Nicht geliefert: Korruption beim Waffenkauf

Nach dem russischen Großangriff soll die Ukraine Verträge mit ausländischen Waffenlieferanten abgeschlossen haben, die nie erfüllt wurden. Verantwortlich sind vermutlich sowohl ausländische Firmen als auch korrupte Beamte in der Ukraine. Im Herbst 2023 wurde im Kampf gegen die Korruption fast die gesamte Führung des Verteidigungsministeriums entlassen – was jedoch teils zu mehr Chaos führte als es verbesserte.
Für das ukrainische Verteidigungsministerium war der russische Großangriff vor allem eines: eine riesige Umstellung. Zwar war es schon seit Beginn des Krieges im Osten der Ukraine 2014 die zentrale Aufgabe der Behörde, die eigenen Streitkräfte so gut wie möglich zu versorgen. Und weil westliche Staaten vor dem russischen Einmarsch kaum je direkt Waffen an die Ukraine lieferten oder verkauften, mussten die Beamten kreativ werden und durchaus auch nach unorthodoxen Wegen zur Beschaffung des nötigen Materials suchen.
Die Invasion am 24. Februar 2022 hat aber noch einmal alles verändert. Durch die Generalmobilmachung sind die ukrainischen Streitkräfte, in denen zuvor rund 300.000 Menschen dienten, quasi von heute auf morgen auf das Dreifache gewachsen. Es gehört zu den Realitäten eines solchen umfassenden Krieges, dass es immer wieder zu stellenweisen Engpässen in der Versorgung kommt. Das gilt – trotz deren wirtschaftlicher Übermacht – für die russische Seite genau wie für die Ukraine.
Korruption kostet täglich Menschenleben
Dass Korruption in der Ukraine ein ernst zu nehmendes Problem ist, ist unbestritten – das gilt für die Zeit vor dem 24. Februar 2022 genauso wie seither. Der Verteidigungssektor ist davon nicht ausgenommen – bei einem Verteidigungshaushalt von mehr als umgerechnet 40 Milliarden Euro pro Jahr wundert das kaum. Dass von einer solchen Summe ein gewisser Teil – anders als gedacht – nicht für die unmittelbare Verteidigung eingesetzt wird, wäre in vielen Ländern der Welt nicht anders. Doch in der Ukraine kostet das momentan täglich ganz konkret Menschenleben.
Entsprechend scharf reagiert die Gesellschaft auf journalistische Recherchen und Enthüllungen zu diesem Thema. Anfang 2023 haben Berichte darüber, dass Lebensmittel für Soldaten im Hinterland zu überteuerten Preisen gekauft wurden, dazu geführt, dass im Herbst desselben Jahres die gesamte Führung des Verteidigungsministeriums ausgewechselt wurde. Doch auch von der weit verbreiteten Korruption abgesehen, sind Geschichten wie die in der vergangenen Woche von der Financial Times veröffentlichte Recherche darüber, dass die Ukraine 770 Millionen US-Dollar bei Waffeneinkäufen im Ausland verloren haben soll, wenig überraschend.
Behörden überprüfen etliche Verträge
Der russische Großangriff hat die Ukraine dazu gezwungen, in kürzester Zeit und in großen Mengen Waffen und Munition aus dem Ausland zu beschaffen. Dabei wurden offenbar nicht alle Verträge, die unterschrieben wurden, auch erfüllt. Wie die Financial Times berichtet, sind in mindestens 30 Fällen bei Geschäften, in denen die Ukraine Vorauszahlungen geleistet hat, keine Waffen im Land angekommen. Die Verantwortung dafür tragen laut der Recherche in den meisten Fällen die Lieferanten – teilweise hätte dabei aber vermutlich auch Korruption auf ukrainischer Seite eine Rolle gespielt.
Ukrainische Behörden überprüfen deshalb momentan Dutzende von Verträgen und haben in einigen Fällen bereits entsprechende Verfahren eingeleitet. Das Verteidigungsministerium in Kyjiw versucht derzeit, auf gerichtlichem Weg die Rückzahlung von 309 Millionen US-Dollar durchzusetzen – und zwar bei jenen Geschäften, die ganz sicher nicht mehr als durchführbar gelten. In den restlichen Fällen hofft man, mithilfe außergerichtlicher Einigungen zumindest einen Teil des Geldes zurückzubekommen.
Geschäfte mit dubiosen Unternehmen
Tatsächlich ist das Problem vielschichtig. So benötigte die Ukraine gerade zu Beginn des Krieges im Osten 2014 Unmengen an Munition sowjetischen Kalibers, auf die fast die gesamte Artillerie angewiesen ist. Nach dem Großangriff im Februar 2022 stiegen die Preise dafür jedoch, wenig überraschend, um ein Vielfaches. Für diverse Versorgungsprobleme bei den Streitkräften gibt es also objektive Gründe – was allerdings nicht bedeutet, dass auf ukrainischer Seite keine Fehler gemacht wurden.
So wurde im Jahr 2022 beispielsweise ein Vertrag mit dem US-amerikanischen Waffenhändler OTL Imports geschlossen, der eine Vorauszahlung in Höhe von 17,1 Millionen US-Dollar erhielt. Dabei ging es um die Beschaffung von Munition aus Serbien, die letzten Endes nie geliefert wurde. Nach Angaben des Staatlichen Ermittlungsbüros der Ukraine, dem ukrainischen Pendant zum US-amerikanischen FBI, habe OTL Imports nie eine Genehmigung für den Export und Transport der Munition gehabt.
Chaos nach Wechsel im Verteidigungsministerium
Hier und heute geht es für die Ukraine jedoch weniger um die Frage, was unmittelbar nach dem Großangriff im Februar 2022 schiefgelaufen ist – sondern darum, was zukünftig besser laufen sollte. Und diese Frage offenbart die Dilemmata, vor denen ein Land im Kriegszustand steht.
Im Herbst 2023 musste der damalige Verteidigungsminister Oleksij Resnikow gehen, weil er die Korruption in seinem Ministerium nicht in den Griff bekommen hatte. Der Spitzenjurist hatte das Amt wenige Monate vor dem russischen Großangriff auf persönlichen Wunsch von Präsident Wolodymyr Selenskyj hin übernommen. Dass er selbst in Korruptionsgeschäfte verwickelt war, galt als unwahrscheinlich – dennoch wurde sein Rücktritt gerade in der Zivilgesellschaft äußert positiv aufgenommen.
Dass Resnikows Nachfolger, Rustem Umerow, der zuvor erfolgreich den traditionell korruptionslastigen Staatlichen Vermögensfonds geleitet hatte und nun die ukrainische Delegation bei den Verhandlungen mit Russland anführt, gute Kontakte sowohl in die USA als auch in die arabische Welt pflegte, schien vielversprechend. Tatsächlich aber hat sich die Arbeit des Verteidigungsministeriums seit dem Amtswechsel kaum verbessert. Zwar gab es etwa bei der Digitalisierung durchaus bedeutende Fortschritte, doch dafür war nicht in erster Linie der neue Minister verantwortlich.
Investigative Medien decken Korruption auf
Keine gute Idee war es hingegen, 2023 zeitgleich mit Resnikow auch sämtliche stellvertretenden Minister zu entlassen. Ein Großteil ihrer Nachfolger ist bis heute nicht offiziell im Amt. Auf diese Weise rutschte die Arbeit der Behörde ins Chaos ab – was etwa zu Jahresbeginn die rechtlich fragwürdige, wenn auch nicht grundlose Entlassung, von Maryna Bezrukova zeigte. Bezrukova hatte die Beschaffungsagentur für Rüstungsgüter geleitet, die dem Ministerium zwar formell untersteht, aber größtenteils unabhängig arbeitet. Die Kommunikation zwischen dem Ministerium und der Agentur funktionierte in dieser Zeit nicht gut. Das war brandgefährlich, denn die Agentur war unter anderem für die Beschaffung lebenswichtiger Drohnen zuständig.
Was die Bekämpfung von Korruption angeht, hat die Ukraine zweifellos noch eine lange Lernkurve vor sich. Sie muss diese inmitten der schwersten Krise ihrer unabhängigen Existenz meistern – während genau diese Unabhängigkeit bedroht ist. Gerade in so einer Zeit könnte das Verteidigungsministerium mehr Konsolidierung und weniger öffentliche Skandale gebrauchen – vor allem, wenn es dabei um Interna und nicht um Medienrecherchen zu Korruptionsfällen geht. Dass es solche Recherchen auch in Zukunft geben wird, steht außer Frage. Denn der investigative Journalismus, der vielleicht stärkste Zweig der ukrainischen Medienbranche, ist weiterhin so aktiv und arbeitsfähig wie vor dem 24. Februar 2022.
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