Bühne: Selenskas Engagement in Kriegszeiten
Olena Selenska hat die Rolle der First Lady angenommen – und trägt diesen Titel, wenn auch wider Willen, in Ehren. So wendet sie sich regelmäßig und selbstbewusst auf internationalen Konferenzen und Sicherheitsforen an die Welt, organisiert Gipfeltreffen der First Ladies und Gentlemen, gibt mittlerweile häufig Interviews und kümmert sich auch um die in Kriegszeiten stark beanspruchte psychische Gesundheit der Ukrainer.
Selenska als wichtige Botschafterin der Ukraine
Wichtig ist dabei aber nicht nur, dass sie öffentlich auftritt, sondern vor allem, wie sie es tut. Selenska spricht nicht im Stil politischer Statements, sondern in einer verständlichen, menschlichen Sprache. Sie kann so auch für ganz einfache Menschen im Ausland nachvollziehbar machen, warum Waffenlieferungen für die Ukrainerinnen und Ukrainer überlebenswichtig sind und welche humanitäre Unterstützung das Land dringend braucht.
Politische Ratschläge gibt sie Selenskyj trotz ihres internationalen Standings nicht. „Es gibt eine große Lücke zwischen seinem und meinem Fachwissen. Ich glaube nicht, dass ich ihm Ratschläge geben kann“, betont sie in einem YouTube-Interview, dass sie im Mai 2022 gemeinsam mit ihrem Mann gegeben hat.
Einen unmittelbar mit dem Sieg gegen Russland verbundenen Wunsch äußerte die First Lady – die selbst von Selenskyjs politischen Gegnern dafür gelobt wird, wie menschlich und gelungen sie die Ukraine auf internationalem Parkett repräsentiert – jedoch: Irgendwann mit ihrem Mann und ihren Kindern wieder allein, ohne Schutz und erhöhte Sicherheitsvorkehrungen, Zeit verbringen zu können.
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