Rechtsextreme Gruppen in der Ukraine
Am vergangenen Wochenende erreichte die rechte Gewalt in der Ukraine ein neues Niveau. Welche rechten Gruppierungen treiben derzeit ihr Unwesen, was sind ihre bevorzugten Ziele und Vorgehensweisen und weshalb können sie so offen und aktiv agieren?
Rechtsextreme Bewegungen gibt es in den meisten Ländern Europas und die Ukraine bildet keine Ausnahme. Zwar sind in der Werchowna Rada praktisch keine rechtsextremen Kräfte vertreten – und das wird sich laut den jüngsten Meinungsumfragen auch nach den Parlamentswahlen 2019 nicht ändern. Doch auf gesellschaftlicher Ebene sind rechtsextreme Organisationen und Gruppen durchaus präsent und aktiv.
Roma, LGBTI und Frauenrechtlerinnen im Fokus rechter Gewalt
Zu den Hauptaktitiväten ukrainischer rechtsextremer Gruppen zählen Pogrome gegen Roma und Angriffe auf die LGBTI-Community und feministische Gruppen. In den letzten Wochen gab es wiederholt gewalttätige Aktionen gegen Roma. Am Wochenende wurde ein trauriger Höhepunkt erreicht, als bei Lemberg sogar eine Person ums Leben kam und vier weitere Menschen, darunter ein zehnjähriger Junge, verletzt wurden.
Die genannten Opfergruppen stehen nicht zufällig im Fokus: Die ukrainischen Roma zählen zu den besonders marginalisierten Gruppen im Land. Sie haben häufig keine Dokumente und kein Dach über dem Kopf. Viele von ihnen leben in Parks, wo sie in Zelten schlafen. Es gibt immer wieder Berichte, dass sie in Kleinkriminalität verwickelt seien. Das alles macht sie zu einfachen Opfern, für die nur wenige bereit sich einzusetzen.
Was die LGBTI-Community und feministische Gruppen anbelangt, so ist die Situation hier umgekehrt: In den letzten Jahren wurden sie zunehmend aktiver, sichtbar an einer steigenden Anzahl von Veranstaltungen, an denen immer mehr Menschen teilnehmen. Das ruft bei einigen konservativen und rechtsextremen Gruppen den Wunsch hervor, diese gesellschaftliche Entwicklung wieder umzukehren.
Welche rechtsextremen Gruppierungen gibt es?
Die Gruppe „C14“ (die Zahl 14 bezieht sich dabei auf einen in rechtsextremen Kreisen verbreiteten Slogan bzw. Zahlencode) existiert seit mehreren Jahren und ist durch viele Aktionen bekannt geworden, z. B. durch die Störung von linken Aktivitäten, Pogromen in Roma-Lagern oder der Organisation von „Fußballturnieren für weiße Kinder”. Über das Projekt „Bildungsversammlung“ zur Förderung patriotischer Erziehung, das jüngst sogar staatliche Fördermittel zugesprochen bekommen hat, versuchen sie sich eine soziale Fassade zu geben.
„Katechon“, „Tradition und Ordnung“ oder die „Schwesternschaft der heiligen Olga“ sind kleinere konservative Gruppen aus Kyjiw, die öffentliche Veranstaltungen von feministischen und LGBTI-Gruppen stören. Der Name „Katechon“ stimmt nicht zufällig mit dem Namen des analytischen Zentrums von Alexander Dugin überein, dessen konservative Philosophie durchaus Einfluss auf den ukrainischen „Katechon“ hat. Diese Gruppen treten zusammen mit anderen konservativen Initiativen vor allem für die „traditionelle Familie“ ein.
Der „Nationale Korpus“ ist eine Partei, die aus der Mitte des ultranationalistischen Regiments „Asow“ hervorgegangen ist. Obwohl die Partei ein eher moderates Programm vertritt, machen lokale Vertreter immer wieder durch körperliche Gewalt an politischen Kontrahenten von sich reden. Da sich die Partei u. a. auch das Thema Ökologie auf die Fahnen geschrieben hat, gehen Parteimitglieder auch gegen linke Umweltinitiativen vor.
Die „Nationale Gefolgschaft“ ist eine Initiative der Partei „Nationaler Korpus“. Sie zählt mehrere Hundert Personen, die nicht zwingend rechtsextreme politische Ansichten vertreten, aber im Straßenbild sichtbar sind, da sie auf Straßen patrouillieren und sich um Objektschutz kümmern. Sie sind weniger politisch aktiv, als kommerziell, wobei auch sie schon an Aktionen gegen Roma teilgenommen haben und damit an die „Tituschki“ – Janukowytschs einstige Männer für’s Grobe – erinnern, die für Geld mit Gewalt gegen andere Gruppen vorgingen.
„Karpatsky Sich“ nennt sich eine kleine Gruppe von Neonazis aus dem westukrainischen Uschhorod. Es gibt Grund zur Annahme, dass sie in Korruptionspraxen lokaler Politiker involviert sind. Sie fallen regelmäßig durch Störungen feministischer Veranstaltungen in Uschhorod aufgefallen, sind aber auch in anderen Städten aktiv. Sie sympathisieren mit dem syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad und der griechischen neonazistischen Partei „Goldene Morgenröte“.
Der „Rechte Sektor“ ist die wohl bekannteste Organisation und wurde 2013 gegründet und 2014 in eine Partei umgewandelt. Aus Protest gegen die Dämonisierung der Partei durch die russische Propaganda erhielt der „Rechte Sektor“ auch Zuspruch von Menschen, die die rechtsradikalen Vorstellungen der Partei eigentlich nicht teilen. Die Partie schuf auch das „Freiwillige Ukrainische Korps“, das aktiv gegen die russische militärische Aggression in der Ostukraine kämpft und Freiwillige unterschiedlicher politischer Ansichten vereint. Der „Rechte Sektor“ hat den Rückzug ihres Anführers Dmitri Jarosch zwar überlebt, ist derzeit aber weitgehend inaktiv. Einzelne Mitglieder fallen jedoch immer wieder durch physische Übergriffe auf politische Gegner auf.
„Weiße Löwen“, „Erbe“ oder „Modeurteil“ – so nennen sich unterschiedliche Jugendgruppen, die im ganzen Land aktiv sind und nicht von Führungspersonen vereint werden, sondern von ihrer homophoben Gesinnung. Sie spüren über Fake-Accounts im Internet homosexuelle Männer auf und Verabreden sich zu vorgeblichen Dates, bei denen sie ihre Opfer schlagen und erniedrigen, das Geschehen aufzeichnen und mit der Veröffentlichung des Material drohen. Die Idee dazu kam 2013 vom bekannten russischen Neonazi Maxim Marzinkewitsch, der dieses Prinzip in die Ukraine brachte. Der Höhepunkt dieser Gewaltform scheint zwar überschritten, aber hin und wieder treten neue Fälle auf.
Passivität der Polizei ermuntert die Täter
So unterschiedlich die verschiedenen Formen der Gewalt sind: Das Hauptproblem, weshalb rechte und nationalistische Gruppen so aktiv sein können, liegt in der Tatsache begründet, dass die Polizei nicht engagiert genug auftritt. Die vielen Attacken werden immer wieder von denselben, namentlich bekannten Personen verübt, die aufgrund der Passivität und Tatenlosigkeit der Polizei – die selbst häufig genug homophob und xenophob ist – nicht zur Rechenschaft gezogen werden und unvermindert weitermachen können. Ob das tödliche Pogrom bei Lemberg ein Weckruf war und die Polizei von nun an vehementer dagegen vorgeht – immerhin wurden mehrere Personen festgenommen und den Tätern drohen nun bis zu 15 Jahre Haft –, oder sich solche Szenen zukünftig wiederholen, bleibt abzuwarten.
Aus dem Russischen von Eduard Klein.
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Tragen Sie sich in unseren Newsletter ein und bleiben Sie auf dem Laufenden.