Ende eines zweifelhaften Ministeriums

Das Einheitsministerium – gegründet im Dezember, um ukrainische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zur Rückkehr in die Heimat zu bewegen und den russischen Einfluss zurückzudrängen – steht schon ein halbes Jahr später vor dem Aus. Denn gegen Einheitsminister und Vizepremier Oleksij Tschernyschow besteht der Verdacht auf Amtsmissbrauch und Bestechlichkeit in großem Stil.
Im August 2024 kündigte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Schaffung eines neuen Ministeriums an, das sich um Ukrainerinnen und Ukrainer im Ausland kümmern und sie zur Rückkehr in die Heimat ermutigen sollte. „Millionen unserer Leute in anderen Ländern, ihre Verbindungen zur Ukraine, der Schutz unserer gemeinsamen Interessen als Nation – all das wird in der Verantwortung der neuen Institution liegen“, so Selenskyj damals. Es solle „ein Ministerium für die ukrainische Einheit“ sein und den russischen Einfluss auf das Land bekämpfen.
Angesichts der enormen Zahl an Ukrainerinnen und Ukrainern, die das Land seit dem russischen Großangriff am 24. Februar 2022 verlassen haben, klang das zunächst einmal logisch. Mehr als 20 Millionen Menschen ukrainischer Abstammung, schätzt die Regierung in Kyjiw, leben derzeit im Ausland, 1,2 Millionen davon in Deutschland. Zu ihnen zählen nicht nur die wegen des Krieges Geflüchteten, sondern auch die Nachfahren der sogenannten „alten Diaspora“ und diejenigen, die die Ukraine nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verlassen haben.
Ministerium mit unklaren Aufgaben …
Ende 2024 wurde das neue Ministerium dann offiziell gegründet, und zwar auf der Grundlage des bisherigen „Ministeriums für die Reintegration temporär besetzter Gebiete“, das sich bis dahin mit den Problemen der Binnenflüchtlinge beschäftigt hatte. Mit Oleksij Tschernyschow, der gleichzeitig zu einem der stellvertretenden Regierungschefs ernannt wurde, bekam die neue Behörde einen namhaften Leiter – obwohl schon damals abzusehen war, dass gegen den gebürtigen Charkiwer ein Korruptionsverfahren eingeleitet werden könnte. Tschernyschow hatte seit 2020 als Minister für Gemeinde- und Territorialentwicklung – also de facto als Infrastrukturminister – gearbeitet, bis ihn das Parlament im November 2022 entließ; danach leitete er den staatlichen Energiekonzern Naftohas.
Bei genauerem Hinsehen erwies sich die Gründung des Einheitsministeriums allerdings schnell als zweifelhaft. Was sollte diese neue Behörde besser machen, als es das Außenministerium mit seinem riesigen Netz an Botschaften und Konsulaten konnte? Nicht unwahrscheinlich, dass sich hier unnötig Strukturen und Zuständigkeiten doppelten. „In den ersten Wochen nach seiner Ernennung wusste Tschernyschow gar nicht, was er im neuen Ministerium tun sollte – außer, sich mit Geflüchteten zu treffen“, berichtet die Ukrajinska Prawda. Es seien lediglich abstrakte Projekte diskutiert worden, in denen es darum ging, wie die Ukraine ihre Männer im Ausland für die eigene Rüstungsindustrie zurückgewinnen könnte, unter anderem mithilfe von guten Gehältern und der Freistellung vom Wehrdienst.
… und ungewisser Zukunft
Von Anfang an machten im politischen Kyjiw Gerüchte die Runde, das Einheitsministerium sei in erster Linie gegründet worden, damit der einflussreiche Tschernyschow Vizepremier werden konnte. Denn dafür habe er ein eigenes Ressort gebraucht. Ein halbes Jahr nach seiner Gründung ist allerdings nicht nur unklar, womit sich das nach wie vor eher knapp besetzte Ministerium eigentlich beschäftigen soll – nach den schwerwiegenden Korruptionsvorwürfen gegen den Minister steht es nun sogar vor dem faktischen Aus.
Gut möglich, dass die Behörde in ein anderes Ressort eingegliedert wird – etwa in das Außenministerium – oder dass man sie in eine Art staatliche Agentur umwandelt. Denn die vollständige Abschaffung eines Ministeriums nach so kurzer Zeit käme in der Öffentlichkeit schlecht an. Die Tage des Einheitsministerium als eigenständiges Ressort jedoch sind mit Sicherheit gezählt, auch wenn der Minister vorerst offiziell im Amt bleibt.
Ende einer vielversprechenden Karriere
„Wir haben es versucht, es hat nicht geklappt“, kommentiert ein einflussreicher Abgeordneter der Präsidentenpartei Diener des Volkes die Vorgänge um das Einheitsministerium gegenüber der Ukrajinska Prawda. Vielleicht sei es gar nicht sinnvoll, die Arbeit des Ministeriums überhaupt fortzusetzen. Was genau mit dem Ressort passiere, sei noch ungewiss.
Wegen laufender Ermittlungen des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU) gegen einstige enge Mitarbeiter Tschernyschows war im Juni zeitweise sogar unklar, ob der Minister von einer Dienstreise nach Tschechien in die Ukraine zurückkehrt. Er tat es, bekräftigte seine Bereitschaft, mit den Ermittlungsbehörden zusammenzuarbeiten und nahm am 28. Juni zusammen mit anderen Regierungsmitgliedern sogar an den Feierlichkeiten zum Verfassungstag teil. Das kann jedoch kaum darüber hinwegtäuschen, dass die einst vielversprechende politische Karriere des 47-Jährigen ganz offensichtlich beendet ist.
Komplexe Beweislage in groß angelegtem Korruptionsfall
Am 23. Juni bestätigte die Antikorruptionsstaatsanwaltschaft offiziell den Verdacht gegen Tschernyschow wegen Amtsmissbrauch und Bestechlichkeit. Als faktischer Infrastrukturminister soll er 2022 Voraussetzungen für die Übergabe eines Grundstücks an ein staatliches Unternehmen geschaffen haben, das daraufhin Investitionsverträge für den Bau von Wohnhäusern gezielt mit ganz bestimmten Firmen abschloss. Das Grundstück und die später dort gebauten Häuser wurden dabei fast fünfmal günstiger als der damals übliche Marktwert bewertet, wodurch dem Staat ein Schaden in Millionenhöhe entstand.
Tschernyschow und seine Anwälte beteuern, der Verdacht auf Bestechlichkeit in großem Stil sei vollkommen unbegründet. Der Wert des Grundstücks sei nicht zu niedrig angegeben worden, vielmehr seien den ermittelnden Stellen Berechnungsfehler unterlaufen. Die Beweislage allerdings ist komplex – und so wird es für Tschernyschow schwer, unbeschadet aus der Situation herauszukommen.
Selenskyj verliert engen Vertrauten
Für Wolodymyr Selenskyj ist die Situation rund um Tschernyschow heikel. Sein Fall dürfte laut Ukrajinska Prawda für große Verärgerung beim Präsidenten sorgen, zumal noch nie ein derart hochrangiger Beamter verdächtigt wurde. Die Frage ist allerdings auch, warum Tschernyschow – ein enger Vertrauter Selenskyjs – seinerzeit überhaupt erst ernannt wurde, während in den Medien schon lange über ein mögliches Verfahren gegen ihn spekuliert worden war. Inzwischen gilt als sicher, dass Tschernyschow spätestens Mitte des Monats seinen Posten räumen muss.
Und er ist möglicherweise nicht der einzige Minister, dem dieses Schicksal im Juli beschieden sein wird. Immer wieder wurde in den vergangenen Jahren über eine mögliche Auswechslung von Premierminister Denys Schmyhal diskutiert. Er ist seit mehr als fünf Jahren im Amt und damit der am längsten amtierende Premierminister in der Geschichte des Landes. Nun aber könnte er durch seine erste Stellvertreterin, Julija Swyrydenko ersetzt werden, die bei den Verhandlungen mit den USA über das sogenannte Rohstoff-Abkommen positiv auffiel. Auch etliche andere Veränderungen in der Regierung werden erwartet. Wie auch immer ein neues ukrainischen Kabinett schließlich aussieht: Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit werden weder Oleksij Tschernyschow noch sein heutiges Einheitsministerium darin eine Rolle spielen.
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